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Ausgewählte Probleme

Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Osteuropa

3. Ausgewählte Probleme

N achdem ein allgemeiner Eindruck von der Entstehungsphase der Verfas- sungsgerichtsbarkeit in O steuropa vermittelt wurde, wäre es angezeigt, eine vergleichende Analyse der einzelnen Gerichtssysteme vorzunehmen.

Aus G rü n d e n der räumlichen Beschränkung ist jedoch eine umfassende Studie nicht möglich. D a h e r sollen im folgenden nur drei T h em en behan- delt werden: die Auswahl der Richter, die Zuständigkeit der Gerichte und die Eröffnung des Rechtswegs für den Einzelnen.

a) Die A us wähl der Richter

Bei d e r Auswahl der Richter ist die Wahl durch das Parlament vorherr- sehend, auch wenn der Staatspräsident teilweise in das Verfahren einbezo- gen ist, indem ihm das Vorschlags- oder Berufungsrecht zusteht. Die Idee, daß allen drei Staatsgewalten die gleiche Beteiligung bei der Auswahl der Richter zusteht, wurde nur in Bulgarien verwirklicht, wo ein Drittel der Verfassungsrichter durch das Parlam ent, ein weiteres Drittel durch den Staatspräsidenten und das letzte Drittel durch V ertreter der Richterschaft bestimmt wird. In Rum änien ernennt d er Präsident ein Drittel d e r Richter, während die beiden übrigen Drittel durch die beiden Parlam entskam m ern in getrennten Verfahren gewählt werden.

Die Amtszeit ist gewöhnlich begrenzt31; die Wiederwahl für eine weitere A m tsperiode ist teilweise zulässig32, teilweise ausgeschlossen33. Eine An- Stellung auf Lebenszeit haben nur die Verfassungsrichter in Rußland und Serbien, wobei dies zumindest in Rußland eine Altersgrenze von 65 Jahren bedeutet. Was die persönlichen Voraussetzungen betrifft, ist es nur selbst- verständlich, daß in allen Ländern hohe berufliche Qualifikation verlangt und in unterschiedlicher Weise festgelegt wird. Dabei ist es interessant festzustellen, daß trotz allgemeiner rechtlicher A uswahlkriterien überall eine starke Tendenz besteht, Hochschullehrer zu bevorzugen. Diese Vor- liebe für theoretisches gegenüber praktischem Wissen kann damit erklärt werden, daß auf demokratisch-liberale Reform en eh er Rechtswissen- schaftler denn praktizierende Juristen gedrängt haben. Erfahrungen mit der totalitären E inparteidiktatur liegen den in d e r jüngeren Gesetzgebung häufig zu findenden Bestimmungen zugrunde, die die U nvereinbarkeit des Amtes eines Verfassungsrichters mit d e r Mitgliedschaft34 oder zumindest einer führenden Position35 in einer politischen Partei festlegen.

b) Die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte

Eine Analyse der verschiedenen K om petenzkataloge der Verfassungsge- richte36 ergibt, daß der Verfassungsgerichtsbarkeit in erster Linie die Auf- gäbe anvertraut ist, die Vorrangstellung der Verfassung in der

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hierarchie sicherzustellen, indem sie über die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften zu entscheiden hat. Dieser analytische Befund wird durch die Praxis der G erichte - sofern eine solche gegenwärtig überhaupt schon existiert - selbst in jen en Ländern bestätigt, in denen die Zuständig- keit der Gerichte noch weitere Aufgaben umfaßt. Die Verfassungskontrol- le von R echtsnorm en hat den maßgeblichen Anteil an der Gerichtstätig- keit im ehemaligen Jugoslawien und (bislang) in U ngarn ausgemacht und stellte auch den H auptanteil d e r vom untergegangenen Komitee für Ver- fassungsaufsicht der U dSSR geleisteten A rbeit dar, wenn auch bemer- kenswerte U nterschiede hinsichtlich des Ranges der zu prüfenden Rechts- Vorschriften festgestellt werden können. W ährend beim jugoslawischen Verfassungsgericht hauptsächlich kommunale und betriebliche Satzungen G egenstand des Kontrollverfahrens waren, steht beim ungarischen Ver- fassungsgericht die Kontrolle formeller Gesetze im Vordergrund. Die so- wjetische Praxis gab eh er ein verwirrendes Bild, da das Komitee in vielen Stellungnahmen die genaue E inordnung der beanstandeten Norm dahin- gestellt sein ließ und allein d arau f abzielte, gesetzgeberische Mißstände in allgemeiner Form zu kritisieren oder Entscheidungen der obersten Staats- organe von politischer Tragweite in Einzelfällen zu beanstanden. In Polen, wo die Zuständigkeit des Verfassungstribunals auf die Ü berprüfung von Rechtsvorschriften beschränkt ist, überwiegt die Anzahl d er zu überprü- fenden Rechtsverordnungen der ministeriellen E b ene die Anzahl der for- mellen Gesetze, wobei letztere indes ständig zunimmt.

U n ter verfahrensrechtlichen G esichtspunkten ist grundsätzlich zwi- sehen vorbeugender und nachträglicher sowie zwischen abstrakter und k on k reter N orm enkontrolle zu unterscheiden. O h n e weiter ins Detail ge- hen zu müssen, kann festgehalten werden, daß als generelle Tendenz die nachträgliche und abstrakte N orm enkontrolle dominiert. Eine vorbeugen- de N orm enkontrolle gibt es in Ungarn, wo es schon häufiger vorgekom- men ist, daß der Staatspräsident ein formelles G esetz dem Verfassungsge- rieht vor dessen Verkündung vorlegte und 50 Parlam entsabgeordnete oder der Ministerpräsident das Gericht anriefen, zur Verfassungsmäßig- keit von Bestimmungen eines Gesetzesentwurfs Stellung zu nehmen, der gerade G egenstand parlam entarischer Beratung war. In allen diesen Fäl- len ist indes der ambivalente C h arak ter der vorbeugenden Normenkon- trolle zu Tage getreten. Vom Standpunkt der Rechtssicherheit ausgehend ist es einerseits sicherlich hilfreich, bereits im voraus zu wissen, ob eine zu verabschiedende Rechtsnorm mit der Verfassung vereinbar ist, so daß im Falle einer Negativentscheidung ihre Verabschiedung unterbleiben kann und damit mögliche Konflikte vermieden werden können. A ndererseits je- doch kann es dem A nsehen des Gerichts schaden, wenn es bereits in der frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses in die politische Debatte hin- eingezogen wird, denn es könnte der Eindruck entstehen, das Gericht

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einflusse un ter Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips politische Ent- Scheidungen, die noch nicht einmal vom dafür zuständigen Gesetzgeber getroffen w orden sind. Wie dem auch sei, die Nützlichkeit der vorbeugen- den N orm enkontrolle als zusätzliches Instrum ent neben der nachträgli- chen N orm enkontrolle läßt sich sicherlich vertreten. Kaum haltbar ist es indes, wenn die vorbeugende N orm enkontrolle zugleich die einzige Mög- lichkeit einer abstrakten N orm enkontrolle darstellt, wie dies in Rum änien der Fall ist, wo in dieser Hinsicht das französische Modell übernom m en worden ist. A u ß e r in Rum änien ist die nachträgliche und abstrakte Nor- m enkontrolle von formellen G esetzen und R echtsverordnungen überall dauerhaft verankert worden. Allerdings wurde das A ntragsrecht verstand- licherweise auf einen m ehr oder weniger großen Kreis von Staatsorganen und A m tsträgern beschränkt, wozu in m anchen Fällen auch Behörden der regionalen Selbstverwaltung oder sogar Z en tralverbände gesellschaftli- eher Organisationen - also Interessenverbände - gehören. Die Auswei- tung des A ntragsrechts in die pluralistische Sphäre des sozialen Lebens hinein, wie dies in Polen und Rußland erfolgt ist, mag teilweise als soziali- stisches E rb e nachvollziehbar sein, doch beruht die Idee auch nach demo- kratischem Verständnis auf vernünftigen Erwägungen, solange der Plura- lismus noch nicht die Dimensionen uferloser Weite und zweifelhafter Qualität wie in den westlichen D em okratien angenom m en hat. Wie dem auch sei, es wäre empfehlenswert, das A ntragsrecht solcher Organisatio- nen von d er Betroffenheit rechtlicher Interessen abhängig 7.u machen, wie dies bereits in Polen geschehen ist. Weit d a rü b e r hinaus ist die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in U ngarn gediehen, wo jed erm an n ein ab- straktes N orm enkontrollverfahren einleiten kann, ohne auch nur die ge- ringsten Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Folge dieser Großzügigkeit ist der - bereits erwähnte - Umfang des Geschäftsanfalls, d e r im weltwei- ten Vergleich seinesgleichen sucht. U ngeachtet des bew undernsw erten Fleißes, den das Verfassungsgericht gezeigt hat, indem die zehn Richter in zwei Jahren über 1200 Entscheidungen getroffen haben, nachdem der Ge- neralsekretär über 2300 Eingaben abgewiesen hatte, kann dieser Zustand nicht von langer D auer sein. Reformvorschläge, die auf eine Begrenzung der Arbeitsbelastung abzielen, sind bereits im Gespräch. Die Popularkla- ge hat sich dennoch für den A nfang als ein nützliches Instrum ent erwiesen, denn sie eröffnete dem Verfassungsgericht die Möglichkeit, die gesamte Rechtsordnung zu überprüfen und so in der entscheidenden Anfangspha- se des jungen Rechtsstaates verfassungsrechtliche M aßstäbe zu formulie- ren.

Das Instrum ent der konkreten N o n n en ko n tro lle ist in Polen, in Ungarn, der Tschechoslowakei und R um änien anzutreffen. W ährend in Ungarn und der Tschechoslowakei jed e r Richter befugt ist, bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer anzuw endenden Rechtsnorm diese dem

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fassungsgericht vorzulegen, war das Vorlagerecht in Polen ursprünglich auf die Präsidenten des Obersten Gerichts und des Hauptverwaltungsge- richts beschränkt worden und wurde erst seit 1990 auf alle Spruchkörper dieser beiden Gerichte sowie auf alle höheren Gerichte ausgeweitet. Da- bei hat die Entscheidung, das Antragsrecht für die konkrete Normenkon- trolle auf die höchsten Richter zu beschränken, nicht nur die Anzahl der dem Verfassungsgericht vorzulegenden Fälle reduziert, sondern auch die verfahrensrechtlichen Grenzen verwischt, die die konkrete von der ab- strakten Normenkontrolle trennen. Zweifel über die Verfassungsmäßig- keit einer anzuwendenden Rechtsnorm treten üblicherweise in der alltäg- liehen Praxis der Gerichte auf und nicht in den wenigen Fällen, mit denen d er Präsident eines obersten Gerichts befaßt ist. In der Mehrzahl jener Fäl- le obliegt es nämlich nun dem Instanzrichter, für den Fall, daß er an der Verfassungsmäßigkeit einer anzuwendenden Rechtsnorm zweifelt, den höheren Richter von der Notwendigkeit einer Vorlage beim Verfassungs- gericht zu überzeugen. D er höhere Richter wird seinem Kollegen sicher- lieh Glauben schenken, wenn er davon überzeugt ist, daß der Fall über die persönlichen Zweifel hinaus Probleme von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Dann besteht aber kaum ein praktischer Unterschied zu dem in den anderen osteuropäischen Ländern vorherrschenden System, das eine konkrete Normenkontrolle zwar nicht vorsieht, aber das Antragsrecht für die abstrakte Normenkontrolle auf die Präsidenten der obersten Gerichte erstreckt. Doch ungeachtet dieser Feinheiten des Verfassungsprozeß- rechts zeigt die praktische Erfahrung in Polen und Ungarn, daß nur wenige Richter so starke Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm haben, daß sie die Mühe auf sich nehmen würden, einen wohl begründeten Vorlagebeschluß zu formulieren. Die unkritische Rechtsanwendung ist ge- wiß bequem er und entspricht auch der traditionellen Rechtsprechungs- praxis während der vergangenen Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft.

Es wird daher selbst in Mitteleuropa noch einiger Zeit bedürfen, bis von den Möglichkeiten der konkreten Normenkontrolle in einem solchen Umfang G ebrauch gemacht wird, wie er in der Bundesrepublik Deutsch- land als Folge eines entwickelten Rechtsbewußtseins oder aus schlichten Karriereerwägungen heraus erreicht worden ist. Allein nach der rumäni- sehen Regelung sollte der Instanzrichter der Mühe persönlicher Entschei- dung enthoben sein. D er in Art. 23 VerfGG vorgesehene ״ Einwand der Verfassungswidrigkeit“ kann nämlich von jed er Prozeßpartei mit der Wir- kung erhoben werden, daß der Richter die Angelegenheit dem Verfas- sungsgericht vorlegen muß.

Was die Entscheidungen der Verfassungsgerichte betrifft, so hat in den meisten Ländern die Erklärung eines Gesetzes als verfassungswidrig auto- matisch dessen Nichtigkeit ex tune zur Folge, doch sind die Gerichte er- mächtigt, etwas anderes zu bestimmen, sofern dies zur Vermeidung von

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rechtlichen Komplikationen erforderlich ist. In einigen Ländern ist die Wirkung der Gerichtsentscheidung weniger einschneidend, denn es wurde für vorzugswürdig gehalten, dem kritisierten Gesetzgeber die Gelegenheit zu geben, die beanstandete Rechtsnorm innerhalb eines angemessenen Zeitraum s zu korrigieren. So führt etwa in der Tschechoslowakei das ge- richtliche Urteil der Verfassungswidrigkeit zu einer Suspension der bean- standeten Norm für einen Zeitraum von sechs Monaten, und dem jeweili- gen Gesetzgebungsorgan obliegt es, die Norm in Übereinstimmung mit der gerichtlichen Verfassungsauslegung abzuändern. Erst wenn dies nicht geschieht, tritt die Rechtsnorm außer Kraft. In Polen ist die Wirkung der Gerichtsentscheidungen ähnlich, wenn auch komplizierter geregelt. Wur- de eine Rechtsverordnung für verfassungswidrig erklärt, so hat der Ver- ordnungsgeber drei Monate Zeit, um seine Regelung zu korrigieren, und

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der Ministerrat oder sein Vorsitzender kann die nochmalige Überprüfung innerhalb eines Monats beantragen. Nach drei Monaten tritt die Anord- nung schließlich automatisch außer Kraft, doch bleibt sie bis zu diesem Zeitraum anwendbar, es sei denn, das Verfassungstribunal hat sie aus- drücklich suspendiert. Wenn ein formelles Gesetz auf dem Spiele steht, so begründet die Entscheidung des Verfassungstribunals die bloße Verpflich- tung des Sejm, die Angelegenheit erneut zu beraten und innerhalb von sechs Monaten einen Beschluß zu fassen. D er Sejm kann die Entscheidung des Tribunals jedoch überstimmen und die Fortgeltung des für verfas- sungswidrig erklärten Gesetzes beschließen, doch ist hierfür eine Zwei- drittelmehrheit erforderlich. In Rumänien, wo Gesetze nur vor ihrer Ver- kündung überprüft werden können, kann die Geltung eines für verfassungswidrig erklärten Gesetzes ebenfalls durch eine Zweidrittel- mehrheit in beiden Kammern des Parlaments aufrechterhalten werden.

Dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit liegt offensichtlich der Ge- danke zugrunde, daß damit die Anforderungen an eine Verfassungsände- rung erfüllt sind und sich so der Gesetzgeber selbst von der Bindung an die Verfassung befreien kann. D arüber hinaus haben wir es hier - im polni- sehen Falle - mit Nachwirkungen der sozialistischen Lehre von der Gewal- teneinheit und/oder - im rumänischen Falle - mit den Auswirkungen des französischen Konzepts der ״ Nationalsouveränität“ zu tun.

A u ß e r der Verfassungsbeschwerde einzelner Bürger, von der noch spä- ter die Rede sein wird, sind den Verfassungsgerichten noch weitere Aufga- ben übertragen worden, doch haben sie bislang eine bescheidene Rolle ge- spielt und sollen deshalb hier nur kurz aufgeführt werden:

1. Die Kontrolle gesetzgeberischer Untätigkeit ist nur in Ungarn bekannt, wo sie in der Gerichtspraxis bereits beachtliche Bedeutung gewonnen hat.

Die Untätigkeit unter Verstoß gegen eine verfassungsrechtliche Pflicht, gesetzgeberisch tätig zu werden, kann von jederm ann beanstandet wer- den. Gibt das Gericht der Beschwerde statt, so wird es das entsprechende

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Gesetzgebungsorgan zum Tätigwerden innerhalb einer bestim m ten Frist verpflichten.

2. Die verbindliche A uslegung von Verfassungsbestimmungen ist in eini- gen Ländern (Ungarn, Bulgarien, Tschechoslowakei) als besondere Korn- petenz ausgestaltet. Dabei ist es unter theoretischem A spekt nicht einfach, diese K om petenz von der grundsätzlichen Tätigkeit eines Verfassungsge- richts abzugrenzen. Die ungarische Gerichtspraxis hat deutlich werden

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sen, daß hierbei Überschneidungen zur vorbeugenden N orm enkontrolle bestehen, doch hat sie auch gezeigt, daß das Verfahren für andere Ziele nutzbar gemacht werden kann, so etwa für die Beilegung kontroverser Fra- gen, die sich bei der parlam entarischen A rbeit w ährend des Gesetzge- bungsprozesses stellen. Seit 1990 steht dem polnischen Verfassungstribu- nal die K om petenz zu verbindlicher Normauslegung in an d erer Hinsicht zu: A u f A ntrag der höchsten A m tsträger aus Politik und Justiz legt es (ver- bindlich) die Bestimmungen einfacher Gesetze aus. Diese K om petenz mag bei der Klärung von R echtsproblem en hilfreich sein, doch fraglich ist, ob sie sich noch innerhalb d er G renzen der der Verfassungsgerichtsbarkeit eigentlich zukom m enden A ufgaben befindet.

3. Die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen gerichtlicher und/oder Verwaltungsbehörde ist in m ehreren L ä n d e r n - w e n n auch in unterschied- liehen Form en - vorgesehen. Je nach k o n k reter Ausgestaltung kann diese K om petenz dazu dienen, Kom petenzkonflikte (im eigentlichen Sinne die- ses Wortes), Organstreitigkeiten o d er bundesstaatliche Streitigkeiten bei- zulegen.

4. Fälle der A n klag e des Staatspräsidenten fallen auch in die K om petenz der Verfassungsgerichte, wenn auch nicht immer dem Verfassungsgericht die Entscheidung des Falles obliegt. Als Gericht erster Instanz entscheidet das Verfassungsgericht in Bulgarien, Kroatien, U ngarn und Slowenien, während es in Rußland und Rum änien als b eratendes O rgan hinzuzuzie- hen ist, bevor die Entscheidung durch das Parlam ent getroffen wird. In Po- len wurde ein besonderes Staatstribunal errichtet, das mit A nklagen be- faßt ist, die gegen eine Reihe von Inhabern h öh erer Regierungsäm ter erhoben werden können.

5. Das Verbot politischer Parteien und die Entscheidung über die damit zusam m enhängenden Fragen gehören fast überall zur K om petenz der Verfassungsgerichte. Allein in U ngarn und - mit der A usnahm e Rußlands - in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion fällt den ordentlichen Gerich- ten diese Aufgabe zu. Eine Situation, in der diese gerichtliche Kompetenz in den jungen D em okratien von besonderem Interesse war, ist zuerst in der Sowjetunion nach dem Putsch vom August 1991 entstanden. Die Kommu- nistische Partei der Sowjetunion und ihre republikanischen Organisatio- nen wurden in fast allen früheren U nionsrepubliken verboten oder wenig- stens für eine Zeit lang suspendiert, doch hat sich lediglich in G eorgien das

O berste Gericht mit dieser A ngelegenheit befaßt. In allen übrigen Repu- bliken unternahm das Parlam ent die notwendigen Schritte, wobei es damit gegen die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen verstieß. Dies geschah wahrscheinlich unter Berufung darauf, daß unter den Bedingungen des N otstands andere G esetze gelten. O b d er russische Staatspräsident E l’cin die kommunistische Partei rechtens verboten hat, wird bald vom Verfas- sungsgericht Rußlands zu erfahren sein. In O steu ro pa ist ein Verbot der kommunistischen Partei mehrfach erö rtert worden, doch deutet nichts

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d arauf hin, daß diese Ü berlegungen in die Tat umgesetzt werden. Von dem Fall der türkisch-muslimischen ״ Bewegung für Rechte und Freiheiten“ in Bulgarien war bereits weiter oben die Rede.

6. Schließlich bleibt noch zu ergänzen, daß die Verfassungsgerichte fast überall in Fällen angerufen werden können, die mit Wahlen und Referen- den im Z usam m enhang stehen.

c) Die E röffnung des Rechtswegs fü r den Einzelnen

Es wurde bereits dargestellt, daß d e r Einzelne in U ngarn berechtigt ist, vor dem Verfassungsgericht die nachträgliche Kontrolle von Rechtsvorschrif- ten jeglicher A rt zu beantragen, und daß ihm dieses Recht ohne jegliche Einschränkung zusteht. Das einzige Problem dabei ist, daß er damit zwar dem Parlam ent und den anderen G esetzgebungsorganen Unannehmlich- keiten bereiten und damit sogar zum A ufbau des Rechtsstaates beitragen kann, doch kann dieses Verfahren kaum zur unverzüglichen Beseitigung seiner Beschwerde führen. In der Regel ist der geltend gemachte Eingriff auf einen Verwaltungsakt oder eine Gerichtsentscheidung, nicht aber auf das zugrundeliegende Gesetz zurückzuführen, welches allein durch das Verfassungsgericht überprüft und au ß er Kraft gesetzt werden kann. Der angemessene Rechtsbehelf, der hierbei A nw endung finden müßte, wäre die Verfassungsbeschwerde gegen den Verwaltungsakt o d er die Gerichts- entscheidung, der/die unm ittelbar zur G rundrechtsverletzung führt. Das ungarische Verfassungsgerichtsgesetz sieht ein Verfahren vor (§ 48), das als ״ Verfassungsbeschwerde“ bezeichnet wird, doch ist von diesem Ver- fahren bislang kaum G ebrauch gem acht worden, da seine Zulässigkeit von verschiedenen A nforderungen abhängig ist (G eltendm achung einer Grundrechtsverletzung, Rechtswegerschöpfung, Frist von 60 Tagen), die im Falle der Popularklage nicht gelten. D a rü b e r hinaus läßt der Gesetzes- Wortlaut keinen Zweifel daran, daß die Verfassungsbeschwerde nur zur Ungültigkeitserklärung der vom Gericht oder der Verwaltungsbehörde angewendeten Rechtsnorm führt und die Bestands- o d er Rechtskraft des beschwerenden Aktes nicht berührt. D ennoch vertrat das Verfassungsge- rieht in einer neueren Entscheidung eine extensive Auslegung, wonach die Verfassungsbeschwerde als ein Mittel effektiven Rechtsschutzes aufgefaßt

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wird, und hob eine Gerichtsentscheidung wegen Verfassungswidrigkeit des angewandten Gesetzes auf37. Infolge dieser spektakulären Entschei- dung und ungeachtet der Tatsache, daß das Gericht den A usnahm echarak- ter dieser Entscheidung hervorgehoben hat, ist der Zugang zum ungari- sehen Verfassungsgericht für die allgemeine Öffentlichkeit so leicht wie in keinem anderen osteuropäischen Land und sogar der ganzen Welt gewor- den.

Als erstes osteuropäisches Land führte 1963 Jugoslawien die Verfas- sungsbeschwerde ein38, doch blieb sie in d e r Folgezeit ohne praktische Be- deutung39. Sie wurde dann 1974 völlig abgeschafft mit A usnahm e von Kroatien, wo sie bis zu den jüngsten Reform en ein Schattendasein führte40.

In ihrer Folge ist die Verfassungsbeschwerde in Kroatien zu neuem Leben erweckt und in der Tschechoslowakei einschließlich der Slowakei, in Ruß- land und in Slowenien überhaupt erst eingeführt w orden41. Ihre Aufgaben

In ihrer Folge ist die Verfassungsbeschwerde in Kroatien zu neuem Leben erweckt und in der Tschechoslowakei einschließlich der Slowakei, in Ruß- land und in Slowenien überhaupt erst eingeführt w orden41. Ihre Aufgaben