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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999 (1)
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o kann das nicht weiterge- hen. Es ist gewiß normal, wenn über einen umstritte- nen Gesetzesplan die Meinungen auseinanderklaffen. Es ist auch noch normal, wenn über ein derart tiefgreifendes Gesetzesprojekt wie die sogenannte Gesundheitsre- form 2000 Auseinandersetzungen in aller Schärfe geführt werden.Für eine gewisse Zeit versteht je- dermann, wenn sich die Kontra- henten – hier das Bundesgesund- heitsministerium und die Lei- stungserbringer, insbesondere die Ärzte – unversöhnlich gegenüber- stehen.
Doch anhaltende Konfrontati- on ist unter demokratischen Ver- hältnissen fehl am Platz. Man muß sich schließlich arrangieren. Eine
„Gesundheitsreform“ gegen die Leistungserbringer, in erster Linie die Ärzte, wird nicht funktionie- ren, genausowenig, wie sich die Ärzte in permanenter Opposition gegen das Bundesgesundheitsmini- sterium werden behaupten können.
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espräche in der Absicht, gute Argumente aufzuneh- men, sind deshalb unum- gänglich. Leider hatte das Ministe- rium bisher in der Wahl der Ge- sprächspartner, um es zurückhal- tend zu formulieren, keine glückli- che Hand. Die Ärzte hatten jeden- falls den Eindruck, die „Gesund- heitsreform“ sei der Gesundheits- ministerin von den Krankenkassen und einem handverlesenen Kreis von Beratern in den PC gebeamt worden, während die gewählten Vertreter der Ärzteschaft bewußt außen vor gelassen wurden.Beim 102. Deutschen Ärzte- tag schienen endlich die ersten Rauchsignale hochzugehen. Bun- desgesundheitsministerin Andrea Fischer entschuldigte sich für eine verunglückte, verletzende Äußerung, bekundete wieder ein-
mal Dialogbereitschaft und ihren Wunsch, eine gemeinsame Ge- sprächsgrundlage mit den Ärzten zu finden. In der Sache freilich, ihrem Gesetzesprojekt, blieb sie hart. Die Ärzte begrüßten und ver- abschiedeten sie nicht gerade herz- lich. Aber ein gewisses Nachden- ken über Dialog, Gespräch und Fischers bekundeten guten Willen setzte ein.
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rompt folgte der Tiefschlag aus Bonn. Noch während Frau Fischer vor dem Ärz- tetag in Cottbus sprach, war ein unglaublicher Brief ihres Staatsse- kretärs Erwin Jordan unterwegs:Der Vorstand der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung wird da- mit apodiktisch ins Ministerium vorgeladen, um Rede und Antwort zu stehen über die Informations- kampagne der KBV in Sachen Ge- sundheitsreform. Jordan hält mit seiner Meinung nicht hinter den Berg; er verurteilt, ehe überhaupt darüber gesprochen wird, die In- formationspolitik der KBV. Offen- bar soll in Bonn deren Vorstand vergattert werden.
Gleichfalls zum Auftakt des Ärztetags verbreitete die Bundes- tagsfraktion der Grünen, der auch Frau Fischer angehört, eine Er- klärung, in der sie der Hoffnung Ausdruck gibt, mit der „Neuwahl des Ärztepräsidenten wird hoffent- lich die Rückkehr zu einer sachli- chen Auseinandersetzung möglich sein“. Wir wollen hier nun nicht der Hoffnung Ausdruck geben, mit ei- ner anderen Ministerin/einem an- deren Minister könne der kon- struktive Dialog beginnen. Nein, setzen wir einstweilen auf Frau Fischers „permanente“ Gesprächs- bereitschaft. Die sollte sich aller- dings nicht nur in Bereitschaftser- klärungen erschöpfen, sondern nunmehr in konkrete Taten mün- den – ohne obrigkeitliche Attitüde.
In den gesundheitspoliti- schen Zielen stimmen Ministeri- um und Ärzteschaft in vielem überein. Über die Wege freilich gibt es erhebliche Differenzen.
Hier gilt es auszuloten, wo Kom- promisse möglich sind, zu analy- sieren, wer das bessere Konzept hat. In der vorliegenden Form ist das Gesetzesvorhaben des Bun- desgesundheitsministeriums nach Auffassung der Ärzte (die sich hier weitgehend einig sind, wenn es auch Splittergruppen mit ande- ren Auffassungen gibt) überflüs- sig, ja schädlich – für den Patien- ten, dem die Rationierung medizi- nischer Leistung droht, für die
„Leistungserbringer“, die einer Übermacht der Krankenkassen ausgeliefert werden sollen, für die Stabilität des Gesundheitswesens insgesamt.
Deutscher Ärztetag und Kas- senärztliche Bundesvereinigung haben ihre Kritik im Detail be- gründet. Darüber wäre in Bonn zu sprechen. Auch die Ärzte haben ihre Konzepte zu integrierter Ver- sorgung, Verzahnung von ambu- lanter und stationärer Versorgung, zur Rolle des Hausarztes, zu ei- ner rationellen Arzneimittelver- sorgung. Und sie sind nicht so ver- nagelt, daß sie nicht wissen, daß die Mittel knapp sind und vernünftig eingesetzt werden müssen.