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Das Deutsche Recht und die Umgestaltung der Gesetzgebung in Bulgarien

I.

Im Herbst 1989 begann in Osteuropa eine historische politische und psy- chologische Wende. Nach der Durchbrechung der künstlichen kommuni- stischen Dogmen sollten sich die Völker Osteuropas schnell den Realità- ten des normalen Lebens anpassen, die sie sich durch die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg völlig abgewöhnt hatten. Zu diesen Realitäten zählt natürlich ein normales Rechtssystem und Rechtsbewußtsein. Der große moralische Schaden des Kommunismus besteht darin, daß das Ver- trauen der Gesellschaft zum Staat restlos geschwunden und demzufolge das Rechtsbewußtsein nur auf der Angst aufgebaut war. M it der Befreiung von der Angst ist eine große Lücke und Bedarf an neuen Werten entstan- den.

Wenn auch nicht der einzige, so ist doch das Rechtssystem ein wesentli- eher Faktor für den Aufbau eines demokratischen Wertsystems überhaupt.

Deshalb ist die Schaffung des neuen Rechts und der neuen Rechtsanwen- dung eine der ersten Prioritäten in der postkommunistischen Gesellschaft.

Gerade hier, beim Aufbau der postkommunistischen Rechtssysteme in Osteuropa kann man eine wichtige Möglichkeit sehen, die deutsche Erfah- rung nach dem Osten zu übertragen. Die staatliche Vereinigung Deutsch- lands war an sich schon eine maßgebliche Voraussetzung für die Wende in den restlichen osteuropäischen Staaten. Aber die deutsche Vereinigung ist auch eine maßgebliche Quelle der Erfahrung für die Entwicklung der neu- en politischen und wirtschaftlichen Demokratien im Osten. Der deutsche Einigungsvertrag hat einige wichtige Maßstäbe für den Übergang zur De- mokratie in den neuen Bundesländern gestellt. Deshalb ist die deutsche Vereinigung eine Voraussetzung für enge rechtliche Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch beim Aufbau des Rechtsstaates im Osten.

II.

Schon seit drei Jahren ist auch Bulgarien auf dem Weg, eine neue recht- liehe Grundlage zu schaffen. In manchen Bereichen des rechtlichen Umbaus war und ist die deutsche Erfahrung besonders nützlich. Das

merkt man zuerst an der Verfassungsreform. Dort bestand der dringend- ste Bedarf an Neuregelung. Die neue bulgarische Verfassung ist am 13. Juli 1991 in Kraft getreten und stellt eine völlig neue, demokratische rechtliche Grundlage dar. Es gibt einige Gebiete in der Verfassung, wo das deutsche Beispiel maßgeblich war. Die bulgarische Verfassung regelt zum Beispiel zum ersten Mal die Befugnisse des Staatspräsidenten. In dieser Richtung bestehen einige Zusammenhänge mit der Lage in der Bundesrepublik. Ausgenommen den wichtigen Unterschied, daß der bui- garische Präsident direkt gewählt wird, sind sonst seine Vollmachten de- nen des Bundespräsidenten ähnlich. Bulgarien ist eine parlamentarische Republik. Der bulgarische Präsident wird für 5 Jahre gewählt und kann nur einmal wiedergewählt werden. Seine wichtigste Vollmacht ist das re- lative Vetorecht in Bezug auf die Gesetze. Der Präsident kann in 15 Ta- gen Einwände gegen die Gesetze erheben und sie an das Parlament zurückverweisen. Das Veto kann mit der Mehrheit aller Abgeordneten abgelehnt werden. Er kann in gewissen Fällen das Parlament auflösen und eine Amtsregierung bilden, bis neue Wahlen stattfinden. Er ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Die übrigen Vollmachten des Präsi- denten sind:

- A u f Vorschlag der Regierung die Botschafter zu ernennen;

- politisches Asyl, bulgarische Staatsangehörigkeit, Begnadigung zu ge- währen und Schulden zu erlassen.

Ein anderer Bereich, in dem die deutsche Verfassung besonders maß- geblich war, ist die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die jetzige Verfassung postuliert zum ersten Mal in Bulgarien ein Verfassungsgericht. Das Ver- fassungsgericht besteht aus 12 Richtern, von denen ein D rittel vom Parlament gewählt wird, ein D rittel vom Präsidenten und ein D rittel von den Vollversammlungen des Obersten Gerichts und des Obersten Verwal- tungsgerichts ernannt wird. Das Mandat der Richter beträgt neun Jahre, und sie können nicht wiedergewählt bzw. -ernannt werden. Sie dürfen auch keine andere Tätigkeit ausüben. Die Vollmachten des Verfassungsgerichts sind wie folgt:

- Auslegung der Verfassung;

- Kontrolle über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze;

- Kontrolle über die Verfassungsmäßigkeit politischer Parteien;

- Kontrolle über die Gesetzmäßigkeit von Parlaments- und Präsidenten- wähl;

- Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Präsident, Regie- rung, Parlament und Kommunen;

- Entscheidung über Anklagen gegen den Präsidenten.

Im Unterschied zum Bundesverfassungsgericht sind die Vollmachten des Verfassungsgerichts in Bulgarien nur in der Verfassung selbst enthal- ten und können mit Gesetz nicht erweitert werden. Das Beschwerderecht

vor dem Verfassungsgericht gehört der Regierung, dem Präsidenten, ei- nem Fünftel der Abgeordneten, dem Generalstaatsanwalt und dem Ober- sten Gericht sowie dem Obersten Verwaltungsgericht. Im Unterschied zum deutschen Recht hat der einzelne kein Recht auf direkte Beschwerde vor dem Verfassungsgericht. Ein anderes Gebiet, auf dem man sich der deutschen Erfahrung bediente, umfaßt die allgemeine Gerichtsbarkeit.

Man hat wieder die selbständige Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt.

Das Oberste Verwaltungsgericht übt Kontrolle über die Anwendung des Verwaltungsrechts aus und auch, was besonders wichtig ist, über die Ge- setzmäßigkeit von Rechtsvorschriften der Regierung und anderer Behör- den. Wichtiger Fortschritt in Bezug auf die Selbständigkeit der Richter ist die Abschaffung der Wahl der Richter und die Einführung ihrer lebens- länglichen Ernennung. Sie werden vom Obersten Richterrat ernannt und nach drei Jahren Arbeitszeit endgültig angestellt. Sie werden entlassen, wenn sie:

- in Pension gehen;

- zurücktreten;

- eine vorsätzliche Straftat verüben;

- faktisch unfähig sind, ihrer A rbeit für mehr als ein Jahr nachzugehen.

Der oberste Richterrat besteht aus 25 Mitgliedern, von denen 22 vom Parlament und von den Gerichten gewählt werden. Die gewählten Mitglie- der haben ein Mandat von 5 Jahren und können nicht wiedergewählt wer- den. Die Vorsitzenden des Obersten Gerichts, des Obersten Verwaltungs- gerichts und der Generalstaatsanwalt sind Ratsmitglieder de jure. Die Richter, die Staatsanwälte und die Untersuchungsrichter genießen die gleiche Immunität wie die Abgeordneten.

Deutscher Einfluß ließ sich auch bei der Ausarbeitung des bulgarischen Wahlrechts für die ersten freien Wahlen 1990 erkennen. Damals entschied man sich für ein Wahlsystem, das dem deutschen sehr ähnlich war, nämlich die Hälfte der Abgeordneten wurde nach den Regeln des Mehrheitswahl- rechts direkt gewählt, und die andere Hälfte über Parteilisten (Verhältnis- Wahlrecht). Aber es bestand kein Zusammenhang zwischen den Direkt- und den Listenmandaten. Damals wurde eine Fünf-Prozent-Klausel einge- führt. Später, für die Wahlen 1991, entschied man sich für das reine Verhält- niswahlrecht und eine Vier-Prozent-Klausel.

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III.

Die wichtigsten Bereiche, in denen die rechtliche Angleichung besonders deutlich ist, sind das Handels- und das Zivilrecht. Das bulgarische Han- delsgesetz trat am 1. Juli 1991 in Kraft und ist zum großen Teil vom deut- sehen Handelsgesetzbuch beeinflußt. Das Gesetz besteht aus 284 A rtikeln

und hat die folgende Systematik: Erster Teil - Allgemeines; Zweiter Teil - Arten von Kaufleuten.

Der allgemeine Teil setzt sich aus den folgenden Kapiteln zusammen:

Allgemeine Regeln; Handelsregister; Firma und Sitz des Kaufmanns; Ge- schäfte mit Handelsunternehmen; Handelszweige; Handelsvertreter, Handelsbücher. In diesem Teil sind die Regeln gesammelt, die für alle A r- ten von Kaufleuten gelten sollen. A rt. 1 Abs. 1 definiert das Handelsge- schäft wie folgt: Kauf von Gütern und Wertpapieren für Verkaufszwecke;

Warenproduktion für Verkaufszwecke; Versicherungs-, Kommissions- und Speditionsgeschäfte, Lagerhaltung, Leasinggeschäfte, Handelsvertre- tung und Vermittlung; Bank- und Valutageschäfte; Transport-, Hotel-, Touristik-, Werbe-, Informations-, Programm-, Impresario- oder Leistung sonstiger Dienste; Geschäfte mit Urheberrechten; Produktion von Filmen, Video- und Klangaufzeichnungen u.a.; Verlagswesen und Druckerei.

Nicht zu den Kaufleuten zählen natürliche Personen wie Landwirte, Hand- werker, wer persönlich Dienstleistungen erbringt, Freiberufler, Vermieter von Privatzimmern (A rt. 2).

A lle Kaufleute sind im Handelsregister des Bezirksgerichts zu registrie- ren, wo sich der Sitz des Unternehmens befindet (A rt. 3 f.). Wichtig ist auch die Pflicht zur regelmäßigen Führung der Handelsbücher, die als Beweis- mittel gelten.

Im zweiten Teil (A rt. 56 ff.) werden die Arten von Kaufleuten geregelt:

Natürliche Personen als Einzelkaufleute; staatliche und gemeindliche Un- ternehmen; Handelsgesellschaften.

Jede geschäftsfähige natürliche Person kann sich als Einzelkaufmann registrieren lassen, wenn sie ihren Wohnsitz im Inland hat (A rt. 56-60).

A rt. 61 f. HGB bezeichnen die staatlichen und die Gemeindeunterneh- men als GmbH oder Aktiengesellschaft.

Die A rtike l 63 bis 284 sind den Handelsgesellschaften gewidmet. Es werden geregelt: Die offene Handelsgesellschaft; die Kommanditgesell- schaft; die GmbH; die Aktiengesellschaft; die Kommanditgesellschaft auf Aktien; Konsortium und Holding.

Handelsgesellschaften können von natürlichen und juristischen Perso- nen gegründet werden. Eine Person kann an mehreren Gesellschaften teil- nehmen (A rt. 65 Abs. 2). Eine Bank- und Versicherungstätigkeit können nur Aktiengesellschaften und genossenschaftliche Organisationen betrei- ben (A rt. 64 Abs.3). In bestimmten Fällen kann auch eine Einpersonen- gesellschaft gegründet werden (A rt. 63 Abs. 2). Die Handelsgesellschaft entsteht mit der Eintragung in das Handelsregister (A rt. 67).

Die offene Handelsgesellschaft kann von zwei oder mehreren Personen gegründet werden, die unbeschränkt und solidarisch haften ( A r t.76). Je- der Partner hat das Recht auf eine Stimme (A rt. 87). Er kann auf eigene Rechnung nur solche Tätigkeiten betreiben, die nicht im Wettbewerb zur

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Handelsgesellschaft stehen, andernfalls bedarf er der Zustimmung der an- deren Partner (A rt. 83). Die offene Handelsgesellschaft ist juristische Per- son (A rt. 63 Abs.3), und damit ist auch ein theoretischer Streit entschie- den. Klagen gegen die Gesellschaft gelten als Klagen gegen die Partner.

Jeder Partner kann die Gesellschaft vertreten, wenn im Handelsregister keine Beschränkungen in dieser Hinsicht eingetragen sind (A rt. 89).

Die Kommanditgesellschaft wird von zwei oder mehr Personen gegrün- det, von denen eine oder mehrere unbeschränkt und solidarisch, die ande- ren nur im Rahmen ihrer Einlage haften (A rt. 99). Die unbeschränkt haf- tenden Gesellschafter müssen mindestens ein Zehntel des Grundkapitals der Gesellschaft halten. Die Firma der Kommanditgesellschaft hat auch den Namen wenigstens eines der unbeschränkt haftenden Partner zu ent- halten (A rt. 101). Die übrigen Verhältnisse zwischen den Partnern werden durch dispositive Bestimmungen geregelt. Der unbeschränkt haftende Partner darf nicht an offenen Handelsgesellschaften und anderen Kom- manditgesellschaften teilnehmen, noch Geschäfte im eigenen Namen schließen, die im Wettbewerb zur Tätigkeit der Kommanditgesellschaft stehen (A rt. 107,83).

Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (G m bH ) kann von einer oder mehreren Personen gegründet werden (A rt. 113). Der Staat kann auch staatliche Unternehmen in GmbHs umwandeln. Das Grundkapital der GmbH muß mindestens 50000 Leva und der Mindestanteil 500 Leva betragen (A rt. 117). Der Gesellschaftsvertrag muß in schriftlicher Form niedergelegt werden. Damit die GmbH registriert werden kann, müssen mindestens 70% des Grundkapitals eingebracht sein (A rt. 119). Die übri- gen Vorschriften sind dem deutschen HG B mehr oder weniger gleich. Ver- waltungsorgane der Gesellschaft sind die Generalversammlung und der Geschäftsführer. Der letztere braucht kein Gesellschafter zu sein (A rt. 135).

Die Vorschriften über die Aktiengesellschaften sind ebenfalls vom deutschen HGB rezipiert, in den vom Gesetz bestimmten Fällen kann eine Aktiengesellschaft auch von einer Person gegründet werden (A rt. 159). Das Grundkapital der Aktiengesellschaft muß 5000000 Leva betragen, wenn die Gesellschaft durch Zeichnung gegründet wird, an- dernfalls 1000000 Leva, bei Bank- und Versicherungsgesellschaften

10000000 Leva (A rt. 161).

Das gesamte Kapital muß vor der Registrierung gezeichnet sein. Der mi- nimale Nominalwert einer A ktie beträgt 100 Leva (A rt. 162).

Die Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft sind: Generalversamm- lung der Aktionäre und entweder Direktorenrat oder Aufsichtsrat und Verwaltungsrat (A rt. 219).

Das Gesetz regelt auch die Kommanditgesellschaft auf Aktien, und zwar als eine Kommanditgesellschaft, bei der für die Einlagen der

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schränkt haftenden Gesellschafter A ktien ausgegeben werden (A rt. 253).

Der A nteil der unbeschränkt haftenden Gesellschafter kann nicht weniger als ein Zehntel vom Grundkapital betragen (A rt. 255).

Ein anderer Bereich, der stark vom deutschen Recht beeinflußt ist, ist das Bankenrecht. Es wurden ein Gesetz über die Nationalbank vom 25. Juni 1991 und ein Gesetz über das Bankwesen vom 27. März 1992 ver- abschiedet. Das Gesetz über die Nationalbank gewährleistet die Unabhän- gigkeit der Nationalbank. Sie ist nur dem Parlament unterstellt. Das hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, denn dank dieser starken Position der Nationalbank konnte die Inflationsrate relativ niedrig gehalten werden.

IV.

Ein anderer Bereich der Rechtsumgestaltung, wo die deutsche Erfahrung besonders interessant ist, betrifft die typisch postkommunistische Pro- blematik. Ich teile diesen Bereich in drei Problemkreise auf:

- Vergangenheitsbewältigung;

- Rückgabeproblematik;

- Privatisierung.

Beim ersten Problemkreis wurde der bulgarische Gesetzgeber zuerst mit der Frage des Vermögens der kommunistischen Partei und der anderen Blockorganisationen konfrontiert. Am 19. Dezember 1991 wurde ein Ge- setz über die Verstaatlichung des Vermögens der kommunistischen Partei und der anderen Blockorganisationen verabschiedet. Dabei umfaßt das Vermögen Immobilien und bewegliches Eigentum, darunter Geld und Forderungen, und wird staatlich per Gesetz. Den von der Verstaatlichung betroffenen Organisationen wurde nur soviel Vermögen zur Verfügung ge- stellt, wie sie zur Deckung ihrer eigenen Bedürfnisse brauchen.

Hinsichtlich der Stasidebatte hat man es schwerer gehabt. Ein Entwurf über die Veröffentlichung der Akten liegt immer noch im Parlament. Nach

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der jetzigen Regelung hat die Öffentlichkeit keinen Zugangzu den Akten, die nur durch die Staatsanwaltschaft untersucht werden können.

Man hat versucht, im Bereich der Dekommunisierung gewisse Ein- Schränkungen für ehemalige hohe Parteifunktionäre einzuführen. So z. B.

sah Paragraph 9 der Schiußbestimmungen des Bankengesetzes vor, daß ehemalige Parteifunktionäre ab kommunaler Ebene und Stasimitarbeiter der letzten 15 Jahre nicht in der Leitung der Banken angestellt werden können. Diese Vorschrift wurde aber später vom Verfassungsgericht auf- gehoben.

Die deutsche Erfahrung ist auch bei der Rückgabegesetzgebung maß- geblich. Die Rückgabe in Bulgarien bezieht sich auf zwei Gruppen von Ei- gentumsobjekten. Zuerst handelte es sich um die Rückgabe des

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des durch ein Gesetz vom l.M ä rz 1991 und Änderungen vom Frühjahr 1992. Nach diesem Gesetz wurde das Agrarland, das sich im Besitz der LPGs befand, den früheren Eigentümern zurückgegeben. Früher waren nur 10 Prozent des Agrarlandes im Privatbesitz der Bauern. Seit der Ver- abschiedung des Gesetzes umfassen die Anträge auf Rückgabe fast 100 Prozent des Landes, das zur Verfügung steht. Bis jetzt sind etwa 15 Prozent faktisch zurückgegeben worden. Nach dem Gesetz werden die LPGs automatisch aufgelöst durch von den Kommunen gegründete Liqui- dationsausschüsse. Anstelle der LPGs können GmbHs oder neue Genos- senschaften gebildet werden.

Die Rückgabe der städtischen Immobilien ist durch ein Gesetz vom 21. Februar 1992 geregelt. Das Gesetz setzt die Nationalisierungen aus den

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Jahren 1947/48 von Tabak, A lkohol, Olprodukten, dem Druckwesen, In- dustrie und Bergbau außer Kraft. Es wird auch die Verstaatlichung von Immobilien aus dem Jahre 1948 außer Kraft gesetzt. A lle diese Eigentums- Objekte sind den Alteigentümern zurückzugeben, wenn die Objekte selbst bestehen und nicht völlig verändert sind. Im Falle der Veränderung hat man das Recht auf Entschädigungsanspruch. Für die Rückgabe ist ein schnelles Verfahren vorgesehen, und sie ist auch steuerfrei.

Ein weiterer Bereich, in dem die deutsche Erfahrung in Bulgarien ge- nutzt wurde, ist die Privatisierung. In dieser Hinsicht folgt die bulgarische Gesetzgebung sehr eng dem deutschen Beispiel. M it dem Gesetz vom 8. Mai 1992 ist in Bulgarien schon die rechtliche Voraussetzung geschaffen für den Anfang der Privatisierung. Es wurde auch eine Agentur für Privati- sierung gebildet, die die Jahresprivatisierungsprogramme vorbereitet und für den Verkauf von Unternehmen zuständig ist, deren Bilanzwert 10 M il- lionen Leva übersteigt. Für Betriebe unter diesem Wert sind die entspre- chenden Ministerien oder Kommunen zuständig. Unter Privatisierung versteht man die Veräußerung von ganzen Betrieben oder Teilen davon und Aktien oder Anteilen an Betrieben, die dem Staat gehören, an natür- liehe oder private juristische Personen.

Ausländische und bulgarische Käufer sind gleichgestellt.

Die Arbeitnehmer haben Vorrang beim Erwerb von Anteilen und Aktien. Sie können bis auf 20 Prozent der A ktien bzw. Anteile kaufen, und zwar zu einem Preis, der nur 50 Prozent des Gesamtwertes der A ktie oder des Anteils darstellt. Die Arbeitnehmer können sich auch am Kauf von ganzen Unternehmen beteiligen, wenn 30 Prozent aller Arbeitnehmer dazu bereit sind. Dann kann der Preis unter bestimmten Umständen um 30 Prozent reduziert werden. Ganze Betriebe oder selbständige Teile da- von können nur durch Versteigerung oder Ausschreibung verkauft wer- den.

Im Bereich der ausländischen Investitionen versucht das bulgarische Recht auch die Aufnahme deutscher und europäischer Standards. Das Ge­

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setz über die ausländischen Investitionen vorn 28. Januar 1992 schafft neue und liberale Grundlagen dafür. Im Prinzip ist keine Genehmigung nötig, wenn ein Ausländer in Bulgarien investiert. Eine Genehmigung ist erfor- derlich nur bei Investitionen in der Rüstungsindustrie, im Bank- und Versi- cherungswesen, bei der Ausbeutung von Bodenschätzen. Der Erwerb von Grund und Boden durch Handelsgesellschaften ist frei, unabhängig von der ausländischen Beteiligung an der Gesellschaft. Auch der Transfer von Gewinn ist frei. Der Gewinn kann umgetauscht und rückgeführt werden.

V.

Das sind die allgemeinen Bereiche, bei denen sich die bulgarische Gesetz- gebung auf die europäische, insbesondere aber die deutsche Rechtserfah- rung stützt. Durch die Vereinigung spielt Deutschland eine gewisse Vor- läuferrolle für die anderen osteuropäischen Staaten. Die Arbeits- und die Sozialgesetzgebung im Land ist auf kurze Sicht ebenfalls ein Bereich von internationaler Angleichung, was auch für das Prozeßrecht gilt.

Durch die Wende 1989 ist auch die Voraussetzung geschaffen worden, daß in Osteuropa die'Rechtsvereinheitlichung eine tiefgreifende Rolle spielen kann. Die Schaffung eines europäischen Rechtsraums ist wichtiger Bestandteil der ersehnten künftigen europäischen Werte- und Kulturge- meinschaft. Und w ir wissen alle, daß nur eine Kulturgemeinschaft die dau- erhafte Sicherheit Europas gewährleisten kann.

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Vorstand des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz und U rheberrecht d e r Universität München

Privatisierung und Reprivatisierung in Bulgarien -