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5.1 Grundlagen der Conjoint-Analyse

5.1.1 Definition und methodische Charakteristika

Bei der Conjoint-Analyse – auch Conjoint-Measurement, Trade-Off-Analyse, Verbundmes-sung oder konjunkte Analyse genannt – handelt es sich um eine multivariate Analysemetho-dik zur Untersuchung von Präferenzen bzw. Nutzenstrukturen von Personen (vgl. KLEIN

2002, S. 7; BACKHAUS et al. 2013, S. 174). PABST (2010, S. 39) definiert den Begriff Präfe-renz „als eindimensionaler Indikator für die individuelle Vorziehungswürdigkeit eines Beurtei-lungsobjekts zu einem bestimmten Zeitpunkt, die aus der Einstellungsdifferenz zwischen mindestens zwei Alternativen resultiert.“ Die Präferenz gilt aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zur Produktwahl als zentrales theoretisches Konstrukt zur Erklärung und Prognose des Kaufverhaltens von Konsumenten (vgl. FISCHER 2001, S. 8; PABST 2010, S. 39). Bei der Prä-ferenzbildung wiederum handelt es sich um einen Vorgang, bei dem sich die Stärke einer positiven Einstellung gegenüber verschiedenen Alternativen ausbildet (vgl. GOUKENS et al.

2009, S. 682).

Als Standardmethode zur Ermittlung von Präferenzen versucht die Conjoint-Analyse für ver-schiedene Konzeptalternativen Präferenzen von Einzelpersonen oder Personenmehrheiten zu erklären. Hierbei können die analysierten Konzeptalternativen sowohl Produkte als auch Dienstleistungen darstellen, welche jeweils durch mehr als eine Eigenschaft gekennzeichnet sind. „Häufig handelt es sich dabei um Produkte oder Dienstleistungen, die in irgendeiner Art

neuartig oder sogar innovativ sind – entweder für den Kunden und/oder für den Anbieter“

(BAIER/BRUSCH 2009, S. 3).

Der Begriff „Conjoint“ setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der beiden Wörter „considered“

(=betrachtet) und „jointly“ (=ganzheitlich) zusammen. Nach einer ganzheitlichen Beurteilung der zu untersuchenden Objekte, „werden diese Gesamtbeurteilungen mittels analytischer Methoden in ihre Komponenten, sog. Teilnutzen, zerlegt“ (BACKHAUS et al. 2013, S. 174). Auf diese Art und Weise können bspw. Marktforscher untersuchen, welche Eigenschaften eines bestimmten Produktes für die potenziellen Kunden von besonderer Wichtigkeit sind (vgl. ebd.

S. 174). Die einzelnen Teilnutzenwerte dienen somit als Entscheidungsgrundlage zur Aus-wahl optimaler Produkteigenschaften für die Konfiguration von Neuprodukten. Folglich lässt sich im Nutzenvergleich zu verschiedenen Produktkonzepten auf diese Art und Weise die beste Alternative identifizieren (vgl. PABST 2010, S. 43).

In Ihrer Grundstruktur entspricht die Conjoint-Analyse der Neuen Nachfragetheorie von L AN-CASTER (1966, 1971). Diese geht davon aus, dass für Konsumenten nicht die nachgefragten Güter bzw. Dienstleistungen per se einen konkreten Nutzen stiften, sondern deren verschie-dene Produkteigenschaften (vgl. KLEIN 2002, S. 8; ERHARDT 2009, S. 19). Folglich wird in der Präferenzforschung unterstellt, dass jeder Entscheider die Maximierung des erzielbaren Nut-zens anstrebt und sich demzufolge der Gesamtnutzen einer Alternative aus den einzelnen Teilnutzenwerten der jeweiligen Produkteigenschaften zusammensetzt. Die Höhe der Präfe-renz wird hierbei durch den Nutzen, den eine Alternative stiftet, ausgedrückt. Somit bildet das Präferenzurteil eine zentrale Determinante des individuellen Auswahlverhaltens (vgl.

MÜLLER 2005, S. 3; ERHARDT 2009, S. 10ff.).60

Die Conjoint-Analyse wurde erstmals in den 1960er Jahren in der Psychologie eingesetzt und geht im Wesentlichen auf die Arbeit von LUCE/TUKEY (1964) zurück. Sie konzipierten zunächst das Conjoint Measurement als axiomatisches Verfahren der mathematischen Psy-chologie und verallgemeinerten und entwickelten es im Folgenden weiter. Anfang der 1970er Jahre führten GREEN/RAO (1971) in den USA das Verfahren in die Marketing-Literatur ein. In diesem Zusammenhang wurde das Verfahren nicht mehr axiomatisch sondern anwendungs-orientiert interpretiert. Nach dieser Einführung in die Betriebswirtschaft bzw. in das Marketing erlebte die Conjoint-Analyse in den darauf folgenden Jahren einen großen Aufschwung, der sich in Europa mit einer leichten Zeitverzögerung Ende der 1970er Jahre ebenfalls einstellte (vgl. BEUTIN/HARTER 2008, S. 5; BAIER/BRUSCH 2009, S. 5).

In Deutschland wurde analog zur Entwicklung in den USA das Verfahren der Conjoint-Analyse zuerst in der mathematischen Psychologie vorgestellt und anschließend auch in der

60 So lässt sich bspw. für Markenwahlentscheidungen von Nachfragern die empirisch belegbare These formulieren, dass jene Marke die größte Kaufwahrscheinlichkeit besitzt, welche die größte Präferenz aufweist (vgl. M 2005, S. 3; D 2007, S. 4).

Marktforschung und der Marktpsychologie angewendet. ORTH (1974) diskutierte erstmals in der mathematischen Psychologie den Einsatz im Zusammenhang mit der Messung mehrdi-mensionaler Eigenschaften. MAZANEC (1976) führte die Conjoint-Analyse in die deutschspra-chige Marktforschungsliteratur ein. ASCHENBRENNER (1977) betrachtete erstmalig das Con-joint Measurement im Rahmen der Marktpsychologie und es erfolgte eine damit verbundene Darstellung der Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens zur Erklärung des Wahlverhal-tens bei multiattributiven Produktalternativen (vgl. BAIER/BRUSCH 2009, S. 5).

Der skizzierte Aufschwung führte in den letzten Jahrzehnten zu zahlreichen empirischen Er-hebungen mittels der Conjoint-Analyse.61 Die Erklärung für die große Verbreitung dieser Me-thodik innerhalb der Marktforschung liefert BENNA (1998, S. 65): „Jedes von einem Unter-nehmen erstellte Gut kann als eine Kombination aus spezifischen Produkteigenschaften mit bestimmten Merkmalsausprägungen charakterisiert werden. Die Grundstruktur eines Gutes entspricht [damit] der Darstellungsform von Untersuchungsobjekten in Conjoint-Analysen.“

Tabelle 4: Anwendungsbeispiele der Conjoint-Analyse

Problemstellung Eigenschaften Eigenschaftsausprägungen

Präferenzen für Online 48 h, 1 Monat, unbegrenzt 3,60€, 1,80€, 0,60€, kostenlos

Vor Ort, E-Mail, Call Center-Hotline

Quelle: eigene Darstellung nach BACKHAUS et al. 2016, S. 521

Die Conjoint-Analyse fasst Produkte als gebündelte Menge von Eigenschaften bzw. Merkma-len und ihren Eigenschaftsausprägungen auf. Die Produkteigenschaften stelMerkma-len hierbei die unabhängigen Variablen dar, während die Eigenschaftsausprägungen folglich deren konkre-te Werkonkre-te sind. Die abhängige Variable ist die Präferenz der Auskunftsperson für die fiktiven Produkte, die als Produktstimuli (Alternativen) bezeichnet werden. Als Verbundanalyse kann die Conjoint-Analyse die Zusammenhänge zwischen der Rangordnung der Alternativen und den einzelnen Komponenten, die diese Alternativen unterscheiden, aufdecken (vgl. BONNY

1999, S. 47; BACKHAUS et al. 2016, S. 520). Tabelle 4 vermittelt anhand von zwei

61 Einen guten Überblick über Entwicklungen der Conjoint-Analyse im Zeitverlauf liefern BAIER/BRUSCH

(2009, S. 4).

dungsbeispielen einen Einblick in mögliche Problemstellungen, die Zahl und Art der Eigen-schaften sowie die betrachteten Eigenschaftsausprägungen einer Conjoint-Analyse.

Grundsätzlich lässt sich die Conjoint-Analyse durch sechs Charakteristika beschreiben, die im Folgenden kurz erläutert werden:

Dekompositioneller Ansatz

Generell können für die multiattributive Präferenzmessung62 zwei Vorgehensweisen unter-schieden werden, nämlich eine kompositionelle und eine dekompositionelle Methode (vgl.

Abb. 21). Bei der kompositionellen Methode der Präferenzermittlung wird die Beurteilung einzelner Eigenschaften und Ausprägungen eines Produktes direkt erfragt.63 Aus den abge-gebenen Einzelurteilen wird das Gesamturteil zusammengefasst bzw. komponiert (daher kompositioneller Ansatz) (vgl. BAIER/BRUSCH 2009, S. 3; PABST 2010, S. 42f.). Dieses Vor-gehen stellt auch die klassische Methode zur Ermittlung von Standortanforderungen dar (vgl.

BARTHEL 2008, S. 30).

Abbildung 21: Unterscheidung von dekompositioneller und kompositioneller Vorgehensweise

Quelle: eigene Darstellung nach DIETZ 2007, S. 3

Im Rahmen der Conjoint-Analyse wird im Gegensatz zur kompositionellen Methode der um-gekehrte Weg eingeschlagen und die ermittelten Gesamturteile (Gesamtpräferenzen für eine Kombination von mehreren Ausprägungen mehrerer Eigenschaften) werden in die Teilpräfe-renzen für die zugrunde liegenden Eigenschaften und Ausprägungen zerlegt, weshalb hier von einem dekompositionellen Verfahren gesprochen wird (vgl. DIETZ 2007, S. 4f.; B AI-ER/BRUSCH 2009, S. 3f.).

62 D.h. es stehen mindestens zwei Produktalternativen zur Auswahl, die sich jeweils aus verschiede-nen Produkteigenschaften zusammensetzen und sich hinsichtlich einer oder mehrerer Eigenschaften unterscheiden (vgl. PABST 2010, S. 43).

63 Beispiele für eine direkte Fragestellung für die Beurteilung einzelner Eigenschaften und Ausprägun-gen bei kompositionellen Methoden der Präferenzermittlung wären „Wie wichtig ist Ihnen die WaAusprägun-gen- Wagen-farbe eines Autos?“ sowie „Wie gefällt Ihnen die WagenWagen-farbe blaumetallic bei einem Auto?“ (vgl. B

AI-/B 2009, S. 3).

Ganzheitliche Beurteilungsperspektive

Bei einer Conjoint-Analyse werden die Untersuchungsteilnehmer – im Gegensatz zur attri-butbezogenen bzw. isolierten Objektbeurteilung des kompositionellen Ansatzes – dazu ver-anlasst, ganze Objekte bzw. ganzheitliche Merkmalsbündel (=Bewertungsstimuli) zu beurtei-len bzw. simultan („conjoint“) positive und negative Merkmalsausprägungen gegeneinander abzuwägen, bevor sie ein Präferenzurteil bilden. Durch diese realitätsnahe Vorgehensweise ist die Conjoint-Analyse zur Messung von Präferenzen besser geeignet als bspw. Verfahren, welche einzelne Eigenschaften getrennt voneinander betrachten. Hierbei umgeht die Con-joint-Analyse ein gewichtiges Problem des kompositionellen Ansatzes, da die Testpersonen hier oftmals dazu neigen, tendenziell alle Eigenschaften als sehr wichtig einzustufen bzw.

Ausprägungen von Attributen bevorzugen, die nicht simultan optimiert werden können (z.B.

„höchste Qualität zum niedrigsten Preis“) (vgl. MÜLLER 2005, S. 4; BAIER/BRUSCH 2009, S.

4).

Dependenzanalytisches Verfahren

Im Rahmen einer Conjoint-Analyse wird der Einfluss von Objekteigenschaften (=unabhängige Variable) auf globale Präferenzurteile von befragten Personen (=abhängige Variable) analysiert. Die Skalierung dieser Präferenzurteile kann hierbei ordinal oder met-risch sein, während hingegen die zur Konstruktion der Produktstimuli herangezogenen Ei-genschaften diskrete Ausprägungen besitzen und somit auf nominalem oder klassiertem (quasi-metrischen) Skalenniveau gemessen werden (vgl. MÜLLER 2005, S. 4; DIETZ 2007, S.

5).

Kompensatorischer Charakter

Für die Ermittlung des Gesamtnutzens multiattributiver Produktalternativen wird im Normal-fall ein additives Aggregationsmodell zugrunde gelegt, d.h. die Teilnutzenwerte einer schaftsausprägung werden für jede Produktalternative mit den entsprechenden Eigen-schaftsgewichten multipliziert und schließlich addiert. Hierbei können geringere Teilnutzen-werte einer Produkteigenschaft durch höhere TeilnutzenTeilnutzen-werte anderer Produkteigenschaften kompensiert werden (vgl. DIETZ 2007, S. 5; PABST 2010, S. 43).

Simulierte Entscheidungssituation

Im Gegensatz zu real-empirischen Marktuntersuchungen wird bei einer Conjoint-Analyse kein real zu beobachtendes Kaufverhalten untersucht, sondern durch die Abfrage hypotheti-scher Präferenz- oder Wahlurteile eine simulierte Entscheidungssituation geschaffen (vgl.

DIETZ 2007, S. 5).

Experimentelles Design

Für eine effiziente statistische Zerlegung der ganzheitlichen Produktbewertungen in vonei-nander unabhängige Parameterschätzungen werden die jeweiligen Produkteigenschaften

nicht per Zufallsstichprobe erhoben, sondern in einem experimentellen Design systematisch variiert (vgl. TEICHERT et al. 2008, S. 657).

Zusammenfassend betrachtet besteht das Ziel der Conjoint-Analyse in der Erhebung von Konsumentenpräferenzen und der daraus zu ermittelnden Teilnutzenwerte für einzelne Ei-genschaftsausprägungen eines Produkts (vgl. HIMME 2009, S. 283). Die Conjoint-Analyse bezieht sich somit auf zwei zentrale Fragestellungen (vgl. BACKHAUS et al. 2013, S. 174):

1. Welchen Nutzenbeitrag (Teilnutzen) leisten die Eigenschaftsausprägungen eines Produktes zum Gesamtnutzen des selbigen?

2. Welche Wichtigkeit besitzen die unterschiedlichen Produkteigenschaften für die Nut-zenbeurteilung (Präferenzbildung)?

Zur Beantwortung dieser Fragestellungen stehen verschiedene Verfahrensvarianten der Conjoint-Analyse zur Verfügung, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden.