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Die autobiographischen Quellen der Chambers-Brüder

3.1 William (1800–1883) und Robert Chambers (1802–1872) als Leserals Leser

3.1.1 Die autobiographischen Quellen der Chambers-Brüder

Grundlage der Fallstudie sind verschiedene autobiographische Schriften. Als primäre und wichtigste Quellen sind die von William Chambers verfasste und publizierte Memoir of Robert Chambers (1872) und zwei von Robert Chambers verfasste, unveröffentlichte Dokumente aus dem Chambers Archiv der National

1 Sondra Miley Cooney, „Publishers for the People: W. & R. Chambers. The Early Years, 1832–1850“ (Dissertation, Ohio State University, 1970), 264, online abrufbar <http://

rave.ohiolink.edu/etdc/view?acc_num=osu1486661662987297>; siehe Grant, Cassell’s Old and New Edinburgh, I, 224.

Library of Scotland anzusehen. Ergänzt werden diese Quellen durch Williams autobiographische Story of a Long and Busy Life (1882), die anlässlich des 50.

Jubiläums von Chambers’s Edinburgh Journal veröffentlicht wurde.

3.1.1.1 Die Memoir of Robert Chambers with Autobiographic Reminiscences of William Chambers (1872)

Die Memoir of Robert Chambers (1872)2 ist eine Mischform der Lebensbeschrei-bung, eine ‚Doppelbiographie,‘3 die die Autobiographie von William Chambers mit der Biographie des jüngeren Bruders Robert verknüpft. Sie war eine Her-zensangelegenheit von William, der nach eigener Aussage bereits kursierende und teils falsche Darstellungen des im Vorjahr verstorbenen Bruders korrigie-ren, aber auch der Erinnerung an den Bruder, den Autor und Geschäftspartner gerecht werden wollte.4

Bereits in der Vorbemerkung wird deutlich, dass die Memoir dazu diente, ein von William autorisiertes Bild des Bruders, „a correct history of his life“,5 in der Öffentlichkeit zu entwerfen. Im Rückbezug auf bereits erschienene Kurz-biographien6 stellte sich William als einzig kompetenter und würdiger Biograph dar. Inwieweit er mit diesen Nachrufen nicht einverstanden war, lässt sich nicht nachvollziehen. Als Begründung für die Doppelbiographie gibt er an, dass das Unterfangen, die Biographie des eigenen Bruders zu schreiben, durch den Umstand erschwert wurde, dass sein eigenes Leben und Wirken untrennbar mit dem von Robert verknüpft war und daher auch die eigenen Erlebnisse in die Schrift einfließen mussten.7

William nutzt seine persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen, um das Leben des Bruders zu beschreiben, es in einen größeren Kontext einzuordnen

2 Siehe William Chambers, Memoir of Robert Chambers with Autobiographic Reminis-cences of William Chambers, Edinburgh, 1872.

3 Siehe „Rev. Memoir of Robert Chambers“, The Athenæum, 10. Februar 1872, 169–170, 169; „Memoir of Robert Chambers“, Manchester Examiner and Times, 5.

4 Siehe William Chambers, „Prefatory Note“ in Memoir of Robert Chambers, [v] . 5 Chambers, „Prefatory Note“, [v] .

6 Vgl. „The Late Robert Chambers“, Manchester Weekly Times, 25. März 1871, 5; „Editors’

Note [Death of Robert Chambers]“ und „Obituary [Robert Chambers]“ in The Publish-ers’ Circular, 1. April 1871, 197–198, 204; „Obituary: Robert Chambers“, The Argus [Melbourne], 15. Mai 1871, 6; vgl. auch H. A. Page, „Robert Chambers: The Editor“, Noble Workers: A Book of Examples for Young Men (London, 1875), 96–126.

7 Vgl. Diary of Robert Chambers, 28. Juni 1833, Chambers Deposit 341.29, 20, im Fol-genden als Diary zitiert.

und mit dem eigenen Schaffen zu verweben. So kommt er ebenfalls zu dem Schluss: „[T] he Memoir [is] that of two individuals“.8 Während die ersten Aus-gaben diesem Umstand durch den erweiterten Titel „with Autobiographic Remi-niscences of William Chambers“ Rechnung trugen, erschienen die Ausgaben nach dem Tod Williams am 20. Mai 1883 unter dem Titel Memoir of William and Robert Chambers und rückten William als älteren der Brüder und als Ver-fasser der Memoir namentlich an die erste Stelle im Titel. Williams Selbstdar-stellung und seinem nicht unerheblichen Anteil an der Memoir wurden hier Rechnung getragen. Die erste dieser posthumen Ausgaben ist die 12. Auflage, die im Juli 1883 erschien. Diese Ausgabe umfasst nicht nur die von William ver-fasste Memoir, sondern ein zusätzliches Kapitel eines anonymen Autors, das die Jahre von 1865 bis 1883 erfasst. Als Verfasser erscheint weiterhin William auf der Titelseite.9 Die Memoir bekam einen zusätzlichen Stellenwert und es wurde mehr als bisher die Verpflichtung gegenüber dem Verlagshaus deutlich gemacht.

Drei weitere Formen der Memoir sind erwähnenswert. Bereits Ende Februar 1872 erschien in der Manchester Examiner and Times eine auf 40 Seiten gekürzte Darstellung der Memoir basierend auf der Erstauflage. Diese Auswahl fasste die Geschichte der Brüder durch Erklärungen und Überleitungen knapp zusam-men und stellte ihre Bedeutung im neunzehnten Jahrhundert heraus.10 Es darf angezweifelt werden, dass sie ihren Platz inmitten der wertvollsten Beiträge der Autobiographik des neunzehnten Jahrhunderts gefunden hat, wie es der Autor des Manchester Examiner and Times vorhersagte,11 doch ist festzuhalten, dass bis 1884 dreizehn Auflagen folgten und 1967 erneut eine gekürzte und limi-tierte Ausgabe unter dem Titel Memories of the Chambers Brothers12 erschien, die im Times Literary Supplement als „the authentic stuff of Scottish self-help“

besprochen wurde.13 Diese Memories behandeln die berufliche Entwicklung der Brüder zwischen 1813 und 1822. In seiner Einleitung beschreibt Derek Maggs

8 Chambers, „Prefatory Note“, [v] .

9 Siehe William Chambers, Memoir of William and Robert Chambers … with Supple-mentary Chapter, 12. Aufl. (Edinburgh, 1883), 347–394.

10 Siehe „Memoir of Robert Chambers“, Manchester Examiner and Times. Weitere Ausschnitte der Memoir erschienen in Supplement to the Manchester Weekly Times, 2. März 1872, 68, und 9. März 1872, 76.

11 Siehe „Memoir of Robert Chambers“, Manchester Examiner and Times, 39.

12 Siehe Derek Maggs, Hg., Memories of the Chambers Brothers: An Account by William Chambers of the Early Struggles of himself and his Brother Robert, London, 1967.

13 „Rev. Memories of the Chambers Brothers, ed. Derek Maggs, London, 1967“, The Times Literary Supplement, 7. September 1967, 805.

die Geschichte der Chambers-Brüder als „a story of the single-minded pursuit of self-improvement, of courage and resourcefulness, of physical hardship and self-denial uncomplainingly endured“,14 und unterstreicht den weiterhin gülti-gen Beispielcharakter der Lebensbeschreibung der Brüder. Schließlich wurde die Memoir als Nachdruck der Erstauflage im Jahr 1996 in die Reihe The British Book Trade in the 18th and 19th Centuries eingeordnet.15 Es ist der Beitrag der Chambers-Brüder zum britischen Verlagswesen des neunzehnten Jahrhunderts und ihr Einfluss auf die sogenannte cheap literature movement, die die Memoir zu einem herausragenden Werk macht und die zahlreichen Wiederauflagen rechtfertigten.

3.1.1.2 Robert Chambers, Diary (1833) und autobiographisches Fragment (ca. 1860)

Für seine Ausführungen nutzte William ein autobiographisches Fragment, von dem er angibt, dass Robert kurz vor seinem Tod 1871 begonnen hatte, Erin-nerungen aufzuschreiben,16 die möglicherweise als Autobiographie veröffent-licht werden sollten. Des Weiteren zitierte er aus Briefen, die Robert an seine spätere Ehefrau Anne Kirkland17 und an Hugh Miller geschrieben hatte sowie aus Roberts Vorbemerkung zu seiner Essaysammlung Select Writings (1847).

Roberts Erinnerungen reichen etwa bis zu seinem zehnten Lebensjahr und sind als Kopie im Verlagsarchiv erhalten. In diesem 99 handschriftliche Seiten umfassenden Fragment befasste sich Robert hauptsächlich mit Geschichten der Kleinstadt Peebles; es finden sich jedoch auch Passagen zu seinen Schulbesu-chen und seinem Lesen. Das Fragment ist keine fertige Druckversion, sondern wahrscheinlich eine überarbeitete Rohfassung. Der Text zeigt Schreibpausen, zahlreiche Verbesserungen und Einschübe, die darauf hindeuten, dass der Text überarbeitet wurde. Das Fragment lässt sich mit Belegen aus dem Text auf ein Erstellungsdatum um 1860 datieren.18

Bei der weiteren autobiographischen Quelle Roberts handelt es sich um eine 46 Schreibmaschinenseiten umfassende Abschrift eines auf den 28. Juni 1833

14 Derek Maggs, „Introduction“ in Memories of the Chambers Brothers, 5–6, 5.

15 Siehe William Chambers, Memoir of Robert Chambers, Bristol, 1996.

16 Siehe Chambers, Memoir of Robert Chambers, 10.

17 Robert und Anne Kirkland heirateten am 7. Dezember 1829 (siehe Chambers, Memoir of Robert Chambers, 189 und Anm. *).

18 Siehe Autobiographisches Fragment von Robert Chambers, ca. 1860, Chambers Deposit 341.74, 90; im Folgenden als Fragment zitiert. Siehe auch Kap. 3.1.2.5.

datierten Manuskripts, das „Diary of RC, 1833“.19 Dieses Transkript stimmt in weiten Teilen inhaltlich mit dem späteren Fragment überein; in einigen Aspek-ten bietet es wertvolle Zusatzinformationen. William hat möglicherweise von der Existenz dieser früheren autobiographischen Schrift keine Kenntnis gehabt, da sich seine Verweise in der Memoir ausschließlich auf das autobiographische Fragment beziehen.20

Das Tagebuch beginnt mit einer Beschreibung der Herkunft und Charak-terstudien der Eltern und zeichnet im Weiteren Roberts Werdegang bis in die 1830er Jahre nach. Auf Williams parallelen Werdegang geht Robert nur am Rande ein. Diese Quelle ist gerade deshalb für die Fallstudie von Interesse, da sie Informationen zum Schulbesuch, zum Lesen und zur Verfügbarkeit von Büchern liefert, die in den anderen Quellen nicht in diesem Umfang diskutiert werden. Zum anderen präsentiert sie eine abgeschlossene, wenn auch unver-öffentlichte Beschreibung Roberts, die einen wichtigen Gegenpol zu Williams Memoir darstellt.

William versuchte, der Memoir durch das Zitieren aus Roberts Fragment Glaubwürdigkeit zu verleihen. Er übernahm teils lange Textpassagen wie etwa allgemeine Bemerkungen zur Heimatstadt Peebles und der Herkunft der Eltern21 oder anekdotische Beiträge zur Abendunterhaltung der „worthy burghers“22 und natürlich konkrete Darstellungen der persönlichen Erfahrungen Roberts bezüg-lich seiner Schul- und Leseerfahrungen.23 William war bemüht, diese Einschübe einzuordnen und ergänzte beziehungsweise kommentierte sie, wenn er etwa Robert in seinen Ausführungen zu frühen Leseerfahrungen zustimmt: „I can unite in these commendations“.24 Roberts Anteile sind eher literarisch, teils mit

19 Siehe Diary, Chambers Deposit 341.29. Das Dokument ist nach S. 11 falsch gezählt: S. 12 fehlt in der Seitenzählung und wird falsch als S. 13 angegeben. Aus Gründen der Nach-vollziehbarkeit wird die falsche Seitenzählung beibehalten. Die Abschrift befindet sich zusammen mit einem Tagebuch und Briefen an Robert Chambers (341.62a und 107a), Briefen von französischen Kriegsgefangenen (341.119) sowie Roberts Kassenbüchern der Jahre 1819–22 (341.412) auf einem Mikrofilm (Mf.MSS.416). Das Original ist, wie auch Roberts autobiographisches Fragment, nicht zugänglich.

20 Vgl. Cooney, „Publishers for the People“, 28 Anm. 1; Man of Letters: The Early Life and Love Letters of Robert Chambers, hg. v. Christopher H. Layman (Edinburgh, 1990), 186.

21 Siehe Fragment, 1–9, 31–41, zitiert in Chambers, Memoir of Robert Chambers, 10–16, 34–43.

22 Fragment, 12. William griff hier in Roberts Original ein und zitierte diese Bürger als

„more affluent burgher[s] “ (Memoir of Robert Chambers, 24).

23 Siehe Fragment, 78–88, zitiert in Chambers, Memoir of Robert Chambers, 57–64.

24 Chambers, Memoir of Robert Chambers, 64; vgl. Fragment, 96–97.

direkter Rede und dem Versuch, Konversationen wiederzugeben.25 Allerdings ist festzuhalten, dass William keineswegs akkurat aus der Manuskriptquelle zitiert und sich zumeist stilistische Freiheiten erlaubt, Erklärungen einfügt oder Roberts Erinnerungen kontextualisiert.26 In der vorliegenden Studie soll eine Vermischung der Quellen vermieden werden. Aussagen von und über Robert werden aus seinen autobiographischen Dokumenten zitiert; Aussagen von und über William aus der Memoir of Robert Chambers beziehungsweise der Story of a Long and Busy Life. Nichtsdestotrotz werden der Vollständigkeit halber korre-spondierende Belege mit Querverweisen angegeben.

Sondra Miley Cooney weist zu Recht darauf hin, dass die Memoir im Laufe der zahlreichen Auflagen von William teils erheblich verändert wurde.27 Für die vorliegende Arbeit konnten die 2. bis 6., die 8. und die 10. bis 13. Auflage sowie ein mit der Erstauflage von Januar 1872 identischer Nachdruck von 1893 kolla-tioniert werden.28 Ab der 10. Auflage handelt es sich um typographisch identi-sche Auflagen, die lediglich mit neuen Titelseiten, für die 12. Auflage mit einem zusätzlichen Vorwort, einem ergänzenden Kapitel sowie Kapitelverzierungen, ausgestattet wurden. Exemplare der 7. und 9. Auflage konnten nicht lokalisiert werden.29 Der Vergleich der Ausgaben hat gezeigt, dass Aspekte, die in einer

25 Siehe bspw. Fragment, 3–5, zitiert in Chambers, Memoir of Robert Chambers, 12–13.

26 Vgl. Fragment, 5, 78, ungenau zitiert in Chambers, Memoir of Robert Chambers, 13, 57.

27 Siehe Cooney, „Publishers for the People“, 28 Anm. 1.

28 Vgl. William Chambers, Memoir of Robert Chambers with Autobiographic Reminis-cences, 2. Aufl., Edinburgh, Februar 1872, Bodleian Library, (OC) 210 m.141 <http://

dbooks.bodleian.ox.ac.uk/books/PDFs/600080985.pdf>; 3. Aufl., Edinburgh, März 1872, Koninklijke Bibliothek/Nationale bibliotheek van Nederland, 9010 F 23,

<http://opc4.kb.nl/DB=1/XMLPRS=Y/PPN?PPN=358029740>; 4. Aufl., Edinburgh, Januar? 1872, Stadtbibliothek Aachen, 47 987; 5. Aufl., Edinburgh, April 1872, Uni-versitätsbibliothek Leipzig, 51-5412; 6. Aufl., Edinburgh, Juli 1872, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, ALT 96 A 614; 8. Aufl., Edinburgh, 1873, Ohio State University Library, Z325.C44 C3 1874 <http://hdl.handle.net/2027/

osu.32435065629073>; 10. Aufl., Edinburgh, 1878, British Library, X28/9784; 11. Aufl., Edinburgh, 1882, British Library, W82/7698; William Chambers, Memoir of William and Robert Chambers … with Supplementary Chapter, 12. Aufl., Edinburgh, Juli 1883, Universitätsbibliothek Tübingen, K.g. 2063; 13. Aufl., Edinburgh, 1884, Bodleian Library, 2696 e.29 <http://dbooks.bodleian.ox.ac.uk/books/PDFs/590216154.pdf>;

William Chambers, Memoir of William and Robert Chambers, Edinburgh, 1893, British Library, W13/6721.

29 Die 7. Auflage (Januar 1873) ist im Online-Repositorium HathiTrust falsch verlinkt und führt zur 3. Aufl., New York, 1872 <http://hdl.handle.net/2027/osu.32435003141488>.

Ausgabe detailliert beschrieben werden, in einer anderen Ausgabe stark verkürzt erschienen oder gar vollständig fehlten. Dies betrifft jedoch keine der relevanten Passagen zur Bildung, Lesesozialisation oder beruflichen Entwicklung. William führt lediglich die Beschreibungen seiner eigenen beruflichen Orientierung und die ersten Schritte als Buchhändler beziehungsweise autodidaktischer Drucker in späteren Ausgaben stärker aus.30 Dieser Umstand wird im Verlauf der Studie beachtet, jedoch bleibt die Erstauflage der Memoirs Primärquelle der Auswer-tung.

Letztlich ist dem Urteil Christopher H.  Laymans, der Roberts Anteile der Memoir für akkurater, Williams aber für selektiv, verklärend und verschleiernd hält, nur teilweise zuzustimmen.31 Wie William in der Vorbemerkung deutlich machte, ging es ihm nicht nur um eine wahrheits- und detailgetreue Rekonst-ruktion des Lebens des jüngeren Bruders, sondern darum, dem Bruder (und sich selbst) ein schriftliches Denkmal zu setzen und das Schaffen nachahmenswert darzustellen. Abweichungen oder ein mögliches Scheitern wurden zum Guten umgedeutet. Als zum Beispiel deutlich wurde, dass Robert nicht den von der Familie erhofften Weg des Predigers einschlagen würde, argumentiert William, dass er Robert von vornherein nicht für diesen Beruf geeignet gehalten habe.32 Es überrascht also nicht, dass das autobiographische Fragment, welches (noch) nicht für eine Veröffentlichung vorbereitet war, gegenüber der veröffentlichten und vom Verfasser sorgfältig bearbeiteten (und im Zuge der zahlreichen Ausga-ben überarbeiteten) Ausgabe authentischer und präziser erscheint. Dennoch ist Laymans Einschätzung nur teilweise zuzustimmen, da auch Roberts Fragment eindeutig überarbeitet wurde. Ebenso zeigen sich im Vergleich zu Williams Aus-führungen selektive Leerstellen, etwa wenn Robert von den finanziellen Schwie-rigkeiten der Familie zu sprechen beginnt: „[W] ith feelings I shall not attempt to describe“.33 Roberts Dokumente erwecken folglich nur den Anschein, authenti-scher zu sein.

Ein weiterer Punkt, der die vorsichtige Selektion Williams unterstreicht, ist die Verschleierung einer der wichtigsten Publikationen des Bruders: der 1844

30 Siehe bspw. die auf April 1872 datierte fünfte Auflage der Memoir zu Williams Beginn und Erfolg als Buchhändler (141), die auf Juli 1872 datierte sechste Auflage zu einer Beschreibung der ersten Tischpresse (160–161) sowie die auf 1878 datierte zehnte Auflage zu Williams Beschreibung eines Globenpaars aus dem Nachlass eines Lehrers (57–59).

31 Siehe Man of Letters, 1.

32 Siehe Chambers, Memoir of Robert Chambers, 125–126.

33 Diary, 15–16, 15.

anonym veröffentlichten Vestiges of the Natural History of Creation. Erst vierzig Jahre nach dem Erscheinen des zu seiner Zeit kontrovers diskutierten Werkes und nach dem Tod sowohl Roberts als auch Williams wurde die Autorschaft enthüllt.34 Während in den ersten beiden Auflagen Gerüchte um die Autorschaft Roberts noch angesprochen wurden, wurde die Passage für die dritte Auflage gestrichen und nicht wieder aufgenommen.35

3.1.1.3 William Chambers, Story of a Long and Busy Life (1882)

Der am 28. Januar 1882 anlässlich des 50. Jubiläums des Chambers’s Edinburgh Journal zunächst in der Zeitschrift erschienene und von William Chambers ver-fasste Beitrag „Our Jubilee Year“36 wurde im April des Jahres leicht erweitert als Story of a Long and Busy Life herausgegeben. Diese rein autobiographische Story dient als weitere Quelle der Fallstudie.37 Lediglich Berichte verschiedener Reisen in England und auf den Kontinent sowie lebhafte Schilderungen einiger Bekanntschaften wurden für die Buchpublikation erweitert, während sich der Artikel auf reine Aufzählungen beschränkte.38 Bei dieser Quelle handelt es sich um Memoiren, die Williams persönliche Geschichte eng mit der Geschichte des Chambers’s Journal verknüpfen und in einen größeren historischen Kontext, ins-besondere die cheap literature-Bewegung und die damit verbundene Entstehung des Chambers’s Edinburgh Journal, einbinden.

Nur wenige Rezensionen oder Ankündigungen39 sind für das Werk zu finden.

Das Publishers’ Circular berichtete am 1. und 15. Februar 1882 von dem Jubi-läum und den Feierlichkeiten. So empfing William Chambers eine Delegation Edinburgher Buchhändler und Verleger sowie Angestellter seines Unterneh-mens. Das Publishers’ Circular stellte sowohl die Bedeutung Williams als auch des Journals als Vertreter guter Literatur heraus und unterstrich die Relevanz der

34 Vgl. Kap. 4.1.6; „Dr. William Chambers“, The Athenæum, 26. Mai 1883, 669; „Mr.

Robert Chambers“, The Athenæum, 31. März 1888, 404.

35 Siehe Chambers, Memoir of Robert Chambers, 274–275; 2. Aufl., 274–275; 3. Aufl., 279.

36 Siehe William Chambers, „Our Jubilee Year: Reminiscences of a Long and Busy Life“, Chambers’s Edinburgh Journal, 28. Januar 1882, 49–59.

37 Siehe William Chambers, Story of a Long and Busy Life, Edinburgh, 1882.

38 Siehe Chambers, Story of a Long and Busy Life, [3] .

39 Siehe bspw. „[Reminiscences of a Long and Busy Life]“, Freeman’s Journal and Daily Commercial Advertiser, 14. Januar 1882, 3; „Literary Notices: Periodicals of the Year [‚Our Jubilee Year‘]“, Jackson’s Oxford Journal, 11. Februar 1882, 5.

Story.40 Im März 1882 widmete die Lehrerzeitschrift Practical Teacher William Chambers eine Besprechung, in der der Herausgeber Joseph Hughes Williams Erinnerungen als interessante und nutzbringende Zusammenfassung seines Lebenswerkes beurteilte. Er stellte den Zusammenhang zwischen der autodi-daktischen Lesegeschichte und der Reputation des Verlagshauses Chambers her, und hob den Beispielcharakter der Anstrengungen des jungen William hervor.41 Allen Ankündigungen gemein ist, dass der Zusammenhang zwischen dem Jubi-läum des Journal und Williams Bericht hergestellt wird, dieser also nicht pri-mär als autobiographische Beschreibung gelesen wurde, sondern im Kontext der Zeitschrift.

Weitere Auflagen der Story of a Long and Busy Life konnten weder antiqua-risch noch in Bibliothekskatalogen ermittelt werden, der Erfolg der separaten Veröffentlichung ist also kaum einzuschätzen. Allerdings zirkulierte Chambers’s Journal nicht nur in Schottland oder Großbritannien, sondern auch in den Kolo-nien und erreichte so theoretisch eine große Lesegemeinde.42

3.1.1.4 Rezeption der Memoir of Robert Chambers

Die erste Auflage der Memoir of Robert Chambers erschien bereits weniger als ein Jahr nach dem Tod Roberts am 17. März 1871 im Januar 1872. Die Publikation war von Beginn an ein Erfolg; im ersten Jahr erschienen sechs Auflagen. 1884 wurde bereits die 13. Auflage veröffentlicht und 1893 erschien eine weitere Auf-lage, als identischer Nachdruck der 10. Auflage von 1878.43 Auch auf dem ame-rikanischen Markt wurde die Memoir bereits 1872 mit großen Hoffnungen, wie der Verlagsankündigung zu entnehmen ist, veröffentlicht: „This work is destined to become a classic in biographical literature“.44 Weiter wurde aus dem Londoner

40 Siehe „Literary Intelligence [‚Reminiscences of a Long and Busy Life‘]“, The Publishers’

Circular, 1. Februar 1882, 95; „Literary Intelligence [On the Occasion of the Jubilee of Chambers’s Journal]“, 15. Februar 1882, 141.

41 Siehe Joseph Hughes, „William Chambers, LL.D.“, The Practical Teacher, 2.1 (1882), 38–39; vgl. „Literary Notices: Periodicals of the Year [‚Our Jubilee Year‘]“, Jackson’s Oxford Journal, 11. Februar 1882, 5.

42 Siehe bspw. „Miscellaneous [‚Our Jubilee Year‘]“, The New Zealand Herald, 29. März 1882, 6; „A Literary Jubilee [‚Our Jubilee Year‘]“, The Colonist, 25. April 1882, 3.

43 Siehe Memoir of Robert and William Chambers … with Supplementary Chapter, 13. Aufl., Edinburgh, 1884.

44 Verlagsankündigung, Memoir of Robert Chambers with Autobiographic Reminiscences of William Chambers, New York, 1872. Es scheinen 1872 mindestens drei Auflagen in den USA erschienen zu sein. Die Ausgabe der Harvard University Library, datiert

Athenæum zitiert, das die Memoir als Geschichte eines der größten schottischen Verlagshäuser anpries und Lektionen in Selbstverleugnung, Geduld und Beharr-lichkeit, Unabhängigkeit, aber vor allem auch Heiterkeit vermittelte.45

Der Rezensent des Athenæum hebt insbesondere den Beispielcharakter der Memoir hervor, die nicht etwa dem Selbstlob Williams dienen sollte, sondern vielmehr als Beispiel für junge Berufsanfänger.46 Ebenso betont er die Erfolge der erschwerten Bildung von William und Robert Chambers und fasst zusam-men: „[The Memoir] presents the practice of what they preached“.47 Die Beispiel-haftigkeit der Persönlichkeiten erklärt auch, warum Samuel Smiles 1859 William Chambers in seine Sammlung von erfolgreichen Persönlichkeiten aufnahm und Williams bescheidene Herkunft und seinen Umgang mit Schwierigkeiten als Ermutigung betonte.48

Die Entwicklung der Brüder wurde ebenso in der Besprechung Roberts in H. A. Pages Noble Workers herausgestellt, für die Page aus der Memoir zitierte. Sein abschließendes Urteil fasst das Grundkonzept der Autodidaktenkultur zusammen:

Die Entwicklung der Brüder wurde ebenso in der Besprechung Roberts in H. A. Pages Noble Workers herausgestellt, für die Page aus der Memoir zitierte. Sein abschließendes Urteil fasst das Grundkonzept der Autodidaktenkultur zusammen: