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Urteil des EVG vom 10. Dezember 1984 iSa. A.B.

(Übersetzung aus dem Italienischen)

Art. 4, Art. 11 Abs. 1 und 3, Art. 38 VwVG; Art. 6 Abs. 2 und 4, Art. 18 Abs. 2 BZP; Art. 35 Abs. 1, Art. 405 Abs. 1 OR. Die Prozessvollmacht besteht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fort, auch wenn eine Vereinbarung darüber fehlt, wenigstens bis zum Zeitpunkt, in dem die Erben bekannt sind und feststeht, ob diese den Prozess wei-terführen wollen und ob ein Bevollmächtigter ernannt worden ist.

Ei ne diesbezügliche Aufforderung zur Auskunftserteilung ist deshalb dem Rechtsvertreter der Partei und nicht dieser selbst zuzustellen.

Mit Verfügung vom 2. Juli 1981 kürzte die Ausgleichskasse die dem 1922 ge-borenen italienischen Staatsangehörigen C.B. zugesprochene ganze IV-Rente gemäss Art. 7 Abs. 1 IVG um 25 Prozent.

Der Versicherte reichte gegen diese Verwaltungsmassnahme bei der Eidgenös-sischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Perso-nen Beschwerde ein. Wahrend des Verfahrens liess er sich mit ordentlicher Vollmacht durch ein Patronat' vertreten.

1 Patronato =Hilf s- und Beratungsstelle für Italiener in der Schweiz.

Am 1 5. Oktober 1982 teilte die Augleichskasse der Rekursbehörde mit, der Be-schwerdeführer sei am 22. Oktober 1981 verschieden. Der Instruktionsrichter wandte sich daraufhin am 21. Oktober 1982 an dessen Witwe zuhanden der Erben, um zu erfahren, ob sie das Beschwerdeverfahren fortzuführen beab-sichtigten und ob das Patronat weiterhin als Parteienvertreter betrachtet wer-den könne. Für die Antwort setzte er eine Frist bis 22. November 1982 an, mit dem Hinweis, dass ein Stillschweigen als Rückzugserklärung betrachtet würde.

Weil die Erben der Aufforderung keine Folge leisteten, schrieb die Rekurskom-mission die Beschwerde mit Beschluss vom 3. Dezember 1982 als erledigt ab.

Vertreten durch ein anderes Patronat erhebt die Witwe des Betroffenen Ver-waltungsgerichtsbeschwerde. Dabei macht sie geltend, im Zeitpunkt des Emp-fanges der gerichtlichen Aufforderung habe sie sich in einem Verwirrungs-zustand befunden, weshalb sie nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig zu antworten.

Die beschwerdebeklagte Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das BSV sieht von einer eigentlichen Stellungnahme ab, gibt aber die Auffas-sung seines Ärztlichen Dienstes wieder, wonach die vorgebrachten «psychi-schen Störungen» nicht über eine «normale)> Trauerreaktion hinausgingen.

Das EVG heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit folgender Begrün-dung gut:

1. Streitgegenstand ist einzig die Frage, ob die Rekurskommission die Sache zu Recht durch einen Abschreibungsbeschluss erledigt hat, weil die Erben des Versicherten der Aufforderung des Instruktionsrichters keine Folge leisteten.

2a. Das Verfahren vor der AHV/lV-Rekurskommission für Personen im Aus-land wird durch das VwVG geregelt (Art. 1 Abs. 1 und 2 Bst. d VwVG). Dieses ordnet jedoch die Rechtsnachfolge im Prozessverfahren beim Tod des Be-schwerdeführers nicht. Gemäss Art. 4 VwVG finden Bestimmungen des Bun-desrechts, die ein Verfahren eingehender regeln, Anwendung, soweit sie den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht widersprechen. Nach Art. 6 des Bundes-gesetzes über den Bundeszivilprozess (BZP) ruht das Prozessverfahren von Gesetzes wegen in den besonders bestimmten Fällen und bei Tod einer Partei (Abs. 2). Und wenn der Richter weder von der Erbengemeinschaft noch von der Gegenseite die erforderlichen Angaben über die Rechtsnachfolge erhält, so wird der Prozess abgeschrieben (Abs. 4). Vorliegend hat sich der Instruktions-richter der Rekurskommission folglich zu Recht auf das BZP gestützt, um die Auskünfte über die Fortsetzung des Prozesses zu erhalten, nachdem der Be-schwerdeführer gestorben war.

b. Es bleibt zu untersuchen, ob die erstinstanzliche Rekursbehörde die Auffor-derung zu Recht an die Erben gerichtet hat, obschon der Versicherte ein Patro-nat mit der Rechtsvertretung beauftragt hatte.

Nach Art. 11 Abs. 1 VwVG kann sich die Partei auf jeder Stufe des Verfahrens vertreten lassen. Gemäss Abs. 3 dieses Artikels macht die Behörde ihre Mittei- 409

lungen an den Vertreter, solange die Partei die Vollmacht nicht widerruft. Art.

38 VwVG schreibt schliesslich vor, dass den Parteien aus mangelhafter Eröff-nung kein Nachteil erwachsen darf. Diesbezüglich hat die Rechtsprechung präzisiert, dass die Zustellung einer beschwerdefähigen Verfügung an die Par-tei persönlich anstatt an ihren Vertreter eine mangelhafte Eröffnung darstellt, aus der einer Partei kein Nachteil erwachsen darf (BGE 99V 177). Es trifft zu, dass die Aufforderung des Instruktionsrichters an die Erben formell keine be-schwerdefähige Verfügung darstellte. Es handelt sich aber um eine Mass-nahme, die bei Nichtbeachtung der Partei einen sonst nicht mehr wiedergutzu-machenden Nachteil gebracht hätte. Folglich können die erwähnten Grund-sätze vorliegend angewendet werden.

c. Um feststellen zu können, ob die Aufforderung vorschriftsgemäss zugestellt wurde, ist ausschlaggebend, ob der Auftrag, mit welchem der Betroffene das Patronat mit der Rechtsvertretung betraut hatte, mit seinem Tod dahingefallen ist.

Art. 18 Abs. 2 BZP - ein Gesetz, das wie bereits erwähnt im Rahmen des VwVG subsidiär anwendbar ist - schreibt vor, dass die Vorschriften des OR über Um-fang und Erlöschen der Ermächtigung auch für die Vollmacht dem Gerichte gegenüber gelten. Nun verhält es sich so, dass nach Art. 35 Abs. 1 OR die durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung mit dem Tod des Vollmachtgebers erlischt, sofern nicht das Gegenteil vereinbart wurde oder aus der Natur des Geschäftes hervorgeht. Diese Bestimmung wird von Art. 405 Abs. 1 OR hin-sichtlich des Auftrages untermauert, der vorschreibt, dass das Verhältnis durch den Tod des Auftraggebers erlischt, sofern nicht das Gegenteil vereinbart ist oder aus der Natur des Geschäftes gefolgert werden muss.

Da die Ermächtigung des Betroffenen zur Rechtsvertretung an das Patronat nichts für den Fall des Todes des Vollmachtgebers vorsieht, ist zu untersuchen, ob die Natur des Verhältnisses die Fortführung der Ermächtigung nach dem Tod des Beteiligten rechtfertigt oder nicht. Das Bundesgericht hat bereits fest-gestellt, dass die Prozessvollmacht in einem Prozess über den Tod des Voll-machtgebers hinaus bis zur Beendigung des Verfahrens andauert (BGE 75 II 192, 50 II 30). Die Lehre - auch wenn sie darauf hinweist, dass gewisse Pro-zessvorschriften das Erlöschen der Vollmacht im Falle des Todes des Voll-machtgebers vorsehen - gelangt zur gleichen Lösung wie das Bundesgericht, wenn es sich um die Anwendung des BZP handelt (vgl. Guldener, Schweizeri-sches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 138; Gautschi, Berner Kommentar,

Band IV, Bern 1960, S. 663; Sträuli-Messmer, ZPO, Zürich 1982, S. 71; Wal-der-Bohner, Zivilprozessrecht, Zürich 1983, S. 150).

Das EVG sieht im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, von dieser Praxis in grundsätzlicher Hinsicht abzuweichen, d.h. dass das Mandat beim Tod des Vollmachtgebers während des Verfahrens gestützt auf den Vertrauensgrund-Satz fortbesteht, auch wenn eine entsprechende Abmachung fehlt, und zwar wenigstens bis zum Zeitpunkt, in welchem die Erben ausfindig gemacht wer-

den und festgestellt werden kann, ob sie das Verfahren weiterzuführen beab-sichtigen und, wenn dies zutrifft, ob ein Bevollmächtigter ernannt worden ist.

3. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Aufforderung des Instruk-tionsrichters - trotz des Todes des Beschwerdeführers - dem Vertreter und

nicht den Parteien hätte zugestellt werden sollen, weshalb diesen daraus kein Nachteil erwachsen darf. Unter diesen Umständen ist der angefochtene Ent-scheid aufzuheben, und die Akten sind an die Vorinstanz zurückzuweisen zwecks Zustellung der fraglichen Aufforderung an den Rechtsvertreter des ver-storbenen Beschwerdeführers.

Sozialversicherungsabkommen; versicherungsmässige