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Aktionsprogramm FamilienbesucherEin Programm zur Unterstützung von jungen Eltern

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Aktionsprogramm Familienbesucher

Ein Programm zur Unterstützung von jungen Eltern

Eine Unterstiftung der

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Impressum

Aktionsprogramm Familienbesucher

Ein Programm zur Unterstützung von jungen Eltern Herausgeberin

Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Im Kaisemer 1 • 70191 Stuttgart Verantwortlich

Birgit Pfitzenmaier Autoren

Melanie Pillhofer, Jörg M. Fegert, Ute Ziegenhain

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm

Stephanie Götte und Thomas Meysen

Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V.

Bildmaterial aus dem Projekt istockphoto.de

Konzeption und Gestaltung srp. Werbeagentur, Freiburg

© Mai 2012, Stuttgart

Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung Gesellschaft & Kultur: Nr. 64

ISSN 1610-4269

Aktionsprogramm Familienbesucher

Ein Programm zur Unterstützung von jungen Eltern

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Grußwort der Baden-Württemberg Stiftung 8 Christoph Dahl, Geschäftsführer

Birgit Pfitzenmaier, Abteilungsleiterin

Grußwort Katrin Altpeter MdL 10

Ministerin für Arbeit und Sozialordnung,

Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg

Das Aktionsprogramm Familienbesucher 13

1. Einleitung 13

2. Ergebnisse der Evaluation 16

3. Fazit für die Praxis 25

Gutachten 29

des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) eV A. Familienbesuch: Willkommen oder Heimsuchung 29

I. Zielsetzung der Familienbesuche 29

II. Familienbesuche an der Schnittstelle zum Kinderschutz 31

B. Familienbesuch: die verfassungsrechtliche Perspektive 37 I. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 37 II. Datenschutz: Grundlagen und Begrifflichkeiten 38

III. Familienbesuch und Datenschutz 40

C. Familienbesuch und seine (datenschutz)rechtliche Würdigung 41

I. Erlangen der Kontaktdaten 41

1. Datenweitergabe durch die Meldebehörde 42

a) Bürgermeisteramt 44

b) Jugendamt als Datenempfänger 45

aa) Bisherige Rechtslage 45

bb) Neue Rechtslage 47

c) Freie Träger als Datenempfänger 49

aa) Bisherige Rechtslage 49

bb) Neue Rechtslage 49

d) Überlegungen zu gesetzgeberischem Handlungsbedarf 50 2. Datenweitergabe durch das Standesamt 51

3. Lösungsansätze 52

a) Meldedaten bei Veröffentlichung der Geburt im Amtsblatt 52 b) Anschreiben durch den/die Bürgermeister/in 53 c) Einverständniserklärung bei Geburtsanzeige 53 d) Verwaltungsangestellte als Familienbesucherinnen 53

e) Rechtliche Bewertung 53

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II. Anschreiben/Einholen einer wirksamen Einwilligung

zur Datenerhebung 54

1. Anforderung des Besuchs mittels Rückantwortpostkarte 54 2. Besuchsangebot mit Ablehnungsoption 55 3. Eigeninitiative der zu besuchenden Familien 55

4. Rechtliche Einordnung 56

III. Besuch 56

1. Besuchsangebot 57

a) Besuchsangebot und schriftliche oder telefonische

Einwilligung 57

b) Klärung der Einwilligung durch Besuch beim

Besuchsangebot mit Ablehnungsoption 57

c) Besuch ohne vorhergehendes Schreiben/Telefonat 58 2. Durchführung des Besuchs/Datenerhebung während

des Besuchs 59

a) Kompetente Einwilligung in den Besuch 59

b) Zweckbindung der Datenerhebung 60

aa) Allgemeine Information und Datenerhebung 60 bb) Datenerhebung bei Erweiterung des

Beratungsangebots während Familienbesuch

durch Jugendamt 62

cc) Datenweitergabe bei fehlendem Einverständnis zur Vermittlung weitergehender Hilfen 64

IV. Dokumentation des Familienbesuchs 65

1. Dokumentationsrechte/-pflichten 65

a) Dokumentation zur eigenen rechtlichen Absicherung 65 b) Zur Aufgabenerfüllung erforderliche Dokumentation 67 c) Dokumentationsbogen/weitergehende Dokumentation

bei Einwilligung 68

d) Weitergehende Dokumentationsrechte/-pflichten

bei Erweiterung des Beratungsangebots 72

2. Art und Dauer der Speicherung 73

3. Datenweitergabe 75

D. Fazit 75

Anhang 78

Handblatt Zugangswege zu den Eltern und Ablauf des Besuchs 78

Handblatt Dokumentation des Familienbesuchs 79

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Der vorliegende Band der Schriftenreihe gibt Ihnen einen Einblick in die Inhalte des Aktionsprogramms Familienbesucher der Stiftung Kinderland und zeigt Ihnen, wie die jungen Eltern in dieser wichtigen Zeit erfolgreich Unterstützung erhalten können. Die im Rahmen des Aktionsprogramms vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. erstellte Expertise gibt Antworten auf Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung von Familienbesuchen.

Die Stiftung Kinderland dankt allen, die die Durchführung des Aktions- programms „Ausbildung und Einsatz von Familienbesuchern“ durch ihr Mitwirken ermöglicht haben. Das große Engagement der beteiligten Fami- lienbesucherinnen wollen wir ganz besonders hervorheben.

Außerordentlich dankbar sind wir auch der Arbeitsgruppe des Universi- tätsklinikums Ulm, die unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Jörg M.

Fegert und Frau Professorin Dr. Ute Ziegenhain ein Curriculum zur Aus- und Fortbildung von Familienbesucherinnen erarbeitet, die Durchführung wissenschaftlich begleitet und die Ergebnisse fundiert aufgearbeitet hat.

Dabei wurde sie von einem Expertenkreis mit 18 renommierten Wissen- schaftlern unterstützt.

Nicht zuletzt gehen der Dank und die Anerkennung der Stiftung Kinder- land an die Familien, die mit ihrer Offenheit und ihrem großen Interesse die Besuche erst möglich gemacht haben.

für junge Familien ist die erste Zeit mit einem Säugling eine schöne und aufregende Phase in ihrem Leben, aber auch eine neue Herausforderung.

Viele Eltern fühlen sich in der ersten Zeit mit einem Baby verunsichert oder überfordert. Die Stiftung Kinderland hat deshalb im Juli 2007 das Aktions- programm „Ausbildung und Einsatz von Familienbesuchern“ aufgelegt.

Die Idee des Programms ist es, jungen Familien im Land notwendige Unterstützung durch kompetente Beraterinnen zu geben, die die Familie zu Hause besuchen. Diese Familienbesucherinnen* heißen die neuen Erdenbürger willkommen, stehen den jungen Müttern und Vätern als erste Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Neugeborene zur Verfügung und informieren sie über die in der Kommune und im Land bestehenden Beratungs- und Hilfsangebote.

Die speziell geschulten Familienbesucherinnen sind zum Beispiel beruflich als Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Sozialpädagoginnen tätig und haben dadurch oder weil sie selbst Eltern sind, Erfahrungen im Umgang mit Säuglingen und den Angeboten der Kommunen vor Ort.

Die Besuche finden zwischen der 5. und 12. Lebenswoche des Säuglings statt. Die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg möchte damit ein klares Zeichen dafür setzen, dass ihr die Unterstützung von Familien – von Anfang an – ein zentrales Anliegen ist.

Die bisher knapp 700 Eltern, die bereits mit dem Programm erreicht wurden, haben sich sehr positiv zu den Besuchen geäußert. Sie empfinden die Beratung als sehr nützlich und erhalten neue Informationen über Ange- bote für Eltern und Familien.

Wir freuen uns, dass das Programm weiter fortgeführt wird. Zum einen durch die bereits geschulten Familienbesucherinnen, zum anderen durch die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die in Kooperation mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) vorbereitet wurden, das Curriculum an viele zukünftige Besucherinnen weiterzugeben. Eine Verstetigung der Multiplikatorenfortbildung durch

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Christoph Dahl Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

Birgit Pfitzenmaier

Abteilungsleiterin Gesellschaftlicher Wandel & Kultur, Soziale Verantwortung der Baden-Württemberg Stiftung

Birgit Pfitzenmaier Christoph Dahl

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Die positiven Erfahrungen mit dem Pilotprojekt zeigen, dass das Ak- tionsprogramm Familienbesucher zu einem guten Aufwachsen unserer Kinder in Baden-Württemberg beitragen kann. Deshalb freue ich mich, dass die Stiftung Kinderland auch die flächendeckende Umsetzung des Programms gefördert hat. Dieser Einsatz ist ein wichtiger Baustein zur Weiterentwicklung der Familien- und Kinderfreundlichkeit unserer Städte und Gemeinden und damit des Landes insgesamt. Ich würde mich freuen, wenn bald alle Eltern im Land „Familienbesuche“ erhalten, im Interesse der Entwicklungschancen ihrer Kinder.

die Betreuung, Förderung und Erziehung von Kindern ist eine große He- rausforderung für alle Eltern. Eine gute Entwicklung der Kinder und ihre Chancen im Leben hängen in großem Maße davon ab, wie gut es den Eltern gelingt, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen und es zu fördern. Daher ist es so wichtig, die Eltern bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Sie halten zu einem großen Teil das Schicksal ihrer Kinder in Händen.

Ein gelingendes Aufwachsen unserer Kinder, die die Zukunft unserer Ge- sellschaft sind, hat für die Landesregierung einen sehr hohen Stellenwert.

Alle Kinder sollen von Anfang an gleiche Chancen erhalten, beschützt und gefördert zu werden.

Die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg hat sich der Aufgabe gestellt, auf neuem Wege Eltern zu erreichen, um ihnen beim Start ihres Neuge- borenen ins Leben frühzeitig wichtige Impulse zu geben. Kompetente An- sprechpersonen unterstützen bei ihren Besuchen Eltern mit Informationen zu Beratungs- und Hilfeangeboten für die ersten Monate nach der Geburt und stehen für alle Fragen rund um das Neugeborene bereit. Sie tragen damit neben anderen Angeboten an sogenannten „Frühen Hilfen“ im Land zur Förderung elterlicher Kompetenzen und zum Kinderschutz bei. Das Programm Familienbesucher ist ein so kreatives und im Test erfolgreiches Beispiel für die Unterstützung von Eltern, dass es sogar Eingang in das neue Bundeskinderschutzgesetz gefunden hat.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Katrin Altpeter Katrin Altpeter MdL

Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg

(7)

Das Aktionsprogramm Familienbesucher

1. Einleitung

In der Folge der Diskussionen, die in den vergangenen Jahren um Frühe Hilfen geführt wurden, entstanden zahlreichen Initiativen, um junge Familien präventiv zu unterstützen und die gesundheitliche wie psycholo- gische Entwicklung ihrer Säuglingeund Kleinkinder zu fördern. Zu diesen Initiativen gehören auch die so genannten Willkommensbesuche oder Familienbesuche, die anlässlich der Geburt eines Kindes durchgeführt werden, um junge Eltern über Angebote und Hilfen in der Kommune zu informieren. Diese Familienbesuche werden erfreulicherweise zunehmend auch in Baden-Württemberg etabliert und signalisieren jungen Familien, dass das Neugeborene in der Gemeinde sehr willkommen ist. Mit der Information von Eltern über lokale Unterstützungsangebote nach der Geburt (§ 2 KKG) hat das Konzept des Familienbesuchs nun auch Eingang in das kürzlich verabschiedete Bundeskinderschutzgesetz gefunden.

Bisher fehlte ein Curriculum, das diese theoretischen Wissensgrundlagen ebenso wie das Handlungswissen systematisch zusammenführt und das für die Fortbildung von Familienbesucherinnen aufbereitet ist. Mit Förderung der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg kann diese Lücke nun geschlossen werden. Das Aktionsprogramm Familienbesucher wurde in Anlehnung an Forschungsergebnisse, die vorwiegend aus dem anglo- amerikanischen Raum stammen, entwickelt. Der Wissenschaftliche Beirat1 hat die Entwicklung konstruktiv und unterstützend begleitet und dafür plädiert, ein Angebot zu konzipieren, das alle Eltern auf freiwilliger Basis nutzen können.

Damit setzt das Programm ausdrücklich niedrigschwellig, nicht risikobezo- gen und bei allen Eltern einer Kommune mit Neugeborenen bzw. zugezo- genen Eltern mit Kindern unter drei Jahren an. Es hat mit dieser Ausrich- tung die Intentionen des Bundeskinderschutzgesetzes vorweggenommen.

Die Familienbesucherinnen, die im Namen des Stadt- oder Landkreises das Neugeborene begrüßen, sind informiert über die jeweiligen Angebote und Hilfen, die in der Kommune vorgehalten werden und die für junge Familien relevant sein können. Dazu gehören etwa Elternkurse, Angebote

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der Erziehungsberatungsstellen oder der Frühförderung, und ggf. auch hö- herschwellige Hilfen, wie z.B. die durch eine so genannte Sozialpädagogi- sche Familienhilfe, die Familien bei Belastungen regelmäßig auch zu Hause unterstützt und berät, oder die eines Sozialpädiatrischen Zentrums.

Um junge Eltern gemäß ihren jeweiligen Bedürfnissen und passgenau beraten zu können, benötigen die Familienbesucherinnen auch Wissen dar- über, wie sich Säuglinge und Kleinkinder adäquat entwickeln bzw. darüber, was Merkmale weniger gelingender Entwicklung sind, welche psychologi- schen oder psychosozialen Belastungen ggf. zu einer weniger gelingenden oder sogar kritischen Entwicklung eines Kindes beitragen können und welche frühen und rechtzeitigen Hilfen dann empfohlen werden können.

Und natürlich brauchen sie gewisse kommunikative Kompetenzen, um Eltern auch in Aspekten, die für diese zunächst vielleicht unangenehm oder schambesetzt sind, wertschätzend zu beraten und zu unterstützen.

Die Expertise des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, die im Auftrag des Aktionsprogramms Familienbesucher der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg erstellt wurde und die in dieser Broschüre publiziert wird, informiert über datenschutzrechtliche Fragen im Kontext von Familienbesuchen, wie z.B. über Zugänge zu jungen Familien in der Kommune oder über die Ausgestaltung des Familienbesuchs. Die Expertise ist ein umfassender und zeitnaher Beitrag zur Umsetzung des Informati- onsangebots im Bundeskinderschutzgesetz.

Derzeit liegen kaum deutschsprachige oder internationale wissenschaft- liche Evaluationsstudien zur Konzeption und Durchführung von Willkom- mensbesuchen vor. Eine Untersuchung von Heaman2 macht deutlich, dass Besuche dann mit höherer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sind, wenn eine gute Beziehung zwischen der Fachkraft und der Mutter entsteht, es bereits einen pränatalen Besuch gibt, die Familie freiwillig teilnimmt, der Besuch ressourcenorientiert und strukturiert ist, ausreichend Informationen gege-

ben und Eltern an örtliche Einrichtungen vermittelt werden. Weitere Studien (z. B. Wiggins3) zeigten, dass unspezifische Interventionen („supportive listening“) nicht hilfreich sind. Von Olds4 wurde zudem herausgestellt, dass Laien durchschnittlich nur die Hälfte der Effekte von Professionellen erzielen. Selbstverständlich können Hausbesuchsprogramme auch hilfreich für Eltern sein, wenn nicht alle der genannten erfolgsförderlichen Faktoren realisiert werden. Dennoch versuchten wir, im Rahmen der Konzeption des Aktionsprogramms möglichst viele der genannten Punkte umzusetzen.

Besonders wichtig war dem Wissenschaftlichen Beirat daher beispielswei- se, eine Konzeption für die Besuche in Form eines halbstandardisierten Leitfadens zu erarbeiten und die Fachkräfte durch eine professionelle Fort- bildung auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Dies war umso wichtiger, da in der interdisziplinären Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheits- systems ebenso wie in der anderer Systeme generell systematische Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote fehlen, die die spezifischen Anforderun- gen an interdisziplinäres Wissen über die frühe Kindheit und an spezifi- sches Handlungswissen berücksichtigen sowie den besonderen Anforde- rungen an die in diesem Bereich zwingende interdisziplinäre Kooperation und Vernetzung Rechnung tragen. Angesichts der Entwicklung von Frühen Hilfen in der Praxis, aber insbesondere auch angesichts des subjektiven Leids für jedes einzelne Kind, das von Misshandlung und Vernachlässi- gung betroffen oder bedroht ist, ist die Diskrepanz zu dem, was bislang an umfassenden und interdisziplinären Fort- und Weiterbildungsangeboten zur Verfügung steht, groß. Dies gilt etwa für entwicklungspsycho(patho) logisches Wissen der frühen Kindheit bzw Wissen über die besonderen Erlebens-, Verarbeitungs- und Verhaltensweisen von Säuglingen und deren Beobachtung und Interpretation ebenso wie für das Wissen um Leistun- gen und Angebote gemäß unterschiedlicher Teile des Sozialgesetzbuchs.

Weiterhin betrifft das auch die Praxiskompetenzen, wie die adäquate Kommunikation und den adäquaten Umgang mit Familien in unterschied- lichen Belastungssituationen, die Prinzipien gelingender interdisziplinärer Kooperation und Vernetzung, oder die zugrunde liegenden sozial- und datenschutzrechtlichen Grundlagen. Im Weiterbildungscurriculum des Aktionsprogramms Familienbesucher werden diese Wissensinhalte und Handlungskompetenzen bezogen auf Willkommensbesuche abgedeckt.

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Das Aktionsprogramm Familienbesucher der Stiftung Kinderland Baden- Württemberg wurde als eines der ersten Willkommensbesuchsprogramme umfassend evaluiert. Dies betrifft sowohl die berufsbegleitende Fortbil- dung der Fachkräfte als auch die Durchführung der Besuche. Im Folgen- den werden daher zunächst die Evaluationsergebnisse beschrieben und schließlich ein Fazit für die Praxis, auch unter Berücksichtigung des neuen Bundeskinderschutzgesetzes, gezogen.

2. Ergebnisse der Evaluation

2.1 Fortbildung der Fachkräfte

Bei der Fortbildung wurden N = 38 Fachkräfte geschult, davon zum Großteil Erzieherinnen, außerdem Sozialpädagoginnen, vereinzelt auch Angehörige fachfremder Berufe wie Köchin oder Bankkauffrau. Neben Fragen nach Angaben zu Vorwissen und Vorerfahrung in der Arbeit mit Kindern der Al- tersgruppe 0 bis 3 Jahre wurden die Teilnehmerinnen sowohl zu ihrer sub- jektiven Zufriedenheit befragt als auch ihr objektiver Wissenszuwachs über einen Test mit offenen und multiple-choice-Fragen erfasst. Ein Großteil der Fachkräfte (89,7 %) würde die Fortbildung weiterempfehlen. Erfreulicher- weise schlug sich die subjektive Zufriedenheit der angehenden Familien- besucherinnen auch in einem signifikanten Wissenszuwachs nieder. Dabei profitierten sowohl Teilnehmerinnen mit als auch ohne Vorbildung/Vorwis- sen von der Schulung. Nach der Fortbildung zeigte sich kein signifikanter Wissensunterschied zwischen den beiden Gruppen mehr.

Abschluss der Modellphase im Ulmer Stadthaus

(10)

2.2 Durchführung der Familienbesuche

Die Fachkräfte wurden gebeten, nach jedem Besuch sowohl selbst einen Fragebogen auszufüllen und mit den vorbereiteten Rückumschlägen an das Universitätsklinikum Ulm zurückzusenden als auch einen Fragenbogen inkl. vorfrankiertem Rückumschlag mit einer kurzen Erklärung an die Eltern zu verteilen. Dieses Vorgehen wurde mit dem Datenschutzbeauftragten des Universitätsklinikums Ulm abgestimmt.

Zu den erhobenen Variablen im Rahmen der Fachkräftebefragung zählten Angaben zum Zeitpunkt des Besuchs, zum Modellstandort, zum Verlauf des Besuchs, Beurteilung des Fortbildungsprogramms aus der praktischen Perspektive, Einschätzung der familiären Situation sowie die Sicherheit bei der Einschätzung. Im Fragebogen der besuchten Eltern wurde nach soziodemografischen Daten, dem Zeitpunkt des Besuchs, dem Modell- standort, Angaben zum Verlauf des Besuchs, persönlicher Zufriedenheit mit dem Besuch, Beurteilung der vermittelten Angebote und Motivation zur Inanspruchnahme gefragt.

Im Erhebungszeitraum von Oktober 2009 bis Dezember 2010 wurden insgesamt N = 1.350 Fragebogensets an die acht Modellkommunen (Baden- Baden, Balingen, Lkr Calw, Ditzingen, Lkr Ravensburg, Salach, Lkr Sigma- ringen, Tuttlingen) verschickt. Es erfolgten N = 458 Rückmeldungen der Familienbesucherinnen und N = 274 Rückmeldungen der besuchten Eltern.5 Für die Dropout-Analyse wurden die Anzahl der Geburten aus dem Jahr 2010 vom statistischen Landesamt Baden-Württemberg für die teilneh- menden Gemeinden mit der Anzahl der angeschriebenen Familien und den tatsächlich durchgeführten Besuchen verglichen (vgl. Tab. 1). Die Anzahl der Kontaktaufnahmen und der tatsächlich durchgeführten Besuche wurde über Auskunft der Projektkoordinatoren ermittelt. Von der Anzahl der Geburten aus dem Jahr 2010 wurde der Monatsmittelwert errechnet und auf den Erhebungszeitraum von Oktober 2009 bis Dezember 2010 hochge- rechnet. Die Rücklaufquoten der Fragebögen bezogen auf die tatsächlich stattgefundenen Besuche fielen bei der Fachkräftebefragung je nach Mo- dellstandort recht unterschiedlich aus (21 bis 98,7 %), betrugen aber in vier

von acht über 50 %. Besonders erfreulich war die hohe Teilnahmebereitschaft der besuchten Eltern, die zwar ebenfalls je nach Modellstandort variierte (17,4 bis 79,4 %), aber dennoch nur an einem Modellstandort unter 25 % lag.

Tab. 1: Repräsentativität der Stichprobe

Stadt (Zeitraum

der Besuche) Kontaktauf- nahme pro Geburten

Stattgefun- dene Besuche pro Geburten

Anzahl der

Fachkräfte Fragebogen

Fachkräfte Fragebogen Eltern

N % N % N N % N %

Baden-Baden

(03/10 bis 03/11) 370 99,1 44 11,7 5 34 77,2 21 47,7

Balingen

(12/09 bis 12/10) 258 92,1 140 50,0 5 87 62,1 50 35,7

Calw*1

(11/09 bis 03/11) 79 100 73 92,4 3 78 98,7 58 79,4

Ditzingen

(09/09 bis 02/11) 305 97,7 43 13,7 4 17 39,5 11 25,5

Ravensburg*2

(01/10 bis 12/10) 341 74 6 69 93,2 36 48,6

Salach

(01/10 bis 02/11) 68 83,9 38 46,9 3 8 21,0 10 26,3

Sigmaringen*3 128 60

Mengen

(04/10 bis 03/11) 80 100 80 100 2

Stetten am kalten Markt

(01/10 bis 12/10)

28 93,3 17 56,6 2

Tuttlingen

(04/10 bis 03/11) 297 98,3 149 49,3 5 47 31,5 26 17,4

Anmerkungen: Kontaktaufnahme pro Geburten: innerhalb des jeweiligen Evaluationszeitraums des Modellstandorts stattgefundene Kontaktierung der Eltern durch die Fachkräfte (Prozentzahl bezogen auf die Geburten während des jeweiligen Zeitraums laut Statistischem Landesamt);

stattgefundene Besuche: tatsächlich durchgeführte Besuche (Prozentzahl bezogen auf alle Geburten des jeweiligen Zeitraums); Fragebogen Fachkräfte: Anzahl der rückläufigen Fragebögen der Fachkräfte (Prozentangaben bezogen auf stattgefundene Besuche); Fragebogen Eltern: An- zahl der rückläufigen Elternfragebögen (Prozentangaben bezogen auf stattgefundene Besuche).

*1 Der Lkr Calw hat mit den Gemeinden Simmozheim und Althengstett am Projekt teilgenom- men. Die Daten zu Geburten und stattgefundenen Besuchen sind Schätzungen nach Angaben der Projektkoordinatorin.

*2 Der Lkr Ravensburg hat mit den Gemeinden Amtzell, Bad Wurzach, Bodnegg, Grünkraut und Isny am Projekt teilgenommen. Für diese Teilgemeinden liegen keine Daten des Statistischen Bundesamts vor.

*3 Der Lkr Sigmaringen hat mit den Gemeinden Mengen, Stetten am kalten Markt, Gammer- tingen und Messkirch am Projekt teilgenommen. Für diese Teilgemeinden liegen keine Daten des Statistischen Bundesamts vor. Die Daten zu Geburten und stattgefundenen Besuchen sind Schätzungen nach Angaben der Projektkoordinatorin.

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a) Befragung der Fachkräfte

Im Anschluss von mehr als 90 % der Besuche vergaben die Fachkräfte hin- sichtlich der Dimensionen „Sicherheit bei der Durchführung des Familien- besuchs“, „angemessenes Wissen über die Angebote zur Durchführung des Familienbesuchs“, „angemessene Vermittlung von Angeboten entspre- chend des Unterstützungsbedarfs“, „ausreichend Übung und Erfahrung zur Durchführung des Familienbesuchs“ sowie „Zufriedenheit mit dem Verlauf des Gesprächs“ die Schulnoten „sehr gut“ und „gut“. Bei einem Großteil der Familienbesuche (88,4 %) fühlten sich die Fachkräfte durch die Fortbildung des Universitätsklinikums Ulm gut und nur bei einem geringen Anteil (7,6 %) nicht ausreichend auf den Besuch mit seinen speziellen Anforderungen vorbereitet.

Bei 99,3 % der Familienbesuche war die Mutter, bei 35,8 % der Vater, bei 5,9 % die Großmutter, bei 1,3 % der Großvater, bei 1,7 % eine Bekannte oder ein Bekannter und bei 2,8 % waren sonstige Personen, wie z. B. Geschwisterkin- der, anwesend.

Die Familienbesucherinnen hatten im Allgemeinen drei Möglichkeiten, den Eltern Informationen zu vermitteln und Angebote zu empfehlen. In den meisten Fällen (72,4 %) fand eine Vermittlung allgemeiner Informationen statt. Bei 2,3 % der Besuche wurde ein Kontakt direkt vor Ort zwischen den Eltern und einer Institution hergestellt. In 1 % der Fälle wurden die Famili- enbesucherinnen von ihrer Schweigepflicht entbunden, um eine Kontakt- herstellung zu einer Institution nach dem Familienbesuch zu ermöglichen.

13,7 % der Familienbesucherinnen gaben an, dass sie eine andere Form der Kontaktherstellung gewählt haben.

Die Familienbesucherinnen vermittelten bei 91 % der Familien Beratungs- und Unterstützungsangebote der Jugend- und Sozialhilfe, bei 66,6 % berieten sie zu finanziellen Unterstützungsleistungen des Bundes bzw des Landes Baden-Württembergs, bei 28,2 % bezüglich Beratung und Hilfen zur Gesundheit nach SGB V (inkl. Sozialpädiatrisches Zentrum) sowie bei 4,4 % speziell zu auf Migrantinnen oder Migranten ausgerichteten Hilfsangebo- ten (Mehrfachnennungen waren möglich).

Bei der Einschätzung der familiären Situation der jeweils besuchten Familie fand die Einstufung ebenso analog zu Schulnoten statt. Zugleich wurde nach der eigenen Sicherheit der Familienbesucherin bei dieser Einschät- zung gefragt. Die Sicherheit wurde ebenfalls mittels Schulnoten angege- ben. Die beiden Fragestellungen sind in Abb. 1 dargestellt. I. d. R. wurde die familiäre Situation als sehr gut oder gut bewertet und die Familienbesu- cherinnen waren sich ebenso in der Einschätzung recht sicher.

Abb. 1: Einschätzung der familiären Situation und Sicherheit bei der Einschätzung (N = 458)

sehr gut Angaben in Prozent

ausreichend

Einschätzung der familiären Situation

Sicherheit bei der Einschätzung

gut befriedigend mangelhaft ungenügend

0 10 20 30 40 50

(12)

b) Befragung der besuchten Eltern

Ein Großteil (96 %) der Fragebögen wurden von den Müttern ausgefüllt, wenige (4 %) von den Vätern. IdR betrachtete sich die Person, die den Frage- bogen ausfüllte, auch als Hauptbetreuungsperson für das Kind. Nur 2,6 % gaben an, nicht die Hauptbetreuungsperson zu sein. Im Durchschnitt war der besuchte Elternteil 31,3 Jahre alt, mit einer Spannweite von 19 bis 43 Jahren. Die meisten Eltern (83,2 %) waren verheiratet, 22 % geschieden, 14,2 % ledig und 0,4 % lebten getrennt.

Der Familienbesuch wurde von den Eltern hinsichtlich ihrer Zufrieden- heit mit der Beratung, mit dem Auftreten der Familienbesucherin und der Nützlichkeit der erhaltenen Informationen und Angebote bewertet.

Die Ergebnisse können Abb. 2 entnommen werden. Hinsichtlich aller drei Dimensionen bewerteten die Eltern das Angebot zum Großteil als sehr gut oder gut, nur zu einem geringeren Anteil als befriedigend.

Zusätzlich wurden die Eltern zu den vermittelten Informationen befragt.

68,2 % der Eltern gaben an, neue Informationen über Angebote für Eltern und Familien durch den Familienbesuch erhalten zu haben, die sie zuvor nicht gekannt hatten. Weiterhin sind 79,2 % der besuchten Eltern hoch motiviert, die vermittelten Angebote in Anspruch zu nehmen bzw die erhaltenen Informationen zu nutzen.

Abb. 2: Bewertung des Familienbesuchs durch die Eltern (N = 274)

78,8 % der Eltern bewerteten den Zeitpunkt (5. bis 12. Lebenswoche) des Familienbesuchs als optimal. Von den 21,2 % der Eltern, die sich den Famili- enbesuch zu einem anderen Zeitpunkt als dem Besuchsdatum gewünscht hätten, würden 14,6 % einen Termin bereits in der Schwangerschaft bevor- zugen, 5,1 % einen Termin zu einem früheren Zeitpunkt als dem tatsächlich stattgefundenen Familienbesuch und 1,5 % zu einem späteren Zeitpunkt.

Die Bekanntmachung des Projekts bei den Eltern erfolgte auf unterschiedli- chen Wegen. Die meisten Eltern (50,9 %) erhielten ein Anschreiben des/der Bürgermeisters/-in und gaben per Postkarte oder Telefon ihr Einverständ- nis für einen Besuch. Am zweithäufigsten (35,5 %) erhielten die Eltern ein Anschreiben mit der Mitteilung eines Terminvorschlags für den Familien- besuch. Weniger Eltern (11 %) haben auf sonstigem Weg von dem Projekt erfahren, z. B. über Bekannte oder über die Kindergartenleiterin, die als Familienbesucherin tätig war. Die wenigsten Eltern (2,6 %) erfuhren über einen Flyer oder durch die Presse und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt oder Gemeinde von dem Projekt und bemühten sich selbst aktiv um den Erhalt eines Besuchs.

0 20 40 60 80 100

sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft ungenügend

Beratung Auftreten Nützlichkeit

(13)

13,5 % der besuchten Eltern gaben an, im Moment Probleme oder Belastun- gen (Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Wohnverhältnisse, finanzielle Probleme, Partnerschaftskonflikte) zu haben. 40,1 % aller Befragten gaben Belastun- gen während der Schwangerschaft oder rund um die Geburt (Gesundheit, Rauchen und Alkoholkonsum, Geburtskomplikationen, psychische Belas- tungen, Frühgeburtlichkeit, Behinderung des Kindes) an.

Abschließend wurden die Eltern über die Fortsetzung des Projekts befragt.

98,9 % der Befragten wünschen sich, dass das Aktionsprogramm Familien- besucher fortgesetzt wird.

3. Fazit für die Praxis

Willkommensbesuche stellen einen wichtigen Baustein in einem funkti- onierenden Netzwerk „Frühe Hilfen“ dar. In den ersten Wochen nach der Geburt treffen die Fachkräfte, auch bei vorliegenden Risiken der Familie, noch nicht eskalierte familiäre Situationen an, die Eltern sind für die Vermittlung von Angeboten und Hilfen offen und nach eigenen Angaben hoch motiviert, diese dann auch in Anspruch zu nehmen (vgl. Ergebnisse der Evaluation). Dagegen setzen in der gängigen Praxis in vielen Fällen die Hilfen erst ein, wenn klinische Verhaltensprobleme bei den Kindern deutlich werden.6

Das Alleinstellungsmerkmal des Aktionsprogramms Familienbesucher liegt in dem wissenschaftlich erfolgreich evaluierten Fortbildungscurri- culum für die Vorbereitung der Fachkräfte auf die Willkommensbesuche.

Damit kommen wir auch internationalen Forderungen nach einer besseren Evaluation von Präventionsprojekten in Deutschland nach. Mit unserer

„Kundenbefragung“ konnten wir ebenfalls belegen, dass Eltern ein solches Willkommensbesuchsangebot überhaupt für sich wünschen. Wir hatten in der Entwicklung des Programms zunächst Bedenken, weil Prof. Sanders angab, von den Eltern erfahren zu haben, dass diese sich am wenigsten Haus- und Familienbesuchsprogramme wünschten.7 Hier kamen wir mit der Evaluation des Aktionsprogramms zu ganz anderen Ergebnissen.

Da es für den ersten Eindruck und damit auch für den ersten Willkom- mensbesuch bekanntlich keine zweite Chance gibt, plädieren wir gemäß den eingangs erwähnten Studien zum einen für den Einsatz von Fachkräf- ten aus dem sozialen oder medizinischen Bereich und zum anderen für eine vorbereitende Fortbildung, die allen fachlichen Ansprüchen an inter- disziplinäres Arbeiten im Bereich der Frühen Hilfen genügt. Wir sehen es als durchaus anspruchsvolle Aufgabe für die Fachkräfte, als Aushängeschild der Städte und Gemeinden bei den Familien anzuklopfen und ein Gespräch über mögliche Hilfsangebote zu führen. Im Gegensatz dazu laufen auch in Eigenregie Projekte, die manchmal auf den Einsatz von Fachkräften und/

oder eine Fortbildung zur Vorbereitung auf die Familienbesuche verzichten.

Multiplikatorinnen- und Multiplikatorenschulung

(14)

Aufgrund des Erfolgs des Aktionsprogramms sorgten wir mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg in der Folge für die Verstetigung des Konzepts im Land Baden-Württemberg. In Koope- ration mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) haben wir eine Multiplikatorenschulung angeboten, die zur Durchführung der Fortbildung von Familienbesucherinnen befähigt.

Mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG), das im Januar 2012 in Kraft getreten ist, wurde die Aufgabe des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, Eltern über Angebote und Hilfen im Bereich Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensjahre des Kindes zu informieren, auch gesetzlich verankert.

Ganz deutlich betont auch der Gesetzgeber die Freiwilligkeit der Eltern bei Willkommensbesuchen: Auf Wunsch der Eltern könne diese Information auch zu Hause stattfinden (vgl. § 2 Abs. 2 KKG [Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz]).

Auch vor dem BKiSchG kam es immer wieder zu Unklarheiten hinsichtlich der (datenschutz-)rechtlichen Aspekte von Willkommensbesuchen im Land Baden-Württemberg. In der von uns im Rahmen des Aktionsprogramms Familienbesucher in Auftrag gegebenen Expertise beantworten Götte/

Meysen im Folgenden umfangreich alle rechtlichen Aspekte im Kontext des Aktionsprogramms, bereits unter Berücksichtigung des neuen BKiSchG.

Darin wird beispielsweise erläutert, welche Zugangswege zu Eltern beste- hen, unter welchen Bedingungen Adressen von der Meldestelle an die die Besuche koordinierende Stelle weitergegeben werden dürfen, welche In- formationen Eltern über den Besuch erhalten sollen und schließlich welche Dokumentationsrechte und -pflichten bestehen.

Anmerkungen

1 Der Wissenschaftliche Beirat hat die Konzeption und Durchführung des Aktionsprogramms an acht Modellstandorten konstruktiv begleitet und unterstützt; Informationen zu den Mitgliedern sind abrufbar unter http://www.familienbesucher.de/projektorganisation/expertenkreis.html.

2 Heaman ua, Journal of advanced nursing 2006, 55, 3, 291 bis 300.

3 Wiggins ua, Journal of Epidemiology and Community Health 2005, 59, 4, 288 bis 295.

4 Olds ua, Prevention Science 2002, 3, 153 bis 172.

5An dieser Stelle möchten wir uns herzlich sowohl bei den teilnehmenden Projektkoordinator/

inn/en und Fachkräften als auch bei den besuchten Eltern aus den Modellstandorten bedanken, die uns im Rahmen der Befragung wertvolle Rückmeldungen gaben.

6 Ziegenhain/Fegert, in: Meysen ua, Frühe Hilfen im Kinderschutz, 2009.

7 Vgl. Fegert, Persönlicher Bericht vom 16th Annual Meeting der Society for Prevention Research in San Francisco, 2008.

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber der Zeitschrift „Jugendamt“

modifiziert nach Pillhofer ua, Jugendamt, 2012,1, 2-7.

(15)

Gutachten

des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) eV vom 20. Januar 2012

erstellt im Auftrag des Universitätsklinikums Ulm

zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung von Familienbesuchen (Aktionsprogramm Familienbesucher der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg)

Fachliche Leitung

Dr. Thomas Meysen Erarbeitet von

Stephanie Götte, Dr. Thomas Meysen

A. Familienbesuch:

Willkommen oder Heimsuchung

Die Geburt eines Kindes ist ein freudiges Ereignis. Ein Besuch, um den neuen Erdenbürger oder die neue Erdenbürgerin willkommen zu heißen, ist eine schöne Idee.

Ein Besuch kann aber schnell als Heimsuchung empfunden werden, wenn ein unbekannter Mensch in die Wohnung – als Mittelpunkt der privaten Existenz1 – kommt und dort zwangsläufig (schon durch den Besuch an sich) Informationen über persönliche Lebensverhältnisse erhält, mitnimmt, dokumentiert und diese möglicherweise an eine Behörde oder andere Stellen innerhalb einer Kommunalverwaltung weitergibt.

Die ambivalente Deutungsmöglichkeit des Familienbesuchs als Willkom- men oder Heimsuchung spiegelt sich in unserer Verfassung wider. Die Bürger/innen können über ihre Grundrechte, wie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) oder die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG), grundsätzlich selbst verfügen und den Besuch in ihrer Wohnung und das Interesse für ihre Lebenssituation will- kommen heißen oder als Eingriff des Staates in ihre Privatsphäre abwehren (hierzu näher B.).

Nicht nur in der Verfassung, auch im (fach)politischen Diskurs über die Zielsetzung(en) des Familienbesuchs findet sich diese Ambivalenz:

I. Zielsetzung der Familienbesuche

Sinn und Zweck der Familien- bzw Willkommensbesuche ist, möglichst alle Eltern von Neugeborenen über Hilfeangebote rund um die Geburt und das erste Lebensjahr zu informieren und Familien somit zu ermöglichen, dass sie von Anfang an Unterstützung finden können. Das Ziel dieses kommu- nalpolitischen und im weiteren Sinne auch primärpräventiven Angebots zur Unterstützung von jungen Eltern ist, im Sinne eines gesunden Auf- wachsens in öffentlicher Verantwortung2, neugeborene Kinder willkom-

(16)

men zu heißen, hiermit das Zusammenleben in der Kommune freund- licher zu gestalten, Kommunalverwaltung positiv erfahrbar zu machen und den Eltern Informationen zu vermitteln. Hierzu sind von zahlreichen Kommunen die so genannten Willkommens- oder Familienbesuche als Willkommensgruß für alle neugeborenen Kinder und ihre Eltern eingeführt worden.

Praxiserfahrungen haben gezeigt, dass alle Familien in der Umbruchsitu- ation durch die Ankunft eines neuen Familienmitglieds Beratungsbedarf haben, obschon dieser hinsichtlich Intensität und Dauer ganz unterschied- lich ist.3 Die Familienbesucherinnen sollen jungen Eltern/Familien als erste Ansprechpartnerinnen und kompetente Beraterinnen für alle Fragen zur Verfügung stehen und ihnen Informationen über die bestehenden Hilfs- und Beratungsangebote geben. Bei den Willkommens-/Familienbesuchen handelt es sich um ein kommunalpolitisches und zugleich universell- präventiv aufsuchendes Programm, das bei der Zurverfügungstellung von Informationen eine ressortübergreifende Zusammenarbeit in den bestehenden Systemen und mit den vorhandenen Ressourcen verfolgt. Die Kommunen wollen hiermit ihre Freude über jeden neu(geboren)en Bürger zum Ausdruck bringen, die bestehenden Angebote für Familien bekannter machen und etwaige Hemmschwellen zur Inanspruchnahme der Angebo- te abbauen.4

Im Rahmen des hier thematisierten Aktionsprogramms Familienbesucher in Trägerschaft der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg wurden an acht Modellstandorten (Baden-Baden, Balingen, Calw, Ditzingen, Sigma- ringen, Salach, Tuttlingen und Ravensburg) ca 40 Fachkräfte in der ersten Projektphase durch die Projektgruppe der Uniklinik Ulm geschult. Diese führten bei Eltern mit Neugeborenen Hausbesuche durch. Bei diesen Besuchen wurden zusammen mit der Familie Ressourcen und Belastungen erhoben, die Eltern wurden über bestehende Angebote und Hilfen des jeweiligen Modellstandorts informiert und bei Bedarf an weiterführende bereits etablierte Hilfsangebote vermittelt. Das Aktionsprogramm Fami- lienbesucher soll damit eine Brücke zwischen universellem Ansatz und gezielter, helfender Intervention darstellen. Beim Familienbesuch im Ver-

ständnis des Projekts handelt es sich ausdrücklich um ein niedrigschwel- liges, nicht risikobezogenes Angebot, das alle Eltern mit Neugeborenen freiwillig in Anspruch nehmen können. Der universelle Ansatz des Projekts soll die Stigmatisierung von Risikofamilien vermeiden und die Akzeptanz des Angebots erhöhen.5

Mittlerweile betont auch der Bundesgesetzgeber, dass für einen präventi- ven Ansatz in der Kinder- und Jugendhilfe wichtig ist, möglichst viele Fami- lien frühzeitig zu erreichen. Unter anderem hat er die Familienbesuche ins Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) aufgenommen und ihnen im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) einen gesetzlichen Rahmen gegeben (siehe Kasten).

§ 2 KKG. Information der Eltern über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung6

(1) Eltern sowie werdende Mütter und Väter sollen über Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich zur Beratung und Hilfe in Fragen der Schwan- gerschaft, Geburt und der Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjah- ren informiert werden.

(2) Zu diesem Zweck sind die nach Landesrecht für die Information der El- tern nach Absatz 1 zuständigen Stellen befugt, den Eltern ein persönliches Gespräch anzubieten. Dieses kann auf Wunsch der Eltern in ihrer Wohnung stattfinden. Sofern Landesrecht keine andere Regelung trifft, bezieht sich die in Satz 1 geregelte Befugnis auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe.

II. Familienbesuche an der Schnittstelle zum Kinderschutz

Mit den Familienbesuchen wird also ein kommunalpolitischer und universell-präventiver Ansatz verfolgt. Die Begrüßung des Kindes in der Kommune und Glückwünsche für die Eltern werden kombiniert mit früh- zeitiger Information über bestehende Beratungs- und Hilfsangebote sowie Vermittlung bzw Kontaktherstellung. Eines der von Politik ausgegebenen Ziele ist, über den Weg des Familienbesuchs möglicherweise zu verhindern,

(17)

dass zu einem späteren Zeitpunkt Interventionen notwendig werden. Hier- zu sollen die Familienbesuche in einem sehr weiten Verständnis beitragen, indem Familien von Anfang an die bestehenden Beratungs- und Unter- stützungsmöglichkeiten kennenlernen und nutzen können. Auch wenn das Gesetz, in dem Familienbesuche nunmehr bundesgesetzlich geregelt werden, „Kinderschutz“ im Titel hat, mögen die Familienbesuche zwar das Zusammenleben in der Kommune sowie das Verhältnis zwischen Bürger/

inne/n und Kommunalverwaltung positiv beeinflussen, sie sind aber kein Kinderschutzelement im eigentlichen Sinne.

Schutz von Kindern vor Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellem Missbrauch ist kein Ziel, das mit Familienbesuchen erreicht werden kann und soll. Die Familienbesucherinnen haben einen Begrüßungs-, Unter- stützungs- und Beratungsauftrag. Kontrollierende Elemente sind zwar jedem beraterischen Handeln immanent,7 sie stehen beim Familienbesuch jedoch weder im Vordergrund noch sind sie Anlass für den Besuch oder Inhalt des Besuchs. Die Familienbesuche sollen ein Angebot an die Eltern sein, das freiwillig in Anspruch genommen werden kann – oder auch nicht.

Wird die Familie mit dem überwachenden staatlichen Auge oder dessen verlängertem Arm der Familienbesucherinnen im Sinne eines „Haben wir heute schon alle Kinder geschützt?“ besucht, wird ein Willkommensbesuch zu einem – weder von der Familie noch vom Gesetzgeber gewünschten – Elternüberprüfungsbesuch, bei dem Eltern zunächst unter Generalverdacht gestellt werden, den es durch den Besuch auszuräumen gilt.

Wenn das Aktionsprogramm Familienbesucher der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg in seinem Ursprung noch davon ausgegangen ist, dass die Familienbesuche als Teil der Frühen Hilfen neben der Unterstüt- zung junger Eltern auch der Erkennung von Risikofaktoren sowie der Prä- vention von Vernachlässigung und Misshandlung dienen sollen („informie- ren und kontrollieren“), so hat der Bundesgesetzgeber dem mittlerweile eine Absage erteilt. Konzepte mit einem expliziten Auftrag zum Elternkom- petenzcheck sind von der gesetzlichen Aufgabe nicht gedeckt: Statt auf die Familien zuzugehen, um sie bei der Inanspruchnahme von Hilfen zu

chen, um Eltern zu kontrollieren, ob bei ihnen in der Elternschaft alles kind- gerecht läuft. Eine solche Grundkonzeption ist nach § 2 KKG ausdrücklich unzulässig. Bei der Vorschrift zur Information aller Eltern über Hilfs- und Beratungsangebote rund um die Geburt und die ersten Lebensjahre im Bundeskinderschutzgesetz handelt es sich nach der insoweit eindeutigen Formulierung des Gesetzestextes um einen universellen Ansatz mit Infor- mation vermittelnder, nicht kontrollierender Zielsetzung.

Der Gesetzgeber beabsichtigt die möglichst frühe Information und Bera- tung aller Eltern und formuliert im Bundeskinderschutzgesetz vorsichtig, indem er lediglich von einer Befugnis spricht, den Eltern ein Gespräch anzubieten, das auf deren Wunsch auch in ihrer Wohnung stattfinden kann (§ 2 Abs. 2 KKG). Ganz nach der Konzeption des Projekts Familienbesucher in Baden-Württemberg sollen hierbei keineswegs alle Eltern nach der Geburt zunächst unter Generalverdacht stehen, um sie alle zuhause zu besuchen und dabei durch den Einblick in das Familienleben feststellen zu können, ob sie ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen.

Aufgabe nach dem neuen § 2 KKG ist die Information der Eltern. Der Haus- besuch stellt dabei lediglich eine der möglichen Methoden dar. Diese darf nur eingesetzt werden, wenn sie von den Eltern/Familien gewünscht ist.

Gesetzesbegründung zu § 2 KKG (Information der Eltern über Unterstüt- zungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung): 8

„Eine wesentliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme präventiver Leistungen zur Förderung der Entwicklung des Kindes und damit zur Vermeidung von Nachteilen, die einen schädigenden Einfluss auf die Ent- wicklung von Kindern und Jugendlichen entfalten können, ist die Kenntnis des örtlich verfügbaren Angebotsspektrums, das von den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe, von Einrichtungen und Diensten des Gesundheitswesens, der Schwangerenkonfliktberatung, des Mütterge- nesungswerks und anderen Organisationen vorgehalten wird.

Da nicht alle Eltern auf Grund von Belastungen und Vorbehalten gegen- über Behörden und staatlichen Einrichtungen selbst aktiv werden, ist es die Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft, (werdende) Eltern über dieses

(18)

Angebot zu informieren und für die Inanspruchnahme der Leistungen im Interesse und zum Wohl des Kindes zu werben. Im Rahmen verschiedener Projekte unter der Bezeichnung „Frühe Hilfen“ haben die kommunalen Ge- bietskörperschaften – zum Teil unterstützt durch die Länder – unterschied- liche Konzepte und Strukturen entwickelt, um dieses Ziel zu erreichen (z. B.

Dormagener Modell).

Zu Absatz 1

Die Vorschrift knüpft hinsichtlich der Information der (werdenden) Eltern über Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich an geltende bundes- und landesrechtliche Rechtsgrundlagen an, wie sie insbesondere das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe –, das Schwangerschafts- konfliktberatungsgesetz, sowie die Landesgesetze zum Kinderschutz und zum öffentlichen Gesundheitsdienst enthalten.

Zu Absatz 2

Anknüpfend an Modellprojekte und Initiativen einzelner Kreise und Städte befugt die Vorschrift die nach Landesrecht zuständigen Stellen, z. B. den öffentlichen Gesundheitsdienst oder das Jugendamt, mit (werdenden) Eltern Kontakt aufzunehmen und ein persönliches Gespräch anzubieten, um diese über die örtlichen Unterstützungsangebote zu informieren und zu beraten. Landesrecht kann die Bestimmung der für die Information der (werdenden) Eltern zuständigen Stellen auch den kommunalen Gebiets- körperschaften überlassen. Trifft Landesrecht allerdings keine Regelung, befugt die Vorschrift den örtlichen Träger der Jugendhilfe zur Kontaktauf- nahme mit den (werdenden) Eltern. Die Entwicklung von Konzepten sowie die Schaffung und Ausgestaltung von Strukturen, die gewährleisten, dass Eltern über das Angebot an Beratungs- und Unterstützungsleistungen im örtlichen Einzugsbereich informiert werden, bleibt damit den Ländern und Kommunen überlassen. Klarstellend wird lediglich geregelt, dass die Infor- mation der (werdenden) Eltern auf deren Wunsch auch im Rahmen eines sog. Willkommensbesuchs erfolgen kann.

Wenn zur Sicherstellung der Information der Eltern über das bestehende Leistungsangebot von Beratungs- und Unterstützungsleistungen Daten zusätzlich erhoben, gespeichert oder übermittelt werden sollen, so ist dies- bezüglich eine gesetzliche Regelung zumindest hinsichtlich der Rahmen- bedingungen erforderlich.“

Ein kontrollierendes Vorgehen (Familienbesuch als Elternkontroll-Patrouil- le) ließe sich auch nicht mit den Grundrechten der Eltern vereinbaren. In Art. 6 Abs. 2 GG wird den Eltern das Recht und die Pflicht auferlegt, für ihre Kinder zu sorgen und das Wahrnehmen der elterlichen Verantwortung dem Schutz der staatlichen Gemeinschaft unterstellt. Der Vorrang der Eltern als Erziehungsträger gegenüber dem Staat ist verfassungsrechtlich garantiert.

Das Wächteramt des Staates kommt nur dann zum Tragen, wenn die Eltern ihrer Verantwortung nicht nachkommen.9 Eine von konkreten Hinweisen unabhängige, generelle Kontrollfunktion ist hiermit keineswegs verbun- den. Vielmehr steht der Staat den Eltern wachsam und unterstützend zur Seite, ein lenkendes Eingreifen bleibt dem Ernstfall vorbehalten.10

Art 6. GG

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

[...]

Im Übrigen geriete ein Vorgehen, bei dem gezielt nach einer Kindeswohl- gefährdung gesucht wird, mit der einfachgesetzlichen Beschreibung der Schwelle für eine Aktivierung des staatlichen Schutzauftrags des § 8a SGB VIII in Konflikt. Die Geburt eines Kindes stellt keinen gewichtigen Anhaltspunkt für eine Kindeswohlgefährdung dar und kann einen Hausbesuch nicht rechtfertigen, mit dem explizit das potenzielle Vorliegen einer aktuellen oder zukünftigen Gefährdung abgeklärt werden soll.11

(19)

Neben dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 2 KKG, der Gesetzesbe- gründung und vor allem den (verfassungs)rechtlichen Gründen, die einen heimlichen oder offenen Überwachungsauftrag der Familienbesucher- innen ausschließen, stehen auch fachliche Erwägungen dagegen:

Hätten die Familienbesucherinnen einen expliziten Kontrollauftrag, müsste dieser im Sinne des Transparenzgebots 12 gegenüber den Besuch- ten offen gelegt werden. Den Eltern/Familien müsste in verständlicher Weise mitgeteilt werden, dass bei ihnen überprüft werden soll, ob sie ihre Kinder misshandeln, vernachlässigen oder sexuell missbrauchen oder ob zumindest ein Risiko besteht, dass sie das in Zukunft tun werden. Es liegt auf der Hand, dass dies die Familien-/Willkommensbesuche schnell diskreditieren und zu zahlreicher Ablehnung des Besuchs führen würde, die positiven Effekte des Willkommensbesuchs verstärkt in ein Empfinden der Heimsuchung umschlagen ließe und den Zugang zu den Familien hindern würde. Der Informationsauftrag wäre, vorsichtig ausgedrückt, erschwert,

„Spätfolgen“ eines Misstrauens gegenüber der Inanspruchnahme von Hilfe sind nicht auszuschließen. Gerade für die Inanspruchnahme und Nutzung der Hilfen, über welche die Familienbesucherinnen informieren sollen, ist der Aufbau einer Vertrauensbeziehung elementar.

Eine der zentralen Aufgaben von Hilfen rund um die Geburt ist, Eltern mehr Mittel und Möglichkeiten der Unterstützung zu bieten, um ihnen die Verwirklichung ihrer guten Absichten für ihre Kinder zu ermöglichen. Sol- len Eltern mit helfenden Angeboten gestärkt und wertgeschätzt werden, scheinen universelle, an alle Familien gerichtete Angebote vor allem dann rechtmäßig, ethisch vertretbar und kommunalpolitisch-fachlich wün- schenswert, wenn sie eine für die Hilfeadressat/inn/en positiv formulierte Zielsetzung haben. Abschreckend wirkt hingegen, wenn Eltern bis zur Ver- gewisserung über das vermeintliche Gegenteil zunächst unterstellt wird, sie würden ihre Kinder gefährden. 13

B. Familienbesuch:

die verfassungsrechtliche Perspektive

I. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

Im Zusammenhang mit Familienbesuchen werden den Eltern/Familien nicht nur Informationen gegeben, sondern es werden auch in verschiede- ner Weise Daten von Bürger/inne/n erhoben, gespeichert und weitergege- ben. Das Grundgesetz schützt das Recht auf informationelle Selbstbestim- mung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erstmals mit dem Volkszählungsurteil 1983 anerkannt:

„Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedin- gungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbe- grenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grund- recht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“ 14

Der Einzelne soll also selbst bestimmen können, was mit seinen perso- nenbezogenen Daten, mithin Informationen über seine Person geschieht.

Dies umfasst das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen eine Offenbarung persönlicher Informationen erfolgt. 15 Unter den vom BVerfG anerkannten grundrechtlichen Daten- schutz 16 bzw unter das Grundrecht auf Datenschutz 17 fallen alle persönli- chen Daten, sogar einfache Angaben wie Adresse oder Geburtsdatum eines Kindes. 18

Der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ver- bietet also zunächst jede Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten der Bürger/innen. Es gilt der Grundsatz: „Alles ist verboten, es sei

(20)

denn, es ist erlaubt“. Das bedeutet, dass jeder, uns auch noch so selbstver- ständliche Umgang mit Daten – ob nun die Sammlung von Punkten in der Verkehrssünderkartei in Flensburg oder die Speicherung persönlicher Da- ten bei Jugendämtern zum Zweck der Unterstützung von Familien – einer gesetzlichen Grundlage bedarf. 19

II. Datenschutz: Grundlagen und Begrifflichkeiten

Es ist ein Missverständnis, dass Datenschutzbestimmungen vor allem Verbote enthielten. Das, was wir als Datenschutzrecht bezeichnen (z. B.

Bundesdatenschutzgesetz, Landesdatenschutzgesetze, Datenschutzgeset- ze der Kirchen, Regelungen zum Sozialdatenschutz im SGB X und SGB VIII), stellt gerade kein Verbot dar. Im Gegenteil: Das Datenschutzrecht regelt, unter welchen Voraussetzungen Befugnisse zur Erhebung, Verwendung, Speicherung und Weitergabe von persönlichen Informationen bestehen und der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der informationellen Selbstbestimmung eingeschränkt werden kann. 20

Um dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Geltung zu ver- schaffen, hat das BVerfG Grundsätze aufgestellt, die bei einer befugten Informationserhebung und -verarbeitung stets zu beachten sind:

1. Gesetzesbindung: Eine Einschränkung des verfassungsrechtlichen Datenschutzes durch Erhebung, Verwendung, Speicherung oder Weitergabe von Daten ist nur zulässig, wenn diese durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgt.

2. Transparenzgebot: Der/die Betroffene muss die Voraussetzungen für die Erhebung und Verwendung der Daten sowie deren Umfang im Vorfeld klar erkennen und verstehen können.

3. Bestimmtheitsgebot: Der Erhebungs- und Verwendungszweck der Daten muss bereichsspezifisch und präzise bestimmbar und bestimmt sein.

4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Wie stets im Verfassungsrecht ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Das Erheben und Ver- wenden der Daten muss zum Erreichen des Zwecks der Datenerhebung/

-verwendung geeignet, erforderlich und angemessen sein. Insbesondere gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit, dh nur erforderliche Daten dürfen erhoben und verwendet werden („Soviel wie nötig, so wenig wie möglich.“). 21

Diesen Überlegungen folgend ist zunächst immer die Frage zu stellen, ob überhaupt ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Ein solcher ist zu verneinen, wenn der/die Betroffene ein wirk - sames Einverständnis erteilt hat. Hierfür kommt es insbesondere auf die Freiwilligkeit an. Ein wirksames Einverständnis kann nur erteilt werden, wenn dem Transparenzgebot genüge getan ist. Der/die Betroffene muss klar erkennen und verstehen können, welche Daten genau wofür, in welcher Form, für wie lange erhoben bzw. gespeichert werden sollen, an wen diese – möglicherweise oder bereits beabsichtigt – weitergegeben werden und welcher Zweck mit der Datenerhebung/-verwendung verfolgt wird.

Ist kein wirksames Einverständnis erteilt, liegt ein Grundrechtseingriff vor.

Eine solche Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbe- stimmung ist möglich, wenn ein Gesetz diese ausdrücklich erlaubt. Das Ge- setz muss durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sein. 22 Es ist also zu prüfen, ob nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften eine gesetzliche Befugnis zur Datenerhebung/-verwendung/-speicherung/-wei- tergabe vorliegt, die ihrerseits verfassungsgemäß sein muss, sich mithin am Grundgesetz messen lassen muss, die den Eingriff rechtfertigt.

(21)

Datenschutzrechtliche Begriffe

Die Verwendung der Begrifflichkeiten im Datenschutzrecht ist nicht immer einheitlich. Für die vorliegende Expertise werden zum besseren Verständnis folgende Definitionen zugrunde gelegt:

Daten alle Informationen über den/die Einzelne/n, die seinen/

ihren persönlichen Lebensbereich betreffen, angefan- gen bei Name, Geburtsdatum, Anschrift bis hin zu Informationen über das Zusammenleben in der Familie Datenerhebung Beschaffen von Daten, dh zielgerichtete Kenntniserlan- gung (getragen von einem entsprechenden Willen der handelnden Stelle 23 ) von diesen Informationen, egal auf welchem Wege, z. B. durch Mitteilung des/r Betroffe-

nen oder durch den Besuch an sich

Datenweitergabe Mitteilung (gleich in welcher Form) der Informationen an Dritte, z. B. an eine Behörde

Datenspeicherung Festhalten der Informationen in beispielsweise schriftlicher oder elektronischer Form

Datenverwendung Oberbegriff für jegliches Nutzen der Informationen, also insbesondere die Datenweitergabe und Daten-

speicherung

III. Familienbesuch und Datenschutz

Im Fall der Familienbesucherinnen wird die verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Dimension des Datenschutzes insbesondere an vier Punkten relevant:

1. Meldedaten: Weitergabe und Erlangen der Meldedaten der zu besuchenden Familien an/durch die zuständige Stelle für die Familienbesuche,

2. Kontaktaufnahme: Einholen einer wirksamen Einwilligung zur

Datenerhebung beim Familienbesuch; Kontaktaufnahme schriftlich und/oder mit einem Besuch, auch bei Unklarheit über die Einwilligung in die Datenerhebung, respektive über das Einverständnis mit dem Besuch,

3. Besuch: Erlangen der Daten über persönliche Lebensverhältnisse der Familie im Rahmen des Besuchs,

4. Dokumentation: Speicherung und Weitergabe der Daten nach dem Besuch.

An all diesen Punkten ist zu prüfen, ob das Vorgehen durch ein Einver- ständnis (dann liegt schon kein Grundrechtseingriff vor) oder durch eine gesetzliche Befugnis legitimiert ist.

C. Familienbesuch und seine (datenschutz-) rechtliche Würdigung

I. Erlangen der Kontaktdaten

Um Kontakt zu Eltern herstellen und Familienbesuche durchführen zu kön- nen, brauchen die Familienbesuchsdienste zeitnahe Informationen, wenn Familien im Einzugsgebiet Nachwuchs bekommen. Wie sie die betreffen- den Daten erlangen und wer sie ihnen auf welchem Weg übermittelt, ist aus juristischer Perspektive potenziell datenschutzrechtlich relevant und zu beleuchten. Die rechtlich zulässigen Zugangswege für das Erreichen der Eltern sind zu klären.

(22)

1. Datenweitergabe durch die Meldebehörde

Im Melderegister sind die für die Kontaktaufnahme erforderlichen Daten aller Eltern mit neugeborenen Kindern gespeichert (vgl. § 4 Abs. 1 Melde- gesetz Baden-Württemberg [MG BW], § 2 Abs. 1 Melderechtsrahmengesetz [MRRG])24. Es stellt sich die Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Meldebehörde zur Weitergabe dieser Daten an die Familienbesucher- innen befugt ist.

Grundsätzlich richten sich die Befugnisse zur Verwendung personenbezo- gener Daten durch öffentliche Stellen nach den Datenschutzgesetzen der Länder. In Baden-Württemberg ist dies das Landesdatenschutzgesetz BW (LDSG BW; vgl. §§ 1, 2 Abs. 1 LDSG BW).25 Sind auf personenbezogene Daten allerdings besondere Rechtsvorschriften des Bundes oder des Landes anzu- wenden, so gehen diese vor (Gesetzesvorrang, § 2 Abs. 5 LDSG BW).26 Dies ist für die Datenverwendung durch Meldebehörden der Fall. Landesrecht- liche Regelungen finden sich in den Meldegesetzen (hier dem MG BW), die somit vorrangig Anwendung finden.

Bundesrechtliche Regelungen zum Meldewesen finden sich im Melde- rechtsrahmengesetz. Bis zur Föderalismusreform 2006 unterfiel das Meldewesen der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, dh nur die wesentlichen Grundzüge wurden durch den Bundesgesetzgeber vorgegeben, die Ausfüllung dieses Rahmens war den Ländern überlassen.

Seit der Grundgesetzänderung hat der Bund die ausschließliche Gesetzge- bungskompetenz im Bereich des Meldewesens (Art. 73 Abs. 1 Nr 3 GG). Der Bundesgesetzgeber hat von dieser Kompetenz allerdings noch keinen Ge- brauch gemacht, sodass die landesrechtlichen Regelungen derzeit (noch) weitergelten (Art. 125a Abs. 3 GG). Allerdings gilt auch das Melderechtsrah- mengesetz fort (Art. 125b Abs. 1 S. 1 GG). Diese Fortgeltung erstreckt sich auf Gesetzgebungsbefugnisse, die den Ländern durch das Rahmengesetz ein- geräumt waren und auf Verpflichtungen der Länder hinsichtlich Ausfüllung und Umsetzung des MRRG, sodass die Länder bis zu einem Bundesgesetz zum Meldewesen weiterhin landesrechtliche Regelungen treffen können (Art. 125b Abs. 1 S. 2 GG).27

Die Meldebehörde darf einer anderen Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle aus dem Melderegister unter anderem Vor- und Familiennamen, Anschriften, Tag und Ort der Geburt sowie den gesetzlichen Vertreter übermitteln, wenn dies zur Erfüllung einer in ihrer Zuständigkeit oder in der Zuständigkeit des Datenempfängers liegenden Aufgabe erforderlich ist (§ 29 Abs. 1 MG BW, § 18 Abs. 1 MRRG).28 Demnach ist die Weitergabe der Kontaktdaten der zu besuchenden Familien grundsätzlich zulässig, sofern eine entsprechende Aufgabe der Meldebehörde selbst oder des Datenemp- fängers vorliegt.

An dieser Stelle ist daher zunächst zu prüfen, ob der jeweilige Datenemp- fänger eine Aufgabe hat, für deren Erfüllung die Kenntnis der Daten erfor- derlich ist. Hierbei ist danach zu differenzieren, welche Stelle die Durchfüh- rung der Familienbesuche übernimmt, dh, an welche Stelle die Meldedaten durch die Meldebehörde zu diesem Zweck weitergegeben werden sollen.

Im Aktionsprogramm Familienbesucher wurden die Familienbesuche an einigen Modellstandorten durch den öffentlichen Träger der Jugendhilfe initiiert, in anderen Kommunen/Kreisen wurde die Aufgabe durch das Bürgermeisteramt übernommen. Überwiegend wurde ein/e Referent/in als behördeninterne/r Ansprechpartner/in benannt; mit der Durchführung der Familienbesuche wurden dann freie Träger (z. B. Kindertagesstätte) beauf- tragt. In Baden-Baden wurden die Besuche vom Jugendamt selbst durch- geführt. Für die Verstetigung des Projekts liegen dem Universitätsklinikum Ulm inzwischen auch Anfragen freier Träger vor, die die Familienbesuche in Eigenregie durchführen wollen. Im Modellprojekt Familienbesucher wur- den Familienbesucherinnen unterschiedlicher Professionen eingesetzt.

Bei den Teilnehmerinnen der (ersten) durch die Uniklinik Ulm durchgeführ- ten Fortbildung handelte es sich vorwiegend um Erzieherinnen, Sozial- pädagoginnen, und (Kinder-)Krankenschwestern. Des Weiteren hat jeweils eine Psychologin, Köchin, Verwaltungsfachangestellte, Betriebswirtin, Sozialfachwirtin, Heilpädagogin, Bankkauffrau, Nachbarschaftshelferin, Heilerziehungspflegerin, Ergotherapeutin, technische Angestellte und Arzthelferin teilgenommen.

(23)

a) Bürgermeisteramt

Wenn das Bürgermeisteramt die Organisation der Familienbesuche über- nimmt, findet keine Datenübermittlung statt. Aus datenschutzrechtlicher Perspektive handelt in diesem Fall die Stelle, bei der die Daten bereits vorhanden sind.

Meldebehörde ist die Ortspolizeibehörde (§ 3 Abs. 1 MG BW), also die Ge- meinde (§ 62 Abs. 4 Polizeigesetz BW [PolG BW]). Dem/der Bürgermeister/in als Leiter/in der Gemeindeverwaltung (vgl. § 42 Abs. 1 Gemeindeordnung BW [GemO BW]) liegen die Meldedaten vor.29 Eine Datenübermittlung im Sinne des Datenschutzrechts würde in diesen Fällen nur stattfinden, wenn die Informationen an eine andere Stelle übermittelt würden.

Bei der Beurteilung ist von dem sogenannten funktionalen Stellenbegriff auszugehen. Dieser bereits im Jahre 1977 zum Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) entwickelte Begriff beruht – im Gegensatz zum organisatorischen Stellenbegriff – auf der Annahme, dass im Sinne des Datenschutzrechts von einer anderen „Stelle“ und damit von einem Dritten auszugehen ist, sobald die Daten weitergegeben und für eine andere Aufgabe (dh nicht mehr für die Aufgabe, zu deren Zweck sie ursprünglich erhoben wurden) verwendet werden sollen.30 Eine Datenübermittlung liegt dann vor, wenn eine Weitergabe an einen Dritten erfolgt, also an jede Stelle außerhalb der erhebenden/speichernden Stelle. Die erhebende/speichernde Stelle ist dabei die „Organisationseinheit, die eine Aufgabe funktional durchführt“.

Wenn Daten also von einer funktional zuständigen Stelle (zweckbezogene Stellenklärung) an eine andere weitergegeben werden, liegt eine Übermitt- lung vor. 31

Die Meldedaten werden erhoben, um die Identität und Wohnadressen der im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Meldebehörde wohnenden Bür- ger/innen nachweisen zu können und dienen damit der kommunalen Auf- gabenerfüllung.32 Die Familienbesuche können als eine kommunale Aufga- be im Bereich der allgemeinen Daseinsfürsorge angesehen werden. Mithin liegt in der entsprechenden Verwendung der Daten für die Familienbesuche des/der Bürgermeisters/-in

durch den/die Bürgermeister/in keine Zweckänderung. Datenschutzrecht- lich erfolgt also keine Übermittlung. Die Daten verbleiben vielmehr bei der gleichen Stelle, sodass es keiner datenschutzrechtlichen Befugnis bedarf, um die Kenntnis innerhalb des Bürgermeisteramts zu erlauben. Die Daten- verwendung durch den/die Bürgermeister/in ist daher zulässig.

b) Jugendamt als Datenempfänger aa) Bisherige Rechtslage

Handelt es sich bei der um Datenweitergabe ersuchenden Stelle um den Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, bedarf es zur Übermitt- lung der Daten durch die Meldebehörde einer Rechtsgrundlage für die Aufgabenerfüllung sowie einer Zuständigkeitsregelung für die Familienbe- suche. Nach Rechtslage vor dem Bundeskinderschutzgesetz ließ sich eine solche nur mit erheblicher Kreativität dem Gesetz entnehmen.

Eine Aufgabe im Sinne von § 29 Abs. 1 MG BW könnte sich aus der Leistung der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 Abs. 1, Abs. 2 Nr 2 SGB VIII) ableiten lassen. Hiernach soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Müttern und Vätern ua Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen machen (§ 16 Abs. 2 Nr 2 SGB VIII). Es handelt sich hierbei um Leistungen der Kinder- und Ju- gendhilfe (§ 2 Abs. 2 Nr 2 SGB VIII). Diese werden gem. § 3 Abs. 2 SGB VIII von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe erbracht.

Familienbesuche könnten unter diesen allgemeinen Beratungsauftrag fallen. Allerdings ermöglicht die Vorschrift des § 16 SGB VIII keine – wie hier gewünschte – regelhafte Übermittlung der Daten aller Eltern mit neugeborenen Kindern. Sie betrifft vielmehr die Beratung im konkreten Einzelfall. Regelmäßige Datenübermittlungen an andere Behörden, dh Datenübermittlungen, die ohne Ersuchen, anlassbezogen und regelmä- ßig wiederkehrend erfolgen, 33 insbesondere im Wege automatisierter Abrufverfahren, sind nach § 29 Abs. 4 MG BW (vgl. § 18 Abs. 4 MRRG) nur zulässig, „soweit dies durch Bundes- oder Landesrecht unter Festlegung des Anlasses und des Zwecks der Übermittlungen, der Datenempfänger und der zu übermittelnden Daten bestimmt ist“. 34 Eine entsprechende

Abbildung

Tab. 1:  Repräsentativität der Stichprobe
Abb. 1: Einschätzung der familiären Situation und Sicherheit bei der   Einschätzung (N = 458)
Abb. 2:  Bewertung des Familienbesuchs durch die Eltern (N = 274)

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