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8. EMPIRISCHER TEIL

8.5. Planung und Durchführung der Expert*inneninterviews

8.5.2. Der Interviewleitfaden

Atteslander (2010) kategorisiert Interviews nach Kommunikationsform und Kommunikationsart: Expert*inneninterviews als wenig strukturierte mündliche Befragung und Leitfadeninterviews als teilstrukturierte mündliche Befragung, wobei ihm eine Gesamtdauer von 30 – 60 Minuten als zumutbar erscheint. Teilstrukturiert sind Interviews, wenn sie auf Grund vorbereiteter und vorformulierter Fragen stattfinden (Gesprächsleitfaden), wobei die Abfolge der Fragen prinzipiell möglichst offen gestaltet werden sollte. (vgl. Atteslander 2010, S. 133f) Leitfadeninterviews sind eine in der Sozialforschung gut ausgearbeitete Methode, um qualitative Daten zu erzeugen. (vgl.

Helfferich 2019, S. 669)

Leitfadeninterviews gestalten die Führung im Interview über einen vorbereiteten Leitfaden. Die Arbeit in der qualitativen Forschung verpflichtet zu größtmöglicher Offenheit, welche aber gleichzeitig im begründeten Forschungsinteresse eingeschränkt werden muss. (vgl. Helfferich 2019, S. 672) Unangemessen ist es allerdings jedenfalls, Informationen abzufragen, die aus anderen Quellen für die interviewende Person leicht zu bekommen wären. (vgl. ebd., S. 682) Aus den möglichen Leitfadenformen wurde eine Kombination aus Frage-Antwort-Schema und Erzählaufforderung-Erzählung-Schema präferiert. (vgl. ebd., S. 675) Es galt daher bei der Interviewkonzeption gemäß dem der Forschungsfrage zu Grunde liegenden Erkenntnisinteresse einen Leitfaden zu generieren, der ausreichend „Beweglichkeit“ für den Interviewer und die Interviewten zulässt.

Atteslander unterscheidet verschiedene Interviewer*innenverhalten. „Passiv“ meint hier vor allem, dass der/die Interviewer*in selbst nicht viel redet und „neutral“, dass Gefühle in der Beziehung zwischen interviewter und interviewender Person möglichst ausgeschaltet werden. (vgl. Atteslander 2010, S. 134f) Im Rahmen der Interviews zu dieser Masterarbeit wurde ein eher passiver Stil verfolgt. Völlige „Neutralität“ war an dieser Stelle aber fast nicht möglich, da dem Forscher alle Interviewpartner*innen mehr oder weniger gut persönlich bekannt waren.

Angesichts der wesentlichen Anforderungen an einen Leitfaden (Offenheit, Übersichtlichkeit, Anschmiegen an den Erzählfluss) wurde die Möglichkeit, sich so frei wie möglich zu artikulieren durch einige erzählgenerierende Fragen zu erreichen versucht, an die im Einzelfall im Rahmen der konkreten Durchführung Nachfragen zu allenfalls nicht erwähnten Aspekten gestellt wurden und schließlich strukturierte Fragen. (vgl. Helfferich 2019, S. 675) Zum Abschluss jedes Interviews sollte eine „Auffangfrage“ die Chance bieten, Themen, die im Rahmen des Interviews bei den interviewten Personen aufgekommen sind, aber noch nicht durch eine Frage abgedeckt waren, ausdrücklich anzusprechen.

Ein wesentlicher Aspekt ist auch das Eingehen auf die möglichen sprachlichen Besonderheiten des Gegenstandes – insbesondere innerhalb der Organisation BMI - bei der Generierung des Interviewleitfadens. Dem wurde insofern Beachtung geschenkt, als alle interviewten Personen aus dem Bereich des BMI kommen und über vielfach geteilte, gemeinsame Erfahrungen verfügen, weiters durch die Anzahl der Rückfragen der interviewten Personen zu verwendeten unbekannten Begriffen (die letztlich allerdings nicht vorkamen), sowie durch die Reflexion des Forschers nach den jeweiligen Interviews.

Der Leitfaden ist von den beiden großen Themen „Projekt“ und „Organisationskultur“

bestimmt, wobei einerseits versucht wird, die wesentlichen Projektphasen zu erfassen und andererseits die vielfältigen Aspekte von „Organisationskultur“ zu thematisieren und alle Inhalte der Forschungsfragen abzudecken.

Zu den Fragen des Leitfadens:

„Projekte und Organisationskultur – was fällt ihnen dazu ein?“

Mit dieser möglichst offen gestellten erzählgenerierenden Frage soll ein lockerer Einstieg ins Thema gefunden werden, der zwar an den beiden wichtigen Begriffen der Forschungsfrage orientiert ist, aber dennoch ausreichend viel Platz zum Erzählen lässt, um ein Feld, das hier aber erwartungsgemäß noch etwas unstrukturiert sein wird, zu eröffnen. Diese Frage bietet aber die Möglichkeit zu erahnen, welche Themen bei den interviewten Personen als erste genannt werden und ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Richtung das Interview nehmen könnte und allenfalls welche Zusatzfragen erforderlich werden könnten. Zudem bietet die Frage den interviewten Personen die Chance eher ungerichtet und frei ihre Gedanken zu entwickeln. Anhand der in den Antworten genannten Begriffen könnten in Richtung Auswertung schon die ersten Hinweise hinsichtlich einer ergänzenden Kodierung/Kategorisierung auf induktivem Weg gewonnen werden. Es können auch allenfalls erste Beziehungen zwischen dem Verständnis von Organisationskultur der interviewten Personen und dem in dieser Arbeit als Analysehintergrund verwendeten Modell von Schein und Schein erkannt werden.

„Wie definieren Sie den Begriff „Organisationskultur“?

Nach der ersten erzählgenerierenden Frage soll zunächst das – wenn auch die interviewten Personen als Expert*innen gelten und fungieren, nicht notwendiger Weise elaborierte – jeweilige Verständnis von Organisationskultur umrissen werden. Es geht hier durchaus auch um das Alltagsverständnis. Damit ist ein erster konkreterer Eindruck gewonnen, der dabei helfen kann, die Antworten bei weiteren Fragen in thematischer Nähe zu Organisationskultur – und vielleicht dem Drei-Ebenen-Modell von Schein und Schein besser einordnen bzw. kategorisieren und allenfalls interpretieren zu können. Es wird aber bewusst nicht ausdrücklich nach diesem Kulturmodell gefragt, um im Interview nicht zu dirigistisch zu wirken und die interviewten Personen direkt zu beeinflussen.

„Wurde die Richtlinie des BMI zur Erstellung von Projektaufträgen als Unterlage für die Projektarbeit verwendet?“

Die Beantwortung dieser Frage gibt in einer gewissen Weise Hilfestellung bei der Einordnung weiterer Antworten. Noch dazu ist die Richtlinie (siehe oben) eine Quelle für maßgebliche Begriffsbestimmungen (wie etwa Projekt oder Umweltanalyse), die einen wesentlichen theoretischen Hintergrund darstellen. Hinzu kommt, dass vor allem bei Verwendung dieser Richtlinie in Projekten allenfalls gut begründbare Praxishinweise generiert werden können, was im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt.

„In Bezug auf Vorhaben, wie z.B. Projekte – welche förderlichen oder hinderlichen Aspekte von Organisationskultur der vom Vorhaben betroffenen Organisationseinheit sehen Sie bei Projekten, in denen sie engagiert waren?“

Nachdem aus der Literaturarbeit (und der eigenen Wahrnehmung des Forschers) angenommen werden, dass Organisationskulturen ambivalente Aspekte haben und im Hintergrund wirkend, bei Veränderungsdruck möglicherweise an die Oberfläche kommend, sowohl unterstützende als auch hemmende Faktoren aufweisen (können), erscheint die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt eine klärungswürdige. Die dahinterstehende Annahme ist, dass – wenn die Aspekte benannt werden können – im Falle der Auseinandersetzung damit in Projekten (die im Falle der Bewusstheit als wahrscheinlicher eingestuft wird) ein konkreteres Ziel bzw. eine systematischere Beschäftigung möglich ist.

„Wurde in den Projekten, an denen Sie gearbeitet haben, die konkrete Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll, innerhalb des Projektes beachtet?“

Nachdem zuvor die Frage nach der Definition von „Organisationskultur“ gestellt wurde und damit möglicherweise einige Aspekte von Organisationskultur aktiv angesprochen wurden, kann dies gedankliche Anknüpfungspunkte zur Beantwortung dieser Frage liefern.

Diese Frage, die prinzipiell auch nur mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann (bewusst keine offene Frage), soll die interviewten Personen veranlassen, möglichst alle ihre Projektarbeiten Revue passieren zu lassen und bietet so dennoch die Möglichkeit (nachdem alle interviewten Personen jeweils in mehreren Projekten engagiert waren) zu differenzieren. Beispielsweise etwa „bei IT-Projekten nicht“ – „bei Organisationsprojekten schon“ – womit für die Auswertung der Interviews im Sinne des Erkenntnisinteresses ein Gewinn verbunden wäre.

„Mit welcher Zielsetzung erfolgte die Thematisierung bzw. Beachtung der Organisationskultur im Projektzusammenhang?“

Diese Frage führt wieder darauf hin, dass – für den Fall, dass konkrete Ziele dafür bestanden – diese Ziele einen Hinweis darauf bieten können, aus welcher Perspektive Organisationskultur in den Blick gekommen ist (z.B. aus förderlicher und/oder hinderlicher) und ob es in den Projekten von Relevanz war (und von welcher), im Sinne eines Umsetzungserfolgs sowohl aus Projektsicht als auch aus Sicht der betroffenen Organisationseinheit (und ihrer Kultur) mit Organisationskultur auseinanderzusetzen. Eine dahinterliegende Annahme ist, dass auch die Absicht der Projektteammitglieder (Worauf richtet sich diese?) hinsichtlich des Erkenntnisinteresses einen Aussagewert hat. Dies wird in Bezug auf mögliche Antworten auf das „Inwiefern“ der Hauptforschungsfrage von Bedeutung und soll weitere Hinweise in Richtung der Subforschungsfragen liefern.

„In welcher Weise wurde die konkrete Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll, innerhalb der Projekte beachtet?“

Diese Frage hat die jeweils konkreten Modi im Blick, mit denen die Organisationskultur allenfalls beachtet wurde. Dies können Aspekte des Systems bzw. der eingesetzten Methoden sein, es können Auseinandersetzungen über organisationskulturelle Fragen mit den Bediensteten des betroffenen Organisationsbereiches sein, Besprechungen innerhalb des Projektteams, Maßnahmen, Interventionen in welcher Form auch immer, oder das bewusste Beteiligen von Bediensteten am Projektprozess oder im Projektteam unter Organisationskulturellem Aspekt, und vieles mehr. Es geht hier um relevante Hinweise zur Bearbeitung der Subforschungsfrage 2 deren Wortlaut verwendet wird.

„Inwiefern erfolgte innerhalb der Projekte eine Analyse der konkreten Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll?“

Hier steht ganz konkret für den Fall der Auseinandersetzung des Projektes mit der Organisationskultur die Analyse im Fokus. Die vorherige Frage ist eher allgemein gehalten und bietet die Möglichkeit, ein breites Feld zu eröffnen. Nachdem die Hauptforschungsfrage aber gezielt auf die Umwelt- und/oder Risikoanalyse innerhalb des Projektprozesses abstellt, ist die Frage nach der Analyse relevant. Die Frage ist einerseits auch für eine Verneinung offen (selbst wenn die Vorfrage dahingehend beantwortet wurde, dass man versucht hat, die Organisationskultur im Projekt zu beachten; in dem Sinne, dass man sich zwar damit beschäftigt hat, aber keine Analyse vorgenommen hat) und andererseits auch hinsichtlich der möglichen Analyseformen. Es geht bei dieser Frage nicht um die Präferierung einer bestimmten Methode oder eines bestimmten Systems der Analyse, denn dies wird – sofern angewendet – immer im Rahmen des jeweiligen Projektes und seiner Umwelt zu beurteilen sein. Diese Frage stellt auf die Konkretisierung eines Teilbereiches der möglichen Antworten zur Vorfrage ab.

„Welche Aspekte der konkreten Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll, wurden innerhalb der Projekte beachtet?“

Diese Frage bezieht sich zunächst auf das im Theorieteil dargestellte Modell, wobei dieses auch hier nicht konkret angesprochen wird. Der Zweck der Frage (sozusagen auch in Fortführung der Frage nach der Definition von „Organisationskultur“ und der Vorfrage nach der Analyse der Organisationskultur in Projekten) stellt darauf ab, diese Aussagen näher zu spezifizieren und mit Blick auf die Subforschungsfrage 3 differenzierte Antworten zu erhalten und einen allfälligen Beitrag zu einer induktiven Ergänzung der Kategorien leisten.

„In welchen Phasen des Projektprozesses wurde die konkrete Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll, beachtet?“

Nachdem die Hauptforschungsfrage konkret die Umfeld- und Risikoanalyse im Rahmen von Projekten anspricht und diese Analysen (siehe Definitionen) tendenziell eher – zumindest in wesentlichen Schritten - in der Anfangsphase von Projekten erfolgen (sollen) können daraus auch wesentliche Rückschlüsse gezogen werden. Nachdem das Modell von Schein und Schein auch Wirkungen von Organisationskultur benennt, kann es für Projektarbeit von Relevanz sein, diese Wirkungen (die projektförderlich und/oder -hinderlich sein können) möglichst frühzeitig zu erfassen. Es geht letztlich aber auch darum, zu erfahren, in welchen allenfalls anderen Phasen der Projektarbeit auf Organisationskultur geblickt wird.

„Nach Projektabschluss – wird aus der Perspektive des Projektes danach noch auf mögliche Auswirkungen auf die Organisationskultur der betroffenen Organisationseinheit geblickt?“

Als eine besondere Phase – wobei sie begrifflich nicht mehr zum Projektprozess selbst gehört, denn dieser ist ja (wie in der Frage formuliert) bereits abgeschlossen – kann auch noch die Phase nach Projektabschluss gesehen werden. Je nachdem, wie der Projektauftrag formuliert ist, können sich auch nach Projektabschluss noch einige Aufgaben ergeben (ob für das Projektteam oder andere, sei an dieser Stelle dahingestellt), die für einen letztendlich nachhaltigen Erfolg des Projektes von Belang sein können. Das Projektergebnis ist oder wird umgesetzt, die betroffenen Organisationseinheiten sammeln Erfahrungen im Umgang mit dem Projektergebnis und möglicherweise beeinflusst dieses auch die konkrete Organisationskultur. Wird im Rahmen des Projektprozesses eine Umwelt- und/oder Risikoanalyse durchgeführt, so stellen diese ja darauf ab, bedeutsame Wirkfaktoren in Bezug auf das Erreichen des Projektzieles zu erfassen, um daraus Maßnahmen für die Beziehungsgestaltung bzw. die Kommunikation und Interventionen im Sinne des Projekterfolges zu planen und durchzuführen. Ob diese tatsächlich Wirkung entfaltet haben bzw. ob der Projekterfolg auch nachhaltig gegeben ist, wird sich vielleicht erst zu einem Zeitpunkt nach Projektende beurteilen lassen. Denkbar ist auch, dass organisationskulturelle Wirkfaktoren die Umsetzung des Projektergebnisses in viele unterschiedliche Richtungen beeinflussen und im Extremfall auch in Frage stellen oder konterkarieren. Schein und Schein beschreiben einige Wirkfaktoren, weswegen ein Blick darauf auch nach Projektende vielleicht die eine oder andere Erkenntnis (z.B. für Folgeprojekte) liefern könnte. Zudem ist aus eigener Wahrnehmung des Forschers bekannt, dass immer wieder Evaluierungsaufträge ergehen, die sich mit der Frage der Effektivität von Projektergebnissen in der Organisation beschäftigen. Diese Frage soll den Abschluss über die Projektphasen darstellen.

„Gibt es sonst noch ein Thema, das Sie im Zusammenhang mit der Art und Weise des Umgangs mit Organisationskultur in Projekten des BMI und der nachgeordneten Dienststellen ansprechen möchten?“

Denkbar ist, dass trotz aller vorangegangenen Fragen noch Themen zum Gegenstand nicht ausdrücklich angesprochen wurden. Zudem ist es möglich, dass die Perspektive des Forschers bei der Erstellung des Interviewleitfadens etwas offenlässt. Daher wird im Sinne des Prinzips der möglichsten Offenheit diese abschließende Frage als „Auffangfrage“

formuliert, um den interviewten Personen noch die Möglichkeit zu geben, aus ihrer Sicht

relevante Aspekte zum Themenkreis anzusprechen. Zum einen ist es möglich, damit bisher unerkannte Bereiche zu betreten, andererseits können vielleicht Hinweise zu Kategorien gewonnen und/oder die eine oder andere Interpretation erleichtert werden.