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AHV/Anspruch auf Hilf losenentschadigung

Urteil des EVG vom 31. Juli 1984 i.Sa. M.F.

Art.

43bis Abs. 1 und 5 AHVG,

Art.

66b1s Abs. 1 AHVV, Art. 42 Abs. 2 und 4 IVG,

Art.

36 Abs. 1 lVV. Die regelmässige Hilfeleistung beim Verrich-ten der Notdurft im Bett muss - obwohl sich die Versicherte auf der Toilette selber reinigen kann - als erhebliche direkte Dritthilfe beim Verrichten der Notdurft bezeichnet werden, falls der Versicherten der Gang zur Toilette nicht zumutbar ist.

Das Bringen einer der drei Hauptmahlzeiten ans Bett ist eine erheb-liche Dritthilfe bei der Lebensverrichtung Essen, wenn diese Hilfe we-gen des Gesundheitszustandes der Versicherten objektiv betrachtet notwendig ist.

Die 1913 geborene Versicherte, Bezügerin einer Altersrente, leidet an schwe-ren Hüftgelenk- und Blasenbeschwerden. Im März 1983 meldete ihr Sohn sie zum Bezug einer Hilflosenentschädigung an. Die 1V-Kommission holte beim Hausarzt einen Bericht (vom 2. April 1 983) ein und beschloss danach die Ab-lehnung des Begehrens, da beim Essen noch Selbständigkeit bestehe und die

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Versicherte somit nicht in schwerem Grade hilflos sei. Dies eröffnete ihr die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 19. Mai 1983.

Die hiegegen erhobene Beschwerde veranlasste die 1V-Kommission, beim Arzt eine ergänzende Stellungnahme (vom 2. Juli 1983) sowie bei der Gemein-deschwester telefonische Auskünfte (vom 7. Juli 1983) einzuholen. Mit Ent-scheid vom 26. September 1983 wies die Rekursbehörde die Beschwerde ab.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte den Antrag erneu-ern, es sei ihr ab 1. März 1982 eine Hilflosenentschädigung zuzusprechen und ihrem Rechtsvertreter sei eine angemessene Parteientschädigung auszu

-richten.

Die Vorinstanz nimmt zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde einlässlich Stel-lung. Ausgleichskasse und BSV verzichten in ihren Vernehmlassungen auf ei-nen Antrag.

Das EVG heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus folgenden Gründen teilweise gut:

1. Die Vorinstanz legt in ihrem Entscheid zutreffend dar, unter welchen Vor-aussetzungen Altersrentnern eine H ilflosenentschäd igung zur AHV zusteht (Art. 43 b AHVG i.V.m. Art. 42 Abs. 2 IVG). Sie hält insbesondere mit Recht fest, dass die Bejahung schwerer Hilflosigkeit u.a. davon abhängt, ob der Ver-sicherte in allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist (Art. 36 Abs. 1 IVV). Ferner wird im vorinstanzlichen Entscheid die Rechtsprechung zur Bemessung der Hilflosig

-keit richtig wiedergegeben (BGE 107 V 138 Erw. 1 und 147 Erw. 1 mit Hin-weisen, ZAK 1982 S. 123 und 131). Beizufügen bleibt, dass es nicht Sache des Arztes (oder einer mit der Abklärung der Verhältnisse betrauten Stelle) ist, die Rechtsfrage der Erheblichkeit zu beantworten. Seine Aufgabe besteht viel-mehr darin, näher zu umschreiben, worin die von Dritten notwendigerweise zu leistende (direkte oder indirekte) Hilfe in den einzelnen Lebensverrichtungen bzw. deren Teilfunktionen besteht. Sache der Verwaltung (und im Beschwer-defall des Richters) ist es sodann, aufgrund dieser Angaben die Rechtsfrage zu beurteilen, ob die Hilfsbedürftigkeit erheblich ist oder nicht (BGE 107V 143, ZAK1982S. 123).

2a. Laut Arztbericht vom 2. April 1983 leidet die Beschwerdeführerin im we-sentlichen an beidseitiger Coxarthrose, schwerer Kyphoskoliose der Wirbel-säule und an Totalprolaps des Uterus mit Harninkontinenz; die seit Jahren bestehende Multiple Sklerose sei zur Zeit nicht aktiv. Wegen den durch diese Leiden bedingten Einschränkungen ist die Beschwerdeführerin unbestrittener-massen in vier Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise hilfs-bedürftig: beim Ankleiden/Auskleiden, beim Aufstehen/Absitzen/Abliegen, bei der Körperpflege (Baden/Duschen) sowie bei der Fortbewegung (im Freien). Streitig und zu prüfen ist, ob die Hilfsbedürftigkeit auch beim Essen und Verrichten der Notdurft besteht.

b. In der Anmeldung vom 9. März 1983 gab der Sohn der Beschwerdeführe-rin an, dass seine Mutter unter ständigen Blutungen leide und stündlich die

Notdurft verrichten müsse, wobei sie regelmassig Hilfe benötige. Der Hausarzt bestätigte im Bericht vom 2. April 1983, dass diese Angaben über die Hilfsbe-dürftigkeit mit den erhobenen Befunden vereinbar seien. Die Gemeindeschwe-ster erklärte am 7. Juli 1983 auf Anfrage der IV- Kommission, dass sie die Be-schwerdeführerin seit anfangs Juni 1983 abwechslungsweise mit einer Kolle-gin betreue; beim Verrichten der Notdurft könne sich die Beschwerdeführerin indessen selbständig reinigen. Gestützt darauf verneinte die Vorinstanz die Hilfsbedürftigkeit bei der Verrichtung der Notdurft. Gegen diese Betrach-tungsweise wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingewendet, die fragliche Lebensverrichtung umfasse nicht nur die Reinigung; denn die Auf-zählung der einzelnen Lebensverrichtungen bilde letztlich die Grundlage zur Abschätzung des für die Dritthilfe benötigten Zeitaufwandes, welcher für den Anspruch entscheidend sei. Vorliegend müsse die Beschwerdeführerin wegen ihres Gesundheitszustandes häufig urinieren; dabei sei ihr der Gang zur Toi-lette, bei welchem sie fremder Hilfe bedürfe, nicht zuzumuten, weshalb sie nachts mehrmals die Notdurft im Bett verrichten und hiebei die Hilfe des Ehe-mannes beanspruchen müsse. Diese Hilfsbedürftigkeit sei im Rahmen des Ver-richtens der Notdurft zu berücksichtigen.

Wie bereits im Urteil G. vom 3. November 1981 (ZAK 1983 S. 72) in bezug auf die Lebensverrichtungen Essen und Aufstehen/Absitzen/Abliegen festgehal-ten, dürfen nach dem Urteil S. vom 9. März 1982 (ZAK 1982 S. 419) allgemein Teilfunktionen einer Lebensverrichtung, für welche der Versicherte unter Um-ständen bei mehreren Verrichtungen der Hilfe Dritter bedarf, in der Regel nur einmal berücksichtigt werden. Aufgrund der Akten steht vorliegend fest, dass die unter Harninkontinenz leidende Beschwerdeführerin während der Nacht öfters urinieren muss. Ihre weiteren Beschwerden lassen es dann kaum oder nur mit unzumutbarem Aufwand zu, die Toilette aufzusuchen. Deshalb bringt ihr jeweils der Ehemann einen Topf ans Bett und geht ihn anschliessend lee-ren. Diese regelmässig notwendige Hilfeleistung muss als erhebliche direkte Dritthilfe beim Verrichten der Notdurft bezeichnet werden und ist, wie nun auch die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung ans EVG einräumt, keiner anderen Lebensverrichtung zuzuordnen. Es besteht somit beim Verrichten der Notdurft ebenfalls eine relevante Hilfsbedürftigkeit.

c. Des weitern verneinte die Vorinstanz in ihrem Entscheid die Hilfsbedürftig-keit beim Essen. In der Tat wurden die Fragen im Anmeldeformular, ob die Speisen ans Bett gebracht, zerkleinert oder zum Munde geführt werden müss-ten, allesamt mit «nein» beantwortet. Während die Gemeindeschwester diese Angaben vollumfänglich bestätigte, wies der Hausarzt in seinem Schreiben vom 2. Juli 1983 darauf hin, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin das Frühstück ans Bett bringen müsse. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird sinngemäss geltend gemacht, die Beschwerdeführerin könne zwar das Essen selber zerkleinern und zu sich nehmen, doch müsse sie das Morgen-essen regelmässig im Bett einnehmen, da ihr nicht zumutbar sei, sich morgens mit aufwendiger Dritthilfe zum Tisch zu begeben. Nach den in Erw. 2b ange- 403

führten Grundsätzen wird die Hilfe, welche nicht beim Essen selber, sondern dazu benötigt wird, um zum Esstisch zu gelangen und dort abzusitzen respek-tive aufzustehen, bei der Fortbewegung sowie beim Aufstehen/Absitzen/Ab-liegen, nicht aber noch zusätzlich beim Essen berücksichtigt. Im erwähnten Urteil G. vom 3. November 1981 (ZAK 1983 S. 72), wo wie vorliegend fest-stand, dass der Versicherte das Essen selbständig zerkleinern und zu sich neh-men kann, bestand für den Versicherten keine Notwendigkeit, die Nahrung re-gelmässig im Bett einzunehmen. Bei der Beschwerdeführerin ist indessen auf-grund der glaubwürdigen Darstellung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche mit der Stellungnahme des Hausarztes übereinstimmt, davon auszuge-hen, dass es wegen des gesundheitlichen Zustandes objektiv betrachtet not-wendig erscheint, ihr das Frühstück ans Bett zu bringen. Diese Hilfe bei der

Einnahme einer der drei Hauptmahlzeiten muss unter den gegebenen Umstän-den als erhebliche Dritthilfe bezeichnet werUmstän-den, so dass auch bei der Lebens-verrichtung Essen eine relevante Hilfsbedürftigkeit besteht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin bei allen sechs alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf fremde Hilfe angewiesen ist. Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin auch der dauernden Pflege oder der persönlichen Uberwachung bedarf und ab wann sie gegebenenfalls eine Hilflosenentschädigung beanspruchen kann.

Diese Fragen lassen sich aufgrund der vorliegenden Akten nicht beurteilen, weshalb es noch zusätzlicher Abklärungen bedarf. Es ist Sache der Verwal-tung, diese vorzunehmen und danach neu zu verfügen.

Die Beschwerdeführerin beantragt die Ausrichtung einer Parteientschädi-gung an ihren Rechtsvertreter.

Das EVG spricht Parteien, die durch eine Organisation (Patronati, SAEB, So-zialdienste und dergleichen) vertreten sind, eine Parteientschädigung nur zu, wenn eine anwaltsmässige oder allenfalls eine andere, für das in Frage ste-hende Rechtsgebiet besonders qualifizierte Vertretung vorliegt und wenn nicht anzunehmen ist, dass sie kostenlos erfolgt (BGE 108 V 271, ZAK 1983 S. 341). Im vorliegenden Fall steht fest, dass keine Vertretung im erwähnten Sinne vorliegt, weshalb keine Parteientschädigung zugesprochen werden kann.