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DISKUSSION (PATIENTEN MIT SEXUELLEN FUNKTIONSSTÖRUNGEN) In dieser Arbeit wurde erstmals eine hinreichend große Stichprobe Patienten mit sexuellen

C. EMPIRISCHER TEIL

10. SOZIODEMOGRAPHISCHE DATEN

11.5 ERGEBNISSE DER PATIENTEN MIT SEXUELLEN FUNKTIONS- FUNKTIONS-STÖRUNGEN

11.5.5 DISKUSSION (PATIENTEN MIT SEXUELLEN FUNKTIONSSTÖRUNGEN) In dieser Arbeit wurde erstmals eine hinreichend große Stichprobe Patienten mit sexuellen

Funktionsstörungen auf ihren Bindungsstil mit dem Allgemeinen Bindungsfragebogen von Grau (1999) untersucht. Die Hypothesen konnten zum größten Teil bestätigt werden.

Auch bei den Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen überwiegt der unsichere Allgemeine-Bindungsstil. Nur 16 % sind sicher gebunden. Ängstlicher und ängstlich-vermeidender Allgemeiner-Bindungsstil halten sich die Waage.

Die in dieser Studie untersuchten Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen haben zu annähernd gleichen Anteilen einen ängstlich-vermeidenden (31.5 %) - und einen vermeidenden (39.7 %) Allgemeinen-Bindungsstil. Der Anteil der sicher (16.4 %) - und ängstlich (12.3 %) Gebundenen ist sehr gering. Das sehr niedrige Niveau der Bindungs-sicherheit und das Überwiegen unsicherer Bindungen entspricht auch dem Bild klinischer Studien von van Ijzendoorn & Bakerman-Kranenburg (1996; In: Strauss, B., 2002).

Die Ergebnisse dieser Untersuchung weisen zunächst daraufhin, dass sowohl eine ängstliche Beziehungsvermeidung, als auch eine allgemeine Vermeidung von Beziehungen ohne ängstliche Komponente bei Funktionsgestörten vorliegt. Das bedeutet, dass diese Probanden eine gestörte Grunderfahrung mit Beziehungen erfahren haben, die ein Faktor für die Entstehung von sexuellen Funktionsstörungen sein dürfte

Nach dem ängstlich-vermeidenden Arbeitsmodell liegt bei diesen Patienten ein negatives bindungsspezifisches Selbst- und Fremdbild vor. Auf Grund des nicht vorhandenen Vertrauens in Bindungsbedürfnisse kommt es zu verstrickten Bindungseinstellungen (Main, M., 1991; Main, M., George, C., 1985; Brisch, K.-H.; 1999), die sich in der Angst vor dem Ungeliebtsein, Verlassenwerden und der Einsamkeit widerspiegelt, sodass, Angst vor Distanz besteht, und Distanz geschaffen wird, wenn Nähe als bedrohlich oder belastend erlebt wird.

Das zutiefst verunsicherte Selbstwertgefühl führt dazu, dass sich diese Patienten in ihrer Männlichkeit ausgesprochen stark gedemütigt fühlen (Arentewicz, G.; Schmidt, g., 1993).

Bei Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen und einem vermeidenden Arbeitsmodell handelt es sich um eine innere Repräsentation der Bindung mit einem positiven Selbst- und negativem Fremdbild, das durch ungelöste Traumata und/oder Verluste entstanden ist (Main, M., 1991; Main, M., George, C., 1985; Brisch, K.-H., 1999). Die Vermeidung enger Beziehungen soll ein Unverwundbarkeits- und Unabhängigkeitsgefühl aufrechterhalten, das auf tief verwurzelte Konflikte zurückzuführen ist und in der sexuellen Funktionsstörung zum Ausdruck kommt (Kaplan, H.-S., 1983). Die primäre sexuelle Funktionsstörung ist ohne auslösende Situationen vorhanden und wird auf eine neurotische Entwicklung zurückgeführt Bei der sekundären sexuellen Funktionsstörung finden sich allerdings neben einer inneren Disposition, oft lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, in deren Kontext sie sich erstmals manifestiert. Das kann z. B. eine Trennung oder Verlassenwerden einer langjährigen Partnerin, berufliche Krisen oder der Übergang in den Ruhestand sein (Becker, S., 1988;

Gschwind, H., 1988; In: v. Uexküll, T., 1998).

Die Gleichzeitigkeit des vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstils mit der höheren sozialen Erwünschtheit ist nicht leicht interpretierbar. Sie könnte ein Hinweis für eine oberflächliche

„Scheinanpassung“ beim Bestehen eines negativen Bildes vom Anderen sein. Es ist gut vorstellbar, dass eine solche Einstellung dem Aufbau sexueller Intimität im Wege steht.

Die sexuelle Funktionsstörung dürfte eine mögliche Weiterentwicklung der Bindungsstile in Richtung sicher über die Lebenszeit weiter behindern.

Regressive Verschmelzungswünsche, die später auf den Partner/in übertragen werden, werden als bedrohlich erlebt und sind mit starken Ängsten vor Selbstaufgabe, Hilflosigkeit und Abhängigkeit verbunden. Die sexuelle Hemmung vermeidet die Ich-Regression, die für das

Erleben des Orgasmus eine Voraussetzung ist (Arentewicz, G., Schmidt, G., 1993). In diesem Zusammenhang wird auch eine sehr enge Bindung an die Eltern als Ursache für sexuelle Störungen diskutiert, insbesondere an den gegengeschlechtlichen Elternteil (Freud 1905;

Bergler 1937, 1944; Moore 1961; Fenichel 1974; Becker 1980; In: Arentewicz, G., Schmidt, G., 1993), so dass sich durch das Fehlen des nötigen Selbstvertrauens, eine intime Beziehung aufzubauen als schwierig gestaltet

Insgesamt zeigten die Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen ein durchschnittliches Angstpotential, das sich sowohl auf die Zustands-, als auch auf die Eigenschaftsangst bezieht, das weist zunächst nur daraufhin, dass sich das Angstpotential dieser Patientengruppe und somit die Beurteilung von bedrohlichen Situationen im mittleren Bereich bewegt. Auch Zimmer (1985) hat in einer Untersuchung darauf hingewiesen, dass komplementäre Ängste vor Nähe bzw. Distanz zwar weit verbreitet, aber dennoch nicht typisch für Klienten mit sekundären Sexualproblemen sind. Empirische Studien, bei welchen Symptomen inter-personelle Ängste besonders intensiv sind, liegen zur Zeit nicht vor. Die naheliegende Annahme, dass der sexuellen Hemmung immer Angst zugrunde liegt muss vermutlich noch überprüft bzw. differenzierter formuliert werden.

Versucht man in einem zweiten Schritt den Zusammenhang zwischen Allgemeinen-Bindungsstilen und der Angst zu klären, zeigt sich erwartungsgemäß, dass die Patienten mit einem sicheren Allgemeinen-Bindungsstil (immerhin nur 16.4 %) eine niedrigere Zustands-und Eigenschaftsangst aufweisen. Der sichere Allgemeine-Bindungsstil ist meistens Ausdruck von weitgehender psychischer Gesundheit. Bei dieser Patientengruppe dürfte eine umschriebene Funktionsstörung vorliegen, die auch eine organische Ursache haben könnte.

Bei den ängstlich gebundenen Probanden (12.3 %) bewegt sich die Zustands- und Eigenschaftsangst im mittleren Bereich und liegt somit höher als in der vorigen Gruppe.

Die Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen und einem ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil (31.5 %) haben erwartungsgemäß eine höhere Eigenschafts- und eine mittlere Zustandsangst. Bei dieser Gruppe dürfte für die Aufrechterhaltung sexueller Störungen Erwartungs- und Versagensängste von erheblicher Bedeutung sein (Becker, S.;

Gschwind, H.; In: v. Uexküll, T., 1998). Diese Ängste bilden sich im untersuchten Klientel immerhin bei den 31.5 % mit ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil auch als Bindungsangst ab. Demgegenüber zeigen die Patienten mit einem vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil (39.7 %) wieder niedrigere Angstwerte. Hier dürfte die Vermeidung von Bindung auch einer Vermeidung der Angst entsprechen. Die Angst wird solange nicht wahrgenommen solange Bindung nicht intendiert wird.

In diesem Zusammenhang muß auf einige methodische Einschränkungen hingewiesen werden. Zum einen liegen keine signifikanten Mittelwertsunterschiede zwischen der Zustandsangst in den Allgemeinen-Bindungsstilen vor. Eine mögliche Erklärung könnte auch hier an der weitgehend stressfreien Untersuchungssituation liegen. Signifikante Mittelwertsunterschiede hingegen sind nur bei der Eigenschaftsangst in den Allgemeinen-Bindungsstilen zu finden. Allerdings erreicht der sichere Allgemeine-Bindungsstil die höchsten Werte, in der sozialen Erwünschtheit, gefolgt vom vermeidenden und ängstlichen Allgemeinen-Bindungsstil, so dass daher nicht auszuschließen ist, dass bei diesen Personen möglicherweise ein höheres Angstpotential vorliegt, als sie zugegeben haben. Zum anderen handelt es sich beim sicheren (12 Pers.) - und ängstlichen (9 Pers.) Allgemeinen-Bindungsstil um eine sehr kleine Gruppe von Probanden, insofern kann dieses Ergebnis nur als eine Tendenz gewertet werden.

Erklärungsbedürftig bleibt somit die höhere Eigenschaftsangst bei den Patienten mit einem ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil.

Eigenschaftsangst wird von Spielberger (1972) als eine erworbene Verhaltenstendenz eines Menschen definiert, die durch eine chronische Erregungsbereitschaft auf Umwelt- und Gefahrensituationen hin ängstlich zu reagieren, gekennzeichnet ist (s. S. 18). Das würde bedeuten, dass die ängstlich-vermeidenden Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen im Vergleich zu den Probanden mit einem sicheren oder vermeidenden Bindungsstil relativ viele Situationen als bedrohlich bewerten.

Es ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Klientel um ängstliche Personen handelt, bei denen das ständig hohe Angstniveau auch auf zahlreiche ungelöste innere Konflikte zurückgeführt werden kann (McReynolds, 1968; In: Flemming, 1977).

Relativ einleuchtend erscheint das niedrigere Angstpotential der vermeidenden Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen. Es ist anzunehmen, das die Angst auf Grund von Abwehr- und Anpassungstendenzen nicht ständig präsent ist und nur in Situationen auftritt, wo das Bindungssystem aktiviert wird. Nach Kaplan (1983) können zwei unbewußte Grundkonflikte zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Zum einen eine unbewußte Verletzungsangst in Verbindung mit dem Sexualverhalten und eine unbewußte Feindseligkeit gegenüber dem anderen Geschlecht.

Bei dem Versuch einen Zusammenhang zwischen Allgemeinen-Bindungsstil und Aggression zu klären, zeigt sich zunächst auch erwartungsgemäß, dass Patienten mit sexuellen Funktions-störungen und einem sicheren Allgemeinen-Bindungsstil eine mittlere Aggressionsbereit-schaft aufweisen.

Bei den Patienten mit ängstlichen Allgemeinen-Bindungsstil liegen Werte für eine insgesamt mittlere Aggressionsbereitschaft vor, jedoch erhöhte Werte in den Skalen indirekte Aggression und aggressive Reizbarkeit. Nach der theoretischen Verhaltensanalyse von Buss

& Durkee (1957) bedeutet das, dass diese Patienten leicht aggressiv reizbar sind, d. h. dass sie schon auf kleine Provokationen hin stark reagieren. Durch die indirekte Aggression können sie andere schädigen, ohne dass es zu einer direkten Konfrontation mit dem Opfer kommt (Crick, N.R., Grotpeter, J.K., 1995; Björkqvist, Lagerspetz & Kaukiainen, 1992; In:

Petermann F., Petermann U., 2000).

Bei den Patienten mit ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil (31.5 %) ist erwartungsgemäß eine höhere gehemmte und Gesamtaggression vorhanden. Wobei eine Reihe von Werten bei den Unterskalen der Aggression auch erhöht sind (indirekte Aggression, Oppositionsverhalten, aggressive Reizbarkeit, aggressives Misstrauen, aggressive Eifersucht und Hass, Schuldgefühle nach Aggression). Aus verhaltensanalytischer Sicht (Buss/Durkee, 1957) zeigen diese Probanden eine mangelhafte Kooperation, die sich gegen Autoritäten richtet (Oppositionsverhalten). Bei der indirekten Aggression kann es zu einer Schädigung ohne direkte Konfrontation mit dem Opfer kommen (Björkqvist, Lagerspetz &

Kaukiainen, 1992. In: Petermann F., Petermann U., 2000). Während die aggressive Reizbarkeit eine Bereitschaft signalisiert, schon auf kleine Provokationen hin stark zu reagieren, wird das aggressive Mißtrauen, als Projektion von Feindseligkeit und Mißtrauen auf andere gewertet. Möglicherweise zeigt sich hier eine Analogie zu den Ergebnissen von Bowlby (2001), Feinstein, Paul & Pettison (1964), die Wutanfälle bei Patienten beobachteten, die durch jahrelange, durch Verlassensdrohungen aufgestauten Wut auf die Mutter herrührten, die sie aus Angst, die Mutter für immer zu verlieren, schon früh unterdrückt und auf harmlosere Ziele, Objekte bzw. andere, weniger rachsüchtige Personen umgelenkt hatten.

Die aggressive Eifersucht und Hass, läßt auf Ärger über die Welt, wegen wirklicher und eingebildeter Benachteiligungen schließen und die Schuldgefühle nach Aggression weisen auf

"Gewissensbisse" verschiedenster Art hin. Bei einigen Menschen können aggressive Impulse sehr starke Ängste und Schuldgefühle auslösen (Hertoft, P., 1989). Auch Fenichel (1945) hielt die sexuelle Funktionsstörung für einen Ausdruck von Abwehr des Verdrängten, weil die Sexualität unbewußt mit gefährlichen Vorstellungen über den Partner verbunden ist.

Demzufolge verzichtet das Ich auf die sexuelle Funktion, so dass es sich um einen somatisierten Audruck der Abwehr handelt (Becker, S.; Gschwind, H.; In: v. Uexküll, T., 1998).

Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen und einen vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil zeigen dahingegen eine höhere indirekte Aggression. Auch bei diesem Klientel kommt es zu einer Schädigung ohne direkte Konfrontation mit dem Opfer.

Fazit: Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen und einem

• sicheren Allgemeinen-Bindungsstil haben eine niedrigere Zustands- und Eigenschaftsangst, eine höhere „soziale Erwünschtheit gesamt“ und eine mittlere Aggressionsbereitschaft.

• ängstlichen Allgemeinen-Bindungsstil haben eine, mittlere Zustands- und Eigenschafts-angst, hohe soziale Erwünschtheit, insgesamt mittlere Aggressionsbereitschaft, höhere Werte in der Skala indirekte Aggression und aggressive Reizbarkeit.

• ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil haben eine höhere Eigenschaftsangst und eine mittlere Zustandsangst, mittlere soziale Erwünschtheit, insgesamt eine höhere gehemmte und Gesamtaggression, erhöhte Werte in den Skalen indirekte Aggression, Oppositionsverhalten, aggressive Reizbarkeit, aggressives Misstrauen, aggressive Eifersucht und Hass, Schuldgefühle nach Aggression.

• vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil haben eine niedrigere Eigenschaftsangst, mittlere Zustandsangst, hohe soziale Erwünschtheit, mittlere Aggressionsbereitschaft und eine höhere indirekte Aggression.

• Insgesamt liegt bei den Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen überwiegend ein ängstlich-vermeidender- und vermeidender Allgemeiner-Bindungsstil vor, ein mittleres Angst- und Aggressionspotential, bei der Aggression steht die indirekte Aggression und aggressive Reizbarkeit im Vordergrund.

Somit wird in dieser Patientengruppe der Allgemeine Zusammenhang zwischen sicherem Allgemeinen-Bindungsstil relativ geringen Angstwerten, sowie geringen Aggressionswerten auf der einen Seite, und auf der anderen Seite dem ängstlich-vermeidenden und ängstlichen Allgemeinen-Bindungsstil mit hohen Angstwerten und gehemmter Aggression deutlich. Die höchsten Aggressionswerte finden sich bei dieser Gruppe, allerdings bei dem ängstlich-vermeidenden Allgemeinen-Bindungsstil und nicht wie erwartet bei dem ängstlich-vermeidenden Allgemeinem-Bindungsstil. Sie zeigen ihre Aggression in Form von oppositionellen Verhalten, oft in Form mangelhafter Kooperation gegen Autoritäten gerichtet, sind aggressiv reizbar, d. h. es besteht eine Bereitschaft, schon auf kleine Provokationen hin stark zu reagieren. Sie neigen zu aggressiven Misstrauen als Projektion von Feindseligkeit auf andere, zeigen Ärger über die Welt wegen wirklicher und eingebildeter Benachteiligungen und Gewissensbisse (Schuldgefühle) verschiedenster Art. Insgesamt ist die gehemmte -, offene und Gesamtaggression erhöht. Die höchsten Aggressionswerte liegen aber bei der indirekten Aggression und den ängstlich-vermeidenden Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen vor.

Möglicherweise wird beim vermeidenden Bindungsstil aufgrund der Vermeidung von Bindung weder Angst noch Aggression spürbar.