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10. ERGEBNISSE

10.4. Die Art und Weise der Beachtung

In der Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisinteresse und dem Inhalt der Subforschungsfrage 2 ergeben sich hinsichtlich der „Weise“ der Beachtung von Organisationskultur innerhalb des Projektes verschiedene Zugänge und Fragen, die jeweils Kategorien darstellen.

„In welcher Weise wird die konkrete Organisationskultur des Organisationsbereiches, für den ein Projekt wirksam werden soll, innerhalb des Projektes beachtet?“

Dabei erscheinen die Fragen nach dem „Wodurch?“ und dem „Wozu?“ der Beachtung von Belang. Eine Form der Beachtung kann sich in dem Mittel bzw. dem Instrument (Wodurch?) äußern, mit dem die Organisationskultur Beachtung findet. Innerhalb dieser Kategorie ließen sich Unterscheidungen nach dem jeweils genannten Mittel bzw.

Instrument treffen.

Ein wesentliches Mittel ist das Ansprechen, Besprechen im Rahmen des Projektes bzw. des Projektteams. Dies thematisieren fünf der interviewten Personen. Es wird dabei allerdings nicht immer der Terminus „besprechen“ oder „ansprechen“ verwendet, aber aus dem Sinnzusammenhang ergab sich jeweils, dass (mindestens) die sprachliche Form gemeint war.

„Indem bei Entscheidungsalternativen die Organisationskultur mit in die Beurteilung einbezogen […] wird.“ (Interview 2, Z 54 – 56)

„[…] bzw. in einem Fall in eigenen Workshops.“ (Interview 2, Z 60)

Wenngleich in diesen Äußerungen nicht explizit das Ansprechen erwähnt wird, so ist doch unmittelbar klar, dass Entscheidungsfindungen und Workshops sinnvoller Weise

nicht ohne das Element der Sprache auskommen. In den weiteren Äußerungen taucht das sprachliche Element ausdrücklich auf.

„Es wurde konkret angesprochen, was so „State of the Art“ ist und wo sich Stolpersteine befinden könnten […]“ (Interview 3, Z 70 – 71)

„Beim einen oder anderen Projekt wurde dies ansatzweise abgebildet, weil die Frage gestellt wurde, ob das Vorhaben in die gegebene Struktur hineinpasst.“ (Interview 4, Z 43 – 44)

„Wie schon gesagt, kam die Organisationskultur rudimentär ins Gespräch und vor allem dann, wenn es um völlig neue Arbeitsweisen ging […]“ (Interview 4, Z 60 – 61)

„Vielmehr wurde in Besprechungen auf diese Themen hingewiesen, es wurde die Frage gestellt, wie man damit umgehen könne, aber alles auf eher unverbindliche Art und ohne systematischen und methodischen Einbau in die Projektarbeit.“ (Interview 5, Z 47 – 50)

„Eher im Gespräch im Rahmen einer Stakeholder- oder Umfeldanalyse.“ (Interview 8, Z 72)

Ein weiteres Mittel, mit dem Organisationskultur Beachtung finden kann, ist die unter diesem Aspekt bewusste Einbindung von Angehörigen bzw. Vertreter*innen der betroffenen Organisationseinheit und damit der Organisationskultur im Projektablauf.

Eine interviewte Person gab an, dass sie sich um Einbindung der Angehörigen einer Organisationskultur handelt, wenn vermutet wird, dass es Probleme in der Umsetzung eines Projektergebnisses in den Dienststellen geht und dabei kulturelle Gründe ausschlaggebend sein können. Diesfalls wird eine Einbindung in Gesprächsform versucht.

„Prinzipiell geht es darum, dass ich die Frage nach den Problemen in den Dienststellen stelle. Stelle ich fest, dass es sich nicht um technische, sondern individuelle und/oder kulturelle Gründe handelt, so versuche ich dies im Gespräch mit den anwesenden Personen anzugehen.“ (Interview 7, Z 68 – 71)

Es zeigt sich allerdings in den Interviews, dass dieses Mittel in keinem Fall proaktiv bzw. präventiv oder bewusst und systematisch (noch unabhängig vom konkreten Projekterfolg) angewendet wurde, sondern der genannte Anlassfall eine Problemstellung bereits bei der Anwendung des Projektergebnisses in den Dienststellen ist. Die genannte Form der Einbindung erfolgt zwar im Gespräch, wurde aber gemäß den Kodierregeln (hier vor allem der Kontext, in dem dies erwähnt wurde) dieser Kategorie zugeordnet.

Ein weiteres Instrument der Beachtung kann die (mehr oder weniger) systematische Kulturanalyse sein, zu der sich fünf interviewte Personen äußerten. Dabei wird in einem Fall von einer Analyse der konkreten Erwartungen und Befürchtungen aus organisationskultureller Perspektive berichtet, in den übrigen Fällen wird die Durchführung einer Kulturanalyse (auf welche Weise auch immer) verneint. Diese Verneinung erfolgt zwar in der einen oder anderen Weise weniger direkt, aber letztlich ist der Schluss zu ziehen, dass Organisationskultur im Wesentlichen nicht analysiert wurde.

„Sofern eine erfolgte im Wesentlichen als Teil der Umweltanalyse, bei der versucht wurde, konkrete Erwartungen und Befürchtungen zu analysieren.“ (Interview 2, Z 64 – 65)

„In der Regel wurde keine systematische Analyse und Aufarbeitung organisationskultureller Fragen vorgenommen und keine systemischen Interventionen oder dergleichen geplant.“ (Interview 5, Z 45 – 47)

„Eine systematische Analyse hat es so nicht gegeben.“ (Interview 5, Z 54)

„Nein, da wurde nichts systematisch analysiert und bearbeitet. Wir wissen daher wenig Neues. […]“ (Interview 6, Z 67 – 68)

„Ich glaube nicht, dass diese Faktoren ausreichend und systematisch analysiert und beachtet werden.“ (Interview 6, Z 71 – 72)

„Eine Analyse im Sinne einer systematischen Zergliederung und Auseinandersetzung erfolgt nicht.“ (Interview 7, Z 71 – 72)

„Aber eine ausdrückliche Kulturanalyse findet nicht methodisch statt.“ (Interview 8, Z 73)

Wenn festgehalten wird, dass eine ausdrückliche Kulturanalyse nicht methodisch stattfand bzw. nicht erfolgte, so kann auch geschlossen werden, dass die in der Richtlinie geforderte Beschreibung der Veränderung von Organisationskultur im Rahmen von Projektfortschrittsberichten (sofern sie stattfanden, was aber mit vorliegender Forschung nicht geklärt wird) kaum auf analytischer und methodisch argumentierbarer Basis erfolgte.

Als Mittel der Beachtung kommt auch die Planung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Organisationskultur der betroffenen Organisationseinheit in Betracht. Dabei zeigte sich allerdings, dass zu dieser Kategorie keine ausdrückliche Äußerung gefunden werden konnte. Aus einem Interview ergab sich zwar die Notwendigkeit von Maßnahmen, aber ob in diesem Fall von „Maßnahmenplanung“ im Sinne der Kodierregeln zu sprechen war, wird bezweifelt.

„Dann passiert es sogar, dass ich auf einzelne Dienststellen fahre und mich persönlich mit den dortigen Handlungsmustern auseinandersetze und versuche zwischen den Intentionen der Auftraggeber und denen der Menschen in den Dienststellen der Umsetzung zu vermitteln […]“ (Interview 7, Z 51 – 55)

Andere Formen des „Wodurch?“ als ansprechen, einbinden, analysieren, Maßnahmen planen wurden bei sechs von acht Interviews gefunden:

„Tatsächlich beachtet wurde die Organisationskultur in einem konkreten Fall nach Fertigstellung des Projektabschlussberichtes – insofern, als das Projekt bis heute nicht umgesetzt ist, da es – und das ist meine ganz persönliche Meinung - zu sehr in die Organisationskultur eingreifen würde.“ (Interview 3, Z 101 – 106)

Diese Äußerung zeigt, dass eine spürbare Beachtung nicht unmittelbar im Rahmen des Projektprozesses erfolgte, sondern sozusagen erst nach Ende und hier die Beachtung nicht in Form einer Handlung, sondern einer ausdrücklichen Nichthandlung durch Unterlassung der Umsetzung des Projektergebnisses stattfand. Dies bedeutet einerseits faktisch, dass die gesamte in die Projektarbeit investierte Energie letztlich ohne spürbares Ergebnis in der Organisation aufgewendet wurde und andererseits die vermutete Organisationskultur der betroffenen Organisationseinheit so „stark“ war, dass intendierte Ziele durch die Führung aufgegeben werden. Insofern ist dies ein Hinweis auf die in den Interviews an anderer Stelle und in der Literatur geäußerten Aspekte von Veränderungsresistenz der bzw. durch Kultur. Diese Äußerung kann dann auch gelesen werden als Beachtung durch Nichthandeln.

Das Mittel der Beachtung ist das eine oder andere Mal die „Mutmaßung“, wobei allerdings angegeben wird, dass diese auf Erfahrungen (hier wird angenommen, dass damit die Erfahrungen in vergleichbarer Ebene bzw. Struktur wie die von Projekten betroffenen Organisationseinheiten gemeint sind) der Projektteammitglieder beruht, die oftmals aber keine Aktualität beanspruchen darf und damit wohl kein angemessenes Bild einer Organisationskultur liefern kann.

„Wir mutmaßen oftmals, wir glauben zu wissen, was gut und richtig ist. Wir bauen auf zum Teil persönliche Erfahrungen auf, die allerdings auch schon einige Jahre zurückliegen.“ (Interview 6, Z 58 – 60)

Weiter wird in einem Interview angesprochen, dass als Zugangsquelle zu Fragen der Organisationskultur die Führungskräfte genutzt werden. Hier ist es – unabhängig von der Kompetenz dieser Führungskräfte und dem konkreten sozialen Gefüge in deren Organisationseinheiten – sehr fraglich, ob das damit allenfalls gewonnene Bild der Organisationskultur den Gegebenheiten entspricht.

„Man arbeitet da eher mit den Führungskräften.“ (Interview 8, Z 102 – 103) Mit Blick auf das Kulturmodell von Schein und Schein ist hier zu vermuten, dass damit nur eine der Subkulturen in einer Organisation erfasst wird, die – selbst wenn man sich intensiv mit ihr auseinandersetzt – kaum repräsentativ für die Kultur der Organisation im Gesamten ist, weil sie (zumindest) die Subkulturen der ausführenden Bediensteten und der Entwickler und Designer nicht beachtet. (vgl. Schein/Schein 2018, S. 180ff)

Neben der Kategorie des „Wodurch?“ ergibt sich auch die des Zweckes einer Beachtung: „Wozu“ wird (soll) Organisationskultur beachtet (werden)? Innerhalb dieser Kategorie ergeben sich Unterscheidungen in der Frage der jeweiligen Ziele. Daher wurden Unterkategorien gebildet, die auf unterschiedliche Ziele fokussieren. Im Rahmen der Interviews, in denen angegeben wurde, dass man sich nicht mit der Organisationskultur der von einem Projekt betroffenen Organisationseinheit auseinandergesetzt hat, wurden dafür naturgemäß auch keine Ziele, kein „Wozu“ definiert:

„Nachdem es nicht thematisiert wurde, gab es auch kein Ziel.“ (Interview 4, Z 51) Wo man sich mit der Organisationskultur beschäftigt hat, gab es verschiedene Zielsetzungen, die sich in den nachangeführten Aussagen ablesen lassen. Innerhalb der Zwecke lassen sich auch Unterscheidungen treffen: geht es ausdrücklich überwiegend um die Überwindung von Hindernissen, um die Nutzung von förderlichen Aspekten, oder ganz dezidiert um die Erreichung des Projektzieles? Eine Beachtung der Organisationskultur zur Überwindung von Hindernissen beschreiben fünf der interviewten Expert*innen.

„Möglicherweise die Brüche und die Reibungspunkte zu erkennen und dann vielleicht am ehesten noch die Diktion einer Projektidee anzupassen.“ (Interview 1, Z 73 – 74)

„Ziel war hier eindeutig die Vermeidung von negativ konnotierten Begriffen und die Suche nach attraktiven Begriffen, von denen sich die Repräsentant*innen der Organisationskultur angesprochen fühlen. Es ging sozusagen um das Erkennen und Vermeiden von Risikofaktoren – im Sinne von Fehlervermeidung.“ (Interview 1, Z 84 – 88) Hier werden zwei Mal sprachliche Aspekte thematisiert, die Widerstand hervorrufen können und deshalb organisationskulturelle Beachtung in der Form finden, dass letztlich die verwendeten Begriffe einerseits nicht negativ konnotiert werden und andererseits möglichst anziehend wirken, sodass diese „Risikofaktoren“ nicht schlagend werden. Es

geht hier also präventiv darum, mindestens auf der kulturellen Ebene der Artefakte Hemmnisse zu vermeiden.

„ […] und im zweiten Fall im Konfliktfall bei der Umsetzung, wenn es „klemmt“ und man nicht weiß, warum es klemmt und bei fortgeschrittener Ratlosigkeit könnte die Suche nach Ursachen, die im Verborgenen liegen, weiterhelfen und die naheliegenden Deutungsversuche der Ursachen für die Probleme nicht ausreichend schlüssig sind.“

(Interview 1, Z 102 – 107)

Auch hier steht die Hindernisbeseitigung im Vordergrund, aber nicht im vorbeugenden Bereich, sondern schon im Bereich der „Reparatur“ – wenn es „klemmt“. Hier geht es um die Suche nach Ursachen für das Hindernis und um Überwindung von „Ratlosigkeit“. Es wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass dies aber erst dann erfolgt, wenn die

„naheliegenden Deutungsversuche“ ergebnislos verlaufen sind. Dies deutet an, dass auch im Problemfall organisationskulturelle Fragestellungen oder Herausforderungen nicht unmittelbar und als erstes in den Blick kommen.

„Mit der Zielsetzung, dass, wenn wir sie nicht beachten, das Projekt schon zum Scheitern verurteilt ist, bevor es beginnt. Anders ausgedrückt, war die Zielsetzung auf Bedürfnisse der vom Vorhaben betroffenen Dienststellen einzugehen, bzw. diese zu berücksichtigen.“ (Interview 3, Z 62 – 65)

In dieser Äußerung wird der präventive Aspekt – sozusagen die Hindernisvermeidung – thematisiert. Interessant ist, dass aber gerade in diesem Interview dann auch erzählt wird, dass das Projektergebnis bis heute nicht umgesetzt ist, wobei die interviewte Person konkret vermutet, dass dies mit der Organisationskultur der betroffenen Organisationseinheiten zusammenhängt, weil das Projektergebnis zu sehr in diese Kulturen eingreifen würde (s.o.) Insofern hat diese vorbeugende Beachtung dann aber nicht zum gewünschten Ergebnis im Sinne des Projektes geführt.

„Wo es im Einzelfall thematisiert war bei bemerkbaren Störungen der Projektarbeit.

[…] Um ein Abweichen von den Projektregeln zu hinterfragen und letztlich zu verhindern.

[…] Es ging letztlich immer darum, irgendwelche Widerstände aus dem Weg zu räumen.“

(Interview 5, Z 31 – 39) Es zeigt sich auch hier das Ziel der Vermeidung, Verhinderung bzw. Reparatur.

„Das Ziel könnte man so beschrieben: „Wir fragen nach bezüglich der Organisationskultur der Organisationseinheit, damit man nicht sagen kann, wir hätten nicht gefragt und es hätte uns nicht interessiert.“ (Interview 6, Z 50 – 52)

Auch in diesem Interview wird von der Kulturbeachtung als präventivem Element erzählt, allerdings mit dem Zusatz, dass es sich beim formulierten Ziel gleichsam um ein

„Placebo“ handelte, mit dem eine präventive Vorbereitung auf etwaige Vorwürfe in der Richtung erfolgte.

„Die Hoffnung dabei ist, dass die Erklärung hilfreich ist, Widerstände überwunden werden bzw. die Kolleg*innen diese Veränderung in ihren Kulturbestand aufnehmen.“

(Interview 7, Z 55 – 57)

Wenn der Begriff „Hoffnung“ als Hinweis auf ein Ziel gesehen wird, so sind die Ziele in diesem Fall sowohl wieder die Beseitigung von Widerständen als auch die konkrete Veränderung des Kulturbestandes der betroffenen Organisationseinheit durch die betroffenen Kolleg*innen. Hier wird ausdrücklich artikuliert, was als das eigentliche Ziel der

Beachtung von Organisationskultur war: die Überwindung von Widerständen ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Veränderung der Organisationskultur durch das Projektergebnis.

Es wird aber nicht nur von Zielen berichtet, die vorbeugen oder beseitigen, sondern auch von solchen, die bewusst förderliche Aspekte ins Kalkül zogen, um diese im Projektsinne zu nützen. Dies wurde in der Unterkategorie „Beachtung zur Nutzung von Förderlichem“ verarbeitet. Explizit erwähnt wird dies in einem Interview:

„Im Einzelfall wurde – und das hing sozusagen immer an der gelebten Kameradschaft – bei Fragen der Kooperation auf unterstützende Wirkungen der Organisationskultur gesetzt.“ (Interview 5, Z 39 – 41)

In zwei Interviews lassen sich Passagen der Unterkategorie „Beachtung zur Projektzielerreichung“ zuordnen. Hier zeigt sich, dass der Fokus bei der Beachtung von Organisationskultur bzw. organisationskulturellen Aspekten der betroffenen Organisationseinheiten auf dem Projektergebnis und damit dem Erfolg liegt.

„Im Wesentlichen ging es um Akzeptanz der Veränderungen und damit um den Erfolg des Projektes.“ (Interview 2, Z 49 – 50)

„Bei Probebetrieben blicken wir eher unmittelbar auf die Organisationskultur, weil uns das bei der Auswahl der Dienststellen hilft, die einen Probebetrieb durchführen sollen. […]“

(Interview 8, Z 60 – 62)

Aus der Dokumentenanalyse ergibt sich zu dieser Frage kein direkter Zusammenhang, sondern nur über den Umweg, dass im Rahmen der Umweltanalyse erwähnt wird, dass die Umwelten im Zusammenhang mit Konflikten beurteilt werden sollten, um daraus allenfalls Maßnahmen im Sinne des Projekterfolges ableiten zu können; der Kulturbegriff oder Aspekte daraus kommen allerdings nicht vor. (vgl. BMI 2016, S. 12)