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C. EMPIRISCHER TEIL

10. SOZIODEMOGRAPHISCHE DATEN

11.3 ERGEBNISSE DER SEXUELLEN MISSBRAUCHSTÄTER VON KINDERN Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den in dieser Untersuchung spezifischen

11.3.5 DISKUSSION (SEXUELLE MISSBRAUCHSTÄTER VON KINDERN)

Mangel an menschlicher Nähe bzw. einer unbefriedigten zwischenmenschlichen Interaktion, dem Verlust von Liebe und chronischer Einsamkeit widerspiegelt.

Insgesamt stützen die Ergebnisse die Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch von Kindern und dem ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil gibt. Eine Erklärung dafür wäre, dass sexuelle Missbrauchstäter in der Kindheit keine sichere Bindung entwickeln konnten, was die Voraussetzungen interpersonelle Fähigkeiten zu differenzieren deutlich behindert und damit auch auf Dauer das nötige Selbstvertrauen für eine intime Beziehung nicht entstehen läßt.

.

Bei dem Versuch eine Beziehung herzustellen zwischen den Angstwerten und den Allgemeinen-Bindungsstilen, zeigt sich im Bereich der Zustandsangst keine Signifikanz. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass die Beantwortung des Fragebogens unter weitgehend externen stressfreien Bedingungen stattgefunden hat. Auch Spielberger (1972) hat darauf hingewiesen, dass die Zustandsangst von internen und externen Einflüssen abhängig ist (S.17).

Im Bereich der Eigenschaftsangst zeigt sich, dass bei den sexuellen Missbrauchstätern, die einen ängstlichen -, ängstlich-vermeidenden - und vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil haben, die Eigenschaftsangst im mittleren Bereich liegt. Allerdings, unterscheiden sich die drei Bindungsstile nicht signifikant voneinander. Bei den sexuellen Missbrauchstätern mit einem sicheren Allgemeinen-Bindungsstil befindet sich die Eigenschaftsangst im niedrigeren Bereich, der Unterschied zu den anderen drei Bindungsstilen ist signifikant. Auch in dieser Gruppe bestätigt sich, dass Menschen mit einem sicheren Allgemeinen-Bindungsstil deutlich geringere Werte für Eigenschaftsangst zeigen.

In diesem Zusammenhang müssen neben den inhaltlichen Erklärungen auch methodische Einschränkungen berücksichtigt werden, da die einzelnen Gruppen sehr inhomogen sind.

Lediglich der ängstlich-vermeidende Allgemeine Bindungsstil hat eine größere Anzahl an Probanden. Beim sicheren (11 %) -, ängstlichen (13 %) - und vermeidenden (18 %) Allgemeinen-Bindungsstil handelt es sich um sehr kleine Gruppen von Probanden, so dass die Ergebnisse allenfalls eine Tendenz erkennen lassen können. Zum anderen muß man, wenn man die Ling-Lügenskala betrachtet, sagen, dass die 9 Probanden mit einem sicheren - und die 15 Probanden mit einem vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil (im geringeren, Ausmaß) gleichzeitig die höchsten Werte, der sozialen Erwünschtheit erreichen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass bei diesen Personen möglicherweise ein höheres Angstpotential vorliegt, als sie zugegeben haben, bzw. dass der sichere Allgemeine-Bindungsstil tatsächlich noch seltener ist.

Erklärungsbedürftig bleibt somit, die durchschnittliche Eigenschaftsangst der 45 (56 %) sexuellen Missbrauchstäter mit einem ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil.

Spielberger (1972) definiert Eigenschaftsangst als eine relativ stabile Anfälligkeit für Angstreaktionen, d. h. tendenziell ein breites Spektrum an Situationen als gefährlich oder als bedrohlich wahrzunehmen und auf diese Bedrohung mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren.

Das würde zunächst bedeuten, dass die ängstlich-vermeidenden sexuellen Missbrauchstäter mit einer mittleren Angstbereitschaft, weder übermäßig viele, noch übermäßig wenige Situationen als gefährlich oder bedrohlich wahrnehmen.

Da aber nach dem inneren Arbeitsmodell der ängstlich-vermeidende Bindungsstil auf der Ebene des Erlebens eher dem anklammernden Bindungsstil mit seinem stark aktivierten Bindungssystem ähnelt, auf der Verhaltensebene aber dem abweisenden Bindungsstil mit seiner Beziehungsvermeidung (Main, M., 1991; Main, M., Kaplan, N. & Cassidy, J., 1985;

Brisch, K.-H.; 1999), stellt sich hier die Frage, warum bei den überwiegend ängstlich-vermeidenden sexuellen Missbrauchstätern kein höheres oder niedrigeres Angstpotential vorliegt und sich die Bindungsstile nicht signifikant im Bereich der Angst unterscheiden.

Wenn man berücksichtigt, dass nach Marshall, W., & Anderson, D. (1996) innerfamiliäre sexuelle Missbrauchstäter vermehrt Angst vor Intimität haben, dann ist davon auszugehen, dass bei diesen Tätern eben Angst nur in Situationen auftritt, wo das Bindungssystem aktiviert wird und nicht allgemein vorhanden ist.

Bereits Bowlby hat darauf hingewiesen, dass Angst immer dann entsteht, wenn das Motivationssystem Bindung durch äußere Ereignisse bedroht wird (die dann im Verlauf einer gestörten Entwicklung zu bedrohlichen inneren Ereignissen führen können. Hoffmann &

Hochapfel, 1999), oder wenn die Nähe zu einer Bindungsperson nicht mehr vorhanden ist (Bowlby, 2001). Nach der Deaktivierung des Bindungssystems erreicht die Angst wieder einen neutralen Charakter und spiegelt sich nur mehr im vermeidenden Bindungsverhalten dieser Probanden wieder.

Die Angstdisposition spiegelt auch die Häufigkeit und Intensität wieder, mit der die Angstzustände in der Vergangenheit aufgetreten sind und gibt auch Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit, mit der sie in der Zukunft auftreten kann (Spielberger, 1972).

Angst ist nach Kernberg (1997a; 1997b; 2000) die Basis von Wut, Haß und Aggression. Die Angst kann durch Abwehr- und Anpassungsprozesse reduziert werden (Spielberger; 1972), dazu gehört u.a. auch die Aggression, die der eigenen Entängstigung und Entlastung dienen soll.

Bei den sexuellen Missbrauchstätern in dieser Untersuchung bewegt sich die Aggression in einem etwas niedrigeren Bereich als bei den Vergewaltigungstätern, sie zeigt für offene, gehemmte und Gesamtaggression Werte, die sich im mittleren Bereich bewegen. Trotzdem sind diese Werte höher als bei den Vergleichsgruppen ohne Sexualdelikte. Überdurchschnitt-liche Mittelwerte erreichen vor allen Dingen die verbale Aggression, indirekte Aggression und die Schuldgefühle nach Aggression, grenzwertig zum höheren Bereich liegt der Wert für aggressives Misstrauen. Nach der Verhaltensanalyse von Buss & Durkee (1957) drückt sich die verbale Aggression im Stil und Inhalt des Gesagten aus. Während es bei der indirekten Aggression zu einer Schädigung ohne direkte Konfrontation mit dem Opfer kommt, weisen die Schuldgefühle nach Aggression auf „Gewissensbisse“ verschiedenster Art hin.

Sucht man nach dem Zusammenhang zwischen Aggressionswerten und Bindungsstilen, dann zeigt sich wieder erwartungsgemäß, dass die Probanden mit einem vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil die höchsten Werte für offene Aggression und Gesamtaggression, erreichen; dass die Probanden mit ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil im Bereich der gehemmten Aggression besonders hoch liegen und damit auch in der Gesamtaggression überdurchschnittlich. Die sicher gebundenen liegen in ihrer Aggression unterdurchschnittlich.

Bei Betrachtung der acht Unterskalen des Aggressionsfragebogens (Buss/Durkee), kann wieder bei dem vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil der höhere Wert für körperliche Aggression, Oppositionsverhalten und aggressive Reizbarkeit hervorgehoben werden.

Verhaltensanalytisch (Buss, Durkee, 1957) bedeutet dieses, dass es bei den vermeidenden sexuellen Missbrauchstätern zum einen zu Gewaltanwendungen gegen Personen kommen kann, zum anderen liegt eine Bereitschaft vor, schon auf kleine Provokationen hin stark zu reagieren. Das Oppositionsverhalten richtet sich oft in Form von mangelhafter Kooperation gegen Autoritäten.

Bei den ängstlich-vermeidenden Probanden fällt der höhere Wert für die körperliche Aggression weg. Dafür zeigen sich überdurchschnittliche Werte, neben dem Oppositions-verhalten und der aggressiven Reizbarkeit, in der aggressiven Eifersucht und Hass, die auf Ärger über die Welt, wegen wirklicher und eingebildeter Benachteiligungen schließen läßt.

Beide Schemata der Bindung können hinsichtlich der Wechselwirkung zwischen dem Bedürfnis nach Bindung und der aggressiven Reaktion auf die Bedrohung durch Trennung verstanden werden.

Möglicherweise zeigt sich hier eine Analogie zu der von Bowlby (2001) beschriebenen Wechselwirkung zwischen dem Bedürfnis nach Bindung und der aggressiven Reaktion auf die Bedrohung durch Trennung. Sowohl in Längssschnittstudien (Goldberg, S., Gotowiec, A.

Simmons, R. J., 1995; Hubbs-Tait, L., Osofsky, J., Hann, D., Culp, A., 1994; Lyons-Ruth, K., Easterbrooks, A. & Cibelli, C., 1997; Shaw, D. S., Owens, E. B., Vondra, J. I., Keenan, K., Winslow, E. B., 1996) als auch in Querschnittstudien (Greenberg, M. T., Speltz, M. L., DeKlyen, M. Endriga, M. C., 1991; Moss, E., Rousseau, Parent, D., St.-Laurent, S., Saintong, J., 1998; Solomon, J., George, C., Dejong, A., 1995; Speltz, M. L., Greenberg, M. T., DeKlyen, M., 1990) konnten Zusammenhänge zwischen einem, desorganisierten kontrollierenden Bindungsverhalten und Aggressionen festgestellt werden (Fonagy, 2003).

Marshall, W., & Anderson, D., (1996); Marshall, W. L., Anderson, D., Champagne F.

(1997); Marshall, W. L. & Fernandez, Y. M., (1998) stellten in Untersuchungen bei unsicher gebundenen Sexualstraftätern eine erhöhte Aggressivität fest, wobei die Aggression oder Impulsivität unterschiedlich mit den unsicheren Bindungsstypen assoziiert war. Auch Alexander (1992, 1999), Main, Kaplan, Cassidy (1985) fanden in ihren Studien mit vermeidend gebundenen Kindern ein feindseliges und antisoziales Verhalten, bei den ängstlich-vermeidend gebundenen Kindern vermehrt ein impulsives Verhalten. Ainsworth, M.

D., Blehar, M. C., Waters, E., Wall, S.; (1978) haben darauf hingewiesen, dass bei vermeidenden Kindern, die chronisch zurückgestoßen werden oder bei ängstlich-vermeidenden Kindern, die ängstliche oder Angst einflößende Bezugspersonen haben, prädestiniert sind später ein solches aggressives Verhalten zu zeigen (Ainsworth, M. D., Blehar, M. C., Waters, E., Wall, S.; 1978; Bowlby, 1973, 1980; Lyons-Ruth, Alpern &

Repacholi, 1993; Renken, Egeland, Marvinney, Mangelsdorf & Sroufe, 1989).

Fazit: Sexuelle Missbrauchstäter mit einem

• sicheren Allgemeinen-Bindungsstil haben eine niedrigere Eigenschaftsangst, eine höhere gesamte soziale Erwünschtheit und eine mittlere Gesamtaggression.

• ängstlichen Allgemeinen-Bindungsstil haben eine mittlere Eigenschaftsangst, mittlere gesamte soziale Erwünschtheit und eine mittlere Gesamtaggression (grenzwertig zum höheren Bereich).

• ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil haben eine mittlere Eigenschaftsangst, mittlere gesamte soziale Erwünschtheit, eine höhere gehemmte und Gesamtaggression.

• vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil haben eine niedrigere Eigenschaftsangst, eine höhere „soziale Erwünschtheit gesamt“, höhere offene und Gesamtaggression.

Als, für die sexuellen Missbrauchstäter spezifisches Ergebnis soll festgehalten werden, dass die Gruppe als Ganzes einen überwiegend ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil aufweist. In ihrer Ängstlichkeit etwas höher und in ihrem Aggressionspotential, insbesondere in der aggressiven Reizbarkeit und in den Schuldgefühlen nach Aggression etwas niedriger als die Gruppe der Vergewaltigungstäter liegt. Jedoch noch immer höhere Aggressionswerte als die anderen Vergleichsgruppen aufweisen.