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Archiv "Humanitäre Hilfe: Es geht um die Prinzipien" (02.12.2005)

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er Hörsaal im Gebäude der alt- ehrwürdigen Kaiserin-Friedrich Stiftung in Berlin-Mitte war meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Bereits zum siebten Mal hatten sich Mitarbeiter verschiedener Hilfsorganisationen und UN-Einrichtungen zusammengefunden, um selbstkritisch über die Grundsätze der humanitären Hilfe zu debattieren.

Ärzte der Welt, Ärzte ohne Grenzen, das Deutsche Rote Kreuz, das Tropeninsti- tut Berlin und die Berliner Ärztekam- mer hatten zu diesem zweitägigen Kon- gress Mitte November eingeladen. Ohne klare Prinzipien, darüber war man sich einig, ist keine effektive Hilfe möglich.

Erst das Bekenntnis zu Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit – das heißt, Hilfe leisten auf der Basis von Be- dürftigkeit, Neutralität in bewaffneten Konflikten sowie die Unabhängigkeit von politischen und militärischen Zielen – schaffe Vertrauen, sichere den Zugang zu den Bedürftigen und garantiere die Sicherheit der Helfer. So weit die Theo- rie. Dass im Alltag der Hilfseinsätze Kompromisse gefunden werden müssen, versteht sich von selbst.

Das gilt insbesondere für die Welt nach dem 11. September 2001. Der in- ternationale Krieg gegen den Terror hat auch für die Hilfsorganisationen neue Fragen der Glaubwürdigkeit aufgewor-

fen. „Die Kluft zwischen unseren Wel- ten ist größer geworden“, sagte UN- Mitarbeiter Abdel-Rahman Ghandour, der sich auch wissenschaftlich mit dem Verhältnis zwischen Humanitarismus, Islam und dem „Westen“ auseinander setzt. Insbesondere durch die Verknüp- fung von militärischer und humanitärer Hilfe bei den internationalen Kriegs- einsätzen in Afghanistan und im Irak werden die westlichen Helfer zum Teil als Handlanger der politisch oder mi- litärisch Verantwortlichen wahrgenom- men. „Es gibt extreme Ideen“, schilder- te Dr. Salam Ismael. Der Arzt ist Gene- ralsekretär der Hilfsorganisation „Doc- tors for Iraq“ in Bagdad. „Viele Men- schen haben die Vorstellung, es geht im Irak um einen Krieg der Christen gegen die Moslems. Einige Regionen verwei- gern dem Internationalen Roten Kreuz den Zutritt.“ Die Verquickung von Mi- litär und humanitärer Hilfe verwirre die Menschen. „Sie fangen an zu denken, jeder hat eine politische Mission.“

Ismaels Organisation beruft sich auf die Grundsätze der Unparteilichkeit und der Neutralität. Diese sei allerdings mit Blick auf die medizinische Nothilfe im Irak nicht immer gegeben. Immer wie- der gebe es Übergriffe auf medizinische Einrichtungen, würden Krankenwagen beschossen, Krankentransporte aufge-

halten – mit oft tödlichen Folgen für die Patienten – oder der Zugang zu den Hilfsbedürftigen versperrt. „230 Ärzte sind seit Beginn des Krieges ums Leben gekommen“, sagte Ismael. „Und das ira- kische Gesundheitsministerium hat bis- lang kein Wort über die Neutralität me- dizinischer Einrichtungen verloren.“

Doch auch die Kooperation zwi- schen westlichen und islamischen Hilfs- organisationen verläuft nicht immer reibungslos. „Die islamische humanitä- re Bewegung hat ihre Anfänge in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren, sagte UN-Mitarbeiter Ghandour. Aus- löser für die breite Bereitschaft, be- drängten Glaubensbrüdern zu helfen, sei der Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan gewesen. Finanziert wer- den die Organisationen zumeist mit Spenden aus den Golfstaaten oder von begüterten Muslimen in Europa. Ghan- dour macht auch heutzutage noch zwei Kategorien islamischer Hilfe aus: „Die einen wollen Hilfe und Glauben ver- binden. Die anderen arbeiten nach denselben Grundsätzen wie viele von Glaubensrichtungen unabhängige west- liche Organisationen.“ Dennoch räum- te Ghandour Mentalitätsunterschiede ein. Für die meisten Muslime gebe es keine „weltlichen“ Organisationen.

„Weltlich“ verbänden viele mit Atheis- mus, Unmoral und Prinzipienlosigkeit.

Ghandour: „Es ist ein Dilemma. Wie positioniert man sich?“

Eine der unabhängigen Hilfsorga- nisationen ist Islamic Relief. Sie wur- de 1984 in Birmingham gegründet.

Moustafa Osman, Leiter der Einsatz- zentrale der Organisation, räumte ein, dass auch bei einer „neutralen“ islami- schen Organisation die meisten Spen- den eingehen, wenn Muslime die Opfer von Übergriffen oder von Katastro- phen sind. „Aber nichts im Islam schreibt vor, dass unsere Hilfe nur Mos- lems zugute kommen sollte.“ Osman setzt vielmehr wie seine westlichen Kol- legen auf die humanitären Grundsätze der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. „Wenn wir davon ab- rücken, ist unsere Glaubwürdigkeit, aber auch der Zugang zu den Bedürfti- gen und unsere eigene Sicherheit ge- fährdet.“ Heike Korzilius

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A3312 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 48⏐⏐2. Dezember 2005

Humanitäre Hilfe

Es geht um die Prinzipien

Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit – auch islamische Hilfsorganisationen bekennen sich zu diesen Grundsätzen.

Immer wieder kommt es im Irak zu Übergrif- fen auf medizinische Helfer.

Foto:dpa

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