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Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000
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ngesichts der leeren Kas- sen der Sozialleistungsträ- ger haben kürzlich zwei Bundespolitiker Forderungen und Vorschläge publik gemacht, die auf Geldschöpfung, Zusatzbesteuerung und Extraabgaben hinauslaufen. So meldete sich der neue Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, mit zwei nicht gerade innovativen Ideen zu Wort, nämlich alle Rentenbezüge der vollen Einkommensteuer zu unterwerfen und künftig aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sämt- liche Bagatellfälle auszugrenzen und Sportunfälle in die Zahlpflicht des Einzelnen zu verlagern.Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer scheint Lernfort- schritte gemacht zu haben und An- leihen bei der Bundesärztekammer zu nehmen. Fischer, bisher ziemlich faktenresistent und unbeweglich,
sprach sich für eine stärkere Eigen- vorsorge aus. Deshalb müsse man
„unvoreingenommen“ eine Ge- sundheitsabgabe auf Risikosport- geräte prüfen. Wer Skier kauft oder Drachen fliegt, soll über den Pro- duktpreis einen Beitrag zu einer Unfallversicherung zahlen. Aus diesen Geldquellen müssten die Behandlungsaufwendungen bezahlt werden.
Es sei eine Überlegung wert, künftig die Finanzierungsbasis für die GKV zu erweitern, indem auch beispielsweise Miet-, Aktiengewin- ne und andere Einkunftsarten mit Krankenkassenbeiträgen belastet werden. „Ich sehe nicht ein, warum sich die Höhe des Beitrages nur nach dem Arbeitseinkommen rich- ten soll.“
Die inzwischen mit geteiltem Beifall beschiedenen Vorschläge haben übereinstimmend als Ziel:
die Sozialabgaben zu stabilisieren und nach neuen Geldquellen zu for- schen. Zumindest Fischer will die Leistungserbringer dabei nicht sus- pendieren; es müsse noch stärker gespart und rationalisiert werden.
Richtig ist: Langfristig rei- chen die Einnahmen der Sozial- kassen nicht aus; diese brauchen Entlastung und eine neue finanzi- elle Grundlage. Ob allerdings Ex- traabgaben auf riskantes Sport- gerät die GKV spürbar entlasten, muss bezweifelt werden. Denn nur etwa vier Prozent des Gesamt- etats der Krankenkassen entfal- len auf Folgekosten bei Sportun- fällen. Die Rentenbezüge zu be- steuern wäre verfassungsrechtlich zu prüfen, denn schließlich wer- den Rentenanwartschaften hälftig aus bereits zum Teil versteuer- ten Arbeitnehmereinkünften er- worben. Dr. Harald Clade
Geldsch(r)öpfung
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er Zug ist wohl auch in Euro- pa nicht mehr aufzuhalten.Folgt die britische Regierung den Vorschlägen einer von ihr ein- gesetzten Kommission, wird das Klonen menschlicher Embryonen zu therapeutischen Zwecken in Großbritannien bald erlaubt sein.
Die aus führenden Medizinern ver- schiedener Fachrichtungen zusam- mengesetzte Expertengruppe kam zu dem Ergebnis, dass der mögli- che Nutzen dieses Verfahrens ge- genüber damit verbundenen ethi- schen Problemen überwiege.
Informierte Kreise in London sind sicher, dass die Regierung dem Votum der Kommission folgt.
Diese geht davon aus, dass es mit- hilfe der neuen Technik möglich sein wird, eine Reihe schwerer Er- krankungen erfolgreich zu behan- deln. Inzwischen erscheint es als
realistische Perspektive, gesundes Gewebe gezielt heranzuzüchten und gegen krankes auszutauschen.
Die britische Kommission be- fürchtet auch, bei einer weiteren restriktiven Regelung den An- schluss an die medizinische Spit- zenforschung zu verlieren.
Auch in Spanien steht eine Weichenstellung in die gleiche Rich- tung kurz bevor. Eine Experten- kommission wird dort voraussicht- lich der Regierung empfehlen, die rund 30 000 eingefrorenen Embryo- nen aus künstlichen Befruchtun- gen zu medizinischen Forschungs- zwecken freizugeben. In den USA wächst inzwischen der Druck auf den Gesetzgeber, die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht al- lein privaten Unternehmen zu über- lassen, sondern diese mit öffentli- chen Geldern zu fördern.
Gespannt kann man auf die be- vorstehende Diskussion in Deutsch- land sein. Forschungswillige Wis- senschaftler stehen vermutlich be- reits in den Startlöchern. Die Geset- zeslage zur embryonalen Forschung erscheint noch eindeutig; doch wei- sen Äußerungen aus dem Berliner Forschungsministerium auf unter- schiedliche Standpunkte innerhalb der Bundesregierung hin. Solange es sich um verbrauchende For- schung an embryonalen Stammzel- len handelt, werden ethische Be- denken hierzulande überwiegen.
Neueste Forschungen zeigen, dass auch der erwachsene Organismus über pluripotente Stammzellen ver- fügt. Wenn es damit möglich sein wird, Leben rettendes Gewebe zu erzeugen, muss die bisherige ethi- sche Argumentation überdacht werden. Dr. Thomas Gerst