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Zu Recht wird er inzwischen in die Reihe der po- litischen Denker eingeführt

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Anzeigen British Foreign Secretaries and Foreign Po- licy: From Crimean War to First World

War. Ed. by Keith Μ. Wilson. London:

C r o o m H e l m 1987. VI, 218 S.

Ziele und Mittel der Außenpolitik wurden in der britischen Öffentlichkeit seit der Mitte des 19.

Jahrhunderts intensiv diskutiert. Strategische, fi- nanzielle und moralische Probleme bestimmten die Debatte. Die öffentlichen Auseinanderset- zungen, welche die Außenpolitik in Lord Rose- berys Sicht zu einem Zankapfel der Parteien de- gradierten, verdeckten indes nur fundamentale, über Jahrzehnte zu verfolgende Kontinuitäten in der Politik des Foreign Office. Seit Palmerston vertraten alle verantwortlichen britischen Politi- ker bestimmte Prinzipien außenpolitischen H a n - delns. Die W a h r u n g des europäischen Friedens w a r Bestandteil dieses Konsenses in Großbritan- nien, ebenso die Aufrechterhaltung und Auswei- tung freien Handels, die Vermeidung von Bünd- nissen mit anderen Mächten in Friedenszeiten.

Alle Premierminister und Außenminister in der langen Regierungszeit Königin Viktorias waren sich auch der militärischen Schwäche der expan- dierenden, in allen Teilen der Welt engagierten Inselmacht bewußt. »Ships sailing on the sea,«

belehrte Palmerston 1864 einen Bewunderer der britischen Flotte, »cannot stop armies on land.«

Das sahen gelegentlich auch Ausländer. Groß- britannien, meinte 1857 der preußische Prinzre- gent, gleichermaßen verwundert und bewun- dernd, sei eine »geheimnisvolle Macht«, die trotz begrenzter Mittel über einen Subkontinent wie Indien zu herrschen vermöge.

Ungeachtet gemeinsamer Auffassungen über Grundpositionen weist Keith Wilson, einer der führenden britischen Diplomatiehistoriker, dar- auf hin, daß die britische Außenpolitik in der Praxis bei näherem Hinsehen ein sehr differen- ziertes Bild bietet. Ein »unpolitischer Beamter«, der f ü r Rosebery den idealen Außenminister dar- stellte, konnte nach Wilson der Chef des Foreign Office nie sein — und w a r es auch nie. Die Mei- nungen darüber, welcher Linie die Außenpolitik folgen solle und was »British interests« seien, wa- ren in London eigentlich stets geteilt. Die letzt- endlich eingeschlagene Politik w a r folglich nie ohne Alternative, selten ohne Kritiker. D a ß da- bei in Einzelfragen die Standpunkte überaus kontrovers sein konnten, weisen Wilson in seiner Einleitung und die sieben Fallstudien des Bandes überzeugend nach. Aber damit ist noch kein zwingender Anlaß gegeben, die britische Außen- M G M 1 / 8 9 politik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einer 243 revisionistischen Interpretation zu unterziehen,

wie sie Wilson einleitend (S. 16ff.) andeutet. Was der Band leistet, ist eine Darstellung der briti- schen Außenpolitik, indem sich die Autoren auf den jeweils verantwortlichen Minister konzen- trieren und die von ihm geleitete oder konzipier- te Politik analysieren. Das ist insgesamt ein reiz- voller und fruchtbarer Ansatz. Er macht sichtbar, in welchem M a ß e der Amtsinhaber außenpoliti- sche Entscheidungen treffen konnte und inwie- weit der Premierminister oder das Kabinett am Entscheidungsprozeß beteiligt waren, dem Au- ßenminister den Kurs gar vorschrieben. So weist ζ. B. David Steele nach, daß die Außenminister unter Palmerston nur Nebenrollen spielen konn- ten. Paul Rolo zeigt, daß selbst einem so gewich- tigen Politiker wie Lord Derby in Disraelis Kabi- nett im Grunde wenig Spielraum f ü r eigenständi- ges H a n d e l n bzw. »intelligent inaction« blieb.

Salisbury, der erfahrene Außenpolitiker, ernann- te als Premierminister erst gar keinen Minister für das Außenressort, um auf diese Weise mögli- che Konflikte von vornherein weitgehend auszu- schließen.

Als knapper Uberblick über sechs Jahrzehnte bri- tischer Außenpolitik, ihre Probleme und Strate- gien, hat der Band seinen Nutzen. D e r Stil, in dem der jeweilige Amtsinhaber in Whitehall die Geschäfte führte, wird plastisch herausgearbei- tet. N u r angedeutet wird das wechselseitige Be- einflussungsverhältnis zwischen Außen- und In- nenpolitik, obwohl dies — folgt man dem H e r - ausgeber — ein zentrales T h e m a des Bandes sein soll. D a ß sich alle britischen Außenminister bis zum Ersten Weltkrieg in ihrer sozialen H e r k u n f t kaum voneinander unterschieden, ist ein Aspekt, der in einem Band wie dem vorliegenden viel- leicht nicht eigens diskutiert zu werden braucht1. Aber auf eine naheliegende Frage hätte man gern eine genauere Antwort gewünscht: auf die Fra- ge, was einen Politiker im viktorianischen und eduardischen England, der Weltmacht im Zenit ihres Einflusses, f ü r das außenpolitische Ressort qualifizierte. Sir Edward Grey, der letzte der hier behandelten Minister, w a r schließlich nicht der einzige, der von den Voraussetzungen her f ü r das Amt denkbar ungeeignet war. T r o t z d e m er- hielt er es und führte es dann, wie Wilson urteilt, elf Jahre lang mit wenig Geschick und noch we- niger Fortüne. Peter Alter

1 Vgl. dazu jetzt P. Hayes: British Foreign Policy, 1867—1900. Continuity and Conflict. In: Later Victorian Britain, 1867—1900. Ed. by T. R. Gour- vish and A. O'Day. London 1988, S. 1 5 1 - 173.

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Heinz Gollwitzer. Internationale des Schwertes. Transnationale Beziehungen im Zeitalter der »vaterländischen« Streit- kräfte. O p l a d e n : Westdeutscher Verlag 1987. 31 S. ( = Vorträge der Rheinisch- Westfälischen Akademie der Wissenschaf- ten. Geisteswissenschaften. G 291.) H e i n z Gollwitzer, der Münsteraner Emeritus, hauptsächlich bekannt f ü r seine Sozialanalyse des Hochadels sowie f ü r seine Welt- und Ge- schichtsbildsynthese, legt mit diesem Vortrag, gehalten in Düsseldorf am 15. Juli 1987, ein Plä- doyer f ü r eine nüchterne Analyse der »Interna- tionalität des Schwertes« als Bestandteil einer möglichen fragmentarischen Universalgeschich- te bzw. Universalgeschichtsschreibung vor. Laut Gollwitzer bildet der »ubiquitäre Militarismus«

(W. v. Bredow) »einen Faktor im kooperativen Bezirk der Internationalen Beziehungen«

(S. 27), der in der Friedenstruppe der Vereinten Nationen seinen H ö h e p u n k t erreicht hat.

In zwei Abschnitten charakterisiert der Verfasser die Professionalität (d. h. auch die Kollegialität) des Soldatentums f ü r die Epoche zwischen der Französischen Revolution und dem Zeitalter der Weltkriege, wobei er die Mehrzahl seiner Bei- spiele überwiegend den Friedenszeiten der deut- schen Geschichte entnimmt. Im Falle der »tradi- tionellen Militärinternationalität« im Zeitalter der Nationalarmeen hebt Gollwitzer Themen wie das Reisläufertum der Söldner im Ausland, die Fremdenlegionen, die Verleihung militäri- scher W ü r d e n sowie von Regimentsinhaber- schaften an ausländische Staatsoberhäupter, die a la iwiie-Stellungen fürstlicher Persönlichkeiten, die internationalen Flottenzusammenkünfte und die Denkmals- und Jubiläumskulte als Merkmale dieser Entwicklung hervor.

Im Zeitalter der »imperialistischen Militärinter- nationalität« dehnte das europäische Staatensy- stem seine globalen Dimensionen auf das Gebiet des Waffenhandels, des Informationsaustausches sowie der militärischen Entwicklungshilfe aus.

Als H a u p t k o m p o n e n t e dieser »militärischen In- ternationalität« betrachtet Gollwitzer die Mili- tärdiplomatie (besonders die Einrichtungen der Militärattaches und -bevollmächtigten), die Aus- landsaktivitäten der Beraterstäbe und Militär- missionen, die Kommandierungen auf ausländi- sche Kriegsschulen und -akademien, die Militär- presse und sogar internationale Sportveranstal- tungen, die von verschiedenen Armeen und Flot- ten getragen und finanziert wurden. In jener Epoche des klassischen Imperialismus lagen also die innovatorischen Ansätze jenes »ubiquitären

Militarismus«, den Gollwitzer als »einen interna- tionalen Komplex« behandelt sehen möchte.

So geistreich Gollwitzers Anregungen auch zu bewerten sind, so tragen sie letzten Endes doch die G e f a h r einer groben Vereinfachung in sich:

K a n n man deswegen differenzierendere Ge- sichtspunkte — wie zum Beispiel die Unterschie- de des englischen Berufsheeres zu den auf allge- meiner Wehrpflicht beruhenden Heeren euro- päischer Kontinentalstaaten — minimalisieren oder gar außer Betracht lassen? O d e r sollte nicht gerade der gegenwärtige, im Ausland weit und breit spöttisch sowie mißtrauisch betrachtete so- genannte Historikerstreit in der Bundesrepublik als W a r n u n g gegen derartige Vereinfachungen komplexer, nationalbestimmter historischer Phä- nomene im Dienste einer, wenn auch w ü n - schenswerten, Universalgeschichte dienen?

Holger H. Herwig

Peter Paret: Clausewitz and the State. T h e M a n , his Theories and his Times. Prince- ton: Princeton University Press 1985.

X V I , 467 S.

Das Buch ist bereits 1976 erschienen. Es liegt nun in einer preiswerten Paperback-Ausgabe vor.

D e r Autor hat sich entschieden, den Text, abge- sehen von der Beseitigung von Druckfehlern, unverändert stehen zu lassen. Im V o r w o r t zur neuen Ausgabe sind wenige inhaltliche Korrek- turen und Anmerkungen gemacht. T r o t z d e m wird man auch heute noch dem Urteil Michael H o w a r d s zustimmen können, d a ß das Buch Pa- rets alle anderen Studien dieser Art über Clause- witz mit Ausnahme des gleichzeitigen Werkes von Raymond Aron vielleicht überholt hat1. Im deutschen Sprachraum ist außer den Beiträgen von Ernst Vollrath seither wenig Neues und Sub- stantielles erschienen2.

Absicht Parets ist es, das W e r k von Clausewitz an den Quellen und in seiner historischen Umge- bung aufzusuchen und von daher neu zu inter- pretieren. Es finden sich daher bei ihm keine ak- tuellen Bezüge der Art, was uns Clausewitz heu- te im Atomzeitalter noch zu sagen hätte, wie sie Aron herzustellen versucht. In den ersten vier Kapiteln wird die »Umgebung« Clausewitz' dar- gestellt: Preußen, die Französische Revolution, das »pädagogische Zeitalter« und Scharnhorsts Einfluß und Ideenwelt. In chronologischer Folge werden dann Leben und W e r k Clausewitz' un- tersucht. Das Buch schließt mit dem Abdruck des ersten Kapitels des ersten Buches aus Clausewitz'

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»Vom Kriege«, das dieser selbst als das einzig vollendete seines Werkes betrachtet hat. Dieser Abdruck ist sicher die notwendige Ergänzung zu dem vorangehenden Abschnitt, in dem Paret Theorie und Theorieverständnis von Clausewitz untersucht.

Einmal mehr zeigen diese Ausführungen Parets, daß Clausewitz als überzeitlicher »instrumentel- ler Kriegstheoretiker« oder gar als beliebig zu verwendender operativer Zitatenschatz gründ-

lich mißverstanden worden ist. Vielleicht trifft noch nicht einmal die Bezeichnung »Kriegsphi- losoph« die ganze Reichweite seines Denkens.

Zu Recht wird er inzwischen in die Reihe der po- litischen Denker eingeführt

3

. Er ist hier mit sei- nen Überlegungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis politischen und militärischen Han- delns neu zu entdecken und in aller Zeitgebun- denheit zu würdigen. Dazu liefert die Neuaufla- ge des Buches von Paret einen wichtigen Beitrag.

Eine Übersetzung ins Deutsche ist unter der Lei- tung von Joachim Niemeyer kurz vor der Voll- endung und wird der Beschäftigung mit Clause- witz in diesem Sinne sicher Grundlage und An-

stoß geben können. Greiner

1 M. Howard: Clausewitz. Oxford, New York 1983, S. 75; R. Aron: Clausewitz. Den Krieg denken.

Frankfurt/M. usw. 1980. Vgl. die Besprechung in M G M 30 (1981), S. 2 0 6 - 2 0 8 .

2 E. Vollrath: »Neue Wege der Klugheit«. Zum me- thodischen Prinzip der Theorie des Handelns bei Clausewitz. In: Zeitschrift für Politik, 31. Jg., Η. 1 (1984), S. 53—76; ders.: Das Verhältnis von Staat und Militär bei Clausewitz. In: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Ge- schichte der frühen Neuzeit. Hrsg. von J. Kunisch.

Berlin 1986 ( = Historische Forschungen. Bd 28.), S. 4 4 7 - 4 6 1 .

3 H. Münkler: Carl von Clausewitz. In: Pipers Handbuch der Politischen Ideen. Hrsg. von I. Fet- scher und H. Münkler. Bd 4. München 1986, S. 9 2 - 1 0 3 .

Anthony Clayton: France, Soldiers and Africa. London etc.: Brassey's Defence Publishers 1988. XXV, 444 S.

Der Autor dieses im engeren Sinne militärge- schichtlichen Werkes lehrt Geschichte an der britischen Militärakademie Sandhurst und ver- fügt durch frühere Tätigkeiten über eigene Er- fahrungen als Soldat und als Kolonialbeamter.

Dies kommt seinem Buch einerseits zugute, da er über einen klaren Blick für die konkreten Um- stände, in denen die französischen Kolonialoffi- ziere zu wirken hatten, verfügt und zugleich stets den Vergleich zu den englischen Kolonialprakti- ken ziehen kann. Andererseits liegt eine grund-

sätzlich wenig kritische Einstellung zum euro- päischen Kolonialismus, die in einer Reihe von Urteilen zum Ausdruck kommt, sicherlich in der Biographie des Autors begründet.

Im ersten der fünf Teile des Buches wird die Or- ganisation der französischen Kolonialarmeen vorgestellt. Der Armee Metropolitaine, d. h. der Wehrpflichtigenarmee, deren Hauptaufgabe der Schutz Frankreichs war, standen die aus euro- päischen Freiwilligen sowie aus angeworbenen oder später auch rekrutierten Eingeborenen be- stehende Armee d'Afrique, deren vornehmliches Einsatzgebiet Nordafrika sein sollte, und die ähnlich zusammengesetzten und für Schwarz- afrika zuständigen Troupes Coloniales gegen- über. In der Praxis wurde die geographische Aufgabenteilung allerdings nicht immer auf- rechterhalten. Überaus interessante Ausführun- gen zur Mentalität und den Lebensbedingungen der die beiden letzteren führenden französischen Offiziere (die im Gegensatz zu ihren britischen Kollegen häufig ein echtes Interesse an der Kul- tur der Kolonialvölker zeigten und sich z.T. auch von dieser beeinflussen ließen), über die Bedeu- tung der Kolonialerfahrung für die französische Armee insgesamt (so wird die Brutalität bei der Niederschlagung der Revolution von 1848 und der Pariser Kommune auch auf die afrikanische Erfahrung der beteiligten Offiziere zurückge- führt) und über die Rolle der Kolonialarmeen im politischen Leben Frankreichs runden diesen Teil ab.

Im zweiten Teil wird in chronologischer Form

eine (Militär-)Geschichte der französischen Ko-

lonien in Afrika, beginnend mit der Eroberung

Algeriens, dargeboten. Dabei arbeitet der Autor

in überzeugender Weise heraus, in welch star-

kem Maße die Initiative der Befehlshaber vor

Ort, die immer wieder ihre Instruktionen aus Pa-

ris entweder direkt überschritten oder zumindest

sehr extensiv auslegten, für die französische Ex-

pansion in Afrika verantwortlich war. Nur in we-

nigen Fällen, so ζ. B. in Madagaskar, entsprach

die Besetzung weiterer Territorien den politi-

schen oder strategischen Intentionen der franzö-

sischen Regierung. Dabei hat sich das Militär

stets einen großen Einfluß auf die Verwaltung

der Kolonien gesichert; lediglich in Algerien

kam es zu einem Dauerkonflikt zwischen dem

für ein Konzept der indirekten Herrschaft (nach

britischem Vorbild) eintretenden Militär und

den für die Assimilation an Frankreich optieren-

den Siedlern. Dieser Konflikt endete erst wäh-

rend des Algerienkrieges, als sowohl die militäri-

sche Führung als auch die colons (wenn auch aus

unterschiedlichen Motiven) eine Entlassung des

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Territoriums in die Unabhängigkeit mit allen Mitteln, bis hin zu Staatsstreich und Terroris- mus, verhindern wollten.

Neben den Einsätzen der Kolonialarmeen in Afrika sowie der Entwicklung der dort ange- wandten Taktiken und Strategien, wobei der Beitrag der kolonialen Streitkräfte zum Aufbau einer Infrastruktur als Teil der Pazifizierungs- strategie angesehen wird, wird in diesem Teil auch die Teilnahme der Kolonialtruppen an den europäischen Kontinentalkriegen behandelt.

V o r allem im Zweiten Weltkrieg gewannen die französischen Afrikaarmeen erst als »army in being« und ab 1943 als »spearpoint of France's military renaissance« (S. 139) noch einmal eine überragende Bedeutung, bevor sie in den z.T. mit äußerster Grausamkeit geführten Kriegen der Entkolonialisierungsära — bis auf wenige Einhei- ten — ihrem Ende entgegengingen.

D e r dritte und vierte Teil des Buches ist im G r u n d e nur f ü r den Spezialisten von Interesse, da hier sehr detailliert die Geschichte der einzel- nen Einheiten dargestellt wird.

In den beiden Kapiteln des Schlußteils werden zuerst die Verdienste der französischen Koloni- alarmeen beim Aufbau der Infrastruktur, der Ge- sundheitsversorgung und des Erziehungswesens in Afrika noch einmal hervorgehoben (der Titel

»A Balance Sheet« ist f ü r dieses Kapitel aller- dings nicht gerechtfertigt, da in einer Bilanz das dieser Aufbauleistung vorangegangene Zerstö- rungswerk nicht unerwähnt bleiben sollte) und sodann die französische Afrikapolitik der post- kolonialen Zeit resümiert.

D e r Autor selbst sieht sein Buch als einen Beitrag zur »reviving discipline of imperial history«

(S. xi), womit er sich implizit von der eher Impe- rialismus-kritischen T e n d e n z der Historiogra- phie der sechziger und siebziger Jahre absetzt und sich in eine sowohl in England als auch in Frankreich wachsende Strömung einordnet, die die konstruktiven Elemente des europäischen Kolonialismus stärker betont. Torsten Oppelland

Deutsche Jüdische Soldaten 1914—1945.

Im Auftrage des Bundesministeriums der Verteidigung zur Wanderausstellung hrsg. vom Militärgeschichtlichen For- schungsamt. 3. erweiterte und überarbei- tete Auflage. H e r f o r d , Bonn: Mittler

1987. 268 S.

D e r anzuzeigende Katalog ist vor dem Hinter- grund einer Problematik zu sehen, die bereits

während des Ersten Weltkriegs, mehr aber noch in den 20er und 30er Jahren, d. h. z. Zt. der Wei- marer Republik und des Dritten Reiches, eine er- hebliche Rolle in der Publizistik spielte, daß nämlich die deutschen Juden sich soweit wie möglich dem Kriegsdienst, zumal dem Frontein- satz, entzogen hätten und d a ß sie in den Fällen, w o dies nicht möglich war, ein unsoldatisches Verhalten an den T a g gelegt hätten. Die Be- hauptungen entsprachen dem durch die antise- mitische Bewegung in Deutschland propagierten Klischee, d a ß Juden unsoldatisch und feige seien.

So sehr die jüdische Minderheit sich in W o r t und Schrift gegen den unberechtigten Vorwurf im- mer wieder wehrte und seine Unsinnigkeit am Beispiel des im Verhältnis zur jüdischen Bevölke- rungszahl erbrachten hohen Blutzolls nachwies, so gelang es ihr doch nicht, ihn zu entkräften, da die Antisemiten in Deutschland es über Jahr- zehnte hinweg verstanden hatten, der Ö f f e n t - lichkeit die Vorstellung vom feigen Juden einzu- hämmern.

In elf Beiträgen wird im Ausstellungskatalog das Klischee durch kompetente Autoren aufgrund von Quellenbelegen widerlegt. Im einzelnen be- handeln die Beiträge die folgenden T h e m e n :

»Deutsche jüdische Soldaten 1914—1945« von Heinrich Walle; »Die politische und nationale Identität der deutschen Juden« von Hermann Greive ( ΐ ) ; »Die mißglückte Emanzipation. Zur Tragödie des deutsch-jüdischen Verhältnisses«

von Julius H. Schoeps; »Juden im preußischen Heer« von Manfred Messerschmidt; »Wie deut- sche Offiziere J u d e n und >Halbjuden< geholfen haben« von Rolf Vogel; »Stationen deutsch-jüdi- scher Beziehungsgeschichte vom Antisemitis- musstreit des 19. Jahrhunderts bis zum Völker- mord an den Juden in nationalsozialistischen Vernichtungslagern« von Peter Steinbach; »Zün- dorfer W a l d m a n n : Das Schicksal einer Familie deutscher Frontkämpfer jüdischer Abstammung und jüdischen Glaubens 1914—1975« von Ernst- Heinrich Schmidt; »Rittmeister der Reserve Bernhard W e i ß ; zur Biographie eines preußi- schen Juden« von Dietz Bering; »Ludwig Frank und Ludwig H a a s ; jüdische Parlamentarier und Soldaten« von Heinrich Walle; »Walther Rathe- nau und sein Verhältnis zum Militär, eine Skiz- ze« von Gerhard Hecker; »Begleituntersuchung zur Ausstellung: >Deutsche jüdische Soldaten 1914—1918<« von Elisabeth Erdmann und Ulrich Schiller.

Die Ausführungen widerlegen nicht nur die aus dem Antisemitismus resultierenden pauschalen Aussagen über deutsche jüdische Soldaten im be- sonderen und das Judentum im allgemeinen;

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darüber hinaus lassen sie den imponierenden Pa- triotismus der deutschen Juden deutlich werden, trotz aller ihnen zuteil gewordenen Schmähun- gen. Konrad Fuchs

Seefahrt und Geschichte. Hrsg. Deutsches Marine Institut — Militärgeschichtliches Forschungsamt. Konzeption und Redak- tion: Heinrich Walle. H e r f o r d , Bonn:

Mittler 1986. 228 S.

Das hier vorzustellende Buch ist der Katalog ei- ner am 15. Dezember 1986 in Bonn eröffneten Kunstausstellung des Deutschen Marine Instituts zum T h e m a »Seefahrt und Geschichte«. Mit in viel Liebe und Sachkenntnis ausgewählten 214 Gemälden, 32 Schiffsmodellen und 37 anderen Exponaten sollte sie entsprechend der selbstge- wählten Aufgabenstellung des Instituts Ver- ständnis f ü r die maritimen Interessen der Bun- desrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit wecken und zeigen — wie es schon in den Wirt- schaftsgutachten des Geheimen Rates f ü r den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Bran- denburg von 1687 hieß —, daß es weltkundig sei,

»daß dieser Staat einzig und allein auf die Schiff- fahrt und die Commercien fundiret ist«.

Diese gerade in der Bundeshauptstadt nicht all- tägliche Kunstausstellung hat eine so große Be- achtung und nachhaltige Resonanz in der Ö f - fentlichkeit gefunden, daß die damit verfolgte Absicht als voll erreicht bezeichnet werden kann.

D a r ü b e r hinaus hat die Idee bereits ihre N a c h a h - mer gefunden. So wurde unlängst im Mai 1987 wiederum unter großer Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit eine speziellere Ausstellung zu der Thematik »Hamburgs Schiffahrt in der Kunst«

in der Bonner Landesvertretung der Hansestadt eröffnet.

D e r Katalog bietet jedoch nicht nur einen Über- blick über die gezeigten Exponate, die sich über- dies vielfach in Privatbesitz befinden, nur f ü r den Zweck dieser Ausstellung in anerkennens- und dankenswerter Weise zusammengeführt werden konnten und in ausgezeichneter Qualität wie- dergegeben sind. Er versucht außerdem in neun Aufsätzen, das Leitthema aus verschiedenen Per- spektiven zu beleuchten und zu vertiefen. So un- tersucht zunächst Admiral Dieter Wellershoff, Generalinspekteur der Bundeswehr, in seinem Beitrag »Die See in unserem Bewußtsein« die mannigfaltigen Wechselbeziehungen zwischen dem Mensch als Landlebewesen und dem Meer, das diesen immer wieder herausfordert, um dann den wechselnden Einstellungen der Deut-

schen zur See in Vergangenheit und Gegenwart nachzugehen.

Heinrich Walle gibt dann eine sachkundige Ein- f ü h r u n g »Seefahrt und Geschichte — Ein Rund- gang durch die Austeilung«, die dabei zugleich die militärgeschichtlichen Aspekte aufhellt. Die in diesem Zusammenhang in der deutschen Ö f - fentlichkeit weniger bekannten »Niederländisch- deutschen Schiffahrtsbeziehungen« von der Hansezeit bis zur Gegenwart werden anschlie- ßend von Frits Snapper und Paul Heinsius darge- stellt, die belegen, daß das Königreich der Nie- derlande und die Bundesrepublik Deutschland heute auf vielfältige Weise, deren Wurzeln teil- weise bis weit in die Geschichte zurückreichen, partnerschaftlich verbunden sind.

Den kunstwissenschaftlichen Teil leitet Antoon F. W. Erftemeijer mit »Hollands Glorie im Bild«

in der Ubersetzung von C. P. Bardisch ein, ge- folgt von einem Beitrag des Direktors des Kunst- historischen Instituts der Universität Bonn, Pro- fessor Justus Müller Hofstede, über »Ein Meister- werk der niederländischen Marinemalerei«, der das von Willem van de Velde d. J. gemalte Bild

»Eine Szene aus der Viertägigen Seeschlacht im Kanal 1666« interpretiert. Lars U. Scholl unter- sucht dann die »Marinemalerei im Dienste politi- scher Zielsetzungen«, und Heinrich Walle steuert eine gedankliche Skizze »Zur Ästhetik im Schiff- bau« bei, die auf den grundlegenden Gedanken eines engen Zusammenhanges von Schönheit und Funktionalität im Schiffbau aufbaut.

Es schließen sich zwei Beiträge zu wirtschaftspo- litischen Gegenwartsfragen an. D e r Leiter der Abteilung Seeverkehr im Bundesverkehrsmini- sterium, Ministerialdirektor Waldemar Hoff- mann, schildert »Aspekte deutscher Seeschiff- fahrtspolitik« und John Henry de La Trohe ver- sucht sich mit »Deutsche Schiffahrt — Sturmzei- ten prägen das Bild« den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen, wie er sie als Präsident des Verbandes deutscher Reeder sieht.

Den Abschluß bilden Porträts der beiden Mäze- ne, die pars pro toto wohl f ü r die anderen Leih- geber als bedeutende »private Sammler mariti- mer Kunst« mitgeehrt werden sollten, Professor Hanswilly Bernartz und Peter T a m m , Vor- standsvorsitzender der Axel Springer Verlag AG.

D e r Katalog kann nur empfohlen werden. Insge- samt ist damit Heinrich Walle, der f ü r die Aus- stellungskonzeption, die Auswahl der Exponate, die Konzeption und Redaktion des Katalogs so- wie die Realisierung des Projektes verantwort- lich zeichnete, ein großer Wurf gelungen.

L. Borgert

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Bodo Herzog: Claus Bergen. Leben und Werk. Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Schiffahrtsmuseum und der Gemeinde Lenggries. Gräfelfing: Urbes 1987.192 S.

Mit Claus Bergen verstarb am 4. O k t o b e r 1964 im 79. Lebensjahr der letzte Vertreter einer Ge- neration deutscher Marinemaler, deren wichtig- ste Schaffensperiode in die beiden letzten Jahr- zehnte des Wilhelminischen Kaiserreiches einzu- ordnen ist. Obwohl Reproduktionen von den W e r k e n dieser Künstler — hier seien nur die wichtigsten von ihnen genannt: Carl Saltzmann, H a n s Bohrdt und Willy Stöwer — um die Jahr- hundertwende in zahlreichen Publikationen eine weite Verbreitung erfuhren, gibt es bis heute noch keinen Cfeuvrekatalog eines solchen M a - lers. Auch von Claus Bergen, dessen künstleri- scher Durchbruch nach seiner Beteiligung an Ausstellungen im Münchener Glaspalast und in Düsseldorf etwa um 1910 erfolgte, gab es bisher noch keine kunstwissenschaftlichen Maßstäben genügende Gesamtdarstellung. U m so verdienst- voller ist es, daß nunmehr in einer geschmackvoll aufgemachten Ausgabe in ansprechendem Ganz- leinenband, was heutzutage bereits eine Selten- heit ist, eine umfassende Dokumentation von Gemälden aus allen Schaffensperioden in einer alle Facetten seiner Sujets berücksichtigenden Auswahl vorliegt.

Bodo H e r z o g , der bereits 1963 eine Gesamtdar- stellung über Claus Bergen vorlegte, ist in erster Linie als Technikhistoriker und Autor von Dar- stellungen über den U-Bootkrieg bekannt. Er hatte nach Kriegsende systematisch Materialien und Hinweise zur Biographie Bergens gesam- melt und stand mit dem Künstler auch in briefli- chem Kontakt. Als Kenner des Bergenschen Ge- samtwerkes besorgte er die Auswahl der repro- duzierten Bilder und verfaßte die Begleittexte.

Das Deutsche Schiffahrtsmuseum, welches über einen größeren Bestand von Marinebildern Ber- gens besitzt und die Gemeinde Lenggries, die seinen Nachlaß erbte, haben den vorliegenden Band mitherausgegeben. In einer äußerst detail- lierten und faktenreichen Biographie mit an- schließender Chronologie würdigt Bodo H e r z o g Leben und W e r k Claus Bergens. Eine ebenso sorfältig durchgeführte Bibliographie, welche auch Rezensionen und Ausstellungsberichte ent- hält, beschließt den Textteil.

Von seiner Ausbildung, unter anderem an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in München, und seiner Interessenlage her gesehen war Bergen ein Landschaftsmaler. Auf Studien-

reisen nach England, vor allem nach dem male- risch gelegenen Fischerdorf Polperro in Corn- wall, entdeckte er seine Vorliebe für die See. En- de 1915 erhielt er vom Reichsmarineamt Gele- genheit, Einheiten der Kaiserlichen Marine in Wilhelmshaven darzustellen, und wurde zeitwei- se auf den modernsten Großkampfschiffen zur Anfertigung von Studien eingeschifft. Im Som- mer 1917 konnte er sogar eine Unternehmung als Gast an Bord des U-Bootes »U-53« unter dem K o m m a n d o von Kapitänleutnant Rose in die Iri- sche See miterleben.

Seine großartigen Marinebilder, die weit mehr als reine Schiffsporträts sind, verschafften ihm sehr schnell Anerkennung und Wertschätzung in Marinekreisen. H a t t e er sich bereits als Illustra- tor der Romane von Karl M a y 1907/08 einen N a m e n gemacht, so sollten seine Bilder vom Ein- satz deutscher Kriegsschiffe später eine weite Verbreitung als Buchillustrationen erfahren.

Schwerpunkte seines maritimen Kunstschaffens sind unbestreitbar seine zahlreichen Darstellun- gen von Gefechtsszenen aus der Skagerrak- schlacht von 1916 und seine U-Boot-Bilder. Ge- rade dieses Sujet mußte für einen Meister, der am liebsten die See malte, von besonderer Faszi- nation sein, da auf diesen Bildern das U-Boot o f t nichts anderes als ein Mittel zur effektvolleren Gestaltung von Seegangserscheinungen ist. Dies tritt auch in seinen U-Bootdarstellungen aus dem Zweiten Weltkrieg deutlich hervor, wenn man nur an das bekannte Bild »U-Boot im Atlantik«

in der Marineschule Mürwik denkt.

Bergen stellte sein künstlerisches Schaffen be- w u ß t in den Dienst der W e r b u n g f ü r die deut- schen Seeinteressen und die Marine. Das war f ü r diesen national denkenden M a n n etwas völlig Legitimes. Fasziniert von der Technik, mit der der Mensch die Elemente bezwingen kann, hat er seine Kriegsschiffdarstellungen zwar voller Pathos, aber keineswegs als plumpe Kriegsver- herrlichung gemalt. D e r von ihm oft angewandte Kunstgriff, den Betrachter etwas außerhalb des jeweils dargestellten Schiffes, gleichsam über dem Wasser schwebend, die Szenerie betrachten zu lassen, ist keineswegs ein propagandistischer Trick. Dieser Kunstgriff, der zweifellos eine dra- matisierende W i r k u n g hervorruft, wurde schon von William T u r n e r ein Jahrhundert vorher an- gewendet.

D a ß ein so national empfindender und marine- begeisterter Künstler im Nationalsozialismus ei- ne nationale Erneuerungsbewegung ohne deren fatale Konsequenzen zu sehen glaubte, hatte er mit zahllosen Zeitgenossen gemein.

Dennoch kann man ihn trotz Mitgliedschaft in

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der N S D A P nicht als Propagandamaler abquali- fizieren, wenngleich seine Bilder von der NS- P r o p a g a n d a durchaus genutzt und zu Zwecken mißbraucht wurden, die der Künstler nicht in- tendiert hatte. Ein Vergleich mit ausgesproche- nen Propagandastücken, welche auch unmittel- bar durch ihre Thematik die Ideologie des N a - tionalsozialismus verherrlichen — man denke nur an die Blut- und Boden-Bilder eines Sepp Hilz oder Adolf Ziegler oder an die allegorischen Darstellungen politischer Ziele der N S D A P von Paul Mathias Padua —, zeigt daß dieser Vorwurf unberechtigt ist.

Bodo H e r z o g beruft sich in seiner politischen Bewertung Bergens auf Äußerungen des wissen- schaftlichen Mitarbeiters am Deutschen Schiff- fahrtmuseum, Lars U. Scholl, in dessen Aufsatz

»Claus Bergen als politischer Marinemaler«

Die Ergebnisse weiterer Forschungen hat Scholl inzwischen in seinem 1986 in dem Katalog »See- f a h r t und Geschichte« erschienenen Beitrag

»Marinemalerei im Dienste politischer Zielset- zungen« wesentlich differenzierter zum Aus- drück gebracht2. T r o t z aller Akribie der Textbei- träge kommt die kunstwissenschaftliche W ü r d i - gung dieses letzten großen Marinemalers etwas zu kurz. Hier hätte man besser einen Kunstwis- senschaftler als Mitautor herangezogen. Auch hätte man die erfolgreichen Bemühungen von H a n s Willy Bernartz um die Erhaltung des W e r - kes von Claus Bergen nach dem Kriege deutli- cher herausstellen müssen. Es ist schließlich nur den Bemühungen dieses Kölner Mäzens zu ver- danken, daß das Deutsche Schiffahrtsmuseum eine solch umfangreiche und aussagekräftige Kollektion Bergenscher Bilder in der »Sammlung Bernartz« besitzt, ganz zu schweigen von Bern- artz' erfolgreicher Initiierung der R ü c k f ü h r u n g einiger W e r k e aus Beständen der Kriegsbeute der USA. D a ß H a n s Willy Bernartz eine um- fangreiche von 1937 bis zum T o d e des Künstlers geführte Korrespondenz besitzt, worin er sich mit Bergen immer wieder über den Aufbau und die künstlerische Gestaltung seiner Bilder aus- einandergesetzt hatte, ist Bodo H e r z o g leider entgangen.

Die Bildauswahl ist treffend und die Qualität der Reproduktionen in Farbe wie auch in Schwarz- weiß-Druck hervorragend. Sie zeigt Arbeiten aus allen Schaffensphasen und macht deutlich, daß Bergen keineswegs nur Kriegsschiffe malte.

Landschaften, vor allem aus Oberbayern, See- stücke, Handelsschiffe ζ. T. als Historienbilder und Flugzeugdarstellungen vermitteln einen fas- zinierenden Eindruck vom Kunstschaffen Claus Bergens. So ist trotz aller kritischen Anmerkun-

gen festzustellen, daß Autor und Verlag eine ver- dienstvolle und bestens aufgemachte Gesamtdar- stellung dieses wohl letzten großen Klassikers unter den deutschen Marinemalern vorgelegt ha- ben, der man nur eine weite Verbreitung wün- schen kann. Heinrich Walle

1 L. U. Scholl: Claus Bergen als politischer Marine- maler. In: Ders.: Claus Bergen, 1885—1964. Mari- nemalerei im 20. Jahrhundert. Sonderausstellung im Deutschen Schiffahrtsmuseum, 24. 4. 1982—26.

9. 1982. Bremerhaven 1982, S. 1 9 - 5 5 .

2 Ders.: Marinemalerei im Dienste politischer Ziel- setzungen. In: Seefahrt und Geschichte. Hrsg. vom Deutschen Marine Institut und vom Militärge- schichtlichen Forschungsamt. Herford, Bonn 1986, S. 1 7 3 - 1 9 0 . Vgl. S. 247 dieses Bandes.

Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximili- an I. Das Reich, Österreich und Europa an der W e n d e zur Neuzeit. B d V : D e r Kaiser und seine Umwelt. H o f , Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.

M ü n c h e n : Oldenbourg 1986. X X X I I , 904 S.

In diesem letzten Band seiner großen Maximili- an-Biographie faßt der Österreicher Wiesflecker noch einmal die Ergebnisse der bisher erschiene- nen Teile zusammen. Dieses geschieht zunächst in einem Kapitel »Der Kaiser und das Reich«, dem ein weiteres folgt, das sich mit »Maximilians Kirchenpolitik« beschäftigt. Es schließen sich übergreifende Betrachtungen an mit den Titeln

»Der Kaiser und seine habsburgische H a u s - macht«, »Der Kaiserhof«, »Maximilian, der Kunstfreund und Künstler«, »Universale Kaiser- politik«, »Der Kaiser als Feldherr« und »Die neue Wirtschafts- und Finanzpolitik im Dienst der großen Politik und des Krieges«.

D e m allem folgt eine als »Summe« bezeichnete abschließende Betrachtung, die in ihrer Art na- hezu einmalig sein d ü r f t e : Hier werden die Aus- führungen aus fünf prall gefüllten Bänden noch einmal in bewundernswerter Knappheit, aber zu- gleich auch starker Aussagekraft und sprachli- cher Geschliffenheit dargeboten. W e r je eine kurzgefaßte, aber doch tiefschürfende und gut lesbare Geschichte und Bewertung der Ära des

»Kaisers an der Zeitenwende« sucht: Hier wird er sie finden!

Doch nicht nur wegen seines abschließenden Ka- pitels ist dieser letzte Band der Wiesfleckerschen Maximilian-Biographie bemerkenswert. Er muß auch insgesamt als H ö h e p u n k t und glanzvoller Abschluß einer großen historiographischen Lei-

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stung gesehen werden, weil er brennpunktartig das gesamte W e r k noch einmal widerspiegelt. In früheren Besprechungen der ersten Bände wurde bereits auf die vielschichtige und gewichtige Pro- blematik der Persönlichkeit und der Zeit, die im V o r d e r g r u n d aller Betrachtungen steht, wieder- holt eingegangen1. Sie kommt jedoch am besten und deutlichsten in diesem letzten Teil zum V o r - schein, der mehr ist als nur eine konzentrierte Wiederaufbereitung der vorhergehenden detail- lierten und chronologisch bestimmten Darstel- lungen: Die thematisch gegliederten Längs- schnitte geben dem Autor die Möglichkeit, er- gänzende oder transparenter machende Aussa- gen zu treffen, um dadurch und mit Hilfe der Konzentration auf einen jeweiligen Spezialbe- reich dem Leser neue Perspektiven oder zumin- dest beachtenswerte Denkanstöße zu vermitteln.

N a c h d e m nun also der Schlußstein gesetzt ist, sei zur Gesamtbiographie nur noch soviel gesagt:

T r o t z aller Kompaktheit und trotz seines unge- wöhnlichen Volumens macht das Wiesflecker- sche W e r k nie den Eindruck, als ob es an irgend- welchen Stellen nicht mehr von seinem Autor hätte gebändigt werden können. So dürfte denn auch der Leser kaum irgendwo das Gefühl ha- ben, von der Stoffülle überwältigt zu werden, zumal auch die sprachliche Qualität aller Teile die Lektüre angenehm und anregend macht.

O b Kaiser Maximilian I. mit Wiesflecker nun- mehr seinen »gültigen Biographen« gefunden hat, mag dahingestellt sein. Sicher ist aber auf je- den Fall, daß hier eine biographische, aber zu- gleich auch ereignisgeschichtliche Arbeit vorge- legt worden ist, die in beiderlei Hinsicht künftig immer mit in vorderster Reihe bei großen histo- riographischen Werken genannt werden wird.

Horst Rohde

1 Vgl. M G M 19 (1976), S. 225 ff., 23 (1978), S. 306 f.

und 31 (1982), S. 203 f.

Deutschland, und Frankreich in der frühen Neuzeit. Festschrift f ü r H e r m a n n Weber zum 65. Geburtstag. Hrsg. von H e i n z D u c h h a r d t und Eberhard Schmitt. M ü n - chen: Oldenbourg 1987. X , 685 S. ( = An- d e n Regime, Aufklärung und Revolution.

Bd 12.)

D e r Entscheidung der Herausgeber, dem Main- zer Historiker H e r m a n n Weber zu seiner Emeri- tierung eine Festschrift zu widmen, die allein Aufsätze zum hauptsächlichen Forschungsge-

genstand des Jubilars enthält, ist es zu verdan- ken, daß wir über eine in etwa aktuelle, wenn auch nicht lückenlose Bilanz zum Stand der — vor allem deutschen — Beschäftigung mit den deutsch-französischen Beziehungen in der Frü- hen Neuzeit verfügen. In 22 chronologisch ange- ordneten Beiträgen werden wichtige T h e m e n der deutsch-französischen Geschichte des 16., 17.

und 18. Jahrhunderts mit weitgefächerten Frage- stellungen behandelt, auf die hier leider nicht nä- her als mit knappen Hinweisen eingegangen werden kann.

Am Anfang steht Roland Mousniers Essay über

»Centralisation et decentralisation« (S. 1—20), in dem sich dieser unter dem Aspekt der die franzö- sische Monarchie wie das Heilige Römische Reich deutscher Nation charakterisierenden Be- griffe einem Zentralproblem staatlicher Organi- sation im alteuropäischen Frankreich zuwendet.

Einen die gesamte Frühe Neuzeit umfassenden Überblick über einen wichtigen Teilbereich der deutsch-französischen Beziehungen gibt Volker Press in seinem Beitrag »Frankreich und Bayern von der Reformation bis zum Wiener Kongreß«

(S. 21—70), wobei er im Anschluß an Doeberl bayerische Frankreichpolitik als »Funktion einer tief im Mittelalter wurzelnden bayerisch-öster- reichischen Rivalität« begreift (S. 69 f.). Einen hi- storiographisch interessanten Ausschnitt aus dem Themenkomplex »Bayern-Frankreich« bietet Andreas Kraus·. »Eine Geschichte Bayerns für den Dauphin« (S. 3 8 3 - 4 0 6 ) .

Neben Bayern spielte schon wegen seiner geo- graphischen Lage der rheinische Raum f ü r die deutsch-französischen Beziehungen in der Frü- hen Neuzeit eine große Rolle. D e m tragen vor allem sechs Beiträge Rechnung. Winfried Dotzauer behandelt »Macht — Politik — Diplo- matie. Gedanken über die Neudimensionierung der Verständniskategorien der französischen Deutschland-Diplomatie nach 1648 unter beson- derer Berücksichtigung des Rheingebietes«

(S. 331—359); Klaus Peter Decker die »Rheingau- er Geiseln im >Pfälzischen Krieg<. Zur französi- schen Kontributionskriegführung im 17. Jahr- hundert« (S. 407—437), Georges Livet »Stras- bourg et la navigation du Rhin. Contribution ä l'etude des relations entre la Ville et le Margra- viat de Bade ä la fin du X V I I i e siecle« (S. 5 4 9 - 587), Konrad Fuchs »Die >Seidenstädte< Krefeld und Lyon. Versuch eines Vergleichs« (S. 589—

615); Helmut Mathy ein »Mainzer Gutachten zur Halsbandaffäre im Vorfeld der französischen Revolution« (S. 617—641) und Franz Dumont mit dem Arzt Peter Joseph Daniels (1765—1819) einen »Mainzer Jakobiner« (S. 643—682).

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In der Mehrzahl der Aufsätze wird unter ver- schiedenen Gesichtspunkten das frühneuzeitli- che Heilige Römische Reich als Ganzes zu sei- nem großen westlichen Nachbarn in Beziehung gesetzt. So wendet sich Albrecht P. Luttenberger unter dem Stichwort »Libertät« der »reichspoliti- schen Tragweite der Kriegspropaganda Frank- reichs und seiner deutschen Verbündeten 1552«

zu (S. 103—136); in einem Vergleich beschäftigt sich Karl Josef Seidel mit »Zentrale Ständevertre- tung und Religionsfrieden in Deutschland und Frankreich (1555-1614)« (S. 1 8 7 - 2 2 0 ) . Klaus Malettke revidiert in »Altes Reich und Reichsver- fassung in französischen Traktaten des 17. Jahr- hunderts« (S. 221—258) die ältere Meinung, daß man in Frankreich über die Verfassungsverhält- nisse im Reich schlecht informiert gewesen sei.

Als Beitrag »zur Darstellung Frankreichs in der deutschen Flugblattliteratur des Dreißigjährigen Krieges« versteht Wolfgang Hans Stein seine mit einem Textanhang versehene Arbeit über »Ri- chelieu unter den Komödianten« (S. 259—291), während David J. Sturdy »Images of France and Germany: T h e Accounts of English Travellers in the Seventeenth Century« (S. 293—330) vorstellt und Jürgen Voss das Deutschlandbild eines be- rühmten Franzosen anhand seiner »Memoires«

nachzeichnet: »Der H e r z o g von Saint-Simon und Deutschland« (S. 439—465). Zwei Aufsätze kreisen um den neuerlich wieder stärker beachte- ten einzigen frühneuzeitlichen Kaiser aus dem H a u s e Wittelsbach und gehören damit auch zum Themenbereich »Bayern — Frankreich«: sein jüngster Biograph, Peter Claus Hartmann, fragt nach der »Bedeutung Marschall Broglies f ü r Kaiser Karl VII.« (S. 4 6 7 - 4 8 5 ) , und Karl Otmar Frhr. v. Aretin behandelt »Karl VII. als Kaiser Reichsitaliens« (S. 487—508). Die Wahl Josephs II. zum Römischen König vivente imperatore ist das T h e m a Walter G. Rödels: »Frankreich, Kurpfalz, Kurmainz und die Frage der Römi- schen Königswahl 1753-1755« (S. 5 0 9 - 5 4 8 ) . D a ß im übrigen nicht nur in diesem, sondern in vielen Beiträgen zum Themenkomplex »Heiliges Römisches Reich — Frankreich« und anderen das Verhältnis Österreichs/Habsburgs zu Frank- reich angesprochen ist, braucht nicht eigens her- vorgehoben zu werden.

Abgerundet wird die Festschrift durch Arbeiten von Günther Wartenberg über »Die Politik des Kurfürsten Moritz von Sachsen gegenüber Frankreich zwischen 1548 und 1552« (S. 71—

102), von dem leider viel zu früh verstorbenen Heinrich Lutz über »Kardinal Reginald Pole und die Friedensvermittlung zwischen Habsburg und Frankreich (1555/56)« (S. 1 3 7 - 1 6 1 ) , von Jean

Richard über »temps de la celtomanie: Comment un historien bourguignon du X V Ie siecle voyait les migrations des Burgondes« (S. 163—186) und von Rene und Suzanne Pillorget über »la majori- te legale au sacre de Louis X I V (1651—1654)«

(S. 361—382). Helmut Neuhaus

Erich Donnert: Rußland im Zeitalter der Aufklärung. Wien usw.: Böhlau 1984. 230 S.

Zwei Herrschergestalten prägten im 18. Jahr- hundert die Entwicklung Rußlands maßgeblich:

Peter I. und Katharina II. Unter ihrer Herrschaft vollzog sich der Wandel des Staates zur Welt- macht, ein Wandel, der keinen Bereich des poli- tischen und kulturellen Lebens unberührt ließ.

Das »Aufstoßen des Fensters nach dem Westen«

und das O f f n e n Rußlands f ü r die westliche Auf- klärung ließen ungeahnte Entwicklungsmöglich- keiten entstehen, die bereits die Zeitgenossen er- kannten. Die Anliegen der Aufklärung erregten und erhitzten die Gemüter der gesamten gebilde- ten Schichten; Staatsmänner, Soldaten, Wissen- schaftler, Literaten und Künstler suchten ihre Vorstellungen zur Realisierung der neuen Ideen publizistisch bekannt zu machen und durchzu- setzen. Das Ringen um die Durchsetzung des N e u e n innerhalb der überkommenen Verhältnis- se in Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Militär, Literatur und Kunst zu verdeutlichen, ist Aufga- be dieser Arbeit.

D e r Verfasser, Professor an der Universität zu Leipzig, leitet seine Darstellung mit einem vor- züglichen Kapitel »Rußlands W e g zur Welt- macht« ein, um dann auf die Frühaufklärung un- ter Peter dem Großen einzugehen, dessen Regie- r u n g den entscheidenden Durchbruch in den Be- strebungen Rußlands zur Ö f f n u n g nach Westen markiert. Seine zahlreichen, zum Teil ausge- dehnten Reisen in das westliche Europa, na- mentlich nach Deutschland, Frankreich, Eng- land und Holland, förderten seine Anstrengun- gen, Rußland auf allen Gebieten den modernen Staaten Europas anzunähern. Dabei spielte der Gedanke der religiösen Toleranz eine bedeuten- de Rolle, erkannte Peter der Große doch, d a ß die Entwicklung Rußlands zu einem modernen Staate nur möglich sein würde, wenn den zur Einwanderung nach Rußland eingeladenen Westeuropäern, vor allen Dingen den Nieder- ländern und H u g e n o t t e n , freie Religionsaus-

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übung garantiert würde, was bei der starken Stellung der russisch-orthodoxen Kirche in R u ß - land nicht einfach war. Bei der Durchsetzung der R e f o r m e n kam den erziehungs- und wissen- schaftlichen Einrichtungen eine besondere Be- deutung zu. Ihre Gründung, Förderung, Ent- wicklung und Leistung ist zum Verständnis des ungeheuren Wandels Rußlands im 18. Jahrhun- dert überhaupt unerläßlich. Die Petersburger Akademie der Wissenschaften, die Universität M o s k a u und viele andere gelehrte Anstalten ha- ben zur Entwicklung Rußlands zur Weltmacht grundlegende Voraussetzungen geschaffen. For- schungsreisen und Expeditionen erweiterten die Kenntnisse und bereicherten die großen wissen- schaftlichen Sammlungen. Westeuropäische Ge- lehrte kamen in großer Zahl auf Einladung der M o n a r c h e n nach Rußland, Buchdruck- und Zeitschriftenwesen erlebten ebenso eine große Blüte wie Architektur, Malerei und Kunstgewer- be, T h e a t e r und Musik. Die Verflechtung des Militärs mit allen diesen Bereichen wird knapp, aber informativ beschrieben und die Integration des Offizierkorps in die Gesellschaft verdeut- licht.

D e r eigentliche und große Gewinn des Buches sind die zahlreichen, eindrucksvollen und zum Teil farbig wiedergegebenen Bilder, die den in- struktiven, wenn auch von ideologischem Bei- werk nicht immer freien T e x t hervorragend er- gänzen und kommentieren. W e r sich mit der Mi- litärgeschichte Rußlands im 19. Jahrhundert be- schäftigen will, kann fortan an dieser umfassen- den E i n f ü h r u n g nicht vorbeigehen. Kehrig

Franz Herre: Napoleon Bonaparte. W e g - bereiter des Jahrhunderts. M ü n c h e n : Ber- telsmann 1988. 415 S.

Dieses Buch, eine f ü r einen weiten Leserkreis ge- schriebene Biographie des Journalisten und H i - storikers H e r r e , behandelt das Leben und Wir- ken Napoleons I., einer der faszinierendsten Per- sönlichkeiten in der europäischen Geschichte.

Dabei wird W e r t darauf gelegt zu zeigen, welche Rolle Napoleon als Wegbereiter des 19. Jahr- hunderts spielte.

H e r r e beschreibt gut den militärischen Aufstieg des Korsen, sein von großem Ehrgeiz getriebe- nes Geschick, sich Erfolge zu sichern, die ihm R u h m und Aufstieg bescherten. Dabei zeigte er eine beachtliche opportunistische Anpassungsfä- higkeit an die jeweilige politische Situation.

Im zweiten Teil des Buches wird die politische

Karriere Napoleons vom Kandidaten des Bür- gertums über die Position des Premier Consul bis hin zum Kaiser der Franzosen geschildert. Aus- führlich geht der Autor auf das Empire ein, als Napoleon der H e r r des Kontinents war. Er zeigt, wie der Kaiser im Inneren vor allem durch eine Staatspolizei mit einem Agenten- und Spitzel- netz und durch Propaganda seine Militärdikta- tur aufrechterhielt und somit Herrschaftstechni- ken vorwegnahm, die im 19. und 20. Jahrhundert weit verbreitet waren. Zwei weitere Kapitel sind Napoleons Sturz, der sich — letzten Endes durch die Hybris und das Überspannen des Bogens — nach der W e n d e in Rußland vollzog, und dem Mythos gewidmet, der Napoleon einen erstaun- lichen N a c h r u h m sicherte.

Die Biographie ist zum großen Teil gut und an- schaulich geschrieben. Es gibt allerdings auch Kapitel, wie etwa das »Kaiser der Franzosen«, oder Passagen, die etwas hölzern, langatmig und belehrend geraten sind. Leider bietet H e r r e keine Einführung in die Problematik und den For- schungsstand. Seine Darstellung ist mitunter recht vereinfacht und zu schwarz-weiß gemalt, so etwa die Beschreibung der Französischen Re- volution oder der Verfassungs- und Gesell- schaftsentwicklung. Er trifft auch nicht die histo- rische Wirklichkeit und die neuesten For- schungstendenzen, wenn er zum Ende des Heili- gen Römischen Reiches 1806 schreibt, es erlosch

»nach 844 mehr düsteren als glanzvollen Jahren«

(S. 185), und wenn er vom »mittelalterlichen Monstrum« spricht. Gewünscht hätte man sich eine ausführlichere Analyse der Feldzüge und Schlachten Napoleons, die ja gerade dessen Stär- ke darstellten. D a f ü r hätte man auf manche Ex- kurse verzichten können. Eine sehr knappe Aus- wahlbibliographie, eine Zeittafel und ein Perso- nenregister ergänzen die Biographie, die leider auf jeglichen Anmerkungsapparat verzichtet hat.

H e r r e hat hier versucht, den Lebenslauf und das Wirken Napoleons für einen größeren Leser- kreis zu beschreiben und dessen Wirken in die verfassungshistorischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu stellen. Al- lerdings hätte man aus diesem faszinierenden T h e m a mehr machen können. Peter C. Hartmann

Sir Charles Oman: Studies in the Napoleo- nic Wars. Elstree: Greenhill 1987. VI, 284 S. (Reprint of 1929.)

Sir Charles O m a n ist einer der bekannteren briti- schen Militärschriftsteller und -historiker der

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Zwischenkriegszeit. In dem jetzt wieder aufge- legten Bändchen sind — über das hinaus, was der Titel andeutet — nicht nur mehrere Aufsätze zur britischen Militärgeschichte der napoleonischen Zeit veröffentlicht, es enthält auch zwei eher theoretische Aufsätze über »Historische Per- spektive« und eine »Verteidigung der Militärge- schichte«. Darin verficht O m a n einen militär- historischen Ansatz, der sich weitgehend auf die Rolle der Einzelpersönlichkeit in der Geschichte konzentriert. Bezeichnet er sich selbst als einen konservativen, national denkenden Historiker, so ist seine Forderung nach einer akademischen, mit speziellen Fachkenntnissen ausgestatteten, von der praktischen militärischen Anwendung unabhängigen Militärgeschichtsschreibung durch- aus modern zu nennen.

Nicht alle Aufsätze werden f ü r die militärge- schichtliche Forschung gleich wichtig sein. Die Erzählung über ein Duell von 1807 etwa oder die vier schon in der Überschrift als »Tales« bezeich- neten Kapitel über verschiedene Geheimdienst- agenten grenzen bereits ans Anekdotenhafte.

V o n größerer Bedeutung dürften hingegen die Aufsätze sein, die sich mit taktischen Fragen be- fassen. Dabei geht es O m a n insbesondere um das Verhältnis von Linie und Kolonne. Er stützt sich auf die Schilderung mehrerer Schlachten, aber auch auf einen mathematisch präzise angestell- ten Feuerkraftvergleich, wenn er dezidiert zu- gunsten der Linie Stellung ergreift. Vielleicht spielen auch die Erfahrungen des Ersten Welt- krieges ein wenig mit, wenn O m a n — unter Ver- nachlässigung der Beweglichkeit — der Feuer- k r a f t alleinige Bedeutung beimißt. O b er nach den Erfahrungen der »Blitzfeldzüge« eine Schwerpunktbildung an entscheidender Stelle noch immer so deutlich abgelehnt hätte, muß of- fenbleiben.

Das Erzählen ist ein konstitutives Element der Historiographie. U n d hier liegt die Stärke des Buches. Alle Beiträge sind brillant und packend geschrieben. Unter Weglassung allen unnötigen Beiwerkes, in schlichter und sachlicher Aus- drucksweise, weiß O m a n den Leser in das jewei- lige Geschehen hineinzuziehen. Seine Aufsätze sind nicht nur von großer Sachkenntnis geprägt, sie vermögen den Leser in ihrer Erzählweise auch zu fesseln — ein Beispiel f ü r manche Histo- riker der Gegenwart. Winfried Heinemann

Nigel Nicolson: Napoleon in Rußland.

Aus dem Englischen von Irene Riesen. Zü- rich, Köln: Benziger 1987. 260 S.

Gilt die Epoche der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege zu Recht als wichtigster Abschnitt militärgeschichtlicher Ent- wicklung, so nimmt darin ohne Zweifel der Ruß- landfeldzug von 1812 einen zentralen Platz ein.

Nicolsons Darstellung steht wiederum an her- vorragender Stelle in der Reihe populärwissen- schaftlicher W e r k e , mit der sich die Engländer besonders profiliert haben.

Die Untersuchung beruht auf der fast unüber- sehbaren Fülle zeitgenössischer Augenzeugenbe- richte, Tagebücher und der Memoirenliteratur, berücksichtigt aber auch die von der Geschichts- wissenschaft angefochtenen und korrigierten Irrtümer. D e r Verfasser hat ein beklemmend rea- listisches Bild der wohl größten militärischen Ka- tastrophe der Neuzeit wiedergegeben. Die dabei mit in Betracht gezogene historische Parallelität zum Barbarossa-Orlog 1941 hält gerade den deutschen Leser vom kolossalen Anfang bis zum bitteren Ende im Bann. In aller Klarheit ist der tiefe Widerspruch zwischen jener umfassend an- gelegten, aufs gründlichste vorbereiteten Opera- tion im frühen Zeitalter der modernen Massen- heere und ihrer weiten Zielsetzung über den Rahmen des organisatorisch-technisch Mögli- chen hinaus aufgedeckt. Die Gründe für den na- hezu vollständigen Untergang der »Grande ar- mee«, die hauptsächlich im Zusammenbruch des logistischen Systems und in seiner Rückwirkung auf die Moral der T r u p p e lagen, bilden die Marksteine des beschriebenen langen Weges bis Moskau und die gleiche Strecke wieder zurück.

Fast unglaublich will es scheinen, daß noch weit über den Endpunkt des Wasserweges Wilna hin- aus beachtliche Magazinbestände in Minsk, O r - scha und Smolensk gehortet waren. Nicolson nennt ungefähre M e n g e n , die zu plausibler Er- klärung freilich exakter Quellenbelege bedürfen.

Andererseits wird die Kalamität der »Mini-Logi- stik« am Beispiel einzelner Nachschub- und Er- satztransporte bis Moskau erwähnt.

Aus der Analyse der operativen Möglichkeiten in engstem Zusammenhang mit dem Versorgungs- problem ergibt sich dann die atemberaubende Schilderung des Rückzugsinfernos. O h n e ernst- h a f t angegriffen zu werden, geriet die schon schwer dezimierte Armee unter unerträglichen Marschverhältnissen immer tiefer in den Zustand der Auflösung. D a f ü r zeugen u.a. die beschriebe- nen Plünderungen in den Magazinorten ab Smo- lensk gegenüber der nicht informierten und teil-

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weise auch unfähigen Militäradministration.

W a s in Tolstojs Epos »Krieg und Frieden« den Partisanen-Muschik über das kriegsgeschichtli- che Geschehen hinaushebt, verdeutlicht auch der Verfasser dieses Buches: die elementaren Kräfte der »heiligen M u t t e r Rußland«, die den feindli- chen Feldherrn und sein Vielvölkerheer wie M a - rionetten in ihren H ä n d e n festhielten.

Ebenso zutreffend wie eindrucksvoll werden Ge- dankengänge und Handlungsweisen Napoleons aus seiner inneren Lage heraus beurteilt. U m so unbegreiflicher ist, daß der Militärkaiser als Schmied seines Nachruhmes auf St. Helena in schriftlicher Rechtfertigung sich überaus erfolg- reich der Nachwelt ins Gedächtnis prägen konn- te. Nicht zuletzt macht die erschütternde Repor- tage vom entsetzlichen Elend aller Menschen, die der einsame Entschluß eines gewaltigen Kriegsmannes ins unrettbare Verderben hinein- gerissen hatte, Nicolsons Buch über »Napoleon in Rußland« höchst lesenswert. Siegfried Fiedler

James L. Haley:The Buffalo War. T h e H i - story of the Red River Indian Uprising of 1874. N o r m a n : University of Oklahoma Press 1985. X V I , 290 S.

V o r über einem J a h r h u n d e r t überschwemmten mehr als 500 Krieger der Comanchen, Kiowa, Cheyenne und Arapho-Indianer ein verschlafe- nes Anwesen im heutigen Hutchinson Country in Texas. Das damit einsetzende Gemetzel ist in die Geschichte der USA als die Schlacht von

»Adobe Walls« eingegangen. D e r Zorn der In- dianer richtete sich gegen die Erbauer und Be- w o h n e r des Anwesens, welche alle derselben T ä - tigkeit nachgingen. Alle waren professionelle Büffeljäger, die widerrechtlich in die Gebiete der Indianer eingedrungen waren und deren Lebens- grundlage mutwillig, böswillig und sinnlos bzw.

»anscheinend« sinnlos zerstörten. Bitten und An- fragen bei den zuständigen US-Stellen und Re- gierungsorganen versandeten und waren frucht- los. Das Buch belegt eindrucksvoll, daß die maß- geblichen US-Behörden keinerlei Interesse dar- an hatten, die Indianer zu retten. Dies wird durch die zahlreichen Details und akkurat er- forschte Chronologie des »Red River War« be- legt, der Haley zufolge »saw the final subjuga- tion of three of America's most famous and pow- erful Indian tribes accomplished by the most massive use of troops ever thrown against the In- dians to that time [. . .] and it safeguarded the

opening of the territory from central Kansas to central Texas to white settlement« (S. VIII).

Dabei geht es Haley durchaus nicht um simpel- dümmliche Anklage, wie auch seine schonungs- lose Charakterisierung der Skalpiersitten der In- dianer zeigt (S. 69 und Kapitel V : T h e Battle of Adobe Walls). Das Massaker von Adobe Walls schürte die Erbitterung und führte dazu, daß die verzweifelten Indianer die Prärien von Texas, Oklahoma, Kansas, N e w Mexico und des süd- östlichen Colorado mit Krieg überzogen (S. 78).

Zusätzlich zu dem zuverlässig und flüssig ge- schriebenen darstellenden und analysierenden Teil enthält der Band 58 Bilder, Montagen, Aus- züge aus zentralen Quellen und Aussagen wich- tiger Beteiligter, welche f ü r sich genommen ei- nen begleitenden Reader zum Text darstellen und die Standpunkte der beiden Seiten vollkom- men klar machen.

So ließ der amerikanische Innenminister Colum- bus Delano keinerlei Zwischentöne zu und ver- merkte ebenso offen wie brutal: »In our inter- course with the Indians it must always be borne in mind that we are the most powerful party.« Ge- neral Philip H . Sheridan betrachtete diesen Krieg als die erfolgreichste Indianer-Kampagne in der Geschichte der USA, wobei er den Büffel- jägern das Verdienst zuschrieb, »[to have] done more in the past two years [. . .] to settle the vex- ed Indian question than the entire regular army has done in the past thirty years« (Dok. 9, Zitat aus dem Jahre 1875).

Dabei w a r der Befehlshaber des Militärdepart- ments Missouri, General J o h n Pope, eine f ü r die Zeitgenossen [fehlgeleitete] Ausnahme, als er die Berechtigung der Anwesenheit der Büffeljäger, und ihrer Helfershelfer in »Dodge City, at Ado- be Walls, in the P a n - H a n d l e of Texas, and far beyond the limits of this department« schlichthin verneinte und jede Hilfe ablehnte (Dok. 10), was ihm den Tadel Sheridans (Dok. 11) und die blin- de W u t der Büffel-Lobby (Dok. 12) einbrachte.

Andere D o k u m e n t e legen den Schluß nahe, Eruptionen der Indianer seien provoziert wor- den (etwa D o k . 20).

D e r Band ist reich mit Fußnoten und weiteren Anmerkungen versehen, ebenso mit Karten und einer ausreichenden Bibliographie.

Hans-Christoph Junge

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Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898 — 1918.

Biographisch-statistisches H a n d b u c h . Bearb. von Wilhelm Heinz Schröder. Düs- seldorf: Droste 1986. 355 S. ( = H a n d - bücher zur Geschichte des Parlamentaris- mus und der politischen Parteien. Bd 2.) D e r mit sozialdemokratischen Politikern aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches befaßte Histo- riker war es bislang gewohnt, zum »Schwarz«

( M d R . Biographisches H a n d b u c h der Reichsta- ge. H a n n o v e r 1965) oder zu Osterroths »Biogra- phisches Lexikon des Sozialismus« (Hannover 1960) zu greifen, wohl wissend, dort auf gele- gentlich nur sehr dürftige Informationen zu sto- ßen. Das von W. H . Schröder in zwölfjähriger Forschungsarbeit erstellte H a n d b u c h stellt im Vergleich zu der bisherigen biographischen Auf- bereitung der Materie einen wichtigen Schritt nach vorne dar.

Sein »biographisch-statistisches H a n d b u c h « prä- sentiert die Lebensläufe von 700 f ü h r e n d e n so- zialdemokratischen Politikern aus den beiden letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs. In einer umfangreichen Einleitung legt der Bearbeiter die Bedeutung der Reichstagskandidaturen f ü r das damalige Selbstverständnis der S P D dar: »Die H o c h s c h ä t z u n g bzw. Überschätzung der Bedeu- tung der Reichstagswahlen blieb f ü r die Par- tei(mehrheit) von den 1880er Jahren bis zum En- de des Kaiserreiches ungebrochen. Unter diesen Umständen schien es nur konsequent, den Reichstagswahlkreis zu einem wichtigen, seit der Organisationsreform von 1904 zum dominanten strukturbildenden Prinzip der Parteiorganisation zu erheben.« (S. 19) Aus diesem G r u n d e ist die Hereinnahme der Kandidaten — unabhängig von der Frage, ob sie in den Reichstag gewählt wur- den oder nicht — in das biographische H a n d b u c h vollauf gerechtfertigt.

Den Hauptteil des Buches machen die 700 Kurz- biographien aus. Sie sind nach einem einheitli- chen Muster zusammengestellt: D e n Lebensda- ten folgen ein stichwortartiger politischer Le- benslauf, Informationen über M a n d a t a u s ü b u n - gen, Kandidaturen, Delegiertenfunktionen auf Partei- und Verbandstagen bzw. Gewerkschafts- kongressen und gegebenenfalls die Titel von Pu- blikationen.

D e r Anhang enthält neben einer statistischen Dokumentation der Reichstagswahlen (1898—

1912), in welcher die Wahlergebnisse eines jeden SPD-Reichstagskandidaten aufgeführt sind, mehrere Register, mit denen das Datenmaterial rasch und zuverlässig erschlossen werden kann.

Bleibt darauf hinzuweisen, daß das vorliegende H a n d b u c h Teil eines größeren Forschungspro- jektes ist, das die Lebensläufe sozialdemokrati- scher Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867—1933 erfassen soll. Auch die Nachfolgebände werden in der renommier- ten Reihe »Handbücher zur Geschichte des Par- lamentarismus und der politischen Parteien« er- scheinen.

Schröders W e r k ist ein nützliches und verläßli- ches Hilfsmittel für alle mit der Geschichte des Parlamentarismus, der Parteiengeschichte, der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und angrenzender Gebiete befaßten Historiker.

Wolfram Wette

Reinhart Bindseil: R u a n d a und Deutsch- land seit den T a g e n Richard Kandts. Le Rwanda et l'Allemagne depuis le temps de Richard Kandt. Berlin: Reimer 1988.

256 S.

1904 erschien im Verlag Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) in Berlin ein Buch mit dem nicht gerade zeittypischen Titel »Caput Nili - Eine empfind- same Reise zu den Quellen des Nils«. Sein Ver- fasser war der jüdische Arzt und private For- schungsreisende Dr. Richard Kandt. In seinem schnell zum »kolonialen Bestseller« avancieren- den W e r k beschrieb der Afrikaforscher und spä- ter langjährige Resident des Deutschen Reiches in Ruanda in einfühlsamer Weise Land und Leu- te in jenem Teil des ehemaligen »Schutzgebietes«

Deutsch-Ostafrika, der bis zum Ersten Welt- krieg zum kurzlebigen deutschen Kolonialreich gehörte und in dem mit der Einrichtung einer ei- genständigen Residentur 1907 die »offiziellen«

Beziehungen zwischen R u a n d a und Deutschland ihren Anfang nehmen sollten. Über achtzig Jahre nach der Erstveröffentlichung von »Caput Nili«

hat der gleiche Verlag nun eine aufwendig auf- gemachte Biographie dieses ersten deutschen Kolonialbeamten in R u a n d a herausgebracht.

Verfasser ist Reinhart Bindseil, von 1984 bis 1988 Botschafter der Bundesrepublik in Kigali.

Seine aus privater Initiative hervorgegangene, aber mit amtlicher Unterstützung publizierte Studie über Kandt entstand aus Anlaß des 25.

Jahrestages der Unabhängigkeit Ruandas und ist vom Verfasser als Beitrag zu den deutsch-ruan- dischen Beziehungen gedacht, die zwar im Zeit- alter des Kolonialismus begannen, aber inzwi- schen zu einer intensiven und fruchtbaren Zu- sammenarbeit geführt haben.

(14)

In der T a t sind die Ursprünge dieser Beziehun- gen nicht vom deutschen Kolonialismus zu lösen.

Andererseits repräsentierte gerade der umfang- reich gebildete Richard Kandt (aus der namhaf- ten polnisch-jüdischen Familie Kantorowicz) ei- nen jener deutschen Kolonialbeamten, f ü r die N a m e n wie Rechenberg (Ostafrika), Zech (To- go) und Solf (Samoa) stehen und die — wie man damals zu sagen pflegte — das »eingeborene Ka- pital« nicht gering achteten. Bereits in den Schriften vor Beginn seiner langen Residenten- zeit in R u a n d a (1907 — 1913, offiziell 1916) be- schrieb K a n d t die politische und soziale Situa- tion des Landes in den Termini des Feudalismus, mit dem König (»mwami«) als Herrscher, den Tutsi als der Aristokratie des Landes und den H u t u als gemeinen Untertanen. Dieses politisch- soziale System betrachtete er auch nach seinem Amtsantritt als die beste Basis deutscher Autori- tät. An seine Grenzen stieß diese konservative, systemstabilisierende Herrschaftsform — wobei K a n d t allerdings die Abschaffung der despoti- schen Auswüchse der Tutsi-Herrschaft durch- setzte — freilich bereits in dem M o m e n t , in dem f ü r ganz Deutsch-Ostafrika die Kopfsteuer ein- geführt wurde (1912) und die Bevölkerungs- mehrheit der H u t u (96%) nicht mehr bereit war, gleichzeitig Abgaben an ihre T u t s i - H e r r e n zu zahlen. Das System »indirekter Herrschaft« mit Stützung der Zentralgewalt ergab sich indessen auch aus dem engen personellen und finanziellen Spielraum der Residentur (insgesamt sechs Ver- waltungsbeamte und zehn weiße Militärs mit et- wa 100 afrikanischen Soldaten). V o n daher war R u a n d a — fiskalisch gesehen — wie alle übrigen deutschen Kolonialgebiete (mit Ausnahme T o - gos) reines Zuschußgebiet. D e n n o c h hat Kandt versucht, mit seinen bescheidenen Mitteln eine

»Modernisierungspolitik« einzuleiten, wie ζ. B.

Förderung des Kaffeeanbaus und anderer Pro- dukte f ü r den Markt, Verbesserung der traditio- nellen Rinderzucht, Anlage von medizinischen und Veterinärstationen, Aufbau eines Schulwe- sens (mit Hilfe der Mission), Straßen- und W e - gebau usw. Die Poststelle übertrug er einem Feldwebel des Militärpostens. Eine von T a b o r a nach Kigali projektierte Eisenbahn konnte nicht mehr realisiert werden. Ebenfalls mißlang es, deutsches Handelskapital f ü r R u a n d a zu interes- sieren. Die Vorherrschaft der Inder und Araber blieb in diesem Bereich ungebrochen. Im nach- hinein stellte es sich als Verdienst Kandts heraus, daß er — angesichts der starken Besiedelung und Überweidung des Landes — auf deutsche Siedler verzichtete (1913 gab es 78 Europäer in Ruanda, davon 41 Missionare) und damit R u a n d a von

den üblichen Rassenkonflikten in Siedlungskolo- nien verschonte.

Richard Kandt, dessen Person und Tätigkeit im Mittelpunkt des Werkes steht, konnte infolge des Kriegsausbruchs 1914 von einem Heimatur- laub nicht mehr nach R u a n d a zurückkehren. Er starb am 29. April 1918 als Stabsarzt in Nürnberg an den Folgen eines Gasangriffs an der Ostfront.

Schon zwei Jahre zuvor w a r die deutsche Kolo- nialherrschaft in R u a n d a zusammengebrochen.

Erst 1963 begann mit der A u f n a h m e diplomati- scher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Ruanda ein neues Kapitel in den Beziehun- gen beider Länder. D e n ersten, historisch abge- schlossenen Abschnitt auf der Basis zeitgenössi- schen Aktenmaterials und verfügbarer Publika- tionen kenntnisreich und engagiert dargestellt zu haben — das W e r k ist zweisprachig (französisch- deutsch) angelegt und enthält weitere Informa- tionen zu den deutsch-ruandischen Beziehun- gen —, ist das Verdienst des Autors.

Horst Gründer

Jean-Baptiste Duroselle: Clemenceau. Pa- ris: Fayard 1988. 1077 S.

W a r es ratsam und notwendig, eine weitere Bio- graphie des »Tigers« zu schreiben, nachdem es davon schon ein gutes H u n d e r t gibt und einige, wie die vom Engländer David R. Watson, von Gaston Monnerville und von Georges Wormser, als Standardwerke gelten?

Wahrscheinlich hat sich Jean-Baptiste Duroselle schon lange mit dieser Absicht getragen, denn er hatte sich bei seinen Arbeiten mit allen großen politischen T h e m e n zu befassen, die seit einem Jahrhundert die Geschichte der neuesten Zeit be- stimmten und bei denen er, fast unvermeidlich, immer wieder auf den N a m e n von Georges Cle- menceau stieß. Sieht man jedoch von dem klei- nen Kreis einschlägig spezialisierter Historiker und einer gemeinhin so genannten gebildeten Leserschaft ab, so kann man sich durchaus fra- gen, wer von dem langen W e r d e g a n g des »Ti- gers« mehr kennt als seine Führung der Regie- rungsgeschäfte seit 1917.

Am 28. September 1841 geboren, D o k t o r der Medizin 1865, Bürgermeister von Montmartre am 5. September 1870, Stadtverordneter für Clignancourt am 30. Juli 1871, Präsident des Stadtparlaments von Paris am 29. November 1875 und Abgeordneter der Radikalen im Jahre 1876, brauchte Clemenceau noch bis 1879, um zu einem weithin bekannten Politiker aufzustei- gen. V o n diesem Zeitpunkt an war er — bis 1906,

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