Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000 AA2193
S E I T E E I N S
Therapeutisches Klonen
Dammbruch E
s war nur eine Frage der Zeit, wannder erste europäische Staat das Klonen menschlicher Stammzellen zu Forschungszwecken in Aussicht stellt. Diese hat England mit einem entsprechenden Gesetzentwurf nun für sich entschieden – zwar mit der Einschränkung, dass das Klonen nur zu therapeutischen Zwecken gestat- tet werden soll. Dennoch: Ein wissen- schaftlicher und ethischer Damm- bruch ist damit vollzogen. Der Wert eines Embryos – aus wie wenigen Zel- len er auch bestehen mag – wird sich nach den Londoner Vorschlägen grundlegend verändern: Sein Lebens- recht und seine Würde treten hinter die der erwachsenen Kranken zurück.
Bis zur industriellen Nutzung und Manipulation menschlichen Lebens ist es ethisch und moralisch dann nicht mehr weit. Allerdings: Ob man in absehbarer Zeit Parkinson-, Alz- heimer-, Krebs- oder Diabeteskran- ken mit therapeutischem Klonen
überhaupt eine relevante Symptom- verbesserung oder gar Heilung er- möglichen kann, wie die Befürworter der Methode vollmundig behaupten, weiß derzeit niemand. Sie steht ledig- lich als Hoffnung im Raum.
Deutschland sollte sich bei der von einigen Forschern und Politi- kern geforderten Änderung des Em- bryonenschutzgesetzes an die Worte des Präsidenten der Deutschen For- schungsgemeinschaft, Prof. Ludwig Winnacker, erinnern, wonach die Wissenschaft sich zurzeit nicht in ei- nem Stadium befindet, wo ihr zur Heilung von schwer Kranken nichts anderes mehr übrig bleibe als das therapeutische Klonen. Denn welt- weit arbeitet man mit Hochdruck an alternativen Verfahren; beispielswei- se an der Züchtung menschlichen Gewebes aus pluripotenten Zellen sowie aus Körperstammzellen von Erwachsenen. „Diese sind ethisch weniger belastet und auf dem Weg,
ein bestimmtes Organ zu bilden, schon viel weiter“, so Winnacker.
Wozu die Eile der Engländer an- gesichts dieser Perspektiven? Der Konkurrenzdruck und die finanzi- ellen Anreize sind in der Branche so gestiegen, dass Großbritannien seine Position innerhalb der Staa- ten mit Spitzenforschung nicht ge- fährden will. Mit dem Vorschlag zum therapeutischen Klonen hat England daher nicht nur eine ethi- sche, sondern auch eine Standort- frage für sich entschieden. Auslän- dische Bio- und Gentechnologiefir- men werden in England demnächst das tun, was in ihren Ländern ver- boten ist. Der damit verbundene ökonomische Gewinn darf Deutsch- land aus gesellschaftlichen, histori- schen und religiösen Gründen je- doch nicht vor einer sorgsamen Abwägung aller Argumente zum Schutze des ungeborenen Lebens abhalten. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Arneimittelbudget
Unhaltbar W
enn es nach Politik und Kran-kenkassen geht, müssen die niedergelassenen Ärzte in acht Kassenärztlichen Vereinigungen hohe Regresse fürchten. In den be- troffenen KVen ist nach (vorläufi- gen) Angaben der Kassen das Arz- neimittelbudget 1999 um etwa 450 Millionen DM überzogen worden.
Die Forderung auf Rückzahlung ist für Dr. med. Jürgen Bausch, Arz- neimittelexperte der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, allerdings ein Unding.
Bausch verweist auf eine Markt- analyse von IMS Health, die den Budgetverlauf 1999 und das Ver- ordnungsverhalten der Ärzte dar- stellt. Dass Ärzte Reserven nicht ausschöpften – wie von der Politik behauptet –, sei schlichtweg falsch.
Weltweit hätte niemand die Ver- ordnungen so massiv auf Generika, die billigeren Nachahmerprodukte, umgestellt wie die Ärzte hierzulan- de. Die Studie zeigt auch, dass die Ausgaben für umstrittene Arznei- mittel im vergangenen Jahr deut- lich zurückgegangen sind, auf ledig- lich 3,80 DM pro Versicherten und Quartal. Der Vorwurf an die Ärzte, sie würden zu viel Überflüssiges verordnen und müssten deshalb auch dafür haften, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar.
Nicht das Verschreiben von Fir- lefanz, sondern von Spezialpräpa- raten war entscheidend für die Überschreitung des Budgets. Diese innovativen Medikamente, die Pa- tienten mit Krebs, Aids, Rheuma- tismus, Morbus Crohn oder nach
Transplantationen deutliche Er- leichterungen bringen, sind teuer.
Besonders in KVen, in denen viele solche Patienten behandelt werden (Hamburg, Berlin, Bremen) spren- gen diese Ausgaben den Finanzrah- men. Die Mehrbelastung wird je- doch in die Budget-Verhandlungen nicht einbezogen. Unberücksichtigt bleibt auch die höhere Morbidität in Ostdeutschland, die zwangsläufig einen höheren Verbrauch von Arz- neimitteln nach sich zieht.
Fazit von Bausch: „Bleibt die Budgetierung, wird sie definitiv zu Rationierungen führen.“ Das ist schon jetzt spürbar und dürfte sich noch verstärken. Denn für das erste Halbjahr 2000 ist das Arzneimittel- budget rechnerisch bereits wieder überzogen. Dr. med. Eva A. Richter