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Gang der Untersuchung

„Der Wohnungsmarkt ist ein Markt wie alle anderen - und auch wieder nicht." Mit die-sem Satz beginnt das im Jahre 1992 von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gut-achten30 der unabhängigen Kommission, die nach ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, auch als Sinn-Kommission bekannt wurde. Der zitierte Satz entfaltet dabei eine dreifache Bedeutung.

29 Rahner, Grundkurs, S. 19.

30 Expertenkommission Wohnungspolitik, Wohnungspolitik.

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Auf einer ersten Ebene werden der Wohnungs- und der Immobilienmarkt in der Litera-tur als ein besonderer Markt begriffen. Die Besonderheiten ergeben sich dabei u. a. aus

• der Heterogenität von Immobilien,

• der Langlebigkeit von Immobilien,

• der bedingten Teilbarkeit von Immobilien und nutzbaren Flächen,

• der hohen Intransparenz von Immobilienmärkten und

• den hohen Transaktionskosten im Immobilienmarkt etc.

Diese Besonderheiten des Immobilienmarktes31 fuhren zu einer Marktunvollkommen-heit, die - j e nach Standpunkt - staatliche Interventionen verlangen oder Überrenditen zulassen.

Auf einer zweiten Ebene erhält der zitierte Satz insofern eine weitere Interpretation, als Wohnflächen eine besonders hohe persönliche Bedeutung für die Nutzer haben. In der Literatur wird - selbstverständlich primär von jenen, welche die Nutzer ohne Eigen-tumsrechte vertreten,32 - der meritorische Charakter des Gutes Wohnen hervorgeho-ben.3 3 Die politisch zu definierende Mindestausstattung mit Wohnraum impliziere gera-de in Verbindung mit gera-den zuvor genannten Besongera-derheiten gera-des Immobilienmarktes (Intransparenz, hohe Transaktionskosten etc.) die Notwendigkeit staatlicher Interventio-nen.

Diese Arbeit will herausstellen, dass der zitierte Satz „Der Wohnungsmarkt ist ein Markt wie alle anderen - und auch wieder nicht" vor allem auf einer dritten Ebene Gel-tung erlangt, die in der Literatur bislang - wenn überhaupt - nur ansatzweise BeachGel-tung gefunden hat. So kann, und dies bestimmt auch die Gliederung dieser Arbeit, nicht von einem einheitlichen Marktbegriff ausgegangen werden. Der Begriff Markt ist theorieab-hängig. Er wird in der mikroökonomischen oder finanzwirtschaftlichen Literatur jeweils

31 Siehe: Kühne-Bünning, Besonderheiten, S. 6-17; Nachtkamp, Subventionen, S. 56; Eekhoff, Woh-nungsmarkt, S. 2-6; auch bei gewerblichen Immobilien lt. Bone-Winkel, Management, S. 27-32.

32 z. B. Rips, Wohnungspoltik, S. 283-296; Jenkis, Wohnungspolitik, S. 515-525; Jenke, Wohnungsmarkt, S. 9-46.

33 z. B.: Kühne-Büning/Heuer (Hrsg.), Grundlagen, S. 1 mit Rückgriff auf Heidegger; Baulig, Aspekte, S.

1; Steinert, Subvention, S. 15 f.

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unterschiedlich interpretiert bzw. definiert. Der Markt ist keine reale Gegebenheit, son-dern ein Begriff und Begriffe existieren nur theoriebezogen. Versteht man den Woh-nungsmarkt in diesem Sinne als Markt, so sind unterschiedliche, sich nur teilweise über-lagernde, im Wesentlichen aber sich widersprechende Theorieansätze erkennbar, die je-weils einen Teil dessen zu erklären versuchen, was wir als empirische Phänomene mei-nen beobachten zu könmei-nen.

Der Wohnungsmarkt ist auf einer dritten Bedeutungsebene insofern ein besonderer Markt, als völlig unterschiedliche Marktkonzepte zum Verständnis der Marktphänome-ne nötig sind. Da dieses jedoch auch in anderen Märkten sinnvoll sein kann, ist der Wohnungsmarkt wiederum ein Markt wie jeder andere auch. Allerdings wird sich her-ausstellen, dass - nicht zuletzt bedingt durch die lange Nutzungsdauer der Anlagegüter im Wohnungsmarkt, aber auch durch den Umstand der Fixkostenstruktur der Anbieter sowie der Besonderheiten bei der Transaktion von Flächennutzungsmöglichkeiten - die Bedeutung unterschiedlicher Marktkonzepte noch stärker als in anderen Märkten gege-ben ist. Insoweit könnte sich aus dieser Konstellation die ungewöhnliche Situation ein-stellen, dass aus der immobilienwirtschaftlichen Forschung Ansätze entstehen, die den wissenschaftlichen Diskurs anderer wirtschaftswissenschaftlicher Disziplinen sowie die allgemeine Wirtschaftstheorie beeinflussen.

In dieser Arbeit - und hieraus folgt auch die Gliederung - werden vier Marktkonzepte als zum Verständnis von Wohnungsmärkten unabdingbar identifiziert:

1. das güterwirtschaftliche Marktkonzept, 2. das finanzierungstheoretische Marktkonzept, 3. das vermögensmarktwirtschaftliche Marktkonzept, 4. das optionstheoretische Marktkonzept.

Im güterwirtschaftlichen Marktkonzept, welches unter Punkt 2 Behandlung erfahrt, wird der Wohnungsmarkt wie ein gewöhnlicher Gütermarkt betrachtet. Das gehandelte Gut ist die Nutzungsmöglichkeit der Wohnfläche. Das mit der marginalistischen Revolution entwickelte güterwirtschaftliche Marktmodell, das mit den Namen Jevons, Walras und Marshall verbunden ist, argumentiert mit den Begriffen von Angebot und Nachfrage und

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den sich hieraus ergebenden Angebots- und Nachfragefunktionen bis zum totalen Marktmodell. Das analytische Instrumentarium entspricht folgerichtig jenem aus der MikroÖkonomik.

Das unter Punkt 3 der Arbeit dargestellte finanzierungstheoretische Marktkonzept be-greift den Wohnungsmarkt als einen Kreditmarkt, bei dem der Vermieter dem Kreditge-ber, der Mieter dem Kreditnehmer, die Mietsache dem Kreditgegenstand und die Miete der Bedienung des Kredites entsprechen. Das finanzierungstheoretische Marktkonzept rekurriert auf unterschiedliche Theorieansätze der betrieblichen Finanzwirtschaft. Her-vorzuheben sind die Ansätze von Stiglitz/Weiss34 zur Kreditrationierung, Theorieansät-ze zur optimalen Finanzierungsstruktur von Unternehmen u. a. von Modigliani/Miller35

und Williamson3 6 oder das Konzept der adversen Selektion von Akerlof.3 7

Das unter Punkt 4 der Arbeit erörterte vermögensmarktwirtschaftliche Marktkonzept sieht Immobilien als Vermögensgüter, die für den Anleger im Wettbewerb mit anderen stehen, beispielsweise auf nominelle Werte bezogene Vermögenswerte. Bei der Bewer-tung der im Wettbewerb befindlichen Assets kommt die von der Berliner Schule auch als Monetär-Keynesianismus bekannte und mit der Person von Riese eng verbundene Theorie zum Tragen, nach der bestimmte Aktiva non-pekuniäre Erträge erwirtschaften, die primär für Immobilien bewertungsrelevant werden.38

Schließlich begreift das unter Punkt 5 der Arbeit behandelte optionstheoretische Kon-zept Grundstücke als Realoptionen, insofern der Grundstückseigentümer jeweils das Recht, nicht aber die Pflicht zur Bebauung hat. Die Verwendung des Optionskonzepts ist in der immobilienwirtschaftlichen Forschung relativ neu und führt zu einer Reihe von Ergebnissen, die es sehr erleichtern, bestimmte Phänomene zu erklären. Zugleich weist insbesondere dieser Ansatz den güterwirtschaftlichen in seine Grenzen zurück.

34 Stiglitz/Weiss, Credit Rationing, S. 393-410.

35 Modigliani/Miller, Cost of Capital, S. 261-297.

36 Williamson, Corporate Finance, S. 567-591.

37 Akerlof, Markets for Lemmons, S. 488-500.

38 Riese, Inflation, S. 52 f.

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Ausgehend vom jeweiligen Marktkonzept werden am Ende eines jeden Teils woh-nungspolitische Handlungsempfehlungen formuliert. Unter Punkt 6 werden sodann jene Handlungsempfehlungen herauskristallisiert, die zugleich alle Bedingungen, welche sich aus den vier Marktkonzepten ergeben, erfüllen. Dabei wurde herausgefunden, dass sich gerade aus dem optionstheoretischen Ansatz eine Fülle von staatlichen Interventionen begründen lassen.

Wird der Wohnungsmarkt als eine Institution begriffen, die für die Versorgung der Nachfrager mit Wohnraum verantwortlich ist, so können die unterschiedlichen Markt-konzepte teilweise auch als theoretische Begründung eines „Marktversagens" interpre-tiert werden. De facto versagt der Markt nicht, es werden lediglich falsche Erwartungen an die Mechanismen des Marktes gestellt, was im Wesentlichen aus der güterwirtschaft-lich geprägten Sichtweise begründet ist.

Wenn in dieser Arbeit wohnungspolitische Handlungsempfehlungen gegeben werden, so unter der Annahme, dass sich staatliches und öffentliches Handeln nach der Public-Interest-Theorie verhalten. Dieses ist allerdings nicht nur eine Vereinfachung, sondern auch eine völlige Verfälschung der Realität. Bison39 hat in ihrer Dissertation ausgiebig unter Rückgriff u. a. auf die Public-Choice-Theorie dargelegt, wie öffentliches Handeln bezogen auf Wohnungspolitik anders und treffender umschrieben werden kann.40 In der zuvor gewählten Terminologie beschreibt Bisons Arbeit das „Staatsversagen", ein Be-griff, der ebenso mehr über falsche Erwartungen an staatliches Handeln als über die Funktionsweisen öffentlichen Handelns verrät.

Eine Integration von Marktkonzepten mit jenen des staatlichen Verhaltens kann und wird diese Arbeit nicht leisten. Dies verbietet sich wohl auch, insoweit der Staat als handelnde Entität und damit auch als Marktregulierer im neoinstitutionalistischen Sinn nicht zugleich als Objekt und Subjekt begriffen werden kann.

Da die explizite Unterscheidung der vier Marktkonzepte in der

wohnungswirtschaft-39 Bison, Regulierung.

40 Grundlegend hierfür: Stigler, Economic Regulation, S. 114-141; Stigler, Process, S. 145-166; Stig-ler/Friedland, Regulators, S. 1-16.

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liehen Diskussion neu ist, wird die verwendete Literatur den einzelnen Marktkonzepten zugeordnet. Da die meisten Verfasser nicht der Bedeutung der unterschiedlichen Markt-konzepte Rechnung tragen, gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die inhaltlich einem Marktkonzept zuzuordnen ist, obgleich der jeweilige theoretische Ansatz keine Anwendung findet. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird jedem der vier Hauptteile (Punkt 2 bis 5 der Arbeit) eine separate Übersicht zur Literatur vorangestellt und am Ende der Haupteile findet sich jeweils eine Zusammenfassung der Diskussion zu dem jeweiligen Marktkonzept. Punkt 7 fasst am Ende der Arbeit die gesamte Argumentation

zusammen.

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