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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999 (1)
Wie im Zirkus
S
how statt Information – darauf setzt Andrea Fischer offenbar, um die Bevölke- rung für die anstehende Gesund- heitsreform zu gewinnen. Am Tra- pez in der Zirkuskuppel demon- striert das Duo Artemiev, wie wichtig ein verläßliches Hand in Hand ist. Der rote Stachelharlekin Andrij vollbringt Kunststückchen auf dem Drahtseil.Im Zirkus Roncalli in Köln hat die Bundesgesundheitsmini- sterin kürzlich ihre Öffentlich- keitskampagne „Dialog Gesund- heit“ gestartet. Bis zum Herbst ste- hen noch neun weitere Veranstal- tungen dieser Art an. Das Ministe- rium läßt sich die Kampagne eine Million DM kosten. Sie wolle die Grundzüge der Reform transpa- renter machen, erklärte Andrea Fischer die Idee, und sie vor allem unters Volk bringen.
Angekündigt waren denn auch zwei Stunden ernsthafte De- batte – doch die blieb die Ministe- rin den 1 500 Gästen unterm Zir- kuszelt schuldig. Dem überwie- gend älteren Publikum wurde ein Mix aus Politshow und Zirkus ge- boten. WDR-Moderatorin Julitta Münch, die gekonnt durch das Pro- gramm führte, befragte in der Ma- nege ausgewählte Funktionäre, Befürworter der Reform. Andrea Fischer umriß in aller Kürze ihre Ziele: stabile Beitragssätze und ei- ne gute Versorgung der Kranken.
Das „Wie“ handelte sie in Schlag- worten ab: mehr Kooperation un- ter den Beteiligten, mehr Qua- litätssicherung, mehr Patienten- rechte.
Die in den Logen plazierten Reformgegner kamen kaum zu Wort. Die Ärzte dürfte das nicht mehr verwundert haben. Dialog-
bereitschaft hatte die Ministerin ihnen in den vergangenen Mona- ten zwar oft signalisiert, längere Gespräche um das umstrittene Ge- setzesvorhaben hat es indes kaum gegeben. Den Leuten werde eine Traumwelt vorgegaukelt, sagte die Vizepräsidentin der Bundesärzte- kammer, Dr. Ursula Auerswald, verärgert. Der KBV-Vorsitzende, Dr. Winfried Schorre, versuchte zu erklären, daß den Bürgern bei be- grenzten Mitteln nicht mehr alles angeboten werden könne.
Für viele Fragen aus dem Pu- blikum fehlte am Ende schlichtweg die Zeit. Denn die war strikt bud- getiert. Andrea Fischer wollte ein Zeichen setzen für eine politische Kultur, die „Information und Bür- gernähe als Auftrag versteht“. Der Auftakt im Zirkus Roncalli jeden- falls wurde diesem Anspruch nicht gerecht. Dr. Sabine Glöser
Unbedingt unabhängig
W
enn, wie im Kosovo- Krieg, humanitäre Hilfs- organisationen mit den NATO-Streitkräften zusammenar- beiten, um den Opfern des Krieges zu helfen, so ist das auf den er- sten Blick nicht besorgniserregend.Die Verquickung von humanitärer Hilfe und Militär birgt jedoch Gefahren vor allem für die Unab- hängigkeit der Hilfe.
Will man sicherstellen, daß Menschen ohne Ansehen der Per- son geholfen wird, dürfen huma- nitäre Organisationen weder mi- litärische noch Regierungsinteres- sen vertreten. So sieht es jedenfalls die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die ihre diesjährige Jah- respressekonferenz zum Anlaß ge- nommen hat, die Allianz zwischen humanitären Helfern und Solda- ten zu hinterfragen.
Ohne das Verdienst der NATO um die Flüchtlinge in den Lagern in Mazedonien und Albanien zu schmälern, besteht die Organisati- on darauf, daß die Ziele und Stra- tegien humanitärer Maßnahmen von einer zivilen Organisation, beispielsweise dem Flüchtlings- hilfswerk der Vereinten Natio- nen, vorgegeben und koordiniert werden.
Das Argument ist plausibel.
Militär ist niemals unparteiisch oder neutral. Wer garantiert, daß die von den Streitkräften organi- sierten und koordinierten Hilfs- maßnahmen nicht deren Zielen untergeordnet werden? Außer- dem: Gelten die Helfer nicht mehr als unabhängig, wird es noch schwieriger, Zugang zu den Op- fern in Kriegs- oder Krisengebie- ten zu erhalten. Für die Mitarbei-
ter steigt zudem das Risiko, aus politischen Motiven angegriffen zu werden.
Mit Sorge betrachten daneben regierungsunabhängige Hilfsorga- nisationen die Tendenz, humanitä- re Hilfe zu instrumentalisieren.
Von Regierungen wird sie zuneh- mend als Mittel entdeckt, um Ein- fluß auf Empfängerländer auszu- üben. Will man den Opfern ge- recht werden, kann es eigentlich nicht sein, daß – wie jetzt in Serbi- en – Wiederaufbauhilfen an politi- sche Bedingungen geknüpft wer- den. Das wäre das Ende der huma- nitären Idee. „Humanitäre Hilfe muß für alle Menschen dasein, auch wenn sie gerade nicht im Zentrum der politischen Interessen unserer Regierungen stehen“, sagt Gundu- la Graack von „Ärzte ohne Gren- zen“. Heike Korzilius