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Bindung, Angst und Aggression : Eine Untersuchung zum Vergleich von Bindungsstilen bei Sexualstraftätern, Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen, Patienten mit Kinderwunsch und Patienten mit koronaren Herzerkrankungen

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Academic year: 2021

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BINDUNG, ANGST UND AGGRESSION

Eine Untersuchung zum Vergleich von Bindungsstilen bei Sexualstraftätern, Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen, Patienten mit Kinderwunsch und Patienten mit koronaren Herzerkrankungen

Dissertation

zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg

Vorgelegt von ELKE LEHMANN

aus Hamburg

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Referent: Prof. Dr. phil. B. Dahme Korreferent: Prof. Dr. med. W. Berner

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Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich diese Dissertation selbständig und ohne fremde Hilfe verfaßt habe. Ich habe keine, außer die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt, und die wörtlich oder inhaltlich übernommenen Stellen als solche kenntlich gemacht.

Außerdem erkläre ich, dass ich mich an keinem anderen Ort einer Doktorprüfung unterzogen oder um eine Zulassung zu einer Doktorprüfung beworben habe.

Hamburg, den 10. März 2005

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DANKSAGUNG

An dieser Stelle danke ich allen Personen, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit zur Seite standen.

Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wolfgang Berner, der mich während der Vorbereitung und der Durchführung dieser Arbeit stets mit wohlwollendem Interesse unterstützte und mit viel Verständnis, besonders in schwierigen Situationen, hilfreich zur Seite stand, ebenso Herrn Prof. Dr. Burger Heinze, der mich bis zu seinem Tod bei methodischen Fragestellungen hilfreich betreute. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Bernhard Dahme, der die schwierige Aufgabe übernahm meine Betreuung zu übernehmen, nachdem Herr Prof. Dr. Heinze verstorben war.

Für die hilfreiche Unterstützung und Beratung bei der Handhabung der Daten möchte ich Herrn Dipl.-Psych. Dietmar Jungnickel an dieser Stelle ganz herzlich danken.

Ohne die Unterstützung der teilnehmenden Probanden, Kliniken und Institute in der praktischen Durchführung der Arbeit wäre mir ihr Abschluß kaum gelungen. Das waren: Herr Prof. Dr. med. W. Berner (Institut für Sexualforschung und forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum-Hamburg), Herr Dipl.-Psych. Jansen und Frau Dipl.-Psych. Griep (Justizvollzugsanstalt V, Fuhlsbüttel-Hamburg), Frau Dipl.-Psych. Bath und Mitarbeiter/innen (Sozialtherapeutische Anstalt Bergedorf-Hamburg), Herr Dipl.-Psych. Reinmann, Herrn Dr. med. Lotze und Frau Dr. med. Legan (Landeskrankenhaus-Lüneburg, Maßregelvollzug), Herr Dr. med. Knecht und Mitarbeiter/innen (Klinikum Nord, AKO, Haus 18, Maßregelvollzug), Justizvollzugsanstalt-Lübeck, Frau Dipl.-Psych. Harrenberg und Herr Prof. Dr. med. Stöckinger (Curschmannklinik in Timmendorf), Herr Dr. med. Esters (Rehabilitationsklinik Holm in Schönberg), Herr Prof. Dr. med. Hoberg (Compaß-Rehabilitationsklinik-Kiel), Herr Prof. Dr. med. Kuck und Herr Dr. med. Keck (Allgemeines Krankenhaus St.Georg-Hamburg, Abteilung für Kardiologie), Herr Dr. med. Petersen, Herr Dr. med. Bormann und Herr Dr. med. Stein (Kardiologische Praxis-Hamburg), Herr Prof. Dr. med. Schulze (Abteilung für Andrologie am Universitätsklinikum-Hamburg Eppendorf), Herr Prof. Dr. med. Porst (Urologische Praxis-Hamburg), Herr Dr. med. Schmidt (Urologische Praxis-Hamburg), Herr Prof. Dr. med. Leidenberger und Mitarbeiter/innen (Institut für Reproduktionsmedizin-Hamburg), Frauenklinik am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf.

Durch die intensive Auseinandersetzung und Gespräche mit den Personen, die bereit waren diese Arbeit zu unterstützen, erhielt ich wichtige Hinweise für die psychologische Betreuung von Menschen mit Bindungsunsicherheit. Ich danke deshalb allen Probanden ganz herzlich, die sich an dieser Untersuchung beteiligt haben. Die Resonanz einiger Patienten hat mich gerade in schwierigen Phasen motiviert, die Arbeit weiterzuführen.

Für die zahlreichen Diskussionen danke ich Frau Dr. rer. nat. Johanna Bergmann ganz herzlich.

Meiner Familie und meinen Freunden bin ich für die liebevolle Unterstützung während der Auswertung und Niederschrift dieser Arbeit sehr dankbar und für die zahlreichen Gespräche über die Untersuchung seit Beginn ihrer Planung.

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INHALTSVERZEICHNIS Kurzzusammenfassung Einleitung 1 A. THEORETISCHER TEIL 1. Bindung 4 1.1 Bindungstheorie 4

1.1.1 Erklärungsmodelle der Bindung 4

1.2 Grundlagen der Bindungstheorie 4

1.2.1 Angeborene Eigenschaften und Fähigkeiten der Bindung 4

1.2.2 Das Bindungssystem 5

1.2.3 Innere Arbeitsmodelle der Bindung 5

1.2.4 Differentielle Arbeitsmodell der Bindung 6

1.2.4.1 Das sichere Arbeitsmodell 7

1.2.4.2 Das unsicher-ambivalente (ängstliche) Arbeitsmodell 7 1.2.4.3 Das unsicher-vermeidende (ängstlich-vermeidende) Arbeitsmodell 7 1.2.4.4 Das unsicher-desorganisierte (vermeidende) Arbeitsmodell 8

1.2.5 Stabilität der inneren Arbeitsmodelle 8

1.2.6 Ursachen für die Entstehung einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung 9

1.2.6.1 Formen der Deprivation 9

1.2.6.2 Die Trennung von der Mutter 10

1.2.6.3 Der Trauerprozeß 10

1.2.6.4 Das pathologische Trauern 11

1.3 Psychopathologie der Bindungsstörung 11

1.4 Bindung bei verschiedenen Störungsgruppen 12

1.4.1 Bindung bei Sexualstraftätern 13

1.4.2 Bindung bei Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen 13

1.4.3 Bindung bei Patienten mit Kinderwunsch 14

1.4.4 Bindung bei Patienten mit koronaren Herzerkrankungen 14

2. Angst und Bindung 16

2.1 Darstellung der Angsttheorien im Überblick 16

2.2 Vergleich der Angsttheorien 16

2.3 Definition der Angst 17

2.4 Angst als Zustand 17

2.5 Angst als Eigenschaft 18

2.6 Darstellung der Angstverarbeitung 18

2.7 Die Angstbindung 18

2.8 Pathologische Entwicklung der Angstbindung 19

2.9 Mangel an Angst 20

2.10 Probleme der Messung der Angst 20

3. Aggression 21

3.1 Aggressionstheorien 21

3.2 Definition von Aggression 22

3.3 Formen der Aggression 23

3.4 Aggressionshemmung 24

3.5 Aggression nach Buss/Durkee 24

3.6 Aggressives Bindungsverhalten 25

(6)

B. METHODISCHER TEIL

5. Fragestellung 27

5.1 Aspekte der Beziehungsstruktur 28

5.2 Aspekte der Angst 28

5.3 Aspekte der Aggression 28

6. Hypothesen 29

6.1 Hypothesen: Sexualstraftäter (Vergewaltigungstäter) 29

6.2 Hypothesen: Sexualstraftäter (sexuelle Missbrauchstäter von Kindern) 30 6.3 Hypothesen: Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen 30

6.4 Hypothesen: Patienten mit Kinderwunsch 31

6.5 Hypothesen: Patienten mit koronaren Herzerkrankungen 31

7. Ausgangskriterien der empirischen Untersuchung 32

7.1 Untersuchungsplan 33

7.2 Selektion der Probanden und Datenerhebung 33

7.3 Fragebogen 34

7.4 Stichprobe 34

7.5 Auswertung 34

8. Die Datenqualität der Fragebögen 35

8.1 Das Untersuchungsinstrument 35

8.2 Soziodemographische Daten 35

8.3. STAI – State-Trait-Angstinventar 36

8.3.1 Verteilungskennwerte 37

8.3.2 Mittelwerte und Streuungen 37

8.3.3 Reliabilität 38

8.3.4 Faktorenanalyse 39

8.4. Der Bindungsfragebogen 39

8.4.1 Verteilungskennwerte 41

8.4.2 Mittelwerte und Streuungen 41

8.4.3 Reliabilität 42

8.4.4 Faktorenanalyse 43

8.5 Ling-Lügenskala 43

8.5.1 Verteilungskennwerte 45

8.5.2 Mittelwerte und Streuungen 45

8.5.3 Reliabilität 45

8.5.4 Faktorenanalyse 46

8.6 Buss-Durkee-Aggressionsfragebogen 46

8.6.1 Verteilungskennwerte 48

8.6.2 Mittelwerte und Streuungen 48

8.6.3 Reliabilität 49

8.6.4 Faktorenanalyse 49

8.6.5 Validität 51

9. Die verwendeten statistischen Verfahren 51

9.1 Statistische Kennzahlen 51

9.2 Häufigkeitsverteilung 51

9.3 Einfaktorielle Varianzanalyse 52

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C. EMPIRISCHER TEIL

10. Soziodemographische Daten der Untersuchungsgruppen 54

10.1 Alter 54 10.2 Wohnort 54 10.3 Schulbildung 55 10.4 Beruf 55 10.5 Familienstand 55 10.6 Partnerschaft 56 10.7 Partnerschaftszufriedenheit 56 10.8 Kinder 57 10.9 Herkunftsfamilie 57

10.10 Trennung der Eltern 57

10.11 Trennungsalter 57

10.12 körperliche Misshandlung 58

10.13 sexuelle Misshandlung / sexueller Missbrauch 58

10.14 Personen die misshandelt haben 59

10.15 Alter beim sexuellen Missbrauch 59

11.1 Ergebnisse der Gesamtuntersuchungsgruppe 60

11.1.1 Allgemeine-, Partner- und Mutter-Bindungsstile der Gesamtuntersuchungsgruppe 60 11.1.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 61 11.1.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit den Allgemeinen-Bindungsstilen 61 11.1.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 64

11.2 Ergebnisse der Untersuchungsgruppen im Überblick 66

11.2.1 Allgemeine-, Partner- und Mutter-Bindungsstile der Untersuchungsgruppen 66 11.2.1 Zustands- und Eigenschaftsangst der Untersuchungsgruppen 67

11.2.2 Soziale Erwünschtheit der Untersuchungsgruppen 69

11.2.3 Aggressionsformen der Untersuchungsgruppe 71

11.3 Ergebnisse der sexuellen Missbrauchstäter von Kindern 74

11.3.1 Allgemeine-, Partner- und Mutter-Bindungsstile bei Missbrauchstätern 74 11.3.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 75 11.3.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 76 11.3.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 77

11.3.5 Diskussion 80

11.4 Ergebnisse der Vergewaltigungstäter

11.4.1 Allgemeinen-Bindungsstile bei Vergewaltigungstäter 84 11.4.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 84 11.4.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 86 11.4.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 87

11.4.5 Diskussion 89

11.5 Ergebnisse der Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen 93 11.5.1 Allgemeine-Bindungsstile bei Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen 93 11.5.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 93 11.5.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 95 11.5.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 96

(8)

11.6 Ergebnisse der Patienten mit Kinderwunsch 102 11.6.1 Allgemeine-Bindungsstile bei Patienten mit Kinderwunsch 102 11.6.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 102 11.6.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 104 11.6.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 104

11.6.5 Diskussion 107

11.7 Ergebnisse der Patienten mit koronaren Herzerkrankungen 108

11.7.1 Allgemeine-Bindungsstile bei Patienten mit koronaren Herzerkrankungen 108 11.7.2 Zustands- und Eigenschaftsangst im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 108 11.7.3 Soziale Erwünschtheit im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 110 11.7.4 Aggressionsformen im Zusammenhang mit Allgemeinen-Bindungsstilen 111

11.7.5 Diskussion 113

12. Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse 118

12.1 Zusammenfassende Schlußfolgerung 125

12.2 Bindung, Angst, Aggression und die therapeutische Praxis 127

12.3 Bindung, Angst, Aggression und Forschung 128

13. Schlußwort 129

14. Literaturverzeichnis ANHANG

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KURZZUSAMMENFASSUNG

Der im Konzept der Bindung (Attachment) erfasste Beziehungsaspekt zwischen Menschen wird für die psychologische Beurteilung von psychischen Störungen immer wichtiger. Das gilt besonders für Kriminalität und noch bedeutender für die Sexualkriminalität, die in dieser Hinsicht noch kaum untersucht ist.

Daher werden in dieser Dissertation folgende Gruppen im Hinblick auf Unterschiede zwischen den verschiedenen Bindungsstilen und den Einflußkriterien Angst und Aggression untersucht, und untereinander verglichen:

1. Sexualstraftäter:

• sexuelle Missbrauchstäter von Kindern • Vergwaltigungstäter

2. Patienten mit:

• sexuellen Funktionsstörungen • Patienten mit Kinderwunsch

• Patienten mit koronaren Herzerkrankungen

Die Stichprobe umfaßt insgesamt N = 434 Probanden, untersucht wurden im Einzelnen: • N = 81 Vergewaltigungstäter

• N = 80 sexuelle Missbrauchstäter von Kindern • N = 73 Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen • N = 100 Patienten mit Kinderwunsch

• N = 100 Patienten mit koronaren Herzerkrankungen

Ziel der Dissertation ist es, aufzuzeigen, dass es hinsichtlich der Bindungsstile und die damit verbundenen Angst- und Aggressionswerte deutliche Unterschiede gibt.

Die Daten wurden mit folgenden Fragebögen erhoben:

• Bindungsfragebögen nach I. Grau, bezogen den/die Partner/in, die Mutter und auf Menschen allgemein, wie Verwandte, Freunde und Bekannte

• Ling Lügenskala, soziale Erwünschtheit nach M. Ling • Angstinventar (STAI) nach Laux et al.

(10)

Es hat sich herausgestellt, dass in allen Gruppen einschließlich der Probanden mit Kinderwunsch der sichere Bindungsstil mit 20 % deutlich im geringeren Maße angetroffen wird als das bei unausgelesenen Gruppen (Normalpersonen) erwartet wird. Die Patienten mit Kinderwunsch liegen dabei mit 36 % sicher Gebundener erwartungsgemäß am höchsten, Vergewaltigungs- und sexuelle Missbrauchstäter mit 11 % und 14 % sicher Gebundener ebenfalls erwartungsgemäß am niedrigsten.

Die sexuellen Missbrauchstäter von Kindern weisen überwiegend einen ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil, die Vergewaltigungstäter überwiegend einen ängstlich-vermeidenden und vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil auf.

Beide Gruppen haben eine mittlere Angst- und eine höhere Aggressionsbereitschaft (es ist besonders das aggressive Misstrauen, die körperliche Aggression und Schuldgefühle nach Aggression bei den Vergewaltigungstätern; bei den sexuellen Missbrauchstätern sind es die aggressive Reizbarkeit und Schuldgefühle nach Aggression), wobei die Werte bei den Vergewaltigungstätern deutlich höher sind als bei den sexuellen Missbrauchstätern.

Bei den Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen liegt überwiegend ein ängstlich-vermeidender- und vermeidender Allgemeiner-Bindungsstil vor, ein durchschnittliches Angst-und Aggressionspotential, bei der Aggression stehen die aggressive Reizbarkeit Angst-und die indirekte Aggression im Vordergrund. Sowohl Angst, als auch Aggression finden sich besonders beim ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil.

Bei den Patienten mit koronaren Herzerkrankungen kommt überwiegend ein vermeidender Allgemeiner-Bindungsstil vor, ein eher durchschnittliches Angst- und Aggressionspotential, bei der Aggression steht das Oppositionsverhalten im Vordergrund.

Die Patienten mit Kinderwunsch haben zu fast gleichen Teilen einen sicheren - und einen vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil, ein eher niedrigeres Angst- und Aggressionsniveau. Die Ergebnisse zeigen, dass es zwischen den Sexualstraftätern und den klinischen Gruppen im Hinblick auf die Bindungsstile keine Unterschiede gibt, bei isolierter Betrachtung. Allerdings gibt es hinsichtlich der Bindungsstile und den damit verbundenen Angst- und Aggressionswerte deutliche Unterschiede:

Bei den klinischen Gruppen liegt überwiegend der vermeidende Bindungsstil, mit niedrigeren Angst- und Aggressionswerten vor, während bei den Missbrauchstätern der ängstlich-vermeidende Bindungsstil überwiegt und bei den Vergewaltigungstätern der ängstlich-vermeidende und ängstlich-vermeidende Bindungsstil im Vordergrund steht. Es liegen mittlere Angstwerte und höhere Aggressionswerte vor.

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EINLEITUNG

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Bindung, dem Konzept eines Allgemeinen-Bindungsstils von Menschen zu ihren Verwandten, Freunden und Bekannten als intraindividuelle stabile Disposition und dem Einfluß von intraindividuellen veränderlichen Faktoren wie Angst und Aggression auf den Bindungsstil. Dazu wurden Sexualstraftäter (die Kinder missbraucht haben oder Vergewaltiger erwachsener Frauen waren) untersucht und mit drei sogenannten klinischen Gruppen (Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen, Männer, die wegen unerfüllten Kinderwunsch mit ihren Partnerinnen zur Behandlung kamen und Patienten nach koronaren Herzerkrankungen) verglichen.

Die dazu erforderliche intensive Auseinandersetzung mit der Bindungstheorie von J. Bowlby (z. B. 1958), der Angsttheorie von C.D. Spielberger (z. B. 1966) und der Aggressionstheorie von A.H. Buss und A. Durkee (z. B. 1957) hat deutlich gemacht, dass Faktoren wie Angst und Aggressionen einen erheblichen Einfluß auf die Bindung haben können.

Forschungsbemühungen zu diesem Thema sind historisch im wesentlichen von J. Bowlby angeregt worden und haben die Diskussionen in den letzten Jahren nachhaltig geprägt.

John Bowlby wurde erstmals 1927 während seines naturwissenschaftlichen Studiums an der

Universität Cambridge mit entwicklungspsychologischen Themen konfrontiert. Die dortigen Erfahrungen mit extrem distanzierten, sowie extrem anhänglichen Kindern führte er auf frühe Trennungen von den Eltern und anderer Störungen in ihrem Familienverband zurück.

Im Laufe seiner psychoanalytischen Ausbildung wurde ihm immer deutlicher, daß die Psychoanalyse sich zuviel mit kindlichen Phantasien beschäftigte, ohne die Wirkung von tatsächlichen Familienereignissen zu berücksichtigen. Dieses führte zu seiner ersten empirischen Studie. Einige jugendliche Diebe erwiesen sich als gefühlskalte Persönlichkeiten, was J. Bowlby mit früheren mütterlichen Trennungserlebnissen und mütterlicher Ablehnung in Verbindung bringen konnte.

In der ersten offiziellen Darstellung (The nature of the child's tie to his mother, 1958) unter Einbeziehung ethologischer Einflüsse stellte er die These auf, daß Instinkthandlungen (Saugen, Anklammern, Schreien, Nachfolgen und Lächeln) sich im Laufe des ersten Lebensjahres entwickeln. Ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres als ein Bindungsverhaltenssystem interpretiert werden, das auf eine bestimmte Bindungsperson ausgerichtet ist. Bowlby unterstützte diese Aussage mit Forschungsergebnissen zur kognitiven und sozialen Entwicklung, einschließlich derer von Piaget, sowie durch seine eigenen Erfahrungen. Er stellte die Behauptung auf, daß Bindung ein selbständiger biologischer Prozeß ist, der nicht von der Sexualität oder auch vom Bedürfnis nach Nahrung abhängig ist (Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

Außerdem wies er daraufhin, daß die psychoanalytischen Theorien weder die enge Bindung von Kindern an ihre Mütter, noch die heftigen kindlichen Reaktionen bei Trennungen erklären können. Die Trennungsangst wird erlebt, wenn das Bindungsverhalten aktiviert, aber nicht abgestellt werden kann.

Er vertrat die Ansicht, daß Kummer und Trauer immer dann auftreten, wenn das Bindungsverhalten eines Kindes aktiviert wird, und zwar, wenn die Bezugsperson nicht verfügbar ist. Bowlby wies daraufhin, daß die Prozesse, die bei Erwachsenen in bezug auf Trauern auftreten, bereits bei Kindern gut beobachtet werden können.

Mit drei Vorträgen und zwei weiteren unveröffentlichten Aufsätzen über Abwehrprozesse im Zusammenhang zur Bindung (Bowlby, 1962) war der erste grundlegende Entwurf der Bindungstheorie vollendet. Erst viele Jahre später war eine ausführliche Fassung ausgearbeitet, die als Trilogie Bindung (1969), Trennung (1973) und Verlust (1980) erschien.

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1962 schloß sich der Psychiater Colin Murray Parkes (bekannt für die Forschung auf dem Gebiet "Verlust und Trauer"), Bowlbys Forschungsgruppe an.

Er verfolgte den normalen Verlauf von Trauer bei Witwen. Aufgrund dieser Beobachtungen wurden die Trennungsreaktionen, die Bowlby und (1952) beschrieben hatten, zu den vier Phasen im Erwachsenenalter ausgearbeitet: Betäubung, Sehnsucht und Protest, Desorganisation und Verzweiflung, Reorganisation (Bowlby, J. und Parkes, C.M., 1970). Auch Elisabeth Kübler Ross (1970) wurde sehr stark von Bowlby und Parkes Denken beeinflußt als sie die Phasen des Sterbens durch Verleugnung, Ärger, Verhandlung und Akzeptanz beschrieb.

Mary Ainsworth et al. 1978 schaffte eine experimentelle Situation durch die der Bindungsstil

von Kleinkindern erstmals klassifizierbar wurde, die sogenannte "Strange-Situation". Hier wurden kleine Kinder einer standardisierten kurzen, Trennung von ihrer Mutter ausgesetzt, die dabei auftretenden Reaktionen wurden dann zu drei grundlegenden Mustern zusammen-gefaßt: sicher, ängstlich und vermeidend. Diese Bindungsstile entstehen als Erfahrungen, die Kinder mit ihren Bezugspersonen, insbesondere mit ihren Müttern gemacht haben. Die Erfahrungen führen zu mentalen Vorstellungen über sich selbst und anderen Menschen. Eine zentrale Annahme der Bindungstheorie ist die Stabilität dieser Vorstellungen, die sich im Erwachsenenalter in Partnerschaften auswirkt und sich in mehrfacher Hinsicht mit den Beziehungen zwischen Kind und Bezugsperson vergleichen lassen (Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

Analog zu Ainsworths kindlichen Bindungstypen wurde das Erwachsenen-Bindungsmodell von C. Hazan und P.R. Shaver (1987) eingeführt. Diese Bindungsrepräsentanzen wurden durch einen vierten Bindungsstil von Bartholomew (1990) erweitert: sicher, ängstlich-ambivalent, ängstlich-vermeidend, gleichgültig-vermeidend. Die Untersuchungen konzen-trierten sich dabei auf bereits länger bestehende Bindungen zwischen Partnern in Ehe- oder eheähnlichen Beziehungen. Eine systematische Erforschung über Aspekte früherer Erfahrungen und späteren Erziehungsstilen wurden u.a. von Parkes, C.M. und Stevenson-Hinch, J. (1982) aufgenommen (In: Bowlby, J., 1995).

Darüber hinaus wurde das Thema Bindung erweitert durch Untersuchungen über Bindung innerhalb eines ganzen Familiensystems (Belsky, J., Rovine, Fisch, 1989; Howes, P., Markman, H. J., 1989; Byng-Hall, J., 1985, 1991; Marvin R.S., Stewart, R.B. 1990, In: Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999) und inwieweit sich Bindung und Gesellschaft wechselseitig beeinflussen (Marris, P., 1982, 1991; In: Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999). Die negativen Erfahrungen der Mutterentbehrung bestimmen oft das spätere Handeln des Menschen. Die daraus entstandenen psychischen Störungen reichen unter Umständen in die eigene Elternschaft und in die nächste Generation hinein (Bowlby, J.; 1988; 1995).

Die Bindungstheorie und Bindungsforschung haben einen bedeutenden Einfluß auf das Gebiet der Entwicklungspsychopathologie gewonnen (Marvin, R. S., 1992; Sroufe, L.A.; 1988). Es wurden bindungsorientierte Längsschnittstudien von Familien mit depressiven Eltern (Radke-Yarrow, M. u.a., 1985; Radke-(Radke-Yarrow, M., 1991), mißhandelnden Eltern (siehe Crittenden, P.M., 1992; Carlson, V., Ciccetti, D., Barnett, D. & Braunwals, K., 1989) und Eltern mit geringer sozialer Unterstützung (Lieberman, A.E. & Pawl, J.H., 1988; Lieberman, A.E., 1992; Lyons-Ruth, K., Repacholi, B., McLeod, S. & Silva, E., 1991; Spieker, S. & Booth, C., 1988) durchgeführt (Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

Eine Wechselwirkung zwischen negativer Erfahrung und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von psychischen Störungen fanden Brown, G.W. & Harris, T. (1978) in ihren Untersuchungen zu depressiven Störungen bei Frauen (Bowlby, J.; 1995).

Desweiteren gibt es sehr viele Studien über Bindung, Bindungsstörungen und Therapie bei Bindungsstörungen, deren Darstellung den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde.

(13)

Im Verlauf der empirischen Überprüfung der Bindungsstile bei verschiedenen Personen haben sich aus den Ergebnissen Anregungen ergeben, welche Änderungen bzw. Erweiterungen des Modells möglicherweise angebracht erscheinen lassen.

In der vorliegenden Arbeit sollen dazu drei Fragenkomplexe aufgegriffen werden. Dies betrifft folgende Fragestellungen:

• hat die Angst einen Einfluß auf die Bindungsstile und die Aggression, wie wirkt sich dieser Einfluß auf das Verhalten aus

• oder haben die Bindungsstile einen Einfluß auf die Angst, Aggression und Verhalten • unterscheiden sich diesbezüglich die Gruppen der Sexualstraftäter von den klinischen

Gruppen

Die Arbeit ist demzufolge in drei große Abschnitte gegliedert, dem theoretischen -methodischen - und dem Ergebnisteil.

Im ersten Teil der Arbeit wird auf die Problematik der Bindungsstörung in Verbindung mit Angst und Aggression bei Sexualstraftätern und verschiedenen klinischen Gruppen aus bindungstheoretischer Sicht hingewiesen. Dazu werden zunächst die Grundlagen der Bindungstheorie nach Bowlby, die Grundlagen der Angst und die Grundlagen der Aggression in Verbindung mit empirischen Untersuchungsergebnissen dargestellt.

Der allgemeine Überblick zum Thema „Bindung, Angst und Aggression“ soll zum einen verdeutlichen, welche Bedeutung und Auswirkungen der Bindungsstil in Verbindung mit Faktoren wie Angst und Aggression auf das allgemeine Empfinden und Verhalten der jeweiligen Personen haben kann. Zum anderen, wie unterschiedlich Menschen mit einer unsicheren Bindung auf verschiedene bedrohliche Situationen reagieren und damit umgehen können.

Im zweiten Teil werden zunächst Fragen und Hypothesen aufgestellt und nach der Darstellung der Methodik unter Verwendung verschiedener Fragebögen überprüft.

Der Untersuchungsplan und die Reliabilitätsbestimmung der Fragebögen geben einen Überblick über die Erhebung insgesamt und über die Qualität der Messinstrumente.

Anschließend werden die Daten und statistischen Ergebnisse der Allgemeinen-Bindungsstile, Angst- und Aggressionsformen bei der Gesamtstichprobe (N = 434) und den jeweiligen fünf Untersuchungsgruppen (sexuelle Missbrauchstäter N = 80; Vergewaltigungstäter N = 81; Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen N = 73; Patienten mit Kinderwunsch N = 100; Patienten mit koronaren Herzerkrankungen N = 100) einzeln dargestellt, interpretiert und diskutiert.

Im dritten und letzten Abschnitt werden diese Ergebnisse unter Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte interpretiert und diskutiert.

Zu den genannten Problemstellungen liegen nur sehr wenige, bei den klinischen Gruppen noch keine Literaturbefunde vor. Neben dem Versuch einer Zusammenfassung und Bewertung der Befunde der eigenen Untersuchungen, werden die wenigen Untersuchungs-ergebnisse vorwiegend im Gegenstandsbereich der Sexualstraftäter (Marshall, W.L., Anderson, D., Fernandez, Y.; 1999) mit den eigenen Befunden verglichen.

(14)

A. THEORETISCHER TEIL

1. BINDUNG

In diesem Kapitel wird zunächst ein historischer Überblick über die Bindung, im weiteren Verlauf über Grundlagen der Bindungstheorie und Bindungsstörungen gegeben.

1.1 Die Bindungstheorie

Der Begründer der Bindungstheorie ist der britische Psychoanalytiker John Bowlby. Die jetzige Form der Bindungstheorie ist das gemeinsame Werk von John Bowlby und Mary Ainsworth.

J. Bowlby schuf eine neue Sichtweise über die Mutter-Kind-Bindung und ihre Zerrüttung durch Trennung oder Deprivation. Dieses führte zu einer der wesentlichen Annahmen der Bindungstheorie. M. Ainsworth untermauerte diese Aussagen durch Operationalisierung des Bindungskonzepts in der "Strange Situation" mit Kleinkindern und erweiterte die Bindungstheorie durch Definition unterschiedlicher Bindungsstile und durch Betonung des Konzeptes der sicheren Basis (Bretherton, I.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

1.1.1 Erklärungsmodelle der Bindung

J. Bowlby vereinte in seiner Theorie sowohl psychoanalytische, von der Verhaltenslehre ethologische und von der Systemtheorie abgeleitete Gesichtspunkte. Das idealisierte Selbst-objekt der Psychoanalyse hat Ähnlichkeiten mit der Bindungsperson der Bindungstheorie. Die Bindungsperson hat die Aufgabe Schutz in Situationen äußerer und innerer Gefahr zu gewähren, zum idealisierten Objekt wird auch Nähe gesucht. Es dient als Vorbild und hat noch andere Funktionen, die über die Schutzfunktion hinausgehen.

Aus bindungstheoretischer Sicht ist die Qualität der Bindungsrepräsentanz abhängig von der Feinfühligkeit der Pflegeperson. Dagegen braucht das Kind aus selbstpsychologischer Sicht zum Aufbau eines gesunden Selbst, empathische Selbstobjekte, die es vor zu großen Spannungszuständen bewahren. Die Bindungsforschung hat sich zu einer Grundlagen-forschung entwickelt, deren Ergebnis sich für die Psychoanalyse, Psychotherapie und letzten Endes die Psychologie ganz allgemein als unentbehrlich erwiesen hat (Brisch, K.-H.; 1999). 1.2 Grundlagen der Bindungstheorie

Unter aktiver oder passiver Bindung versteht J. Bowlby (1995) ein starkes Kontaktbedürfnis gegenüber einer bestimmten Person, das durch spezifische Faktoren gesteuert wird und ein dauerhaftes, weitgehend stabiles und situationsunabhängiges Merkmal des Bindungsstrebens darstellt. Die vier Charakteristika, die die Bindung im Sinne des Attachment von anderen sozialen Beziehungen und Abhängigkeiten unterscheiden sind:

1. das Bedürfnis Nähe zu suchen und zu erhalten

2. das Gefühl des "sicheren Hafens" in der Anwesenheit des anderen

3. das Gefühl einer "sicheren Basis" zu der man nach Exploration der Umgebung zurück-kehren kann

4. der Trennungsschmerz bei Verlust des Bindungspartners

Zum Bindungsstreben gehören alle auf Nähe ausgerichtete Verhaltensweisen der betreffenden Person. Die Bindung zwischen Mutter und Kind wird als wechselseitig und selbst-regulierendes System verstanden, das ein Teil der Beziehung darstellt.

1.2.1 Angeborene Eigenschaften und Fähigkeiten der Bindung

Für die frühe Interaktion mit der Bezugsperson sind das Temperament (angeborene Verhaltensstile), Affekte (distinkte Affekte mit bestimmten mimischen Muskelbewegungen

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und Reaktionsmustern des autonomen Nervensystems), sowie Wahrnehmungs- und Kognitionsfähigkeiten (Sehen, Hören oder Tasten werden miteinander koordiniert) von großer Bedeutung.

Das Kind ist bereits drei Tage nach der Geburt im Stande die Affekte der Bezugsperson nachzuahmen (Meltzoff et al.; 1993). Sowohl für die Mutter, als auch für das Kind ist es von großer Wichtigkeit, daß sie das, was sie beim Imitieren sehen, auch spüren. Dieser Mechanismus ist eine der Grundlagen für die Ausbildung von Empathie (v.Uexküll,T., 1998). 1.2.2 Das Bindungssystem

Nach Bowlby ist das Bindungssystem ein, primäres -, biologisch -, genetisch -, verankertes motivationales System, das zwischen der primären Bezugsperson und dem Kind nach der Geburt aktiviert wird und somit eine überlebenssichernde Funktion hat (Brisch, K.-H.; 1999). Das Bindungsverhaltenssystem beschreibt Bowlby als ein Konzept, das aus zusammen-hängenden Verhaltensweisen und Emotionen besteht und sich in der Suche und Aufrechterhaltung von Nähe zu einer Person widerspiegelt. Das Bindungssystem ist anderen bedürfnisregulierenden Systemen, wie z. B. Nahrungsaufnahme und Sexualität gleichgestellt. Es wird in Gefahren-, Belastungs- und Trennungssituationen aktiviert und löst das sog. Bindungsverhalten aus. Dieses können von außen kommende Faktoren, wie Reizüberflutung, Ungewißheit oder Trennung von der Bindungsperson sein, aber auch innere Faktoren, wie Krankheit, Schmerz oder Müdigkeit, wenn keine Möglichkeit besteht, sie aus eigenem Anlaß heraus zu beheben (v. Uexküll, T.; 1998). In diesen Situationen treten andere Verhaltens-weisen in den Hintergrund. Das Verhalten wird darauf ausgerichtet, Nähe wieder herzustellen bzw. zu halten, und zwar solange, bis der Zustand der Sicherheit wieder erreicht worden ist. Erst dann wird dieses System wieder deaktiviert und das Kind kann sich anderen Aktivitäten widmen. Das Bindungsverhalten begleitet den Menschen von Geburt an bis hin zum Tod (Bowlby, J.; 1975).

1.2.3 Innere Arbeitsmodelle der Bindung

Das Bindungsverhalten des Kindes und das Pflegeverhalten der Eltern sind fein, aufeinander abgestimmte Systeme, die sich in einer bestimmten Abfolge entwickeln. Das feinfühlige Verhalten der Bezugsperson besteht darin, die Signale des Kindes wahrzunehmen (z. B. Weinen) und angemessen darauf einzugehen.

Nach den ersten Lebensmonaten sind die neurophysiologischen Reifungsprozesse des Kindes abgeschlossen. Es beginnt etwa in der Mitte des ersten Lebensjahres sich eine Vorstellung über die Bezugsperson zu machen (Spitz, M.; 1965; In: v. Uexküll, T., 1998). Zu diesem Zeitpunkt hat es die Fähigkeit entwickelt, nach der Bezugsperson zu suchen und mit Kummer auf eine Trennungssituation zu reagieren. Das Kind ist jetzt in der Lage eine feste Bindung einzugehen (Ainsworth, M., 1985. In: Brisch, K.-H.; 1999).

Über das Bindungsverhalten und den Interaktionserlebnissen (durch Handlung und Handlungsergebnissen), in denen sich die Mutter und der Säugling voneinander trennten und auch wieder Nähe zueinander herstellten, entwickelt der Säugling im Laufe des ersten Lebensjahres innere Modelle des Verhaltens und der damit verbundenen Affekte von sich und der Mutter aus, sogenannte innere Arbeitsmodelle, die in Gedächtnisspuren (Schemata) organisiert werden (Bowlby, J., 1975; Main, M, Kaplan & Cassidy, 1985; In: Brisch, K.-H., 1999) und das Bindungsverhalten der Bezugsperson und des Kindes vorhersagbar machen. Für jede einzelne Bezugsperson, z. B. für Mutter und Vater getrennt, werden eigenständige unterschiedliche Arbeitsmodelle entwickelt (Bowlby, J., 1975).

Die inneren Arbeitsmodelle der Bindung sind generalisierte Repräsentanzen erlebter Ereignisse (Bretherton, 1985). Sie bestehen sowohl aus affektiven, als auch kognitiven Komponenten (Bowlby, J., 1969) und wirken sich auf das Verhalten, die Sprache und Gedanken aus. Sie können jederzeit wieder neu strukturiert werden.

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Die Neustrukturierung gestaltet sich jedoch als sehr schwierig, da einmal organisierte Modelle unbewußt und für Veränderungen schwer zugänglich sind.

Unterschiedliche Erlebnisse führen zu unterschiedlichen Bindungsmodellen und müssen in ein Gesamtmodell, wie Umwelt und Bindungsperson wahrgenommen und integriert werden. Gelingt dieses gut, so entsteht eine anpassungsfähige Abbildung der Wirklichkeit (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler G., Zimmermann, P., 1999). Zu Beginn ist das Bindungsmodell (Arbeitsmodell) noch flexibel, im weiteren Verlauf der Entwicklung wird es zunehmend stabiler und entwickelt sich zu einer psychischen Repräsentanz, der sogenannten Bindungsrepräsentation, die auch in Abwesenheit der Bezugsperson abgerufen werden kann, um Wunschvorstellungen, Phantasien, Tagträume usw. zuzulassen (Brisch, K.-H.; 1999; v. Uexküll, T., 1998). Die Arbeitsmodelle und Repräsentationen sind zum Teil bewußt und unbewußt. Eine sichere, stabile Bindungsrepräsentation kann ein Teil der psychischen Struktur werden und damit zur psychischen Stabilität beitragen (Brisch, K.-H.; 1999).

Die wichtigste Funktion der Arbeitsmodelle besteht also darin, Ereignisse der realen Welt zu simulieren, um das Individuum in die Lage zu versetzen, sein Verhalten mit Einsicht vorausschauend zu planen (Bowlby, J., 1969). Die Arbeitsmodelle beeinflussen lebenslang die Erwartungen und Verhaltensweisen auch gegenüber Beziehungspartnern.

1.2.4 Differentielle Arbeitsmodelle der Bindung

In den verschiedenen Altersstufen finden sich immer wieder dieselben Bindungsstrategien (Reaktionsmuster) wieder, die ihre Bedeutung über die ganze Lebenszeit eines Menschen beibehalten. Der empirische Nachweis interindividueller Unterschiede der Bindungsqualität im Kindesalter gelang erstmals 1978 Ainsworth, M.D., Blehar, M.C., Waters, E., Wall, S.;. Die individuellen Bindungsorganisationen sicher, unsicher-ambivalent und unsicher vermeidend beziehen sich zunächst auf das nonverbale Verhalten gegenüber der Bezugs-person in der sogenannten „Strange-Situation“ (Fremdensituation) nach Ainsworth. Das heißt, bei einem einjährigen Kleinkind ist die Bindungsstrategie mit einem entsprechenden Verhalten verbunden und ein sechsjähriges Kind setzt das Arbeitsmodell in einem sogenannten Dialog, den es mit der Bezugsperson führt, um.

Hazan und Shaver (1987) untersuchten anhand von Kurzbeschreibungen, die sich auf das Selbstkonzept und kategoriale kognitive Szenarien beziehen, die drei beschriebenen Bindungsstile von Ainsworth (1978) bei Erwachsenen. Ausgehend von Hazan & Shavers (1987) und Mains (1991, 1996) Konzeptionen, entwickelte Bartholomew (1990, 1997) das Modell der vier Bindungsstile (Bartholomew, 1990; 1997; Bartholomew & Horowitz, 1991; Horowitz, Rosenberg & Bartholomew, 1993, deutsche Version von Doll, Mentz & Witte, 1995) übernimmt in ihrem Ansatz, den sicheren und anklammernden Bindungsstil, differenziert aber den vermeidenden in einen ängstlich-vermeidenden und einen abweisend-vermeidenden Bindungsstil. Die vier Bindungsstile sind als Prototypen definiert, denen sich jede Person annähern kann, so dass ein individuelles Profil aller vier Stile entsteht. Das innere Arbeitsmodell eines Erwachsenen spiegelt sich in den sogenannten bindungsrelevanten Themen wieder, an die er sich erinnert und über die er spricht. Empirisch findet man keine einfachen Muster von Verhalten, sondern eine Analogie des kindlichen Verhaltensmusters auf sprachlicher Ebene. Eine zentrale Annahme der Bindungstheorie besagt, daß die Bindungsrepräsentanzen zu mentalen Vorstellungen über sich selbst und anderen Personen führen. Die Stabilität dieser Vorstellungen wirkt sich im Erwachsenenalter in Partnerschaften aus, die sich in mehrfacher Hinsicht mit den Beziehungen zwischen Kind und Bezugsperson vergleichen lassen (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999). Mittler-weile existieren eine Vielzahl von theoretischen Modellen und Operationalisierungen der Bindungsstile von Jugendlichen und Erwachsenen (Übersicht siehe Schmidt & Strauss, 1996).

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In der vorliegenden Arbeit wird aus theoretischen und methodischen Gründen auf das Modell der vier Bindungsstile nach Bartholomew (1990, 1997) in der Kurzversion von Ina Grau (1999) eingegangen.

1.2.4.1 Das sichere Arbeitsmodell (Bindungsmodell)

Das sichere Bindungsmodell ist eine sicher organisierte innere Repräsentation mit einem positiven Selbst- und Fremdbild, und einer wertschätzenden Einstellung zur Bindung (Main, M., 1991; Main, M., Kaplan, N. & Cassidy, J. 1985; In: Brisch, K.-H., 1999).

Das sichere Modell im Kleinkindalter entwickelt sich, wenn das Kind Vertrauen zur Bezugsperson aufbauen kann. Dieses Vertrauen, das sogenannte Gefühl der Sicherheit, der sicheren Basis, hängt davon, inwieweit die erste Beziehungsperson feinfühlig auf die Signale und Kommunikationsweise des Kindes reagiert, indem sie sofort auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht, ohne das Kind dabei zu überfordern. Das Kleinkind ist dann in der Lage, auch wenn die Bezugsperson nicht anwesend ist, eine fremde Umgebung zu erforschen. Die negativen Gefühle, die bei der Trennung ausgelöst werden, führen zu einem Bindungsver-halten, das zu Trost, Beendigung des Leids und mit Hilfe des Arbeitsmodells in positive Gefühle umgewandelt wird.

Das sichere Modell beim Erwachsenen wird als autonom bezeichnet Es entsteht entweder aus einer zuverlässigen, sicheren frühen Bindung oder aber aus einer tiefgreifenden Verarbeitung negativer Kindheitserlebnisse. Die sicher gebundenen Menschen haben einen guten Zugang zu ihren Gefühlen, Bindung hat für sie einen hohen Stellenwert. Durch das sichere autonome Arbeitsmodell werden negative Erfahrungen in eine positive Grundhaltung integriert und als Entwicklung ihrer Persönlichkeit betrachtet (Fremmer-Bombik, E, 1999; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

1.2.4.2 Das unsicher-ambivalente (ängstliche) Arbeitsmodell

Das unsicher-ambivalente Arbeitsmodell ist eine organisierte innere Repräsentation mit einem negativen Selbst- und positivem Fremdbild und einer abwertenden Einstellung zur Bindung (Main, M., 1991; Main, M., Kaplan, N. & Cassidy, J. 1985; Brisch, K.-H.; 1999).

Das unsicher-ambivalente Modell im Kleinkindalter entwickelt sich, wenn das Kind die Bezugsperson als nicht konstant berechenbar erlebt hat. Es hat wenig Ressourcen sich weiter zu entwickeln. Schon der Gedanke an eine Fremdensituation macht das Kind unruhig und aktiviert das Bindungssystem. Eine Trennung wirkt sich als sehr belastend aus. Das ambivalente Verhalten zeigt sich in der Suche nach Nähe zur Bezugsperson und gleichzeitig in der Wut (aggressive Zurückweisung des Kontakts) auf sie (Ainsworth, M., 1985).

Das unsicher-ambivalente Arbeitsmodell eines Erwachsenen ist durch eine Verstrickung mit frühen Beziehungen verbunden. Diese Erwachsenen sind oft verwirrt, widersprüchlich und wenig objektiv, wenn sie über ihre Beziehungen sprechen. Sie sind in diesen frühen Beziehungen gefangen, dabei aber passiv, ängstlich aber auch ärgerlich gegenüber den Bindungspersonen. Es fällt ihnen schwer, unterschiedliche Gefühle zu integrieren, dessen sie sich oft gar nicht bewußt sind (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

1.2.4.3 Das unsicher-vermeidende (ängstlich-vermeidende) Arbeitsmodell

Das unsicher-vermeidende oder ängstlich-vermeidende Arbeitsmodell ist eine organisierte innere Repräsentation mit einem negativen Selbst- und negativem Fremdbild und einer verstrickten Einstellung zur Bindung. Es besteht kein Vertrauen in Bindungsbedürfnisse (Main, M., 1991; Main, M. et al., 1985; In: Brisch, K.-H.; 1999). Der unsichere Bindungsstil ähnelt auf der Ebene des Erlebens eher dem anklammernden Bindungsstil mit seinem stark aktivierten Bindungssystem, auf der Verhaltensebene aber dem abweisenden Bindungsstil mit seiner Beziehungsvermeidung.

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Die unsicher vermeidenden Kinder wirken in der Fremdensituation nicht beunruhigt, sie vermeiden die Nähe zur wiederkehrenden Bezugsperson. Ihre Erfahrungen mit der Bezugs-person sind durch kummervolle und schmerzliche Situationen der Zurückweisung (Unem-pfänglichkeit der Mutter für die Signale ihres Kindes) geprägt, die zur Entwicklung einer Vermeidungsstrategie führt.

Sie zeigen ihre innere Verunsicherung nicht mehr, und suchen auch keinen Trost oder körperliche Nähe zur Bezugsperson, da sie von ihr keine Auflösung der Verunsicherung mehr erwarten (Ainsworth, M., 1985). Diese Kinder haben keine Möglichkeit der Integration negativer Gefühle in eine positive Erwartung. Die negativen Gefühle werden aber der Bindungsperson gegenüber nicht gezeigt.

Der unsicher-vermeidende Erwachsene spricht distanziert über seine Beziehungsthemen (Furcht vor Intimität, sozial vermeidend, dadurch Schutz vor erwarteter Zurückweisung). Er kann sich kaum an seine Kindheit und Empfindungen erinnern. Die Eltern werden idealisiert, Widersprüche werden nicht erkannt. Sie halten sich für starke unabhängige Menschen, für die Nähe zu anderen und Bindungen kaum von Bedeutung sind (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999). Sie sehnen sich einerseits nach Akzeptanz durch andere und sind sich ihrer Bindungsbedürfnisse bewusst, andererseits vermeiden Ängstliche die Nähe in der Erwartung einer Zurückweisung (Bartholomew, 1997).

1.2.4.4 Das unsicher-desorganisierte (vermeidende) Arbeitsmodell

Das unsicher-desorganisierte Arbeitsmodell ist eine innere Repräsentation der Bindung mit einem positiven Selbst- und negativem Fremdbild, und ungelöstem Trauma und/oder Verlust (Main, M., 1991; Main, M., Kaplan, N. & Cassidy, J. 1985; Brisch, K.-H., 1999). Es besteht der Wunsch nach Unabhängigkeit.

Über das unsicher-desorganisierte Arbeitsmodell von unsicher-desorganisierten Kindern gibt es wenig konkrete Aussagen (Main, M., Hesse, E. 1990). Die Kinder zeigen Verhaltensweisen, wie plötzliches Erstarren aller Bewegungen oder Verhaltensstereotypien in Gegenwart der Eltern. Diese Verhaltensmuster werden mit unbewältigten Traumata der Eltern in Zusammenhang gebracht (Main, M., 1991). Denkbar wäre, daß bindungsrelevante Probleme mit der Bezugsperson, z. B. unverarbeitete Trauer, Mißbrauch oder traumatische Erfahrungen, das Bindungssystem aktiviert haben und somit das Pflegesystem, insbesondere der fein-fühligen Bindungsperson, nur eingeschränkt vorhanden ist. Diese Kinder können über längere Zeit keine klare Bindungsstrategie entwickeln und ihre Erwartungen an die Bezugsperson in einem Arbeitsmodell abbilden. Sie entwickeln eine kontrollierende Strategie, die in vielen Fällen an eine Rollenumkehr denken läßt.

Das desorganisierte Erwachsenmodell zeigt sich in verbalen und gedanklichen Verzerrungen bei ganz bestimmten Bindungssthemen, die sich z. B. auf Tod, Trennungen oder Beschreibung eines erlebten Mißbrauchs beziehen. Die Erzählungen über ihre Kindheits-erinnerungen sind immer dem desorganisierten Arbeitsmodell zuordbar, da nicht verarbeitete Traumata eng mit desorganisierter Bindung (als Kind) zusammenhängen (Ainsworth, M.; Eichberg, 1991; Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999). Durch Vermeidung enger Beziehungen wird ein Unverwundbarkeits- und Unabhängigkeitsgefühl aufrechterhalten.

1.2.5 Stabilität der inneren Arbeitsmodelle

Die wechselseitige Beziehung zwischen Bindungssystem und Explorationssystem ist nach der Bindungstheorie nicht nur dem Kind vorbehalten. Bowlby hat dieses als einen Prozeß beschrieben, der das ganze Leben erhalten bleibt. Dabei muß die Beziehung zwischen der Bindung und Exploration immer wieder ausbalanciert werden. Die Bindungsrepräsentation kann sich demnach im Laufe des Lebens durch bedeutungsvolle Bindungserfahrungen mit anderen Bezugspersonen oder durch einschneidende Erlebnisse wie Verluste oder

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traumatische Erfahrungen in eine unsichere oder sichere Richtung der Bindung verändern. Jede neue Person, zu der eine Bindung entwickelt wird, wird den bestehenden Arbeitsmodellen angepaßt.

Dabei können mehrere geeignete und ungeeignete Modelle parallel vorhanden sein. Je stärker die Beziehung mit Gefühlen verbunden ist, um so wahrscheinlicher bestimmen die frühen, weniger bewußten Arbeitsmodelle das Verhalten (Bowlby, 1979). Mit zunehmendem Alter jedoch wird die Veränderung der Bindungsrepräsentation immer schwieriger (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999; Brisch, K.-H, 1999).

1.2.6 Ursachen für die Entstehung einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung

Je nach Bindungsqualität entstehen unterschiedliche Fähigkeiten, Gefühle und Wahr-nehmungen zu regulieren. Ein sicheres Arbeitsmodell bildet die Fähigkeit zu emotionaler Integrität und Kohärenz ab, sodass die Person positive und negative Gefühle wahrnehmen, sie realitätsgerecht einschätzen, ausdrücken und entsprechend aktiv, wirklichkeitsgerecht handeln kann. Ein unsicheres Arbeitsmodell läßt keine realitätsangemessene Einschätzung zu und führt zu einer eingeschränkten Wahrnehmung und Integration verschiedener Gefühle, wirklichkeitsbezogenes Kommunizieren und Handeln werden erschwert (Grossmann, K. E., August P., Fremmer-Bombik E., Friedl. A., Grossmann K., Scheuerer-Englisch H., Spangler G., Stephan C. & Suess G., 1989; Grossmann u. Grossmann 1991; In: Strauss, B., 2002). Für Bowlby (1979) entstehen Bindungsprobleme aus der Tatsache, daß die Bindungsperson nicht adäquat für das Kind sorgen kann oder durch den Verlust der Bindungsperson. Die durch diese Traumata ausgelösten Gefühle können von den betroffenen Personen nicht angemessen zielkorrigiert, in ein Gesamtbild integriert und damit auch nicht verarbeitet werden (Brisch, K.-H.; 1999). Die Entstehung einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung wird im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren angenommen. Fehlentwicklungen -von der Entstehung des kriminellen Charakters bis hin zur Ausbildung einer für Angstzustände und depressive Erkrankungen anfälligen, Persönlichkeit - scheinen eine Folge von Trennung und Deprivation zu sein (Bowlby, J., 1979).

1.2.6.1 Formen der Deprivation

Eine sichere Bindung ist durch eine gewisse belastbare psychische Stabilität gekennzeichnet Sie ist dennoch kein Garant für ein lebenslanges Wohlbefinden, wohl aber ein lebenslanger Schutzfaktor. Demnach wird eine unsichere Bindung als Risikofaktor eingestuft und ist durch eine gewisse psychische Instabilität gekennzeichnet, weil die negativ entstandenen Arbeitsmodelle eher zu unangepaßtem Verhalten, Fehleinschätzungen und mangelhafter Integration der Gefühle (vor allem negativer Gefühle in Zusammenhang mit Belastungen) und zu kriminellen Handlungen führen können.

Die Art der Bindung, die daraus resultierende Fähigkeit, Gefühle und Erfahrungen zu regulieren und das Ausmaß der Fehlentwicklung hängen davon ab, welche Form der Deprivation das Individuum erlebt hat (Bowlby, 1979). Die maternelle Deprivation entsteht durch den Entzug der mütterlichen Zuwendung, so dass keine zuverlässige Beziehung zur Bezugsperson entwickelt werden kann. Bei der partiellen Deprivation muß das Kind durch den Verlust der Mutter auf die liebevolle Zuwendung durch sie verzichten. Das Kind hat aber eine Pflegeperson, die es mit Ansprache und Zuwendung unterstützt. Bei einer partiellen Deprivation entsteht meistens eine akute Angst, übertriebenes Liebesverlangen, ausgeprägte Rachegefühle und daraus resultierend Schuldgefühle und Depressionen. Durch die Triebregungen und Emotionen wird das Kleinkind überfordert. Die daraus entstehenden Störungen des seelischen Gleichgewichts haben eine Vielzahl von Reaktionen zufolge, z. B. Neurosenbildung, eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung und charakterliche Labilität. Bei der vollständigen Deprivation handelt es sich hauptsächlich um Kinder, die oft keinen

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Menschen mehr haben der sich in individueller Weise um sie sorgt, z. B. in Heimen und Krankenhäusern.

Die vollständige Deprivation hat schwerwiegende Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und kann u. a. dazu führen, daß jegliche Kontaktfähigkeit verkümmert. Das vermeidende Bindungsmuster entspricht einer Verhaltensstrategie, mit dem sich die Kinder an die feindlichen oder abweisenden Einstellungen ihrer Eltern durch das Bindungsverhalten anpassen. Auf diese Weise, können sie trotz Distanz im Kontakt mit den Eltern bleiben. 1.2.6.2 Die Trennung von der Mutter

Wenn das Kind in einer verläßlichen, innigen und dauerhaften Beziehung zur Mutter aufwächst, werden Angst- und Schuldgefühle, deren Auftreten im Übermaß ein Anzeichen psychischer Störungen ist, nicht über das normale Maß hinausgehen. Außerdem wird sich ein guter Kontakt zu Vater und Geschwistern entwickeln können.

Wenn das Bindungsverhalten bei einem Kind im Alter zwischen 1 ½ und 2 ¾ Jahren, in einer Trennungssituation nicht wiederhergestellt werden kann, treten emotionale Reaktionen in den Vordergrund, die sich zunächst als trennungsbedingte Ängste, Ärger und Protest, später als Verzweiflung und Traurigkeit äußern und die letztlich in einen emotionalen Rückzug der Kinder enden (Bowlby, J., 1979). Bowlby unterteilt die emotionalen Reaktionen in drei Phasen und nennt sie Trauerprozesse. In allen drei Phasen neigt das Kind zu Wutanfällen und destruktiven Verhalten:

Phase der Auflehnung: Das Kind verlangt wütend und unter Tränen seine Mutter zurück, es hofft sie zurückzubekommen.

Phase der Verzweiflung: Das Kind wird ruhiger, es ist aber nach wie vor mit der Abwesenheit der Mutter beschäftigt, wenn gleich auch die Hoffnungen schwinden. Sehr häufig wechseln sich die Phase der Verzweiflung und die Phase der Ablösung einander ab. Schließlich tritt eine größere Veränderung ein.

Phase der Loslösung: Das Kind scheint seine Mutter vergessen zu haben. Es zeigt wenig Interesse für die Mutter, wenn sie es abholt, so daß der Eindruck entsteht, daß das Kind sie nicht mehr erkennt. Ist das Kind wieder zu Hause, hängt das Verhalten der Mutter gegenüber davon ab, welche Trennungsperiode das Kind erreicht hat und ob die erste Loslösungsphase schon erreicht worden ist. Nach kurzer Trennung folgt eine kurze Teilnahmslosigkeit, dann treten Ambivalenzgefühle der Mutter gegenüber auf. Das Kind klammert sich an sie und bricht in Angst und Wut aus.

1.2.6.3 Der Trauerprozeß

Die Wut ist eine unmittelbare allgemeine Reaktion auf Verlust, einschließlich der Wut auf die verlorene Person. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Trauer, der darin besteht, die verlorene Person wiederzugewinnen, als sie auch davon abzuhalten, wieder wegzugehen. Erst nachdem jede Anstrengung unternommen worden ist, die verlorene Person wieder zu gewinnen, ist der Mensch fähig, das Fehlen der geliebten Person als Tatsache zu akzeptieren und sich von Neuem auf eine Welt einzustellen.

Die Auflehnung, einschließlich der wütenden Forderung nach Rückkehr der Person und des Vorwurfs, im Stich gelassen worden zu sein - ist auch ein Bestandteil der Reaktion eines Erwachsenen auf Verlust. Hoffnung und Verzweiflung können sich lange abwechseln, schließlich wird es zu einer emotionalen Loslösung von der verlorenen Person kommen. Nachdem es in der Phase der Verzweiflung im Verhalten zu einer Desorganisation gekommen ist, reorganisiert es sich infolge der dauerhaften Abwesenheit der Person in der letzten Phase. Unabhängig vom Alter, treten die grundlegenden Trauerprozesse in der gleichen Abfolge auf. Beim Kind jedoch verkürzt sich die Zeit des Trauerns. Aufgrund des vorzeitigen Beginns der Loslösung können die Trauerprozesse einen Verlauf nehmen, der bei älteren Kindern und Erwachsenen als pathologisch angesehen werden kann (Bowlby, J., 1979).

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1.2.6.4 Das pathologische Trauern

Das fortgeschrittene Stadium der Loslösung und der damit verbundene pathologische Trauerprozeß ist erreicht, wenn das Kind länger als 6 Monate von der Mutter getrennt worden ist. Beim pathologischen Trauern in der Kindheit wird die Entwicklung der Abwehrprozesse beschleunigt, d. h. der Drang, die verlorene Person wiederzugewinnen und ihr Vorwürfe zu machen, wird unbewußt und hat keine Chance zu erlöschen.

Dieses hat schwerwiegende Konsequenzen für die weitere psychische Entwicklung des Kindes. Es besteht die Gefahr, daß das Kind die Zuneigung der Eltern nicht mehr annehmen, und keine affektiven Bindungen mehr eingehen, kann. Bei einem Kind setzen durch den Verlust eines geliebten Menschen, die Abwehrprozesse, Verdrängung oder Ich-Spaltung und die daraus resultierende Fixierung sehr viel schneller ein, als in reiferen Jahren. Dadurch kommt es zu einer fehlerhaften Persönlichkeitsentwicklung und zur Anfälligkeit für psychische Erkrankungen und Funktionsstörungen. Viele Formen der Persönlichkeitsstörung und neurotische Erkrankungen entstehen durch pathologisches trauern. Menschen mit psycho-neurotischen, soziopathischen oder psychotischen Störungen zeigen immer eine gestörte oder fehlende Fähigkeit affektive Bindungen einzugehen und aufrecht zu erhalten. In vielen Fällen ist sie die direkte Folge einer fehlerhaften Entwicklung in der Kindheit (Bowlby, J., 1979). 1.3 Psychopathologie der Bindungsstörung

Eine Zuordnung psychischer Störungen zu den einzelnen Bindungsstilen ist immer wieder versucht worden. Rosenstein und Horowitz (1996) vermuten demzufolge einen anklammernden Bindungsstil bei internalisierenden Problemen (z. B. Depressionen) und einen abweisenden Bindungsstil bei externalisierenden Problemen.

Fraiberg (1982), Lieberman & Pawl (1988; 1990) und Zeanah, C. H., Benoit, D., Barton, M., Regan, C., Hirshberg, L. M.& Lipsitt, L. P. (1993) haben sehr früh festgestellt, daß bei klinisch kranken Kindern, mißhandelten oder mißbrauchten Kindern, oder sehr gestörten Eltern-Kind-Dyaden, Bindungsstörungen vorlagen.

Mütter, die als Kind vernachlässigt wurden und ständig Gewalt- oder Verlassensdrohungen hinnehmen mußten, neigen eher dazu, ihr Kinder zu mißhandeln (De Lozier, 1982) und damit deren Persönlichkeitsentwicklung zu hemmen (George & Main, 1979).

Die Dissoziation ist für die Bindungsforschung von großer Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit der transgenerationalen Weitergabe sicherer bzw. unsicherer Bindung. Zahlreiche Längsschnittuntersuchungen belegen, dass die Bindungssicherheit der Eltern ein zuverlässiger Faktor der Bindungssicherheit der Kinder in der Fremdensituation im Alter von 12 Monaten ist (Scheidt & Waller, 1999). Die transgenerationale Weitergabe individueller Unterschiede von Bindung gilt auch für das desorganisierte Bindungsverhalten. Nicht gelöste Traumatisierung der Eltern kann bei diesen zu dissoziativen Verhalten führen. Main und Hesse (1990) vermuten, dass es bei Eltern, die dissoziieren, in der Interaktion mit ihren Kindern in dissoziativen Zuständen zu einem plötzlich unbewußten Umschalten des Verhaltens und des Affektausdrucks kommt. Plötzlich auftretender ängstlicher oder erschreckender mimischer Ausdruck der Eltern kann beim Kind erstens Angst auslösen und zweites zu einer Unterbrechung (Desorganisation) des Bindungsverhaltens führen.

Es existieren bereits empirische Belege dafür, dass ängstliches oder erschreckendes Verhalten der Eltern einer der wichtigsten Wege für desorganisiertes Bindungsverhalten der Kinder ist (Schuengel, D. Bakermans-Kranenburg, M. J. van Ijzendoorn, M. H. Blom, M. 1999. In: Solomon, J., George, C., eds., 1999). In den von Crittenden untersuchten Risikostichproben, vom Vorschulalter bis ins Jugendalter, zeigte sich keine normale Mutter-Kind-Dyade nach Bowlby. Vielmehr verfestigten sich mit zunehmendem Alter psychopathologische Verhaltensweisen, die sich nicht nur auf die Primärbeziehungen, sondern auch alle weiteren Beziehungen und Interaktionen im Alltag der Kinder und Jugendlichen auswirken (Fremmer-Bombik, E.; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

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Lieberman und Pawl (1995) belegten in ihrer San Francisco Infant-Parent Program-Studie, daß neben elterlicher Psychopathologie, aber auch äußerliche Sozialfaktoren die Bindungsent-wicklung erheblich beeinträchtigen können.

Ein Problem der Bindungsstörung sieht Bowlby in der starken Tradierung von Fürsorgever-halten, wie sie durch die hohe Stabilität von Arbeitsmodellen über Generationen hinweg nachgewiesen werden konnte. Dieses gilt insbesondere für die negativen Arbeitsmodelle, die z. B. durch Mißhandlung entstanden sind.

Auf den Zusammenhang zwischen der Weitergabe der Bindungsqualität der Eltern- auf die Kindergeneration wurde in vielen Studien aufmerksam gemacht (Fonagy, P., Steele, M. & Steele, H., 1991; In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999. Steele, M., Steele, H., 1994; In: Brisch K.-H., 1999).

In zahlreichen Untersuchungen (mit dem Bindungsinterview für Erwachsene AAI), wird auf den Zusammenhang zwischen den Arbeitsmodellen von Erwachsenen und der Bindungs-qualität zu ihren eigenen Kindern hingewiesen. Es konnte eine generationsübergreifende Stabilität von 75 % - 82 % für Mütter und 60 % bis 68 % für Väter gefunden werden (Main, M., Kaplan, N. & Cassidy, J., 1985. In Bretherton & E. Waters. In: Brisch, K.-H., 1999; Ainsworth, M., Eichberg, C.G., 1991; Fremmer-Bombik, E., 1987; Schwarz, G., 1990; Schwarzmeier, I. 1990; Baisl, M., 1991; Fonagy, P., Steele, M., Steele, H., 1991; van Ijzendoorn, M. H.,1995; Fremmer-Bombik, E., In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999). Die Daten über generationenübergreifende Aspekte des Bindungsverhaltens sind sehr konstant. Eltern mit einer Vorgeschichte von eigener Vernachlässigung oder von Missbrauch haben statistisch gesehen sehr viel mehr Schwierigkeiten in ihrem eigenen Familien- und Arbeitsleben, aber auch mit dem Verhalten ihrer Kinder in der Schule und zu Hause (Quiton & Rutter, 1988; Kaufman & Zigler, 1989). Ein Drittel aller psychisch mißhandelten Kinder überträgt seine Erfahrungen auf die nächste Generation (Minde, K., In: Spangler, G., Zimmermann, P., 1999).

Querschnittsstudien (Kobak & Sceery, 1988; Cassidy & Kobak, l.J., 1987; Hazan & Shaver, 1987) belegen, dass bei jungen Erwachsenen noch Spezifika ihrer frühen Bindungsmuster nach-gewiesen werden konnten, dass deren Dauerhaftigkeit belegt (Bowlby J., 1995).

1.4 Bindung bei verschiedenen Störungsgruppen

Um biologische und psychologische Ansätze miteinander zu verbinden, wird die Bindungstheorie zunehmend als konstruktives Modell herangezogen. Somit kommt der Bindungstheorie eine potentielle Bedeutung für das Verständnis z. B. von psychosomatischen Erkrankungen (Fox u. Card, 1999; In: Strauss, B., 2002), Persönlichkeitsstörungen und anderen psychischen Erkrankungen zu.

Die Annahme, dass die Qualität früher Bindungserfahrungen einen Einfluss auf die Bewältigung späterer Entwicklungsaufgaben hat, ist eine grundlegende Annahme der Bindungstheorie. Eine Vielzahl von Untersuchungen bestätigt die Zusammenhänge zwischen Bindungsverhalten im frühen Kindesalter und der differenziellen Bewältigung späterer spezi-fischer Anforderungen (Schieche, 1996; In: Strauss, B., Buchheim, A., Kächele, H.; 2002). Eine Untersuchung von van Ijzendoorn und Bakermans-Kranenburg (1996) ergab, dass unsichere Bindungsrepräsentationen eindeutig in klinischen Gruppen höher repräsentiert sind als in nicht klinischen Stichproben. Sie berichten in ihrer Metaanalyse von 58 % sicher gebundenen Erwachsenen in klinisch unauffälligen Stichproben, sowie 24 % mit abweisendem und 18 % mit anklammerndem Bindungsstil. In den klinischen Stichproben sind nur 14 % sicher gebunden, aber 41 % abweisend und 45 % anklammernd. Die Verteilung der unsicheren Bindung ist in einigen Krankheitsgruppen nahezu gleich, was möglicherweise auf eine Heterogenität der Genese einzelner Krankheitsbilder zurückzuführen ist (Dozier, M., Stovall, K. C., Albus, K. E., 1999; In: Strauss, B., 2002). Störungsbilder, bei denen der Patient von seinen Gefühlen geleitet wird (Borderline-Persönlichkeitsstörung, internalisierte Form der

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Angststörung, depressive Störung), scheinen eher mit der verwickelten Bindungsrepräsentation assoziiert zu sein.

Eine vermeidende Bindungsrepräsentation hingegen ist eher mit klinischen Störungen verknüpft, zu deren klinischen Merkmal die Ablenkung von Gefühlen gehört (antisoziale Persönlichkeitsstörung, Ess-Störung, Substanzmissbrauch, externalisierte Formen der Angststörung).

Untersuchungen zu Bindungsrepräsentanzen bei psychosomatischen Erkrankungen liegen bisher kaum vor (Strauss, B., 2002).

1.4.1 Bindung bei Sexualstraftätern

In der vorliegenden Arbeit wurden die Sexualstraftäter in die Gruppe der Vergewaltigungstäter und der sexuellen Missbrauchstäter von Kindern unterteilt.

Für den forensischen Bereich ist der Umgang mit negativen Affekten und mangelhafter Impulskontrolle von großer Wichtigkeit. Um die Entstehungsbedingungen gewalttätigen Verhaltens und destruktiver Beziehungen zu verstehen, sind folgende bindungstheoretische Aspekte bedeutsam (Lyons-Ruth u. Jacobvitz, 1999; In: Strauss, B., 2002):

• das für das Bindungsverhalten regulierende Verhaltenskontrollsystem • die Bedeutung negativer Affekte (Ärger und Wut) innerhalb dieses Systems

• die Funktionsweise von intersubjektiven und intrapsychischen Mechanismen, die die Empfindung und den Ausdruck bindungsrelevanter Affekte kanalisieren, z. B. Furcht oder Ärger

• transgenerationelle Weitergabe von Bindungsmustern

Bindungstheoretisch hat die Entstehung gewalttätigen Verhaltens ihren Ursprung im Mangel an angemessenen Reaktionsweisen auf kindliche Bindungsbedürfnisse, z. B. die Verlustangst, die langfristig zu einer unsicheren Bindungsorganisation oder Desorganisation von Bindung führen kann (Bowlby, J., 1980).

Fonagys psychoanalytisch akzentuierte Bindungstheorie von gewalttätigen Verhalten beruht auf der Annahme, das die Mentalisierungsfähigkeit der gewalttätigen Person gestört ist. Auch die Relation von Bindung und Sexualität ist sehr komplex (Bischof, 1997; Bräutigam, 1991; Sydow 1998; In: Strauss, B., 2002), schwere Bindungsstörungen verhindern die Kontaktaufnahme zu Menschen und machen alle Arten von sexuellem Kontakt un-wahrscheinlich. Gleichzeitig scheinen sexuelle Impulse und Bindung auch antagonistisch zu wirken, denn zuwenig Vertrautheit und Nähe erzeugt Angst und Unsicherheitsgefühle und verhindert sexuelle Aktivität, zu viel Vertrautheit und Nähe wirkt sich ebenfalls hinderlich auf die sexuelle Aktivität aus.

Erste Ergebnisse zu Bindungsstilen bei Sexualstraftätern veröffentlichten Jamieson (1997) und Ward & Hudson (1996). In beiden Untersuchungen waren die Sexualstraftäter unsicher gebunden. In der Studie von Ward & Hudson (1996) wurden die Bindungsstile von vier Straftätergruppen untersucht: gewalttätige (90 % unsicher gebunden) und nicht gewalttätige (60 % unsicher gebunden) Straftäter ohne Sexualdelikt, Vergewaltiger und Kindesmiss-braucher. Während die Vergewaltiger überwiegend unsicher-vermeidend gebunden waren, fanden sich bei Kindesmisshandlern vor allem unsicher-ambivalente bzw. verstrickte Bindungsstile (Strauss, B., 2002).

1.4.2 Bindung bei Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen

Die sexuellen Funktionsstörungen werden in zahlreichen Untersuchungen als Störungsbild der zwischenmenschlichen Beziehungen, beschrieben (Arentewics, G., Schmidt, G., 1993; Hertoft, P., 1989; Zimmer, D., 1985; Sigusch V., et al. 1996; Strauß, B., Lobo-Drost, A., Pilkonis, P. A., 1999), die mit Persönlichkeitszügen z. B. Selbstunsicherheit, Versagens-ängsten, Schwierigkeiten und Leiden verbunden sind.

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Verschiedene Psychoanalytiker haben verstärkt auf die Bedeutung der frühen, präödipalen Mutter-Kind-Beziehung für sexuelle Störungen hingewiesen (Benedek, Bychoswski, zit. nach Moore 1961; Fleck 1969; Becker 1980; In: Arentewicz, G., Schmidt, G., 1993).

Eine inadäquate Auflösung der frühen symbiotischen Mutterbeziehung, z. B. durch einen frühen Mutterverlust oder durch ein besitzergreifendes, klammerndes Verhalten der Mutter und der gleichzeitige Wunsch die frühe symbiotische Beziehung wieder herzustellen, kann zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Die regressiven Verschmelzungswünsche, die auf den Partner übertragen werden, führen zu Ängsten der Ich-Auflösung, die mit dem Gefühl totaler Hilflosigkeit und Abhängigkeit verbunden ist. Die sexuelle Hemmung vermeidet dabei die gefährliche Ich-Regression, die für das Erleben des Orgasmus Voraussetzung ist (Arentewicz, G., Schmidt G., 1993).

In empirischen Untersuchungen fanden O’Connor und Stern (1972) bei Frauen und Männern mit sexuellen Störungen häufig eine ausgeprägte Angst von Partnerverlust. Die Patienten stammten aus Familien, in denen der Vater oder die Mutter tatsächlich oder psychologisch abwesend waren oder aber dem Kind gegenüber feindselig und ablehnend gegenüberstanden, oder aber sie waren in ihrer Kindheit häufig zwangsweise durch Krankenhausaufenthalte von ihrer Familie getrennt gewesen (Sarrel & Sarrel, 1978). Auch eine sehr enge Bindung an die Eltern, insbesondere an den gegengeschlechtlichen Elternteil, ist als Ursache sexueller Störungen immer wieder betont worden (Freud 1905; Bergler 1937, 1944; Moore 1961; Fenichel 1974; Becker 1980. In: Sigusch, V., 1996).

Untersuchungen zum Bindungsstil von sexuellen Funktionsstörungen gibt es derzeit noch nicht.

1.4.3 Bindung bei Patienten mit Kinderwunsch

Auch bei den Paaren mit Kinderwunsch (funktionell steril) werden u. a. Störungen im zwischenmenschlichen Bereich angenommen. Goldschmidt und de Boor (1976) fanden zwei Gruppen von Paaren mit funktioneller Sterilität. Die eine Gruppe hat ihre Kindheit in glücklicher Erinnerung, während die andere Gruppe ihre Kindheit in negativer Erinnerung behielt. In ihrer Kindheit litten sie unter psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensschwierigkeiten (Schirren, C., Bettendorf, G., Leidenberger, F., Frick-Bruder, V., 1989). In einer Studie von Schulz-Ruthenberg (1980; In: von Üxküll T., 1998) zeigten Paare mit Kinderwunsch gegenüber einem Vergleichs-kollektiv deutlich mehr psychosomatische Symptome, größere Schwierigkeiten im Berufsleben und in der Partnerbeziehung.

Groß angelegte Untersuchungsserien bei sterilen Paaren zeigte, dass etwa jede vierte Frau, die wegen Kinderwunsch zur Behandlung kam, aus psychischen Gründen steril war (Stauber, 1979, 1993). Beim Mann kamen große Schwankungen in den Spermiogramm-Parametern vor. Psychosozialer Streß im beruflichen und familiären Bereich, korrelierten hierbei mit subfertilen Werten in der andrologischen Untersuchung. Die Interaktion zwischen den Paaren zeigte sich häufig in einem anklammernd-symbiotischen Beziehungsmuster (In: v. Uexküll T., 1998).

Aus diesem Grunde ist zumindest bei einem Teil dieses Kollektivs auch mit gestörten Bindungsmustern zu rechnen. Untersuchungen, mit standardisierten Instrumenten zum Bindungsstil gibt es allerdings, nicht.

1.4.4 Bindung bei Patienten mit koronaren Herzerkrankungen

In Studien wurden die psychobiologischen Prozesse (Anstieg in der tonischen Herzfrequenz als Ausdruck der Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems in der Fremden Situation) im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Bindungsqualitäten untersucht. Bei allen Kindern zeigten sich tonische Herzfrequenzveränderungen durch die Trennung von der Mutter und es scheint, dass es zu einer Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems bei allen Kindern

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