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Das Modell der Organisationskultur nach Schein und Schein

7. THEORETISCHER TEIL

7.2. Organisationskultur nach Schein und Schein

7.2.2. Das Modell der Organisationskultur nach Schein und Schein

Organisationskultur wird vielfach als einer der zentralen Erfolgsfaktoren in Unternehmen und Institutionen herausgestrichen. Daher beschäftigte sich die Managementliteratur aus unterschiedlichen Perspektiven mit diesem Thema und entwickelte Modelle, um Organisationskultur analysieren und diese Analyse nutzvoll einsetzen zu können. (vgl. Reisinger et al. 2017, S. 77)

Es werden verschiedene Analyseinstrumente für Organisationskultur diskutiert, die zum Teil den Schwerpunkt auf die unternehmerische Seite (den ökonomischen Erfolg) legen und sie stellen organisationskulturelle Aspekte – wie etwa das „kulturelle Netz“, das sechs zusammenhängende Elemente identifiziert, die in Wechselwirkung zueinander das kulturelle Paradigma eines Unternehmens ergeben dar. (vgl. ebd., S. 77) Es wird dargelegt, dass es neben einer offen wahrnehmbaren auch eine nicht offene, aber dennoch wirkmächtige Seite von Organisationskultur gibt; so etwa bei den Kontrollfragen zum kulturellen Netz, wenn im Zusammenhang mit den Machtstrukturen eines Unternehmens die Frage gestellt wird, wer denn wirklich entscheide. (vgl. ebd., S. 78f; Herv. WS)

Daher wird für die vorliegende Forschungsarbeit auf dieses Modell der Organisationskultur von Schein und Schein zurückgegriffen, weil es den Blick auf unterschiedliche Ebenen von Organisationskultur richtet und insgesamt auf Organisationen – nicht nur mit dem Fokus auf profitorientierte Unternehmen – bezogen werden kann.

Zudem setzen sie sich ausdrücklich – wenngleich nicht auf der Ebene von Projektmanagement – mit dem Zusammenhang von Organisationskultur und geplantem Wandel auseinander und sind damit sehr nahe beim Thema der vorliegenden Arbeit. (vgl.

Schein/Schein 2018, S. 209ff)

Das vorgestellte Kulturmodell wurde sowohl in wissenschaftlicher als auch beratender Arbeit entwickelt, wobei sowohl (überwiegend) Unternehmen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, als auch Behörden Gegenstand der Untersuchungen zunächst vor allem von Ed Schein waren. Diese Untersuchungen und die entsprechenden Veröffentlichungen der Forschungsergebnisse begannen schon in den 1960ern. 2018 publizierte Ed Schein, der forscherisch aus der Disziplin der Sozialpsychologie kommt,

gemeinsam mit seinem Sohn Peter, einem Sozialanthropologen, die 5. Auflage des Werkes „Organisationskultur und Leadership“, dem die folgenden Inhalte entnommen sind.

Sie arbeiten heraus, dass es für das Verständnis von „Kultur“ wichtig ist, zunächst zwei Perspektiven voneinander zu trennen: eine Perspektive, die nach dem Inhalt von Kultur (z.B. nach ihren Werten oder den Verhaltensweisen) fragt und eine Perspektive, die sich der Struktur von Kultur widmet und damit eine Analyse der komplexen Landschaften von Kultur ermöglicht. (vgl. Schein, Schein 2018, S. 1) In Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer klaren Kulturdefinition (Kultur im Allgemeinen und noch nicht heruntergebrochen auf die vielfältigen Kulturen in den verschiedensten Bereichen) und der Vielfalt der zu bedenkenden Phänomene und Wirkfaktoren (von beobachteten Verhaltensweisen über Klima, formelle Rituale und gewählten Werten bis hin zu Gruppennormen, Identität und sprachlichen Paradigmen) entwickeln sie eine dynamische Definition von Kultur: „Die Kultur einer Gruppe kann als die Ansammlung gemeinsamen Lernens dieser Gruppe definiert werden, die Probleme der externen Anpassung und der internen Integration; das, was gut funktioniert hat, um gültig zu sein, wird neuen Gruppenmitgliedern gelehrt, was richtig ist und was sie in Bezug auf solche Probleme wahrnehmen, denken und fühlen sollen. Diese Summe von Gelerntem stellt ein Muster oder System von Überzeugungen dar, von Werten und Verhaltensregeln, die als so grundlegend empfunden werden, dass sie schließlich aus der Bewusstheit verschwinden.“

(Schein, Schein 2018, S. 5) Sie betonen, dass diese Definition von Kultur umfassend ist und alle Ausformungen von Kultur auf jeder Ebene und jeden Unterbegriff von Kultur (wie etwa Subkultur, Inselkultur, Organisationskultur, etc.) erfasse.

Diese Definition weist auf einige Verbindungen zum Thema der vorliegenden Arbeit hin. Zunächst darauf, wie Kultur entsteht, nämlich als Prozess eines gemeinsamen Lernens (es handelt sich also um ein erlerntes Phänomen), aus dem der Inhalt von Kultur entsteht – als Ansammlung des gemeinsamen Lernens. Gemeinsam wird gelernt, was aus den Problemen der externen Anpassung (die aus der Umwelt kommenden Herausforderungen, denen sich die Gruppe stellen muss – wie auch jede Organisation ihren Blick auf die Herausforderungen von außen gerichtet hat) abzuleiten ist und was intern aufzunehmen ist (und so ein „Innen-Außen“ konstruiert – was gehört zur Organisation, was nicht?). Es wird aber nicht alles in den Kulturbestand übernommen, sondern nur das, was die jeweilige Gruppe als funktionierend erlebt, wahrgenommen hat und dem damit ein Gültigkeitsstatus verliehen wird. Dies macht auch in Organisationen Sinn: funktionierende Problemlösungen zu tradieren und nicht funktionierende zu verwerfen. Weil ein Zweck der Fortbestand der Organisation ist und neue Gruppenmitglieder einen Beitrag zum Fortbestand leisten sollen, wird diesen dieses als gültig Erachtetes gelehrt. Es geht bei diesem Lehren aus kultureller Perspektive allerdings nicht bloß um eine oberflächliche Aneignung von Wissen, sondern um die Darstellung dessen, was richtig ist, um hinsichtlich von Problemen bestimmte gesollte Wahrnehmungsmuster, Denkweisen und Gefühlsreaktionen hervorzurufen. Kultur bleibt aber nicht dabei stehen, sondern wird in der Summe dieses Gelernten zu einem grundlegenden und stabilen Muster bzw. System von Überzeugungen, Werten und Verhaltensregeln – dies wird sogar als „kulturelle DNA“ bezeichnet - in einer Weise, dass sie letztendlich den Individuen gar nicht mehr bewusst sind, also unter einer Oberfläche ihre Wirkung entfalten. (vgl. Schein, Schein 2018, S. 6) Dies weist darauf hin, dass es mehrere Ebenen von Kultur gibt – sichtbare und weniger sichtbare, bewusste und

unbewusste (ohne eine individualpsychologische Differenzierung zu beanspruchen) – und Kultur an sich ein deutliches Stabilitätspotenzial aufweist. Auch damit ist ein Zusammenhang mit den Auswirkungen in Veränderungsprozessen und der Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung mit Kultur gegeben. Dass Kultur ein erlerntes Phänomen ist, weist gleichzeitig darauf hin, dass prinzipiell auch ein Umlernen und/oder Verlernen möglich ist – ein Thema, das im Zusammenhang mit Change-Management und Projekten von Belang ist.

Ausgehend von dieser Definition konstatieren Schein und Schein einige Phänomene, die in diesem Kulturbegriff mitschwingen. Diese haben Einfluss auf das Lernen, sowie das allfällige Verlernen: strukturelle Stabilität (die kulturelle DNA ist schwer abzuändern, weil sie die positiv konnotierten Aspekte der Bedeutung und Vorhersehbarkeit ermöglicht bzw.

bietet), Tiefe (weil die grundlegenden Annahmen einer Kultur kaum sichtbar sind und den tiefsten, nicht immer bewussten Teil einer Gruppe darstellen), Breite (weil die Kultur, nachdem sie sich entwickelt hat, alle Funktionen der Gruppe abdeckt und alle Aspekte beeinflussend gleichsam allgegenwärtig ist), Muster (als ein weiteres stabilisierendes Charakteristikum in Form der Verbindung verschiedener Elemente wie Rituale, Werte und Verhaltensweisen) und Integration (die verschiedenen Elemente sind in eine Gestalt bzw.

ein größeres Paradigma eingebettet). (vgl. Schein, Schein 2018, S. 9f)

Organisationskultur ist demnach eine vieldimensionale Erscheinung, die die Funktionen von Stabilität, Bedeutung und Vorhersehbarkeit erfüllt. (vgl. ebd., S. 145)

Als weiteren über die Zeit stabilisierenden Faktor arbeiten sie heraus, dass eine Gruppe ihre Kultur an nachfolgende Generationen von Gruppenmitgliedern weitergibt, wobei diese Weitergabe sich zunächst auf die oberflächlichen Kulturelemente beschränkt und erst dann zum Herzen einer Kultur gekommen wird, wenn die Mitglieder der nachfolgenden Gruppengeneration sich etabliert und in der Gruppe gefestigte Positionen erreicht haben. (vgl. ebd., S. 9f)

Der Hinweis auf das Unbewusste in dieser Definition macht deutlich, dass Kultur jedenfalls öffentliche und sichtbare Aspekte hat, als auch nichtveröffentlichte und verborgene.

Diese Definition bedeutet aber durch ihren Bezug auf das gemeinsame Lernen auch, dass die Frage, ob alle Gruppen eine Kultur haben, abhängig vom Grad des gemeinsamen Lernens und einer gemeinsamen Lerngeschichte ist, was etwa bei Gruppen, die zeitlich nur kurzen Bestand haben und/oder häufigen Mitgliederwechsel haben und noch keine gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen hatten, eher nicht der Fall sein dürfte.

(vgl. ebd., S. 24) Für den Bereich des BMI und der nachgeordneten Dienststellen und Behörden wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für „Kultur“

auf jeder Ebene gegeben sind. Ein Ministerium des Inneren gab es schon in der Monarchie, die Wachkörper Bundessicherheitswache und Bundesgendarmerie wurden vor über 150 Jahren gegründet, die Verwaltung ist ebenfalls seit der Monarchie integraler Bestandteil der Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst und gemeinsame große und kleinere, regelmäßige Herausforderungen waren und sind auf jeder Ebene zu bewältigen. Ohne historisch ins Detail gehen zu wollen, sei nur an ausgewählte Beispiele erinnert, in denen sowohl das ganze Ressort, als letztlich auch jede einzelne Dienststelle gefordert war: die terroristischen Akte in den 1970er und 1980er-Jahren in Österreich, die Schaffung und Umsetzung des Beamtendienstrechtsgesetzes im Jahr 1979, das die Rechte und Pflichten

der Beamt*innen neu regelte, die Ostöffnung 1989, der EU-Beitritt Österreichs, die Maßnahmen anlässlich des World Economic Forum in Salzburg 2000, die österreichweite Reform „team 04“, die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz 2008, die Reform der Sicherheitsbehörden 2012, die Migrationskrise 2015 und 2016, sowie aktuell die Maßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung oder der Terroranschlag in Wien im November 2020. Daher wird davon ausgegangen, dass jedes Projekt des BMI und der nachgeordneten Dienststellen auf „Kultur(en)“ der betroffenen Organisationseinheit(en) trifft.

Wenn es darum geht, Kultur bzw. Kulturen zu analysieren, wird ein Modell beschrieben, das aus drei Ebenen besteht. Hinter dem Begriff der „Ebene“ steht die Ausprägung der Sichtbarkeit eines Elementes oder Phänomens für Beobachter*innen. (vgl.

ebd., S. 14ff)

Ebene Inhalt Wirkung Beispiele +

Anmerkung 1.Artefakte bemerkbare (sicht- und

spürbare) Strukturen und Abläufe, Technologie, Kunst, Stil, Mythen, veröffentlichte

Ideale, Werte und Ziele Ideologien,

Rationalisierungen

dies alles kann, muss aber nicht, mit dem

Annahmen unbewusste, unhinterfragt als selbstverständlich

in der Vergangenheit

wiederholt gut Orientierung; sie sind einer Kultur letztendlich

„Selbstverständlichkeit“;

dieses im Wege von

Veränderungs-management, um

Umlernen verändern zu wollen, erfordert in letzter Konsequenz oft ein Sprengen des Rahmens Tab. 1: Darstellung der Ebenen des Kulturmodells nach Schein/Schein (2018)

Quelle: eigene Darstellung des Verfassers

Schein und Schein fassen ihr Drei-Ebenen-Modell in der Metapher eines Seerosenteiches. An der Oberfläche dieses Teiches sind die Blüten und Blätter sichtbar und sozusagen als „Artefakte“ einer Bewertung zugänglich. Der den Teich bewirtschaftende Bauer habe bezüglich der Blüten und Blätter und des Teiches insgesamt Hoffnungen, Erwartungen, veröffentlichte Überzeugungen und Werte, die einen Rückschluss auf den Zustand und die Rechtfertigung des Ergebnisses zulassen. Im Bewusstsein (oder eben nicht) des Bauers, dass der Zustand der sichtbaren Blüten und Blätter das Ergebnis des Zusammenspiels mehrerer Faktoren ist (der Pflanzung selbst, des allgemeinen Zustandes des Teiches und der Wasserqualität, des Zustandes der Wurzeln der Pflanzen, des verwendeten Düngemittels, usw.) lässt sich überprüfen, ob seine Werte und Überzeugungen mit dem Ergebnis übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, oder bemerken Beobachter*innen, dass es eine Diskrepanz hinsichtlich der Überzeugungen und Werte, die der Bauer kundgetan hat, und dem aktuellen Zustand der Blüten und Blätter gibt, so muss auch untersucht werden, was es mit dem Wasser und den Wurzeln auf sich hat – es muss der Blick unter die Oberfläche gewagt werden. Würde man anders gefärbte Blüten und Blätter wollen, reiche es nicht, diese bloß anzumalen, sondern man müsse sich Gedanken machen, wie man etwa die Samen, den Dünger oder den biologischen Zustand des Teiches (um bei dem schon erwähnten Begriff zu bleiben: die unsichtbare DNA des Teiches) zu verändern im Stande ist. (vgl. Schein, Schein 2018, S.

21)

Mit diesem Modell lassen sich sowohl individuelles Verhalten, als auch das Verhalten von Gruppen aus kultureller Perspektive analysieren, wobei die herausforderndste Analyseebene die der grundlegenden Annahmen ist, weil hier vielfach davon ausgegangen werden muss, dass diese Wirkfaktoren außerhalb des Bewusstseins der Menschen liegen.

(vgl. ebd., S. 22ff)

Hinsichtlich des Zusammenhangs von Kultur und Veränderung wird darauf hingewiesen, dass für die Beurteilungsprozesse von Kultur, die eingesetzten diagnostischen und analytischen Methoden die Vorfrage nach der Perspektive und des Zieles von Interventionen bzw. Entscheidungen von Belang ist. Als ein Ziel wird dabei die Absicht der Führung genannt, die Organisation zu verbessern, weswegen die Entschlüsselung der Kultur notwendig sei, um die Veränderung zu erleichtern. (vgl. ebd., S. 209ff) Es werden verschiedene Aspekte und Methoden der Kulturanalyse vorgestellt und zudem in Bezug auf „planned change“ Hinweise zum Umgang mit förderlichen und hinderlichen Faktoren gegeben und einzelne Methoden vorgestellt, die dabei helfen können, Organisationskultur und Veränderungsmanagement nutzbringend zu verbinden, wie etwa „kulturelle Inseln“ als Schaffung einer spezifischen Lernsituation in Bezug auf unterschiedliche Kulturen. (vgl. Schein, Schein 2018, S. 87ff)

Im Sinne der Ausführungen wird mit Blick auf die Forschungsfragen und das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit die Definition von Schein und Schein für den Begriff der

„Organisationskultur“ (im BMI und seinen nachgeordneten Dienststellen, Behörden und deren Organisationsteilen) angelegt und das Drei-Ebenen-Modell von Kultur als wesentlicher Analysehintergrund – auch im Bereich der Kategorienbildung bei der Interviewauswertung – herangezogen.

Schein und Schein orten im Rahmen ihres Kulturmodells drei Subkulturen in jeder Organisation, wobei sie ausdrücklich auch den öffentlichen Sektor erwähnen, und betonen,

dass eine Annäherung dieser hilfreich ist, um Fehlentwicklungen und zerstörerische Konflikte möglichst proaktiv zu verhindern: die Subkultur der ausführenden Bediensteten (gemeinhin oft als die „Linie“ bezeichnet), die Subkultur der Entwickler und Designer (wobei sich das insbesondere auf die Designelemente der grundlegenden Arbeitsprozesse bezieht) und die Subkultur der Führungskräfte. (vgl. Schein, Schein 2018, S. 182ff)

Jede dieser Subkulturen hat gemäß dem allgemeinen Kulturmodell von Schein und Schein bestimmte spezifische Annahmen, die sie von den jeweils anderen Subkulturen abgrenzt und stark mit der jeweiligen Perspektive auf den tatsächlichen oder intendierten Beitrag zum Erfolg in Zusammenhang stehen, sowie innerhalb der Organisation spezifische Wirkungen entfalten. (vgl. ebd.)