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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 38, 24. September 1999 (1)
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s sei ein sehr ernstes Spar- programm, das die Versor- gung der Kranken verknap- pen werde – so beurteilte Dr. med.Jürgen Bausch, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesver- einigung (KBV), das Aktionspro- gramm zur Einhaltung der Arz- neimittel- und Heilmittelbudgets 1999. Auf ein solches Programm hatten sich Bundesgesundheitsmi- nisterium, KBV und die gesetzli- chen Krankenkassen im Grund- satz bereits am 17. August ver- ständigt. Einen Monat später, am 16. September, gaben ihre Reprä- sentanten nun vor der Presse in Berlin gemeinsam Handlungsemp- fehlungen bekannt, denen Ärztin- nen und Ärzte folgen sollen:
c An Stelle von hochpreisi- gen Originalpräparaten soll konse- quent im generikafähigen Bereich verordnet werden, und zwar im un- teren Preisdrittel des Marktes.
c Erinnert wird daran, daß Mittel bei Erkältungen und grip- palen Infekten nicht mehr zu La- sten der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) verschrieben werden dürfen, ebensowenig Ab- führmittel, Mund- und Rachenmit- tel (mit wenigen Ausnahmen) so- wie Präparate gegen Reisekrank- heit. Ausgeschlossen sind zudem Anabolika und Vitaminkombina- tionen.
c Die Ärzte werden aufgefor- dert, ihren Patienten vor einer Ver- ordnung vermehrt nicht-medika- mentöse Maßnahmen vorzuschla- gen und Präparate mit geringem therapeutischen Nutzen äußerst sparsam zu verordnen. Bausch nannte als Beispiel Mittel gegen zu niedrigen Blutdruck.
c Verlangt wird zudem, auf teure Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Nutzen zu verzichten.
c Bei zehn Wirkstoffen sollen die Ärzte vor der Verordnung ver- mehrt eine Zweitmeinung einho- len, vor allem wenn sie meinen, der Nutzen sei im jeweiligen Fall um- stritten oder sehr gering.
c Für Heilmittelverordnun- gen wurde ein erster Grundsatzka- talog erarbeitet.
In den nächsten Wochen wer- den Ärzte, Versicherte und die Mitarbeiter der Krankenkassen mit Handzetteln, Plakaten und Beilagen im Detail über das Ak- tionsprogramm informiert. „Ärzte werden mit diesem Programm nur leben können, wenn die Patienten erkennen und akzeptieren, daß die Verknappung auf das unbedingt medizinisch Notwendige von der Regierung und den Kassen gewollt ist,“ befand Bausch.
Und was, wenn das Geld Ende des Jahres trotz aller Bemühungen nicht gereicht hat? Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer wiederholte auf diese Frage hin mehrfach: „Das Gesetz wird einge- halten.“ Das kann vielerlei bedeu- ten. Das Gesetz sieht bekanntlich ein Budget vor und, bei Über- schreitung, Regreßzahlungen der Ärzte. Zulässig wäre aber auch ei- ne Anhebung der Budgets im Weg der Rechtsverordnung, wenn dies medizinisch geboten ist. Fischer deutete immerhin an, daß sie mit Kassen und KBV über Strukturen und Veränderungen von Arznei- mittelverordnungen (Stichwort:
Innovationen) im Gespräch sei.
Ist das Aktionsprogramm also ein Erfolg oder Ausdruck eines Budgetierungsdesasters? Ein ge- wisser Erfolg ist das Programm we- gen des gemeinschaftlichen Lö- sungsansatzes. Es kam zustande, obwohl es zwischen den Beteilig- ten nach wie vor eine Menge Diffe- renzen gibt, die auch bei der Prä-
sentation nicht zu verbergen wa- ren. Bausch urteilte, Lebensnot- wendiges werde es weiterhin ge- ben, eine Verknappung bedeute das Programm für Patienten aber sehr wohl. Rolf Stuppard, Vor- standsvorsitzender des IKK-Bun- desverbandes, erklärte hingegen, es handele sich „um ein Programm für eine vernünftige Arzneimittel- therapie“.
Die Ärzte können freilich mit Genugtuung registrieren, daß die Kassen sich verpflichtet haben, Pa- tienten nicht länger das zu erstat- ten, was der Arzt zuvor nicht zu Lasten der GKV verordnen wollte.
Daran hatte sich in den letzten Jahren oft Kritik entzündet. Be- merkenswert ist andererseits, daß manche Handlungsempfehlung des Programms längst Gesetz ist.
Erkältungsmittel, Vitaminkombi- nationen et cetera dürfen seit Jah- ren nicht mehr zu Lasten der GKV verordnet werden. Daß dies jetzt alles erneut festgeschrieben wird, läßt Rückschlüsse auf bisheriges Verordnungsverhalten zu.
Bausch gelang es in Berlin je- doch zu erläutern, daß man das Verordnungsverhalten nur allmäh- lich und nicht mit der Brechstange verändern kann. Er ging detailliert auf die vorgesehenen Maßnahmen ein, betonte aber dennoch, daß die KBV Budgets generell für falsch halte und das Budget 1999 zudem für falsch berechnet. Zuvor hatte der Vorsitzende der KBV, Dr. med.
Winfried Schorre, bereits Hoff- nungen gedämpft, das Programm löse die Budgetprobleme. „In eini- gen Regionen, das ist schon abzu- sehen, wird es trotz Programm nicht reichen“, erklärte er im In- terview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Skeptisch ist auch Bausch. Ob es reiche? „Ich bin Arzt, kein Prophet.“ Sabine Rieser