• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Kammermusikalische Askese und vollendete Klassik: Konzert des Orchesters der deutschen Kinderärzte am 6. September 1976 in Köln" (30.09.1976)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Kammermusikalische Askese und vollendete Klassik: Konzert des Orchesters der deutschen Kinderärzte am 6. September 1976 in Köln" (30.09.1976)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Information:

Bericht und Meinung FEUILLETON

Mit dem Stethoskop läßt sich man- cherlei erforschen, doch nicht die Herztöne der Musik. Hier heißt das Stichwort Begabung. Und wenn gar die Herztöne der Musik nicht nur passiv erlebt, sondern aktiv be- stimmt oder mitbestimmt werden sollen, dann fordert die Begabung zudem noch viel Fleiß. Und Fleiß wiederum fordert Zeit.

Wer hat heute noch Zeit? Haben Ärzte Zeit? Wie das Konzert aus Anlaß des Kinderärztekongresses in Köln zeigte, haben deutsche Kinderärzte von der Nordsee bis zu den Alpen jedenfalls so viel Zeit, daß sie sich mit Fleiß einem Musik- instrument widmen können, und dann — zu einem Orchester zu- sammengeschlossen — auf dem meist nur Mittelgebirgen vergleich- baren Parnaß der Laien-Orchester den absoluten Höhenrekord halten.

Der Fleiß also. Man sagt, es sei noch kein Meister vom Himmel ge- fallen. Als Henryk Szeryng zusam- men mit den musikalischen Pädia- tern im Kölner Opernhaus Beetho- vens Violinkonzert spielte, war in- des mancher Hörer dazu angetan, den Volksmund Lügen zu strafen.

Als Szeryng auf seiner Stradivari

— oder seiner Guarneri del Gesu, der Unterschied ist äußerst schwer auszumachen — spielte, glaubte man schließlich doch plötzlich an das Wunder des vom Himmel gefal- lenen Meisters, an das Wunder ei- nes unvermittelt erschienenen Ma- giers, der seine Hörer in Bann zieht, sie verzaubert, ihnen ein ver- klärtes Lächeln nach dem anderen abzwingt.

Den Orchestermusikern erging es gewiß nicht anders als den Zuhö- rern, und so war es dann hier doch zweifellos die Auskultation, welche die musizierenden Ärzte über sich selbst hinauswachsen ließ. Sie

horchten dem großen Virtuosen so viel ab von seiner Kunst, sie hörten so deutlich und so nah die wah- ren Herztöne der Musik, daß sie wie in einem Taumel zu immer in- tensiverem, immer schönerem, vollendeten Musizieren mitgerissen wurden.

Höhepunkt: Beethovens

Violinkonzert mit Henryk Szeryng Sprach zu Beginn des Abends aus Beethovens spannunggeladener Coriolan-Ouvertüre durch die Ent- haltsamkeit an musikalischem Aus- druck — an Agogik in erster Linie und in zweiter Linie an Dynamik — noch der Geist kammermusikali- scher Asthenie oder kirchenmusi- kalischer Schüchternheit, so reich- te der Klang bei Beethovens Violin- konzert in die gewaltigen Span- nungsfelder der vollendeten Klas- sik. Bei Schuberts h-Moll-Sinfonie zum Abschluß, der berühmten „Un- vollendeten", wiederum verblaßten der Charme des Wieners und die Melancholie des Romantikers hin- ter einer mißverstandenen „edlen Einfalt und stillen Größe".

Der dieses Wort prägte, der gro- ße Archäologe Johann Joachim Winckelmann, war ein Prototyp des 18. Jahrhunderts. — Doch der Interpretationsstil der musizieren- den Kinderärzte orientierte sich unter ihrem Dirigenten Eduard Mel- kus auch noch bei Werken des 19.

Jahrhunderts an klassizistischer Li- nearität und Reinheit. Aber sie sind Beethoven so wenig wesensver- wandt wie Franz Schubert.

Der Grund für die Ursache derart asketischen Musizierens läßt sich bei den Kinderärzten vielleicht hier finden: Sie sind nicht Musiker schlechthin, sondern in erster Linie Ärzte, was so viel heißt wie lndivi-

dualisten: Sie gehen musikalisch ein Jahr lang ihrer eigenen Wege und schließen sich dann zu einem Orchester zusammen, doch der schmale Pfad zwischen Intellekt und Kunst hat bei ihnen den Intel- lekt als Wegweiser. Und nicht zu- letzt: Eduard Melkus gehört als ein Musiker und Musikwissenschaftler, der sich vornehmlich mit der vor- klassischen Kunst auseinander- setzt, zweifellos in die Reihe der introvertierten Interpreten.

Aber da war ja beim Violinkonzert noch Henryk Szeryng, ein Vollblut- musiker, der wohl das Werk J. S.

Bachs seine Bibel nennt, der sich aber mit somnambuler Sicherheit in allen Stilbereichen gleich selbst- verständlich bewegt. Ihm geht es wie dem, der hinter sich lassen kann, was er gewiß hat: ein überle- genes Können, ein ganz unge- wöhnliches technisches Potential.

So, daß er sich ganz in den Dienst des Werks stellen kann. Szeryng stellt sich so entschieden in den Dienst des Werks, daß er sich nicht auf seinen anspruchsvollen Part als Solist beschränkt, sondern wie ein Alchimist den Orchesterklang allmählich in Gold verwandelt. Ein Phänomen, das in der Naturwissen- schaft als Selbstverständlichkeit gilt, in der Geisteswissenschaft aber und in der Kunst noch um so mehr absurd klingen mag, wurde sozusagen greifbar: Ein Künstler übernahm zu seiner Rolle als Solist die Funktion eines Katalysators.

Wie stets spielte das Orchester der deutschen Kinderärzte für wohltäti- ge Zwecke. Wie stets, das heißt, wie in den 38 Konzerten in den vor- angegangenen 16 Jahren seit der Gründung. So konnte während ei- ner Asienreise nationalchinesi- schen Flüchtlingskindern geholfen werden und dem indischen Roten Kreuz, und der Erlös eines Kon- zerts im Wiener Stephansdom konnte den Kranken in Lambarene einige Linderung verschaffen.

Ein Konzert mit Henryk Szeryng legt es nahe, einmal an die Armut und an das Elend in Mexiko zu denken. Szeryng ist zwar gebürti- ger Pole — er wurde in Warschau

Kammermusikalische Askese und vollendete Klassik

Konzert des Orchesters der deutschen Kinderärzte am 6. September 1976 in Köln

2484 Heft 40 vom 30. September 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

116

Henryk Szeryng, Solist beim Konzert der Kinderärzte Archiv-Foto: Timpe

Die Information:

Bericht und Meinung

geboren, und zwar ganz in der Nähe von Chopins einstigem Wohnsitz —, aber Szeryng ist dem Staat Mexiko aufs innerste Ver- bunden. So eng, daß die mexikani- sche Regierung ihn zum kulturellen Sonderbotschafter ernannte. Was er denn für Mexikos internationale Beziehungen tun könnte, wollte der frischbestallte Botschafter mit dem Diplomatenpaß in der Hand damals wissen. Die Antwort war einfach und klar: „Spielen Sie Geige, das reicht vollkommen."

Als Geiger ist Szeryng auf den gro- ßen Konzertpodien der Welt zu Hause. Auf dem Kölner Podium

spielte er indes nicht nur für sein begeistertes Publikum, sondern auch zugunsten des Kinderhilfs- werks der Vereinten Nationen. In- dem Szeryng auf sein Honorar ver- zichtete, trat er das geistige Erbe so großer Musiker wie Franz Liszt und Yehudi Menuhin an. So wenig wie der Geiger von heute war der Pianist von gestern müde gewor- den, die Erträge von Konzerten für unbekannte Arme zu spenden. Der Erlös des denkwürdigen Kon- zerts vom 6. September 1976 im Kölner Opernhaus soll die Nöte mexikanischer Kinder lindern hel- fen. Seit fünf Jahren ist die UNICEF intensiv um die Gesundheit und um die Erziehung der Kinder in einer besonders abgelegenen mexikani-

sch'en Provinz bemüht. Und was ist in dem Land mit seinen großen Dornbuschsteppen, hohen Randge- birgen und schmalen Küstenstrei- fen schon nicht abgelegen außer der pulsierenden Mexico City ,und den wenigen weit verstreuten Großstädten oder dem mondänen Touristenmagnet Acapulco und dem soeben erst erschlossenen

„neuen Acapulco" am anderen Ufer, auf der Halbinsel Yucatän?

Für die unbekannten Kinder einer wenig bekannten, abgelegenen me- xikanischen Provinz arbeitet die UNICEF zusammen mit dem mexi- kanischen Roten Kreuz. Am not- wendigsten sind medizinische Hil-

feleistungen und selbst die allerge- ringsten Ausbildungsmöglichkeiten im Rechnen, Lesen und Schreiben.

Medizinisch läßt sich das Gebiet, wenn einmal genügend Fachleute dafür ausgebildet sind, ad hoc eini- germaßen übersehen und betreu- en. Schulen für die im unwegsa- men Gebirgsland verstreuten Kin- der zu bauen ist indes ebensowe- nig ratsam wie möglich. So kamen UNICEF und Rotes Kreuz überein, sich für das Erziehungsprogramm die Technik dienstbar zu machen.

Es ist also geplant, mittels Radio- wellen und den notwendigen Sen- de- und Empfangsgeräten eine er- ste Verständigungsmöglichkeit in Sachen Lernen und Erziehen her- zustellen.

Das Orchester der deutschen Kin- derärzte und Henryk Szeryng ha- ben gespielt, um dieses Ziel ein wenig näher zu bringen. Die Hörer im ausverkauften Haus haben, um bei diesem Spiel dabeizusein, ge- zahlt. Um den Preis des Spiels wie- derum — eines Spiels allerdings, das, die persönlichen Unkosten ein-, doch die Miete der Kölner Oper — die übrigens montags oh- nehin pausiert — abgerechnet, der UNICEF einen Scheck über gut 20 000 Mark einträgt.

Pläne für 1977

Das Orchester der deutschen Kin- derärzte und sein Gründer und Or- ganisator, der Warendorfer Kinder- arzt und Musikfreund Dr. Hans Werth, hatten schon, ehe sie des großen Kölner Erfolgs sicher wa- ren, ihre Pläne für das kommende Jahr abgesprochen: Ein Konzert während des Pädiaterkongresses 1977 in Kiel und eine Schallplatten- aufnahme. In diesem Fall werden das Rote Kreuz Schleswig und noch einmal die medizinische Ur- waldstation Lambarene die Emp- fänger der Spenden sein. Immerhin hatte Hans Werth während seiner Ausbildungsjahre die Absicht, Assi- stent des großen Arztes, Musi- kers und Menschenfreunds Albert Schweitzer zu werden. Doch der Meister schien dem jungen Medizi- ner so groß, daß er, als er ihm da- mals entgegentrat — der heute 70jährige bekennt es offen — er- blaßte, statt zu fragen. Aber für mancherlei Hilfe ist es wohl doch nie zu spät.

Dr. phil. Marion Rothärmel Am Botanischen Garten 40 5000 Köln 60

(Über die Aktivitäten des Kinder- ärzte-Orchesters ist schon wieder- holt im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT berichtet worden; zuletzt erschien als Vorschau auf das Konzert in Köln ein bebilderter Beitrag von Professor Müller, München, in Heft 35/1976, Seite 2235, unter dem Titel

„Musikalität und innere Begei- sterung".) DÄ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 30. September 1976 2485

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Priorität habe die Übernahme der Kosten durch die Gesetz- liche Krankenversicherung für nichtverschreibungspflich- tige Medikamente (OTC) für Kinder und Jugendliche im Alter

Mögen auch die Ängste der Psychagogin (Erziehungsberate- rin) Christa Mewes übertrieben sein, sieht sie in der Homosexuali- tät „Verfall und Untergang des Volkes",

Dezember 1987 in der medizinischen Fakultät der Universität Buenos Aires von Angehörigen des Gesund- heitswesens gehalten wurde, wurden neun Ärzte für schul- dig befunden,

Diese Zeit fehlt bei der Patientenbetreuung oder muss in die späten Abend- stunden verlegt werden.Wenn nun diese Arbeit auch wirk- lich eine Qualitätssicherung mit der Perspektive

Wie es denn eine Binsenweis- heit ist, daß das Niveau einer Sportnation sich nicht unmittel- bar an der Anzahl ihrer Medail- lenträger ablesen läßt, wohl aber an der Qualität

Angesichts dieser Sachlage hätte ei- ne ausgewogene rechtliche Bewertung nahe gelegt, dass diese „ungerechtfer- tigte Bereicherung“ des Krankenhau- ses aufgrund der ihm durch das

In weiteren 7 120 Fällen wurde die beruf- liche Verursachung der Er- krankung festgestellt; eine Be- rufskrankheit im juristischen Sinn lag nicht vor, weil

Beigefügt sind ein Merkblatt, eine In- strumenten- und Materialliste, ein Vordruck zur Entbindung von der Schweigepflicht sowie Vorschläge für Begleitbriefe an die