M
ehr als sechs Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt sterben jährlich an Krankheiten wie HIV/Aids, Tuberkulose oder Mala- ria. Der Grund: Entweder sie besitzen keinen Zugang zu den notwendigen Me- dikamenten,oder sie können sie nicht be- zahlen. Generika, die von einheimischen Arzneimittelproduzenten weitaus gün- stiger angeboten werden können als im- portierte Originalpräparate, seien zwar oftmals verfügbar, deren Qualität schwanke jedoch stark, warnen Exper- ten. Um die Produktion entsprechender Medikamente im eigenen Land zu för- dern, unterstützt das deutsche Medika- menten-Hilfswerk „action medeor“ mit zwei Pilotprojekten Arzneimittelherstel- ler im Kongo und in Tansania. „Dadurch stärken wir nicht nur das Vertrauen der Einheimischen in die lokale Produktion, sondern wir machen die Hersteller auch unabhängig von teuren, patentgeschütz- ten Importen“, berichtete Christoph Bonsmann von action medeor während des Kongresses „Humanitäre Verant- wortung – Medizinische und politische Aspekte humanitären Handelns“ Mitte November in Berlin. Bereits zum fünften Mal gaben die Veranstalter – Berliner Ärztekammer, Ärzte ohne Grenzen, ac- tion medeor und das Tropeninstitut Ber- lin – Ärzten und Medizinstudenten einen Einblick in Theorie und Praxis der huma- nitären Hilfe.Beide Projekte von action medeor befinden sich noch in der Testphase. Mit Pharmakina, einer Arzneimittelfirma im kongolesischen Bukavu, arbeitet ac- tion medeor seit Mai dieses Jahres zusammen. Wenn alles gut verläuft, können bereits in wenigen Monaten die ersten HIV/Aids-Generika an Thera- piebedürftige in lokalen Gesundheits- stationen vergeben werden. „Ermög- licht hat das Projekt das Fachwissen von Krisana Kraisintu, einer thailändischen Apothekerin“, erklärt Bonsmann im
Gespräch mit dem Deutschen Ärzte- blatt. Durch ihr technologisches Know- how konnte Pharmakina Pläne zum Aufbau einer kostengünstigen Produk- tionsanlage verwirklichen. Action me- deor will als erster Abnehmer der Aids- Medikamente dazu beitragen, die Pro- duktion ins Rollen zu bringen. Das tan- sanische Projekt begann mit der Unter- stützung der Produktion und Qualitäts- sicherung von Tabletten auf Basis des pflanzlichen Anti-Malaria-Inhaltsstof- fes Artemisinin. Mittlerweile hat das
Medikamentenhilfswerk einen tansani- schen Apotheker eingestellt, der den Vertrieb von beinahe 50 Arzneimitteln, darunter Schmerzmittel und Antibioti- ka, fördern soll.
Weil auf die lokale Herstellung in vie- len Fällen in der Vergangenheit kein Verlass war, wird Bonsmann, gelernter Apotheker, mehrmals im Jahr vor Ort die Qualität der Medikamente überprü- fen. Dass solche Kontrollmaßnahmen notwendig sind, belegen Untersuchungs- ergebnisse der letzten 20 Jahre: Insge- samt wurden von 1982 bis 1999 in 750 Fällen Medikamente aus 28 Ländern verfälscht; 70 Prozent davon in Entwick- lungsländern. So wurde zum Beispiel in Nigeria ein Hustensaft mit giftigem Lö- sungsmittel gestreckt, wodurch über 100 Kinder starben. In Niger enthielt ein
Meningitis-Impfstoff nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen lediglich Wasser.
Ein weiterer Schwerpunkt im Rah- men des Kongresses waren die Defizite auf dem Gebiet der reproduktiven Ge- sundheitsversorgung. „500 000 Frauen sterben jährlich im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt, 100 000 davon infolge unsauberer Abtreibung“, berichtete Dr. Regina Görgen, freie Gut- achterin für reproduktive Gesundheit aus Berlin. Dennoch habe die Entwick- lungshilfe durch Aufklärung über Sexua- lität, Verhütung und Familienplanung in den letzten Jahren große Forschritte er- zielt. So nutzten heute mehr als die Hälf- te der Paare Verhütungsmittel, und die durchschnittliche Familiengröße sei in einigen Ländern auf ein Drittel zurück- gegangen, so Görgen. Seit der „Interna- tional Conference on Population and Development“ 1994 in Kairo, auf der erstmals das Recht junger Menschen auf
reproduktive Gesundheit öffentlich an- erkannt wurde, wird die Förderung der Mutter-Kind-Gesundheit in viele Ent- wicklungsprogramme miteinbezogen.
Für „Ärzte der Welt“, dem deutschen Zweig der internationalen humanitären Organisation „Médecins du Monde“, gehört Sexualaufklärung bei vielen ihrer Projeke mit dazu. So auch bei einem Pro- jekt in der palästinensischen Krisenre- gion Nablus. „Viele junge schwangere Frauen, die hier leben, wissen noch nicht einmal, wie ihr Kind entstanden ist“, er- zählt Projektleiterin Dr. med. Lecia Fesz- czak.Damit den Frauen später auch ohne auswärtige Unterstützung geholfen wer- den kann, bildet Ärzte der Welt auch An- gestellte lokaler Ambulanzen und Kran- kenhauspersonal in reproduktiver Ge- sundheit fort. Martina Merten P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4828. November 2003 AA3141
Humanitäre Hilfe in Entwicklungsländern
Selbstständigkeit stärken
Sexualaufklärung und Zugang zu Medikamenten sind für viele Dritte-Welt-Länder noch lange nicht selbstverständlich.
Mitarbeiter einer tansanischen Produk- tionsfirma bei der Herstellung und Qualitätssicherung von Medikamenten
Foto:action medeor