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Formen interbalkanischer Zusammenarbeit in jüngerer Zeit

Der Gedanke der interbalkanischen Zusammenarbeit ist Gegenstand praktischer Politik, aber auch weit entferntes Ziel und hat seit mindestens zwei Jahrhunderten zu wirksamen Initiativen geführt und tollkühne Visio- nen genährt. Der Ausgangspunkt dieses Gedankens ist sicherlich in sehr weit zurückliegender historischer Tiefe anzusiedeln. Endgültige Gestalt nahm er jedoch erst in jüngerer Zeit an, als das nationale Bewußtsein der balkanischen V ölker allmählich geweckt wurde, was das Suchen nach den Voraussetzungen zur Befriedigung ihrer gemeinsamen Bedürfnisse und der Hervorhebung ihrer gemeinsamen Interessen mit sich brachte.

Zunächst werden die Griechen und fast parallel mit ihnen die Serben, da- nach die Rumänen, die Bulgaren und schließlich die Albaner und die Tür- ken mit der geschichtlichen Provokation der Bildung eines regionalen Gebildes friedlicher Koexistenz und konstruktiver Zusammenarbeit kon- frontiért.

Welche konkreten Formen haben nun unter diesen Bedingungen die Bemühungen zur Verdichtung der interbalkanischen Zusammenarbeit an- genommen und auf welchem Niveau sind sie zum Ausdruck gekommen?

I. Die erste Frage, die zu stellen wäre, sollte deutlich machen, ob sich die Initiative für die Zusammenarbeit auf Volks- oder Landesebene vollzie- hen sollte, d.h. ob sie unter Hilfestellung der öffentlichen Meinung oder der Staatsregierungen zum Ausdruck kommt. Wenn man die Bemühun- gen, die zu diesem Zweck unternommen wuiden, zum Ausgangspunkt nimmt, so fällt das Ergebnis zugunsten der Volksebene aus. Die Erklärung hierzu verbindet sich mit der Verzögerung - im Vergleich zu den Staaten des übrigen Europas - der Bildung unabhängiger oder autonomer Staaten auf dem Balkan: 1830 wurde Griechenland unabhängig und Serbien auto- nom, 1870 wurde Rumänien autonom und unabhängig, im selben Jahr wurde Serbien zum unabhängigen Staat erklärt, 1878 wurde Bulgarien au- tonom und 1908 unabhängig und 1913 schließlich wurde der albanische Staat gegründet.

In dieser langen Periode war es nur verständlich, daß unter den ganz oder teilweise beherrschten Völkern das Bedürfnis nach dem Zusammen- Schluß aller Kräfte, die zur Auflösung der fremden Herrschaft beitragen könnten, aufkam. Die Verbreitung und die Umwandlung der Ideen der

Französischen Revolution innerhalb des Osmanischen Reichs und parallel dazu die Herausbildung bedeutender sozialer Kräfte im Kreis der be- herrschten V ölker als Ergebnis der Entwicklung ihrer bedeutenden wirt- schaftlichen Aktivitäten haben das Bewußtsein und die Voraussetzungen für einen kämpferischen Zusammenschluß herausgebildet. Zunächst hat die tollkühne Vision Rigas Velestinlis’, die das Signal für die Verbrüderung der balkanischen Völker im Rahmen eines einheitlichen Staates ohne Ras- sen-, Sprach- und Konfessionsunterschiede und unter der Voraussetzung der Zusicherung der Freiheit und der Gleichheit sowie in der Folge für die Solidaritätsbekundungen zwischen Griechen und Serben in ihren gemein- samen Befreiungskämpfen (1804-1830) mit der zusätzlichen freiwilligen Unterstützung vereinzelter Befreiungskämpfer aus dem weiteren Gebiet der Balkanhalbinsel, vor allem aus dem Gebiet des späteren Bulgariens setzte, den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Völkern dieses Gebietes bestimmt und abgesteckt.

Die Mobilisierung vereinzelter privater oder gemeinschaftlicher A ktio- nen, losgelöst von jeglicher Aufhetzung oder Anleitung durch die Staats- gewalt, sollte auch nach der Gründung der Nationalstaaten fortgesetzt werden, und sich allmählich über die ganze Balkanhalbinsel erstrecken.

Das Vorbringen tollkühner Visionen, das Zusammentreffen oder die Iden- tifizierung parteilicher oder ideologischer Formierungen mit dem Wunsch nach einer engen interbalkanischen Zusammenarbeit und schließlich die zeitweilige Sensibilisierung breiter sozialer Gruppen griffen während des gesamten 19. und 20. Jahrhunderts um sich. Vereinzelte Befürworter des Gedankens einer Zusammenarbeit auf dem Balkan sowie festgefügte oder lose Gruppierungen werden nicht davor Halt machen, eine extreme Annäherung der Völker der Balkanhalbinsel in der Verdichtung einer Bai- kanischen Föderation herbeizuwünschen - ohne jedoch immer unbedingt eine solche Föderation im Auge zu haben. Die Einberufung der Balkan- Konferenzen in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts ist im Erfassen und in der Anwendung besser greifbar und bezweckt die Vereinigung weit ausholender Ziele und konkreter Tatsachen. Das teilwei- se Zusammentreffen von Zielen und W irklichkeit spiegelt sich in einem ironischen Kommentar wider, in einem Schreiben von Andreas Michała- kopoidos an Elevtherios Venizelos vom Februar 1932, in dem der Wegbe- reiter des Gedankens der Balkanischen Konferenzen erwähnt wird.

״Tefik Roushdi sagte aus, daß er Herrn Papanastasiou gefolgt sei, weil er dachte, daß er unsere Ansichten vertrete, obwohl er der Meinung sei, daß eine Balkanische Föderation erst in einem Jahrhundert in Frage käme.

Herrn Marigovitch erklärte ich, daß ich von Anfang an bescheidenere und praktischere Ansprüche stellte. Pacte d’arbitrage, de garantie gegenüber einem balkanischen und Neutralität gegenüber einem außerbalkanischen agresseur. Handels-, Verkehrsabkommen usw. reichten mir als ein

wichti-ger Schritt in Hinblick auf eine Politik der guten Nachbarschaft aus. W ir würden uns glücklich schätzen, stimmte er überein, wenn w ir unsere Be- Ziehungen zu den anderen wie die skandinavischen Länder regeln könn- ten ( . . . ) . “

Es ist wohl kaum möglich, den engen Handlungsspielraum zwischen ei- ner Person und der Meinung der zentralen Staatsgewalt, deren beider Wil- le nicht miteinander übereinstimmt, wortgewandter wiederzugeben.

II. Als im Laufe dieses Jahrhunderts obige Gedanken auf Regierungsebe- ne ausgetauscht wurden, waren viele Jahrzehnte seit der Gründung der Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel verstrichen. Bezugnehmend auf eine allgemeingültige historische Regel hat diese Tatsache das Schwerge- wicht der Bemühungen um die Unterstützung der interbalkanischen Ver- ständigung und Zusammenarbeit automatisch auf die Seite der offiziellen Regierungen verlagert. Würde die öffentliche Meinung nicht von der Zen- tralregierung geleitet, könnte sie natürlich als starkes Druckmittel dienen.

A u f jeden Fall aber fiel die Ausübung der Beschlüsse und das Endergebnis jeder Initiative in den Zuständigkeitsbereich der verantwortlichen Regie-

rungen.

Bis zu welchem Punkt sind aber die Staaten in ihrem Bemühen um die Erweiterung der interbalkanischen Zusammenarbeit gewillt oder fähig zu gehen? Konnte die Orientierung an ein Regime des Föderalismus eine wenn auch lose Grundlage erlangen? In W irklichkeit jedoch drückte der Begriff Föderalismus-von Rigas Velestinlis und durch das 19. Jahrhundert hindurch bis in unsere Tage - selten einen Willen zur Untreue an der Staatsgewalt aus, die von der Anwendung des Prinzips der nationalen Herrschaft herrührte.

Sein Gebrauch zeigt die Orientierung an eine enge zwischenstaatliche, multilaterale Zusammenarbeit an, die sich aber im Grunde auch als nicht durchführbar erweisen sollte. Die bilateralen Abkommen sollten das Hauptmittel zur regionalen Annäherung darstellen, die ebenfalls - falls sie sich nicht als zu kurzlebig erweisen sollten - zum Bestand des Friedens und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern der Gegend führen sollten.

Tatsächlich macht dieses bilaterale konventionelle Gebilde im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam seine Erscheinung; dieses wohl bedeutendste bi- laterale politische Abkommen, das von Griechenland und Serbien 1867 unterzeichnet wurde, wird später nicht einmal ratifiziert werden. Es wird sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in wichtigen Momenten als unerläßlich erweisen; das Bündnis der Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel gegen die Türkei basiert auf einem Netz bilateraler Abkommen mit Bulgarien als Achse. Es beherrscht in überraschend wachsendem Rhythmus die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als Realpolitiker wie Titulescu, Ismet oder Venizelos mit seiner Hilfe eine wirksamere Methode zur Erzielung

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ner allgemeineren interbalkanischen Verständigung suchten. Schließlich wird das Gebilde der bilateralen Annäherung, abgesehen von seinem un- beständigen Gleichgewicht, wohl nur im Falle des griechisch-türkischen Abkommens von 1930 beständigere Ergebnisse aufweisen.

Die Tatsache, daß die bilaterale Kommunikation zwischen den Balkan- Staaten in den letzten Jahren keine ermutigenden Ergebnisse zutage brachte, deutet darauf hin, daß sich die Bemühungen um eine multilaterale Annäherung als völlig unhaltbar erwiesen haben. Ein Jahrhundert nach der Verkündung der ersten unabhängigen Staaten in diesem Raum hat sich noch kein multilaterales Gebilde verwirklicht. Selbst wenn man nach- drücklich nach einem allgemeinen Abkommen nach dem Vorbild des Ab- kommens von Locarno sucht, wird dieser Versuch sich unter der Einwir- kung der Spaltung zwischen Revisionisten und Antirevisionisten - und sei es nur im Raum Bulgariens - als nichtig erweisen. Das breitere konventio- nelle Gebilde, das bis in unsere Tage eine bilaterale interbalkanische Annäherung vornehmen könnte, erschöpft sich im Vierstaatenabkommen von 1934 mit der Teilnahme Rumäniens, Jugoslawiens, Griechenlands und der Türkei und sollte sich auch als äußerst zerbrechlich erweisen. Die Wirt- schafts- und kulturellen Beziehungen im gleichen Zeitraum werden zu kei- nem besonderen Abkommen führen. Unlösbare politische Differenzen werden genügen, um die Verständigung auf zwischenstaatlicher Ebene einzuschränken.

III. Bei der Erforschung der Faktoren, die diese konkrete historische W irklichkeit bestimmten, könnten die äußeren, aber auch in erster Linie die inneren Faktoren beschrieben werden. In bezug auf die letzteren Fak- toren bildete das wiedererweckte Nationalgefühl die Voraussetzung für die Bildung nationaler Einheiten, die in der Folge in einem gemeinsamen Versuch um Zusammenarbeit auf regionaler Ebene münden sollten. Diese Wende stellte jedoch nicht selten ein historisch anerkanntes Ereignis des nationalen Expansionsdrangs dar, der nicht immer mit der genauen An- wendung der Grundprinzipien übereinstimmt, auf welche sich die anfäng- liehe Resonanz stützte. Das Vorherrschen einer ähnlichen Tendenz, die insbesondere ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Vorschein kam, hat die Grundlage, auf die sich die Verständigung und die Zusam- menarbeit zwischen den Völkern auf der Balkanhalbinsel stützen sollte, unterminiert. Wie anders ließe sich die lange Verzögerung der Bildung ei- ner einheitlichen Front gegen die Osmanische Herrschaft bis Anfang der zwanziger Jahre erklären. Die Konfrontation zwischen den Untertanen von Konstantinopel, vor allem zwischen Griechen und Bulgaren über Ma- zedonien wird vorläufig das Klima des Widerstands gegen den fremden Ту- rannen an Härte und Spannung überflügeln. Und wie anders ließe sich im Laufe der Balkankriege, im Anschluß an den gemeinsamen Sieg, die

Auf-lösung der einheitlichen Front und das Scheitern des Versuchs einer gleich- mäßigen Verteilung der Macht der Bündnispartner über die Gebiete, die soeben von der osmanischen Herrschaft befreit wurden, und das Scheitern der Wiederherstellung einer langfristigen und gerechten Friedensordnung in Südosteuropa, wie Venizelos freimütig im Anschluß an den Ersten Bai- kanischen Krieg verkündete, interpretieren.

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Dem Aufkommen des Nationalismus, das sich im Überschwang des Ex- pansionstriebs widerspiegelte, wird nach den Balkankriegen und dem Er- sten Weltkrieg das hartnäckige Beharren einiger Länder auf unerfüllbare Gebietsforderungen folgen, mit dem Resultat, daß jeder erfolgreiche Ver- such zur Schaffung einer einheitlichen Front im Balkanraum erneut einge- stellt wird. Diese Tatsache kommt im Scheitern der Vereinbarung eines allgemeinen interbalkanischen Abkommens, eines balkanischen Locarno- Abkommens, unter der Einwirkung der Ablehnung des ״ revisionistischen“

Bulgariens, zur Konsolidierung des territorialen Status quo beizutragen, sehr deutlich zum Ausdruck. Im Laufe der Jahre und in dem Maße, wie sich die internationale Krise verschärft, verstärken sich die destabilisierenden Tendenzen, und so wird am Vorabend der Verwicklung der Balkanstaaten in den Zweiten Weltkrieg jegliche solidarische regionale Gesinnung aus- gelöscht. Die aufeinanderfolgenden inneren Schwierigkeiten des expan- sionistischen Nationalismus schwächen sich zumindest vorläufig, aber hauptsächlich im zweiten Nachkriegsjahrzehnt ab. In diese Richtung zielt auch die bulgarische Regierung jener Zeit deutlich ab, als im Versuch der Durchführung eines neuen friedlichen und stabilisierenden Plans jeglicher früherer Territorialanspruch zuungunsten ihrer Nachbarstaaten aufgege- ben wurde. Forscht man nun nach den äußeren Faktoren, die zum Scheitern der interbalkanischen Verständigung geführt haben, so müßten auch die Grundursachen und die entscheidenden Auswirkungen der zentrifugalen Tendenzen, die sich negativ auf die regionale Solidaritätsgesinnung aus- wirkten, hervorgehoben werden. Immanente sowie politische und w irt- schaftliche Schwächen, selbst geistige und kulturelle Mängel, aber auch Ambitionen, die über ihren Möglichkeiten lagen, zwangen die Bai- kanstaaten dazu, sich auf der Suche nach Schutz, Unterstützung und Sicher- heit an die Großmächte zu wenden. Diese ihrerseits versuchen wiederholt auf jede A rt und Weise Einfluß und Kontrolle über den überaus wichtigen und aus geopolitischer Sicht sehr empfindlichen Raum Südosteuropas zu gewinnen. An dieser Schnittstelle sollte der dynamische Zusammenhang imperialistischen Durchdringens und großer Abhängigkeit gesucht wer- den, der zwischen den mächtigen europäischen Staaten und den schwäche- ren Balkanstaaten jeweils unterschiedlich zum Ausdruck kommt.

Die Ereignisse und Tatsachen, die hierauf folgen, sind dermaßen be- kannt, daß jede Erwähnung überflüssig wäre. Zusammenfassend sollte noch erwähnt werden, daß die Beschränkung der zentrifugalen Kräfte

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dazu führen wird, den Zusammenhang der Stärke aber auch des starken Willens der V ölker der Balkanhalbinsel, bewußt auf das Zusammentreffen ihrer Ziele zu lenken. Das gleichzeitige Zusammenfallen zweier dramati- scher Ereignisse, das erste am Vorabend der Balkankriege, als die Natio- nalstaaten der Balkanhalbinsel sich zum gemeinsamen Handeln, ohne die Zustimmung der Großmächte, entschlossen und das zweite im Zweiten Weltkrieg, als sie vereinzelt und unter dem Einfluß opportunistischen Denkens jeglichen Gedanken des Zusammenhalts aufgaben, um schließ- lieh in einen für sie ungleichen internationalen, unerbittlichen K onflikt verwickelt zu werden. Im ersten Fall wurde der Handlungsspielraum aus- genutzt, im zweiten Fall jedoch nicht.

IV. Nach den harten Erfahrungen und nach drei blutigen Zusammen- stoßen auf der Balkanhalbinsel in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gelangt man bereits zur Meinung, daß heutzutage die Anzeichen der Tei- lung mehr als deutlich zum Vorschein kommen und daß Vorbereitungen zur Veränderung dieser Region, des ehemaligen ״ Pulverfasses Europas“ in ein Gebiet des Friedens und der Kooperation, getroffen werden. In W irk- lichkeit aber schien diese optimistische Aussicht jedoch nur vorläufig zu sein, denn allmählich überwiegen wieder die alten Faktoren, die auch in der Vergangenheit jegliche positive Entwicklung in den interbalkanischen Beziehungen zum Stillstand kommen ließen.

Die Umstände, die in der ersten Nachkriegsperiode vorherrschten, soll- ten mehr als jemals zuvor die Balkanstaaten in ein Netz internationaler Gegensätze verwickeln. Ihr B eitritt in ein anfangs streng bipolares und später interkontinentales System wird nicht die Schaffung eines allgemei- nen Gebildes regionaler Solidarität zulassen. Rumänien und Bulgarien, Mitglieder des Warschauer Pakts, und das N ATO -M itglied Türkei, Jugo- slawien, Führungsmacht innerhalb der Blockfreien Staaten und schließlich das von China abhängige Albanien, bevor es in die völlige Isolation ge- drängt wurde, bilden ein Mosaik mit dem gemeinsamen Ausgleichen der gegensätzlichen Tendenzen als einzig positivem Element. Als M itte der siebziger Jahre mit dem Ende des Kalten Kriegs und der Entschärfung der Ost-West-Beziehungen in Helsinki die neuen Bedingungen der Kommuni- kation zwischen den Mitgliedsstaaten der internationalen Gemeinde ver- kündet wurden, schien für den Balkan ein Lichtstrahl des Optimismus und der Hoffnung durchzuscheinen, der in der jüngeren Vergangenheit nicht bestand. In jenem Moment ergriff der griechische Ministerpräsident Kon- stantinos Karamanlis beim Versuch der Normalisierung der Differenzen zwischen den zwei balkanischen Staaten, der in der griechisch-bulgari- sehen Annäherung mündete, die sich als stabilisierende Achse im Balkan- raum erweisen sollte, auch die Initiative zur Förderung der bilateralen in- terbalkanischen Zusammenarbeit.

Sucht man nach den Faktoren, die schließlich hemmend auf das Gelin- gen dieser Initiative wirkten, müßte das Eingreifen großen Drucks von außen - zumindest von seiten der Sowjetunion - noch einmal betont wer- den. Die endgültige Aufgabe dieses Versuchs im Laufe der achtziger Jahre fällt mit dem Auftauchen des Phänomens, das sich anfänglich auf die Ver- zögerung der interbalkanischen Verständigung ausgewirkt hatte, zusam- men; des Nationalismus und der Hegemonie mit unausweichlichen desta- bilisierenden Auswirkungen auf breitem regionalem Niveau und mit dem wesentlichen Unterschied, daß bereits der Ausgangspunkt des Drucks in der Regel nicht mit den Quellen, die diese in der Vergangenheit beliefer- ten, zusammenfielen, sondern im Wiederaufleben historisch zurückliegen- den Hegemonialstrebens anzusiedeln waren oder auch als Resultat natio- nalen Bewußtseins angesehen wurden. Diese Tendenzen werden im Laufe der Zeit und in Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen deutlich zum Ausdruck kommen und werden ausschlaggebend für die Krise sein, die in diesem Moment Südosteuropa heimsucht.

V. Könnte man abschließend sagen, daß die bitteren geschichtlichen Ereig- nisse zweier Jahrhunderte zur allgemeinen Feststellung führen, daß die in- terbalkanische Verständigung und Zusammenarbeit auf jeden Fall ein un- erreichbares Ziel darstellen?

״ Der Balkan“ , so hat es um 1930 Vodislav Marigovitch sehr treffend for- muliert, ״stellte einfach nur einen einfachen geographischen Terminus dar;

um eine Verständigung auf dem Balkan zu erreichen, müssen die Staaten der Balkanhalbinsel hauptsächlich von gleichen Fundamenten ausgehen“ . Der Außenminister des ehemaligen Jugoslawiens stellte offensichtlich den Ausdruck ״geographischer Terminus“ der Bedeutung der geopolitischen Einheit entgegen, wobei er letztere in Zweifel stellte.

A u f alle Fälle aber bleibt der zweite Teil der Bemerkung immer aktuell, denn ohne gleiche Fundamente in ihrer Politik können die Balkanstaaten abermals nicht zur Verständigung gelangen. Aber kann dieses Mosaik der Nationalitäten, das dazu neigt, die politische Landkarte und das Kräfte- gleichgewicht in diesem Raum zu verändern und das Gewirr von Druck und Gegensätzlichkeiten selbst in den Auseinandersetzungen der Völker, die jahrzehntelang einheitliche politische Gebilde darstellten, nur mit einer entsprechenden politischen Konstellation Zustandekommen? Stützt sich die Antw ort auf die Tatsachen, die von der heutigen internationalen W irklichkeit geprägt werden, dann dürfte sie nicht so pessimistisch ausfal- len, wie es auf den ersten Blick scheint. Die unvermeidbare Eingliederung in ein undurchlässiges System internationaler Gegensätze, das gleichzeitig die zentrifugalen Tendenzen im Balkanraum in höchstem Maße verstärk- te, gehört der Vergangenheit an. Die Perspektive, die in diesem Moment ihre politische Richtung kennzeichnet, ordnet sie in die dynamische

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gliederung im Rahmen eines vereinten Europas ein, wo den Völkern und Nationen der Balkanhalbinsel die Möglichkeit gegeben wird, ihre legiti- men Rechte und besonderen Charakteristika zu wahren. Aber genau die- ser positive Ausgang des Verlaufs setzt die endgültige Freilösung vom Ex- pansionsdrang und von der Hegemonialstellung voraus, oder umgekehrt, die Tendenzen einer herbeigezwungenen vielfältigen Spaltung in künstli- che politische Gebilde, die entweder als schädliche Überbleibsel der Ver- gangenheit oder als Produkt politischer Abenteuerlust die Festigkeit, Zu- sammenarbeit und schließlich den Frieden im hart getroffenen und weiterhin empfindlichen geographischen Balkanraum unterminieren.

A ußenpolitischer Sprecher der F. D. P.-Fraktion im D eutschen Bundestag, Bonn Vizepräsident d e r Südosteuropa-Gesellschaft

Dr: A lexander M ühlen

Referent für Außenpolitik bei der F. D. R-Bundestagsfraktion, Bonn

Krisenherde in Südosteuropa -