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Mehr Demokratie durch Bürgerengagement - Stärken Bürgerstiftungen die lokale Zivilgesellschaft?

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Academic year: 2022

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(1)

D

IPLOMARBEIT Fakultät für Verwaltungswissenschaft Universität Konstanz ERSTGUTACHTER: PROF. DR. KLAUS SIMON

ZWEITGUTACHTER: PROF. DR. WOLFGANG SEIBEL

M EHR D EMOKRATIE DURCH

B ÜRGERENGAGEMENT S TÄRKEN B ÜRGERSTIFTUNGEN DIE LOKALE Z IVILGESELLSCHAFT ?

Vorgelegt von:

G

EREON

S

CHOMACHER Matrikel-Nr. 01/384592

Finkenstraße 19 D-48324 Sendenhorst Tel.: 0 25 26 / 7 06 e-mail: gereon.schomacher@web.de

SENDENHORST IM APRIL 2001

(2)

F ÜR MEINE E LTERN

M ARGRET UND R UDOLF S CHOMACHER

(3)

Inhaltsverzeichnis III

I

NHALTSVERZEICHNIS

VORWORT... IX

1 EINFÜHRUNG...1

1.1 PROBLEMSTELLUNG... 1

1.2 FRAGESTELLUNG UND ZIEL... 4

1.3 VORGEHENSWEISE... 5

2 BÜRGERENGAGEMENT UND ZIVILGESELLSCHAFT... 7

2.1 ZIVILGESELLSCHAFT ALS DEMOKRATIETHEORETISCHES KONZEPT... 7

2.1.1 Die schwierige Definition der Zivilgesellschaft... 7

2.1.2 Kommunitarismus... 8

2.1.3 Die Tradition de Tocquevilles: Assoziationen als Schule der Demokratie... 8

2.1.4 Civic Culture und Social Capital... 9

2.1.5 Assoziative Demokratie... 10

2.1.6 Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft... 11

2.1.7 Probleme und Kritik der Zivilgesellschaft... 12

2.1.7.1 Die dunkle Seite der Zivilgesellschaft... 12

2.1.7.2 Ein idealistisches Menschenbild?... 13

2.1.8 Zivilgesellschaft und Demokratie – ein frommer Wunsch?... 13

2.2 DEUTSCHLAND UND DIE ZIVILGESELLSCHAFT... 14

2.2.1 Demokratie in Deutschland... 14

2.2.2 Der Ort der Zivilgesellschaft – Der Dritte Sektor?... 15

2.2.3 Die gegenseitige Abhängigkeit von Staat und Drittem Sektor... 16

2.2.4 Der Dritte Sektor in Zahlen... 17

2.3 WAS IST BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT?... 18

2.3.1 Die lokale Ebene als Ort des Bürgerengagements... 19

2.3.2 Der Umfang bürgerschaftlichen Engagements... 19

2.3.3 Die Motivation bürgerschaftlichen Engagements... 20

2.3.4 Wer engagiert sich?... 21

2.4 ZWISCHENFAZIT: MEHR DEMOKRATIE DURCH ORGANISATIONEN DER ZIVILGESELLSCHAFT?... 22

3 STIFTUNGEN IN DER ZIVILGESELLSCHAFT...25

3.1 WAS IST EINE STIFTUNG?... 25

3.1.1 Der rechtliche Rahmen... 26

(4)

Inhaltsverzeichnis IV

3.1.2 Die Errichtung einer Stiftung... 26

3.1.3 Stiftungszweck... 26

3.1.4 Stiftungsvermögen... 27

3.1.5 Stiftungsorganisation... 28

3.1.6 Operative und fördernde Stiftungen... 28

3.2 STIFTUNGEN IN DEUTSCHLAND... 29

3.2.1 Stiftungen in der deutschen Tradition und Geschichte... 29

3.2.2 Das deutsche Stiftungswesen heute... 30

3.3 STIFTUNGEN UND BÜRGERGESELLSCHAFT... 31

3.3.1 Die Funktionen der Stiftung in der Gesellschaft... 31

3.3.2 Stiftungen und Bürgerengagement... 32

3.3.3 Stiftungen und Öffentlichkeit... 34

3.4 ZUSAMMENFASSUNG... 34

4 BÜRGERSTIFTUNGEN – EIN NEUES KONZEPT IN DER STIFTUNGSLANDSCHAFT...36

4.1 DAS KONZEPT DER BÜRGERSTIFTUNG... 36

4.1.1 Der Versuch einer Definition... 37

4.2 DIE ENTSTEHUNG UND VERBREITUNG VON BÜRGERSTIFTUNGEN... 38

4.2.1 Community Foundations in den Gründungsländern USA und Kanada... 38

4.2.2 Bürgerstiftungen in Europa und anderen Teilen der Welt... 39

4.3 BÜRGERSTIFTUNGEN IN DEUTSCHLAND... 40

4.3.1 Merkmale der Bürgerstiftungen in Deutschland... 41

4.3.1.1 Gemeinnützigkeit... 41

4.3.1.2 Stiftervielfalt... 42

4.3.1.3 Unabhängigkeit... 43

4.3.1.4 Lokale oder regionale Ausrichtung... 44

4.3.1.5 Aufbau von Stiftungskapital und Dienstleistungen für Stifter... 44

4.3.1.6 Breiter Stiftungszweck... 45

4.3.1.7 Förderung des bürgerschaftlichen Engagements... 46

4.3.1.8 Öffentlichkeit... 46

4.3.1.9 Netzwerkbildung... 47

4.3.1.10 Partizipation und Transparenz... 48

4.3.2 Andere Formen von Bürgerstiftungen... 49

4.3.2.1 Die kommunal initiierte Bürgerstiftung... 49

4.3.2.2 Die Sparkassen-Bürgerstiftung... 49

(5)

Inhaltsverzeichnis V

4.3.2.3 Abgrenzung von klassischen, unabhängigen Bürgerstiftungen... 50

4.4 DAS KONZEPT DER BÜRGERSTIFTUNGEN – DEMOKRATISCHE INSTITUTIONEN?... 50

5 DIE BÜRGERSTIFTUNGEN DRESDEN UND HAMBURG...53

5.1 METHODIK DER UNTERSUCHUNG... 53

5.1.1 Dokumentenanalyse: Satzungen, Geschäftsordnungen, Veröffentlichungen, Presse... 54

5.1.2 Die Experteninterviews... 54

5.1.3 Der Fragebogen... 56

5.1.4 Die Auswahl der Bürgerstiftungen... 58

5.2 GENESE, ZIELE, ZAHLEN... 58

5.2.1 Genese und Ziele... 58

5.2.2 Die finanzielle Lage... 60

5.2.3 Folgerungen... 61

5.3 DIE INNERE STRUKTUR... 62

5.3.1 Die Struktur der Bürgerstiftung Hamburg... 62

5.3.2 Die Struktur der Bürgerstiftung Dresden... 68

5.3.3 Folgerungen... 71

5.4 DIE BÜRGERSTIFTUNG UND IHRE TÄTIGKEIT... 72

5.4.1 Operative und fördernde Tätigkeit der Bürgerstiftung Hamburg... 72

5.4.2 Operative und fördernde Tätigkeit der Bürgerstiftung Dresden... 75

5.4.3 Folgerungen... 77

5.5 DIE BÜRGERSTIFTUNG UND DIE KOMMUNE... 78

5.5.1 Das Verhältnis zu Politik und Verwaltung... 78

5.5.2 Die Bürgerstiftungen im lokalen Dritten Sektor... 80

5.5.3 Die Identifikation mit der Stadt... 81

5.5.4 Folgerungen... 82

5.6 DIE BÜRGERSTIFTUNG UND DIE ÖFFENTLICHKEIT... 83

5.6.1 Die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit in den Bürgerstiftungen... 83

5.6.2 Veröffentlichungen der Bürgerstiftungen... 84

5.6.3 Der Gebrauch neuer Medien: Der Auftritt im Internet... 85

5.6.4 Die Präsenz der Bürgerstiftungen in den Medien... 85

5.6.5 Die Positionierung in der Öffentlichkeit... 87

5.6.6 Die Einschätzung der Öffentlichkeitsarbeit durch die Gremienmitglieder. 88 5.6.7 Folgerungen... 89

5.7 DIE BÜRGERSTIFTUNG UND DAS BÜRGERENGAGEMENT... 90

5.7.1 Einbeziehung von Ehrenamtlichen in die Arbeit der Bürgerstiftungen... 90

(6)

Inhaltsverzeichnis VI

5.7.2 Wer engagiert sich in Hamburg und Dresden?... 91

5.7.3 Die zeitliche Dimension des Engagements... 94

5.7.4 Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements außerhalb der Bürgerstiftung... 97

5.7.5 Folgerungen... 98

5.8 BÜRGERSTIFTUNGEN UND DEMOKRATIE DIE BEWERTUNG DER ERGEBNISSE... 99

5.8.1 Bürgerstiftungen als Schule der Demokratie?... 99

5.8.2 Netzwerke durch Bürgerstiftungen?... 99

5.8.3 Bürgerstiftungen und Öffentlichkeit?... 100

5.8.4 Mehr Bürgerengagement durch Bürgerstiftungen?... 101

5.8.5 Spezifikum Ostdeutschland?... 102

6 FAZIT UND AUSBLICK... 103

6.1 FAZIT: MEHR DEMOKRATIE DURCH BÜRGERSTIFTUNGEN?... 103

6.2 AUSBLICK: WAS ZU TUN BLEIBT... 104

6.2.1 Forum bieten für gesellschaftliche Minderheiten... 104

6.2.2 Einbeziehung von Ehrenamtlichen... 104

6.2.3 Einbeziehung der Jugend... 105

7 SCHLUSSBETRACHTUNG... 106

8 QUELLEN... 109

8.1 LITERATUR... 109

8.2 BESUCHTE WEBSITES... 124

8.3 PRESSESPIEGEL BÜRGERSTIFTUNG HAMBURG... 125

8.4 PRESSESPIEGEL BÜRGERSTIFTUNG DRESDEN... 128

8.5 GESPRÄCHE UND INTERVIEWS... 136 ANHANG HAMBURG

ANHANG DRESDEN

(7)

Abbildungen VII

A

BBILDUNGEN

:

Abbildung 1: Organisationsstruktur der Bürgerstiftung Hamburg...67

Abbildung 2: Organisationsstruktur der Bürgerstiftung Dresden...70

Abbildung 3: Identifikation mit der Stadt...82

Abbildung 4: Bewertung der Öffentlichkeitsarbeit...88

Abbildung 5: Altersstruktur der Bürgerstiftungen...92

Abbildung 6: Engagement vor der Ehrenamtlichen Tätigkeit für die Bürgerstiftungen ... 93

Abbildung 7: Häufigkeit des Engagements...94

Abbildung 8: Zeitliche Intensität des Engagements...95

Abbildung 9: Vorraussetzungen für mehr Engagement...96

T

ABELLEN Tabelle 1: Verteilung der Stiftungsschwerpunkte (Mehrfachnennungen)...30

(8)

Abkürzungen VIII

A

BKÜRZUNGEN

:

AG

Anm. d. A.

AO BGB bspw.

bzw.

ca.

CAN $ CDU DDR DM ebd.

et al.

EU GmbH hrsg.

ICNPO Kap.

k. A.

m. E.

Mio.

Mrd.

NDR NGO PDS

£ Prof.

s. o.

SPD u. a.

usw.

US $ USA VW vgl.

z. Zt.

Aktiengesellschaft Anmerkung des Autors Abgabenordnung

Bürgerliches Gesetzbuch beispielsweise

beziehungsweise circa

kanadische Dollar

Christlich-Demokratische Union Deutschlands Deutsche Demokratische Republik

Deutsche Mark Ebenda

und andere

Europäische Union Euro

Gesellschaft mit beschränkter Haftung herausgegeben

International Classification of Nonprofit Organizations Kapitel

keine Angabe meines Erachtens Millionen

Milliarden

Norddeutscher Rundfunk

Non-Governmental Organizations Partei des Demokratischen Sozialismus Britisches Pfund

Professor siehe oben

Sozialdemokratische Partei Deutschlands unter anderem

und so weiter

United States of America US-Dollar

Volkswagen vergleiche zur Zeit

(9)

Vorwort IX

V

ORWORT

Eine Diplomarbeit ist zumeist nicht das Werk eines einzelnen Autors; es haben viele Men- schen Anteil an ihrer Fertigstellung. Das ist bei der vorliegenden Arbeit nicht anders. Deswe- gen möchte ich mich bei allen, die mich in den vergangenen Monaten unterstützt haben, an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.

Mein Dank gilt zunächst den Gesprächspartnern Herrn Galinski, Herrn Dr. Hugbert Flitner und Herrn Dr. Klaus Rollin von der Bürgerstiftung Hamburg und Frau Grit Hannevorth und Herrn Winfried Ripp von der Bürgerstiftung Dresden. Dieses schließt neben den Interviews auch das zur Verfügung gestellte Material und die Unterstützung der Mitarbeiter bei der Ver- sendung der Fragebögen mit ein. Ein Dank geht auch an André Christian Wolf für wichtige Anregungen zum Thema.

Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei Almut Schomacher, Steffen Sommer und Stefanie Vieth für inhaltliche, sprachliche und orthographische Anregungen und Korrekturen und auch für ihren moralischen Beistand. Für gegenseitige Aufbauhilfe und inhaltliche Hin- weise gilt mein Dank meinen Mitdiplomanden und „Leidensgenossen“ Lutz Drüge und Felix Pfäfflin.

Darüber hinaus sei allen gedankt, die mich in den letzten Monaten und auch schon während der Prüfungszeit ertragen und, bewusst oder unbewusst, unterstützt haben: meiner Familie, meiner ehemaligen WG sowie meinen Freunden in Sendenhorst, Münster, Konstanz und an- derswo.

Schließlich geht der größte Dank an meine Eltern. Diese Arbeit wie auch mein gesamtes Stu- dium wäre ohne ihr Verständnis, ihre Geduld und ihre Unterstützung nicht möglich gewesen.

Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

FLUCTUAT NEC MERGITUR!

Inschrift des Stadtwappens von Paris

SENDENHORST IM APRIL 2001 GEREON SCHOMACHER

(10)

Einführung 1

1 E

INFÜHRUNG

1.1 Problemstellung

„Bürgerschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Bedingung für den Zusammenhalt der Gesellschaft.“1 Unter diesem Leitsatz setzte der Deutsche Bundestag im Februar 2000 eine Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagement“ ein. Die Gründung dieser Kommission zeigt, welche Konjunktur das Thema „Bürgerschaftliches Engagement“

hat. Es gibt kaum einen Politiker, der die Förderung und Aufwertung von Ehrenamt und Teilnahme der Bürger2 an Demokratie und öffentlichen Aufgaben nicht für begrüßenswert erachtet.3

Bürgerschaftliches Engagement findet in erster Linie auf der kommunalen Ebene statt.4 Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass nahezu alle kommunalen Fachzeitschriften in den ver- gangen zwei Jahren zumindest einmal dem Bürgerengagement einen Schwerpunkt gewidmet haben.5 Darüber hinaus verschreiben sich neue Organisationen wie der Verein „Aktive Bür- gerschaft“ oder die Stiftung „Bürger für Bürger“ diesem Thema und veranstalten Vorträge, Wettbewerbe und ähnliches.6 Dieses hat vor allem zwei Gründe, die bei einer näheren Be- trachtung dieser Diskussion deutlich werden:

Zum einen geht es um die Aktivierung der Bürger hinsichtlich der Übernahme von Aufgaben, die aufgrund der dauerhaft angespannten Finanzsituation der öffentlichen Haushalte der Staat nicht mehr erfüllen kann oder will. Gefordert wird „die bürgerschaftliche Selbstorganisation, um Gemeinsinn zu wecken und sonst nicht mehr finanzierbare Leistungen zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten“7. Der Übernahme von Aufgaben durch Freiwillige wird große Be- deutung beigemessen.8

Gleichzeitig wird aber auch ein zweiter Aspekt von bürgerschaftlichem Engagement, nämlich die Auswirkungen auf die Demokratie und die Gesellschaft, betont. Sinkender Wahlbeteili- gung, zunehmende Distanz von Bürgern zum Staat, wachsende Politik- oder zumindest Politi-

1 Deutscher Bundestag 1999

2 Wenn im folgenden die maskuline Form benutzt wird, dient dies lediglich der vereinfachten Lesbarkeit des Textes.

3 Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Antrag zur Enquete-Kommission von fast allen Parteien des Bundestages eingebracht wurde; vgl. Deutscher Bundestag 1999; weitere Indizien dafür sind zahlreiche Reden und Veröffentlichungen von Politikern, vgl. Schröder 2000, Hamm-Brücher/Reinert 1999; Süssmuth 2000

4 vgl. Roth 1997: 404, Dieckmann 1998a: 84

5 vgl. z. B. Der Städtetag 6/2000, Demokratische Gemeinde 1/2000, Stadt und Gemeinde 9/1999; siehe auch Aus Politik und Zeitgeschichte 38/1998

6 so hat der Verein „Aktive Bürgerschaft“ einen Förderpreis und einen Wissenschaftspreis zum Thema Bürgero- rientierung und Bürgerschaftliches Engagement ausgeschrieben und ein „Reformnetzwerk innovativer Vereine“

gegründet, vgl. Nährlich/Blanc 2000

7 KGSt 1999: 3

8 vgl. Klages 1998: 29

(11)

Einführung 2

ker- und Parteienverdrossenheit stellen eine Herausforderung für die repräsentative Demo- kratie dar.9 Die Globalisierung der ökonomische Beziehungen, die Internationalisierung öko- logischer Probleme und politischer Krisen, die Individualisierung der Lebensstile und der da- mit einhergehende Wertewandel, die Veränderungen der demographischen Zusammensetzung der Bevölkerung und die Veränderungen in den sozialen Beziehungen haben Auswirkungen auf die repräsentativen Demokratien in der westlichen Welt.10 Diese bestehen in dem Verlust von Entscheidungskompetenzen und verstärkten wirtschaftlichen Zwängen, im Verlust von Pflichtwerten zugunsten Selbstverwirklichungswerten, in denen die Tendenz zu einem Verlust des demokratischen Bewusstseins gesehen wird11 sowie in einem steigenden Finanzbedarf bei gleichzeitig leeren öffentlichen Haushalten.12

Durch die gegebene Problemnähe und die schwache Stellung im Staatsaufbau kommt dieses besonders auf der lokalen Ebene zum Tragen. Ein wachsender Standortwettbewerb um Un- ternehmen und Arbeitsplätze, steigende Sozialhilfekosten und der Verlust an Handlungsspiel- raum für die freiwilligen Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung sind nur einige Beispiele für den Problemdruck, dem die Kommunen unterliegen.13

In dieser Situation soll bürgerschaftliches Engagement diesen Entwicklungen entgegenwirken.

Die Bestrebungen zu einer Mitmachgesellschaft haben ihren Ausgangspunkt in Vorstellungen von einer aktiven Zivil- oder Bürgergesellschaft, in der das Engagement der Bürger zu einem Mehr and Demokratie bzw. zu einer Stärkung des demokratischen Systems führt. Die Bürger- gesellschaft ist eine Version von einer demokratischen Gesellschaft, die durch Selbstorganisa- tion und vielfältige Mitwirkung und Mitverantwortung von Bürgern gekennzeichnet ist.14 Die Kommunen versuchen neben den vom Staat ausgeweiteten direktdemokratischen Ele- menten über neue Planungsmethoden die Bürger zu Beteiligen und ihre Mitverantwortung für das Gemeinwesen zu stärken.15 Neben Planungszellen16, Mediation17, mehrstufigen dialogi- schen Verfahren18 oder Runden Tischen19 sind als langfristig angelegte Prozesse ein umfassen- des Stadtmarketing20 und die Lokale Agenda 21 zu nennen.21 Und auch das Neue Steuerungs-

9 vgl. Patzelt 1999: 31f

10 vgl. Zimmer/Priller 1997: 255

11 Klages 1998: 30

12 vgl. Leif 1998: 12

13 vgl. Dieckmann 1998b: 297f;

14 vgl. Wendt u. a. 1996: 18

15 Dazu gehören partizipatorische Planungsmethoden wie Planungszelle, Mediation, mehrstufiges dialogisches Verfahren und Runde Tische ebenso wie direktdemokratische Elemente wie Bürgerbegehren und Bürgerent- scheid; vgl. Gessenharter 1996,

16 vgl. Dienel 1992

17 vgl. Fietkau/Weidner 1992

18 vgl. Feindt 1996

19 vgl. Gessenharter 1996, Stiftung Mitarbeit 1992

20 vgl. Hellbrecht 1994; Grabow/Hollbach-Grömig 1998

21 vgl. Zimmermann 1997, Stark 1997

(12)

Einführung 3

modell zur Reform der kommunalen Verwaltungen verspricht, durch eine verstärkte Kun- denorientierung eine „Dritte Säule der Demokratie“ zu schaffen.22

„Politische Beteiligung und Bürgerengagement ist aber nicht nur eine Sache von Verfahren, durch die Bürger eingebunden werden, sondern vor allem auch ein Thema und ein Ziel der Akteure im Bereich der Kommune und der Kommunalpolitik.“23 Bürgerschaftliches Engage- ment findet ebenso in Vereinen, Verbänden, Selbsthilfegruppen und anderen Organisationen abseits von Staat und Wirtschaft statt.24

Demokratietheoretische Grundlagen für diese Zuweisung von einer politischen Funktion die- ser Organisationen sind Ansätze der Zivilgesellschaft, die eben diesen Organisationen ver- schiedene Bedeutungen und Aufgaben zuweisen. Die liberale Tradition weist der vom Staat unabhängigen civil society eine Kontrollfunktion gegenüber dem Staat zu. Die Sicherung der Autonomie des Individuums steht hier 25im Vordergrund.

Besonders auf die Output-Performanz der Zivilgesellschaft stellen die Pluralismustheoretiker ab. Zivilgesellschaftliche Organisationen schaffen ein Rekrutierungspotential von Politikern und entlasten den Staat von Aufgaben. Des weiteren argumentieren sie, dass „ein sich wech- selseitiges und überschneidendes Kommunikationsnetz ebenso wie überlappende Mitglied- schaften zum Abbau gesellschaftlicher cleavages beitragen“26.

Im Sinne der deliberativen Demokratie Habermasscher Prägung stellt die Zivilgesellschaft den vorpolitischen Raum dar, in dem sich Interessen artikulieren und politische Willensbildung außerhalb des verstaatlichten öffentlichen Raumes der Parteien und Verbände stattfinden können.

Betrachtet man die Diskussion um das Bürgerschaftliche Engagement, so kommt mit Blick auf die demokratietheoretische Dimension vor allem die Bedeutung von Zivilgesellschaft in der Tradition von Tocqueville zum Tragen. In diesem Sinne stellen zivilgesellschaftliche Or- ganisationen die Schule der Demokratie dar, die „zur Wertbildung und Verankerung von Bür- gertugenden wie Toleranz, gegenseitige Akzeptanz, Kompromissbereitschaft und –fähigkeit, Vertrauen, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit etc.“ dienen.27 In dieser Tradition steht auch Robert Putnam, wenn er in einer aktiven und lebendigen Zivilgesellschaft den Hauptgrund für Pro- duktion von Social Capital sieht. Dieses soziale Kapital besteht aus Reziprozität, Vertrauen und bürgerschaftlicher Solidarität; es trägt zur Sicherung und Festigung der Demokratie bei.28

22 Hierbei handelt es sich aber noch um ein uneingelöstes Versprechen des NSM, vgl. Kißler 1997; siehe auch Bogumil/Kißler 1996, Bogumil/Holtkamp 2000

23 Albrecht 2000: 13

24 ebd.

25 vgl. Merkel/Lauth 1997: 26

26 ebd.

27 ebd.: 27

28 vgl. Putnam 1995a: 66

(13)

Einführung 4

Wie sollen aber in der heutigen Zeit demokratiefördernde, zivilgesellschaftliche Strukturen gestärkt oder neu geschaffen werden? Auch wenn das Engagementpotenzial in Deutschland groß ist, die Bürger bereit sind, Aufgaben zu übernehmen29, klagen Parteien, Verbände, Ge- werkschaften, Kirchen und Vereine seit einigen Jahren über Mitgliederschwund.30 Viele Men- schen sind nicht mehr wie in der Vergangenheit bereit, aus rein altruistischen Motiven ihre Zeit zur Verfügung zu stellen. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung spielt ebenso eine Rolle wie die zeitliche Begrenzung der Arbeit oder die Projektbezogenheit.

In diese Diskussion fügt sich das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit ein. Bürgerstiftungen sind eine Variante, die versucht, das Potenzial an Engagement besser auszuschöpfen. Entstan- den nach einer Idee aus den USA, wo dieses Modell seit 1914 bekannt ist, erfreuen sie sich in Deutschland erst seit Mitte der neunziger Jahre einer wachsenden Verbreitung. Neben der finanziellen Bedeutung sehen die Promotoren dieser Organisationsform in Bürgerstiftungen einen Beitrag zur Bildung von sozialem Kapital. „Als Kristalisationspunkte und Katalysatoren bürgerschaftlichen Engagements besitzen Bürgerstiftungen eine strategische Bedeutung für den Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Infrastruktur.“31 Dabei ist besonders interessant, dass sie in der Regel von den Bürgern und nicht vom Staat errichtet werden.

1.2 Fragestellung und Ziel

Daraus ergibt sich für diese Diplomarbeit folgende Fragestellung:

Ist das Modell der Bürgerstiftung ein geeignetes Mittel, um die lokale Zivilgesellschaft hinsichtlich einer Stärkung der Demokratie zu unter- stützen?

In Bezug auf das Konzept „Bürgerstiftungen“ geht es also darum, zu untersuchen, ob es als Instrument geeignet ist, mehr und andere Personengruppen zur Mitwirkung am Gemeinwesen zu bewegen und sich im Tocquevilleschen Sinne als eine „Schule der Demokratie“ darstellt.

Des weiteren soll analysiert werden, inwiefern die Bürgerstiftung als deliberativ- demokratischer Akteur auftritt und alte und neue Probleme thematisieren kann oder will. Er- gänzend ist zu fragen, ob die Bürgerstiftung zu einer Verbesserung des Outputs der Demo- kratie beiträgt, indem sie die Kommune als staatliche Institution entlastet bzw. neue, bisher

29 vgl. Klages 1998: 30

30 vgl. Witte 2000: 7

31 Walkenhorst 2000: 63

(14)

Einführung 5

unerfüllte Aufgaben übernimmt. Die Input- und die Output-Dimension der Demokratie ist nicht zu trennen, beides ist für die Stabilität dieser Staatsform verantwortlich.32

Bürgerstiftungen bieten sich gerade deshalb für die Untersuchung an, da es sich hier um eine relativ gut abgrenzbare Organisationsform handelt. „Sie ist in ihrer Leitung und ihren Gremi- en unabhängig von Kommunalverwaltung, staatlichen Instanzen oder politischen Organisa- tionen als auch von einzelnen Stiftern“.33 Durch ihre Gemeinnützigkeit und das Ziel der För- derung verschiedenartigster sozialer und kultureller Belange wendet sie sich grundsätzlich an die ganze Kommune.

Bürgerstiftungen standen bisher noch nicht im Blickpunkt wissenschaftlicher Forschung.

Während Ehrenamt, bürgerschaftliches Engagement34, der Dritte Sektor und auch das Stif- tungswesen in den letzten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen In- teresse gerückt ist, gibt es bis auf eine Arbeit von Wolf (2000) über die Stadt Stiftung Güters- loh und die Bürgerstiftung Hannover keine Arbeiten über Bürgerstiftungen, die über die An- leitungsliteratur hinausgehen. Dieses ist darin begründet, dass Bürgerstiftung in Deutschland erst seit ca. fünf Jahren Verbreitung finden. Daher soll diese Arbeit einen Beitrag zur Erfor- schung dieser Organisationsform leisten.

1.3 Vorgehensweise

Nach dieser Einführung werden zunächst die demokratietheoretischen Grundlagen erörtert, die der Diskussion über bürgerschaftliches Engagement zugrunde liegen (Kapitel 2). Zentral ist dabei die Theorie der Zivilgesellschaft, die in verschiedenen Facetten und Ansätzen darge- stellt wird (Kapitel 2.1). Dazu gehören die Vorstellungen des Kommunitarismus, der Bedeu- tung freier Organisationen als Schule der Demokratie, also Produzenten von sozialem Kapital und als Gegengewicht zu einem vermachteten Staat im Sinne der deliberativen Demokratie.

Die Kritik an diesen Ansätzen wird ebenfalls beleuchtet und für die Untersuchung von Bür- gerstiftung nutzbar gemacht.

Anschließend wird der Begriff Zivilgesellschaft in den deutschen Zusammenhang eingeordnet (Kapitel 2.2). In diesem Zusammenhang wird die Situation der Demokratie in Deutschland und im besonderen in Ostdeutschland betrachtet und der Dritte Sektor als Ort, an dem zivil- gesellschaftliches Handeln und Bürgerengagement stattfindet, näher beschrieben. Im Weiteren wird bürgerschaftliches Engagement definiert, lokalisiert, die Motive der engagierten Men- schen erörtert und untersucht, welche Personengruppen heute bürgerschaftlich aktiv sind

32 vgl. Klein/Schmals-Bruns 1997: 12

33 vgl. Definition unter www.buergerstiftung.de

34 vgl. zum Ehrenamt: Kistler/Noll/Priller 1999, zum Dritten Sektor: Anheier/Priller/Seibel/Zimmer 1997;

siehe auch die zahlreichen Aufträge für Gutachten, die von der Enquete-Komission „Zukunft des Bürgerschaftli- chen Engagements“ erstellt wurden; vgl. www.bundestag.de

(15)

Einführung 6

(Kapitel 2.3). Der Abschnitt schließt, in dem die Ergebnisse der Überlegungen in Kriterien zusammengefasst, die eine Organisation erfüllen muss, um die Zivilgesellschaft im Sinne der Demokratie stärken zu können (Kapitel 2.4).

Im Anschluss daran (Kapitel 3) wird die Organisationsform „Stiftung“, die der Bürgerstiftung zugrunde liegt, definiert (Kapitel 3.1), in den deutschen Kontext eingeordnet (Kapitel 3.2) und ihr Stellenwert in der Zivilgesellschaft erörtert (Kapitel 3.3). Die Ergebnisse werden abschlie- ßend kurz zusammengefasst (3.4).

Der darauf folgende Abschnitt stellt das Konzept der Bürgerstiftung vor (Kapitel 4). Nach dem Versuch einer ersten allgemeinen Definition (Kapitel 4.1) wird die weltweite Entstehung und Verbreitung von Bürgerstiftungen von den USA aus nachgezeichnet (Kapitel 4.2). Das anschließende Kapitel widmet sich den Bürgerstiftungen in Deutschland (Kapitel 4.3). An- hand der Merkmale einer Bürgerstiftung, die der Arbeitskreis Bürgerstiftungen des Bundes- verbandes Deutscher Stiftungen erarbeitet hat, wird die klassische, unabhängige Bürgerstiftung nach amerikanischem Vorbild näher definiert und von ähnlichen Stiftungsformen abgegrenzt.

Dieser Abschnitt endet mit einer ersten Einschätzung des zivilgesellschaftlichen Potenzials von klassischen Bürgerstiftungen (Kapitel 4.4).

Im fünften Abschnitt werden diese demokratischen Potenziale anhand der Bürgerstiftungen Hamburg und Dresden auf ihren Realitätsgehalt untersucht (Kapitel 5). Dieses geschieht mit Hilfe verschiedener Methoden (Kapitel 5.1). Dazu gehören die Analyse von Dokumenten wie den Satzungen, Veröffentlichungen Presseartikel, leitfadengestützte Experteninterviews mit führenden Personen der beiden Bürgerstiftungen sowie einem Fragebogen, der sich an die Mitglieder der Gremien und die ehrenamtlichen Mitarbeiter richtete. Es werden nacheinander die Gründungsgeschichte, die Ziele und die finanzielle Situation (Kapitel 5.2), die innere Struktur (Kapitel 5.3), die Tätigkeit (Kapitel 5.4), die Stellung der Bürgerstiftungen in ihrem Umfeld (Kapitel 5.5), die Öffentlichkeitsarbeit (Kapitel 5.6) und schließlich das bürgerschaftli- che Engagement (Kapitel 5.7) untersucht und erste Schlüsse daraus gezogen.

Anschließend werden die Ergebnisse anhand der in Kapitel 2.4 aufgestellten Kriterien bewer- tet und somit überprüft, ob die aufgestellte These, dass Bürgerstiftungen zu einer Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft hinsichtlich der Demokratie beiträgt, bestätigt werden kann (Kapitel 5.8).

In Kapitel 6 werden mit Blick auf die Ergebnisse der Untersuchung (Kapitel 6.1) einige Anre- gungen zur Weiterentwicklung des Konzeptes der Bürgerstiftungen gegeben (Kapitel 6.2).

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (Kapitel 7).

(16)

Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 7

2 B

ÜRGERENGAGEMENT UND

Z

IVILGESELLSCHAFT

Das Engagement der Bürger gilt, wie in der Einführung bereits angesprochen, als einer der Hoffnungsträger für die Politik allgemein und die Kommunalpolitik im besonderen. Neben der finanziellen Dimension des Engagements, dass zur Entlastung des Staates beitragen soll, verspricht man sich von engagierten Bürgern eine Belebung der Demokratie. Welche theoreti- sche Grundlagen diese Hoffnungen haben und wie sich Bürgerengagement im einzelnen dar- stellt, soll in diesem Kapitel behandelt werden.

Im folgenden soll nun zunächst das Konzept der Zivilgesellschaft in seinen unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten dargestellt werden (Kapitel 2.1). Die Kritik, die an dieser Theo- rie geübt wird, wird aufgegriffen und für die weitere Untersuchung nutzbar gemacht. In einem zweiten Abschnitt werden bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft in den deut- schen Zusammenhang eingeordnet (Kapitel 2.2). Im Weiteren wird das Bürgerschaftliche En- gagement näher definiert, lokalisiert, seine Motive dargestellt und die Gruppe der engagierten Menschen näher betrachtet (Kapitel 2.3). Das Kapitel schließt mit einem ersten Zwischenfazit der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse, die in Aufstellung von Kriterien, die eine Organisati- on erfüllen muss, um zu einer Stärkung der lokalen, demokratischen Zivilgesellschaft beizutra- gen, münden (Kapitel 2.4).

2.1 Zivilgesellschaft als demokratietheoretisches Konzept

2.1.1 Die schwierige Definition der Zivilgesellschaft

Eine eindeutige Definition für die Zivilgesellschaft zu geben, gestaltet sich aufgrund der ver- schiedenen Ansätze, die noch dargelegt werden, und deren Kritik als schwierig. Eine allgemein anerkannte Definition ist in der Literatur nicht zu finden. Gemeinsame Grundlage aller Kon- zeptionen und Definitionen ist aber, dass es sich bei der Zivilgesellschaft um „Formen freiwil- ligen, gewaltlosen und öffentlichen – mithin zivilen – Bürgerengagements” handelt, „die in der Sphäre zwischen Privatheit und Staat stattfindet.”35 Sie ist also vor- oder nicht-staatlich; in ihr befinden sich eine Vielfalt von miteinander konkurrierenden wie kooperierenden Initiativen, Vereinigungen und Interessengruppen, um ihre spezifischen normativen und/oder materiellen Interessen wirkungsvoll zu vertreten.36

35 Welzel 1999: 210

36 vgl. Lauth/Puhle 1999: 166f

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 8

2.1.2 Kommunitarismus

Ins Zentrum des demokratietheoretischen Interesses rückte das Bürgerengagement durch die Kommunitarismus-Debatte, die von den Vereinigten Staaten nach Europa und nach Deutschland ausstrahlte37. Die Argumente der Kommunitaristen wenden sich gegen einen zu ausgeprägten Individualismus innerhalb der westlichen, speziell der amerikanischen Gesell- schaft. In einer Gesellschaft von autonomen Individuen fehlt den Vertretern kommunitaristi- scher Ideen wie Sandel, McIntyre, Benhabib, Taylor, Walzer und Etzioni eine Vision von einer

“Stärkung des Bewusstseins der sozialen Verbundenheit und Verpflichtung des Einzelnen gegenüber seinen Mitmenschen”.38 Die Debatte um mehr Bürgertugend war eine Reaktion auf die sogenannte „Reagan Revolution“, welche die Vorherrschaft des Liberalismus mit seinem ökonomisch orientierten „bourgeois” vor dem gemeinwohlorientierten „citoyens” begründete.

„Das Fehlen von Gemein(schafts)sinn in modernen Demokratien stelle prospektiv eine ernst- hafte Gefahr für demokratische Gemeinwesen dar.”39 Autoren der partizipativen Demokra- tietheorie wie Benjamin Barber sehen in der liberalen Repräsentativordnung eine kümmerliche Demokratie, die die Grundlagen eines demokratischen Staates unterminiere und setzen ihr die

„Starke Demokratie“ mit weitreichender Partizipation entgegen.40 Diese Kritik am Liberalis- mus steht aber stets auf dessen Boden: Es wird nicht eine homogene “Volksgemeinschaft”

gefordert, sondern die Zivilgesellschaft als pluralistische Arena steht im Vordergrund.41

“Wenn die liberale Demokratie vom Wechselspiel zwischen staatlich-institutionellen und zivi- len Lösungen lebt, dann bedarf es der beständigen Entwicklung der Fähigkeit und Bereitschaft zur politischen Teilhabe, zur Mitgestaltung an der “Bürgergesellschaft.“42 Bürgerengagement ist in diesem Sinne als Gegensatz zu einer Zuschauerdemokratie zu verstehen, es ist Teil des politischen Projekts Bürger- oder Zivilgesellschaft.

2.1.3 Die Tradition de Tocquevilles: Assoziationen als Schule der Demokratie In seiner berühmten Schrift “Über die Demokratie in Amerika” weist Alexis de Tocqueville den zivilgesellschaftlichen Assoziationen und Vereinigungen die Rolle einer Schule der Demo- kratie zu, in der demokratisches Denken und Verhalten in der Praxis eingeübt wird.43 Für ihn stellt die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, ein unveräußerliches Recht des Menschen dar.

37 Über den Ursprung, die Akteure und den Verlauf dieser Debatte siehe auch: Reese-Schäfer 1994, Honneth 1994

38 Shell 1998: 60

39 Kallscheuer 1995: 21

40 vgl. Schmidt 2000: 254; siehe auch Barber 1994

41 Kallscheuer 1995: 23

42 vgl. Sarcinelli 1993 :28

43 vgl. Tocqueville 1985: 107

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 9

“Der Gesetzgeber kann sie nicht antasten, ohne zugleich die Gesellschaft anzugreifen”44 Die intermediären Institutionen sind somit einerseits eine Schutzsphäre im Sinne des Pluralismus, die das Individuum vor Übergriffen des Staates schützen soll, zum anderen vermitteln sie aber auch zwischen dem einzelnen und dem Staat. „Wenn es in einer modernen Gesellschaft keine Orientierungskrise gibt, so ist das dem Vorhandensein solcher intermediärer Institutionen zu verdanken.”45

2.1.4 Civic Culture und Social Capital

Der in der aktuellen Diskussion über den Zusammenhang von Bürgerengagement und De- mokratie am meisten bemühte und auch kritisierte Autor ist der amerikanische Demokratie- forscher Robert D. Putnam. In seinen Untersuchungen zur Effektivität von Institutionen in Italien, vor allem aber in seiner Zustandsbeschreibung der Demokratie in den USA spielt das soziale Kapital, dass in freien Assoziationen und Vereinigungen gebildet wird, eine zentrale Rolle.46 Dabei sind für ihn nicht nur politische Parteien oder Vereine mit sozialer oder politi- scher Ausrichtung für die Stärkung der Demokratie verantwortlich. Auch und gerade in unpo- litischen Assoziationen wie Vogelschutzvereinen oder Chören werden Fähigkeiten erlernt, die in der Demokratie nötig sind.47 Er bezieht sich hierbei ebenso auf Tocqueville wie auch auf die Untersuchungen zur “Civic Culture” von Almond und Verba.48 Diese haben in ihrer Stu- die zur politischen Kultur in fünf Ländern festgestellt, dass die Mitgliedschaft in einer Organi- sation, und zwar egal ob politisch oder unpolitisch, die politische Kompetenz dieser Personen erhöht.49 Es findet sich hier das Argument von Vereinen als Schule der Demokratie wieder:

“Organizations are, in a sense, small political systems, and both the skill in participation and the expectation that one can participate increase the individual´s competence vis-á-vis the po- litical system.”50

Für Putnam ist darüber hinaus eine lebendige Zivilgesellschaft mit vielen horizontal organi- sierten Assoziationen der Ort, in dem Vertrauen, Normen und Netzwerke entstehen.51 In die- sem Zusammenhang bezieht er sich auf das Konzept des Sozialkapitals von Coleman.52 Im Gegensatz zu Coleman sieht Putnam bürgerschaftliches Engagement aber als unabhängige Variable, die das Sozialkapital einer ganzen Gesellschaft anreichert und damit die Demokratie

44 ebd.:106f

45 Berger 1997: 460

46 vgl. Putnam 1993, 1995a, 2000

47 vgl. Putnam 1993: 90

48 vgl. Almond/Verba 1963

49 ebd.: 322

50 ebd. 313

51 vgl. Putnam 1993: 90

52 vgl. Putnam 1995a: 67; vgl. dazu auch Coleman 1988, 1992

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 10

stärkt.53 Diese Elemente verringern die Transaktionskosten nicht nur im ökonomischen Zu- sammenhang, sondern sind auch Voraussetzungen für eine funktionsfähige Verwaltung und eine solide Demokratie.54 Vertrauen entwickelt sich besonders in Gesellschaften mit hoher Mitgliedschaftsdichte in zumeist traditionellen Vereinen und Organisationen als generalisiertes Vertrauen und dehnt sich somit auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus.55 Das „generalisierte Vertrauen“ wächst als wichtiges Schmiermittel für funktionierende soziale Netze und Bezie- hungen über die Mitgliedschaft und das Engagement in „civic associations“ hinaus.56 „Finally, dense networks of interaction probably broaden participants´ sense of self, developing the “I”

into the “we””.57 Putnam formuliert die Bedeutung von sozialem Kapital für Politik und De- mokratie folgendermaßen: „Politics without social capital is politics at a distance.“58 Da in den USA und vielen anderen westlichen Ländern die Mitgliedschaft in vielen traditionellen Organi- sationen und sozialen Netzwerken zurückgeht59, sinkt dort somit auch das Soziale Kapital und darin sieht Putnam eine unmittelbare Gefährdung der Demokratie: „Da die sozialen Netze abnehmen, werden die Reziprozitätsnormen nicht vermittelt, das Fernsehen ist Ersatz für Kontakte, die Individualisierung ist daher eine Gefahr für die Demokratie.“60

2.1.5 Assoziative Demokratie

Auch Schuppert sieht eine positive Korrelation zwischen Vereinigungsreichtum und Demo- kratiepotential. Er benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff der “Assoziativen Demo- kratie“61. „Der Grundsatz des freien, vom Staat grundsätzlich nicht zu beeinflussten Vereini- gung gleich interessierter Bürger, somit die Rechtsform des freien Privatvereins, ist im Kern dieses [...] liberal politisch verstehenden Ansatzes bereits enthalten.”62 Für Schuppert ist die Assoziation der “katalysatorische” Vermittler zwischen privater und staatlicher Sphäre, sie haben eine prozesshafte, dynamische Schnittstellenfunktion.63 Die Assoziationen, die nicht auf wirtschaftlichen Gewinn aus sind, bestimmen zu einem großen Teil die Überzeugungen, Prä- ferenzen, Denk- und Handlungsgewohnheiten der Bürger und aktivieren deren Moral und

53 vgl. Heinze/Olk 1999: 86; Coleman untersucht vornehmlich die Entstehungsformen von sozialem Kapital und sieht es im Zusammenhang insbesondere von Humankapital. Er macht keine Aussagen über eine demokratie- stützende Dimension von Sozialem Kapital; für ihn ist soziales Kapital ein Aspekt einer Sozialstruktur, die als eine Handlungsbegünstigung für Individuen wirkt. Es stellt also eine individuelle Kapitalform dar, und hat ihre Verankerung auf der Mikro-Ebene. Vgl. hierzu Coleman 1988, 1992; kurz auch Haug 1997: 2f

54 vgl. Zimmer 1998b: 110

55 vgl. Zimmer/Nährlich 2000: 12

56 vgl. Heinze/Olk 1999: 87

57 Putnam 1995a: 67

58 Putnam 2000: 341

59 Putnam bringt das Beispiel des „Bowling alone“: Man geht nur noch privat zum Bowlen anstatt wie früher in einem Verein, der in einer Liga spielt, vgl. Putnam 1995: 70

60 Haug 1997: 35

61 vgl. Schuppert 1997: 114-152

62 ebd.: 148

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 11

Kooperationsfähigkeit.64 Mit diesem Verständnis nähert er sich dem zivilgesellschaftlichen Konzept von Habermas und Cohen/Arato an.

2.1.6 Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft

Freie Assoziationen sind ebenso im von der kritischen Theorie beeinflussten zivilgesellschaft- lichen Konzept zentral, welches sich bei Schuppert und Putnam schon andeutet. „Zivilgesell- schaftliche Strukturen [...] erweitern den Bereich der Interessenartikulation und –aggregation durch den Aufbau eines “vorpolitischen” pluralistischen Interessengeflechts.”65 Cohen und Arato gehen soweit, dass ihrer Meinung nach die Demokratie auf der zivilgesellschaftlichen Ebene aufgrund der Priorität von Kommunikation und Kooperation, von egalitären, partizi- pativen und kollegialen Entscheidungsprozessen wesentlich weiter gehen kann als in Parteien und Gewerkschaften.66 Die Parteien sind im Zuge der Sozialdemokratisierung und des Re- formismus “verstaatlicht” und “von einem expandierenden Staatsapparat aufgesogen” wor- den.67 In diesem Sinne stellen Parteien und Gewerkschaften keine freien Assoziationen dar.

Habermas drückt dies so aus: “Der Kern der Zivilgesellschaft bildet ein Assoziationswesen, das problemlösende Diskurse zu Fragen allgemeinen Interesses im Rahmen veranstalteter Öffentlichkeiten institutionalisiert.”68 Diese Konzeption ist eindeutig auf bereits entwickelte Demokratien gerichtet. Die repräsentativen Institutionen sollen ergänzt werden, neben der

“administrativen Macht”, zu der nach Habermas mittlerweile auch Parteien und Gewerk- schaften gehören (s.o.), soll im Rahmen der Öffentlichkeit auch eine “kommunikative er- zeugte Macht” für die Legitimität politischen Handelns sorgen.69

Eine Organisation, will sie in diesem Sinne als zivilgesellschaftlich gelten und demokratieför- dernd wirken, muss sich demzufolge am öffentlichen Diskurs beteiligen. Sie muss gesell- schaftliche Konflikte mit anderen thematisieren, Agenda-Setting betreiben70, bestenfalls den Diskursen ein Forum bieten, in dem diese Konflikte ausgetragen werden können. Der nor- mative Anspruch an den Akteur, die Assoziation ist damit ein weitaus höherer als im Neo- Tocquevilleschen Ansatz, bei dem die bloße Existenz freier Assoziationen und Vereinigungen bereits einen positiven Beitrag zur Erhaltung und Stärkung der Demokratie sorgt und nur einige grundsätzliche Regeln wie Gewaltfreiheit, Toleranz und Fairness vorausgesetzt werden.

63 ebd.: 146f

64 vgl. Detjen 2000: 14

65 Merkel/Puhle 1999: 170f

66 vgl. Cohen/Arato 1992: 417

67 Habermas 1989: 470

68 Habermas 1993:443

69 vgl. Habermas 1989: 472

70 vgl. Lauth/Merkel 1997: 27

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 12

Dennoch sieht auch Putnam einen Zusammenhang zwischen sozialem Kapital und der delibe- rativen Demokratie: “Anonymity is fundamentally anathema to deliberation.”71

2.1.7 Probleme und Kritik der Zivilgesellschaft

Die bisher dargestellten Konzepte bewerten die Wirkungen der Zivilgesellschaft für die De- mokratie ausschließlich positiv. Von verschiedener Seite ist jedoch Kritik an zivilgesellschaftli- chen Demokratiekonzeptionen geübt worden.

2.1.7.1 Die dunkle Seite der Zivilgesellschaft

Besonders das Social-Capital-Konzept von Putnam stand seit dem Erscheinen seiner Arbeiten über Italien und später über die USA in der Kritik. Ohne auf die ganze Breite der Kritik ein- zugehen, sollen hier einige, für diese Arbeit wesentliche, Punkte genannt werden.72 Zum einen ist der Mechanismus, wie sich soziales Kapital, das in einem sozialen Netzwerk z. B. eines Vereins gebildet hat, auf die Makro-Ebene überträgt und so zu einer demokratischeren Regie- rung führt, nicht klar dargelegt. Nach Coleman sind die Formen des sozialen Kapitals aber wertfrei; sie sagen nichts über den Charakter des Kapitals aus. Den Schluss, dass aggregiertes soziales Kapital zu generalisiertem Vertrauen und damit zu einer Stärkung der Demokratie führt, lässt Colemans Theorie nicht zu.73 Genauso ist es möglich, dass sich die kleinen Ge- meinschaften, in denen soziales Kapital gebildet wird, sich nach außen abschließen und es zu Filz und Nepotismus kommen kann.74

Ohne eine Rückkoppelung der Zivilgesellschaft an die Regeln der Gesellschaft ist nach Mei- nung der Kritiker eine diese Ordnung verstärkende Wirkung von freien Organisationen nicht möglich. Darüber hinaus können sich Teilgesellschaften entlang verschiedener Konfliktlinien entstehen und „damit Trennlinien und Differenzen verstärken, was durchaus zur wachsender Ignoranz und Fremdheit gegenüber der jeweils anderen Gruppe führen kann.“75 Am Beispiel des Vereinswesens in der Weimarer Republik legt Berman (1997) dar, wie die Zivilgesellschaft dort nicht eine stabilisierende Wirkung für die Demokratie hatte, wie Putnam es für den Nor- den Italien darstellt.76 Im Gegenteil: ihrer Auffassung nach haben die Nationalsozialisten gera- de durch ihre Eingebundenheit in verschiedenen apolitischen Vereinen es geschafft, ihren Einfluss auszuweiten. Auch haben z. B. Vereine wie der Stahlhelm, in dem sich Veteranen des ersten Weltkrieges organisierten, zu einem bestimmten Grad die Grenzen der gesellschaftli- chen Schichten in den Hintergrund treten lassen. Dies mit einer gewissen demokratischen

71 Putnam 2000: 342

72 Ausführlich hierzu Haug 1997: 32ff, Besonders vernichtende Kritik übt Fine 2001: 82-96

73 vgl. Haug 1997

74 Ein Beispiel für dieses „unsoziale“ Kapital ist der Kölner Klüngel mit korrupten Praktiken, vgl. Roth 2000a: 31

75 Lauth/Merkel 1997: 28

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 13

Grundstruktur, wobei sie aber die Aufgabe einer “Schule der Demokratie” nicht erfüllt (und wohl auch nicht aufgefasst) und schon gar nicht den Erhalt der Weimarer Republik als demo- kratisches Staatswesen gefördert haben.77

2.1.7.2 Ein idealistisches Menschenbild?

Besonders das deliberative Modell von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft beinhaltet einen hohen Anspruch nicht nur an das politische System, sondern vor allem an die politische Kul- tur der Gesellschaft und der Individuen. Hier liegt ein sehr positives Menschenbild zugrunde, dass „die Bevölkerung besser sei als ihre Politiker und ihre Wortführer.“78 Wie bereits ange- merkt, muss dieses aber nicht unbedingt der Fall sein. Am Beispiel des Rechtsextremismus wird deutlich, dass die nicht-vermachtete Zivilgesellschaft auch einen Extremismus aus der Mitte hervorbringen kann.79

2.1.8 Zivilgesellschaft und Demokratie – ein frommer Wunsch?

Die Diskussion um die Konzepte der Zivilgesellschaft, der deliberativen Demokratie und des Sozialkapitals kann hier nicht abschließend behandelt werden.80 Die hier vorgebrachte Kritik relativiert zwar die Behauptung von Tocqueville über Putnam bis hin zu Habermas und Co- hen und Arato, dass eine Zivilgesellschaft generell demokratieverstärkende Funktion hat. Sie muss m. E. allerdings nicht völlig revidiert, sondern differenziert werden. “Welche Seite (der Zivilgesellschaft; Anm. d. A.) sich nun als besonders einflussreich erweist, hängt zum einen von der konkreten Ausformung einer Zivilgesellschaft ab, und zum anderen davon, mit wel- chen politischen Regimeformen und Transformationsphasen diese konfrontiert ist.”81 Für die Untersuchung einzelner Organisationsformen bedeutet das, dass sie zum einen nach ihrer Ausgestaltung und des Charakters mit Bezug auf demokratische Grundsätze überprüft werden muss, will man sie der einen oder anderen Seite der Zivilgesellschaft zuordnen.82 Zum anderen muss man sie vor dem Hintergrund ihres gesellschaftlichen und politischen Kontext betrach- ten, in dem sie aktiv sind, um eine eventuell demokratiefördernde oder demokratieschwä- chende Rolle diagnostizieren zu können.

76 vgl. Berman 1997

77 ebd. 417

78 Habermas 1992 in der Zeit, zitiert nach Buchstein 1994: 108

79 vgl. Buchstein 1994: 108

80 siehe dazu Haug 1997, Fine 2001, American Behavioural Scientist Volume 40 No. 5/1997

81 Lauth/Puhle 1999:172

82 vgl. Merkel/Lauth 1997: 30f

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 14

2.2 Deutschland und die Zivilgesellschaft

2.2.1 Demokratie in Deutschland

Betrachtet man die alten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, so kann man trotz der in der Einführung diagnostizierten Problemlagen und Zwänge von einer verankerten De- mokratie sprechen. Die Transformation von einer Diktatur zu einem demokratischen Staat ist im Westen seit langem abgeschlossen. Daher kann die Zielrichtung der Belebung der Zivilge- sellschaft als die selbstreflexive Weiterentwicklung eines reifen demokratischen Systems ver- standen werden83, die mehr Partizipation am politischen Prozess fördern will, ohne dabei das politische System in Frage zu stellen.

Für die neuen Bundesländer muss die Lage der Demokratie differenzierter diskutiert werden.

Gut elf Jahre nach der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung genießt die Demo- kratie nicht die gleiche Akzeptanz wie in den alten Bundesländern.84 Die Gesellschaft Ost- deutschlands trägt immer noch Zeichen einer Transformationsgesellschaft.85 Eine lebendige, demokratische Zivilgesellschaft war zu Beginn der Wende nicht so verankert, wie das Auftreten der Bürgerrechtler, Umweltgruppen und Kirchen sowie die Arbeit der Runden Tische vermu- ten ließen.86 Es hat sich „gerade in Ostdeutschland eine kulturelle und politische Landschaft rechtsextremer Organisationsformen und Werte gebildet.“87 Ein „dichtes Netz aus völkischen Stimmungen, autonomen Kameradschaften und anderen Organisationsformen, rechtsextrem dominierten kulturellen Bildern, Szenelandschaften und Lifestylebewegungen“, die durchaus

„Züge einer Kontrastgesellschaft angenommen haben.“88 Dabei steht dieser Kontrastgesell- schaft eben keine starke, demokratische Zivilgesellschaft entgegen. Der Institutionentransfer von Ost nach West, der nicht nur in Politik und Verwaltung, sondern auch auf der Ebene der Vereine und Verbände stattfand, hat eine institutionalisierte Zivilgesellschaft geschaffen.89 Den schnellen Niedergang der nicht-institutionalisierten Zivilgesellschaft, z. B. der Bürgerbewe- gungen90, kann sie aber anscheinend mit Blick auf die rechtsextremen Auswüchse im Osten nicht aufwiegen.

83 vgl. Lauth/Puhle 1999: 171

84 vgl. Fuchs/Roller/Wessels 1997

85 vgl. Kahane 2000: 98

86 vgl. Benzler 1995: 21

87 Kahane 2000: 100

88 ebd.: 100

89 vgl. Benzler 1995: 40

90 ebd.

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 15

Abschließend kann festgestellt werden: „Eine starke Zivilgesellschaft mag zwar kein hinrei- chender Garant einer funktionstüchtigen Demokratie sein; aber ohne eine starke Zivilgesell- schaft steht die formale Demokratie auf tönernden Füßen.“91

2.2.2 Der Ort der Zivilgesellschaft – Der Dritte Sektor?

Die Zivilgesellschaft wird zumeist gleichgesetzt mit dem Dritten Sektor, dem Nonprofit- Sektor oder dem intermediären Bereich. Und es sind zumeist die Vereine und Verbände, Kir- chen, Stiftungen, etc., also Organisationen der Zivilgesellschaft, in denen sich die Bürger betä- tigen. Salamon und Anheier beziehen sich auf den “Nonprofit-Sektor als institutionelle Schlüsselkomponente der Zivilgesellschaft.”92 Nach diesem Verständnis besteht der Non- Profit-Sektor aus Institutionen, die

! formell strukturiert,

! organisatorisch unabhängig vom Staat

! nicht gewinnorientiert sind,

! eigenständig verwaltet werden

! zu einem gewissen Grad von freiwilligen Beiträgen getragen werden und keine Zwangsverbände darstellen.93

Diese Definition umfasst Vereine, Stiftungen, Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen, gemeinnützige GmbHs und ähnliche Gesell- schaftsformen, Organisationen ohne Erwerbszweck, Wirtschafts- und Berufsverbände, Ge- werkschaften, Verbraucherorganisationen, Selbsthilfegruppen Bürgerinitiativen, Umwelt- schutzgruppen, staatsbürgerliche Vereinigungen.94

Für Deutschland werden bei Anheier et. al., deren Definition hier übernommen wird, politi- sche Parteien genauso Organisationen ebenso wie erwerbswirtschaftliche und öffentliche Un- ternehmen, Anstalten des öffentlichen Rechts, Regiebetriebe, Produktions- und Verbraucher- genossenschaften, Versicherungen, und schließlich reine Kirchenverwaltungen und Glaubens- gemeinschaften nicht zum Nonprofit-Bereich gezählt95 Im Sinne einer Vorstaatlichkeit scheint diese Einordnung sinnvoll, da insbesondere Parteien sehr stark mit dem Staat verwoben sind.96

91 Welzel 1999: 209

92 vgl. Anheier/Priller/Seibel/Zimmer 1997: 15

93 ebd.

94 ebd. : 16

95 ebd.: 16f, dort auch eine genaue Abgrenzung und Aufzählung nach den Kriterien der International Classificati- on of Nonprofit Organizations (ICNPO)

96 So wird gerade in der CDU-Spendenaffäre deutlich, dass Partei und staatliches Amt im Falle von Alt- Bundeskanzler Helmut Kohl sehr schwer auseinander zu halten sind, weitere Beispiele sind Diskussionen über die Einordnung von Reisen von Spitzenpolitikern als Parteipolitiker oder als Amtsträger des Staates. Eine andere Auffassung vertritt Badelt (1999: 3f)

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 16

2.2.3 Die gegenseitige Abhängigkeit von Staat und Drittem Sektor

Allerdings ist es faktisch schwer möglich, bei allen anderen Organisationen von einer strikten Trennung von Zivilgesellschaft, Staat und Markt zu sprechen. Besonders für den deutschen Zusammenhang ist dies wichtig klarzustellen. Anders als bspw. in den USA bestehen hier be- sonders im Verhältnis von Staat und Drittem Sektor (so genannt in Abgrenzung zum ersten Sektor – Staat – und dem zweiten Sektor – Markt) sehr starke Verbindungen rechtlicher und finanzieller Natur.

Besonders im sozialen und im Gesundheitsbereich, die den größten Teil des Dritten Sektors ausmachen97, werden seine Organisationen und ihre Leistungen zu einem großen Teil vom Staat bezuschusst und unterliegen somit zumindest indirekt dem Einfluss des Staates. Der Staatsanteil der Einnahmen lag 1995 bei 64,3 Prozent neben 32,3 Prozent aus Gebühren ka- men und nur 3,4 Prozent aus Philantropie.98 Der Staat bedient sich hierbei der Organisationen des Dritten Sektors, ist selber nicht originär tätig, ist aber durch die Mitfinanzierung bei der Aufgabenerfüllung eingebunden.99 Dabei müssen seitens der Nonprofit-Organisationen gewis- se Kriterien erfüllt werden, um staatliche Gelder erhalten zu können. Diese Art der Arbeits- teilung liegt im Subsidiaritätsprinzip100 begründet, das hier (anders als z. B. die vertikale Subsi- diarität zwischen den staatlichen Ebenen) sektoral angewandt wird.101

Auf der juristischen Ebene wird die Verbindung zwischen Staat und Drittem Sektor ebenfalls deutlich. Der Staat als Gesetzgeber gibt einen Rahmen vor, in dem sich die Nonprofit- Organisationen bewegen.102 Für Organisationen, die im sozialen Bereich, in der freien Wohl- fahrtspflege oder im Gesundheitssektor tätig werden, gelten weitreichende Gesetzeswerke, die ihre Arbeit zu einem großen Anteil bestimmen (z. B. die Sozialgesetzgebung oder auch der Bereich Gesundheit, welche die Handlungen der in diesem Bereich tätigen Organisationen bestimmen).103

97 Der Anteil der Beschäftigten liegt, bezogen auf den gesamten Dritten Sektor, im Gesundheitswesen bei 30,6 Prozent, bei den sozialen Diensten sogar bei 38, 8 Prozent. Sie stellen somit mehr als die zwei Drittel aller Be- schäftigten, vgl. Priller/Zimmer/Anheier 1999: 17

98 Damit liegt Deutschland weit über dem weltweiten (41,7 Prozent) und auch europäischen (55,9 Prozent) Durchschnitt; nur Belgien, Irland und Israel haben einen höheren Staatsanteil, vgl. Salamon/Anheier 1999: Ta- belle 3

99 vgl. Anheier 1998a: 352

100 Zwei weitere Prinzipien, welche die deutsche Entwicklung des Dritten Sektors mit beeinflusst haben, sind das Selbstverwaltungsprinzip, dass ein „hochstrukturiertes System von Verbänden des Wirtschafts- und Berufslebens sowie zahlreicher kommunaler und regionaler Organisationen (Stichwort: Kommunale Selbstverwaltung, d. A.)“

gefördert hat, und das Gemeinwirtschaftsprinzip, dass im Wohnungs- und Genossenschaftswesen am stärksten ausgeprägt war. Beide sind in einem Wandel und haben als Akteure des Dritten Sektors nicht die ökonomische Bedeutung wie das Subsidiaritätsprinzip, vgl. Anheier/Seibel 1999: 22f

101 vgl. Schuppert 1994: 676f

102 vgl. Anheier 1998a: 351

103 ebd., vgl. hierzu auch Schuppert 1994 zur Institutional Choice

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 17

Zum einen erzeugen gesetzlich anerkannte Organisationsformen ein gewisses Maß an Legiti- mität, die für mögliche Geldgeber wichtig ist, zum anderen hat dies auch steuerrechtliche Konsequenzen. Die in den siebziger Jahren entstandenen Selbsthilfegruppen und Bürgerin- itiativen, die zunächst jeglicher staatlicher Anerkennung skeptisch gegenüberstanden, haben im Laufe der Zeit diese Skepsis zumeist abgelegt und z. B. im Falle der Selbsthilfegruppen Anschluss an die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege gesucht, um professionelle Hilfe bei ihrer Tätigkeit zu bekommen und auch öffentliche Macht, öffentliche Mittel und öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen.104

Daher sind die Organisationen gezwungen, ihrerseits Einfluss auf das Staatshandeln zu neh- men. Dieses findet in einem komplexen System der Interessenvermittlung bestehend aus ver- schiedenen Lobbyistengruppen, Wohlfahrts- und Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Kirchen statt. Im Zusammenhang mit den großen Interessenverbänden wird häufig der große Einfluss dieser Organisationen im Zuge eines ausufernden Korporatismus oder Lobbyismus kritisch betrachtet.105 Inzwischen findet sie aber auch seitens der unkonventionellen Formen des Dritten Sektors wie Umweltschutzgruppen, Friedensgruppen, Bürgerinitiativen usw. statt.

2.2.4 Der Dritte Sektor in Zahlen

Der Dritte Sektor in Deutschland verzeichnete in den letzten Jahrzehnten ein enormes Wachstum. Dieses bezieht sich auf die Anzahle der Organisationen ebenso wie auf das finan- zielle Volumen und die Zahl der Arbeitskräfte.106

Die häufigste Rechtsform von gemeinnützigen Organisationen des Dritten Sektors ist der Verein. Eine genaue Zahl der in Deutschland ansässigen Vereine ist nicht vorhanden. Für 1993 bewegen sich die Angaben zwischen 240.000 in ganz Deutschland bis hin zu 300.000 nur für die alten Bundesländer.107 Daneben gibt es eine geschätzte Zahl von Selbsthilfegruppen, die bei 70.000 mit 2,7 Mio. Mitgliedern, sowie ca. 10.000 Stiftungen108 und eine unbekannte Anzahl an gemeinnützigen GmbHs.109 Die Tendenz ist in allen Bereichen steigend.110 Dies gilt auch für das Gebiet der neuen Bundesländer. Nachdem die Massenorganisationen der DDR 1989/90 mit Massenaustritten zu kämpfen hatten, haben mittlerweile neben Organisationen, die aus dem Westen nach Ostdeutschland expandierten und völlig neu gegründeten Vereini-

104 vgl. Pankoke 1998a: 259f

105 vgl. von Alemann 2000, Reutter 2000, Weßels 2000, Backhaus-Maul 2000

106 vgl. Priller/Zimmer/Anheier 1999

107 vgl. Zimmer 1998a: 251

108 Genauere Angaben zum Stiftungssektor siehe Kap. 3.1.6

109 vgl. Haibach 1998: 53

110 vgl. Zimmer 1998a: 151f, Frankfurter Rundschau 10.07.2000

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Bürgerengagement und Zivilgesellschaft 18

gungen auch Organisationen ihren Platz, die noch aus Zeiten DDR stammen. Die Anzahl der Organisationen hat mittlerweile das Niveau von Westdeutschland erreicht.111

Die steigende Entwicklung wird ebenso deutlich, wenn man die wirtschaftliche Bedeutung des Dritten Sektors betrachtet. Die Anzahl der Vollzeit-Beschäftigten dort stieg in den alten Bun- desländern von 383.000 im Jahr 1960 bis auf 1.430.000 im Jahr 1995.112 Dieses bedeutet eine Steigerung von 273 Prozent, während der öffentliche Sektor im gleichen Zeitraum um 101 Prozent wuchs, in der Erwerbswirtschaft sogar einen Verlust von 2 Prozent entstand. Der Non-Profit-Sektor stellt damit 4,5 Prozent aller Beschäftigten (ohne Ehrenamtliche)113 in Deutschland und hat einen Anteil an der Gesamtwirtschaft (ohne ehrenamtliche Arbeit) von ca. 4,9 Prozent.114 Bezieht man die freiwillige, unbezahlte Arbeit von Bürgern mit in diese Be- rechnungen ein, so ergibt sich ein Äquivalent von ca. 400.000 Vollzeitarbeitskräften; der An- teil an der Gesamtbeschäftigung steigt auf 7,6 Prozent.115 Die Bedeutung der ehrenamtlichen Arbeit wird noch deutlicher, wenn man sie als Einnahmequelle für den Non-Profit-Sektor betrachtet. Der Staatsanteil der Finanzierung sinkt dadurch von 64,3 Prozent auf nur noch 42,5 Prozent, der der Philantropie, zu dem die Tätigkeit zugeschlagen wird, steigt von 3,4 Pro- zent auf 36,2 Prozent.

Die Frage ist: Was versteht man unter den Begriffen ehrenamtliches oder bürgerschaftliches Engagement?

2.3 Was ist Bürgerschaftliches Engagement?

Betrachtet man den Dritten oder Nonprofit-Sektor, muss darauf geachtet werden, bürger- schaftliches Engagement eindeutig von den anderen Tätigkeitsprofilen abzugrenzen, denn wie gesehen, zeichnet sich der Dritte Sektor in Deutschland durch eine steigende Zahl an Er- werbstätigen aus, die in ihm arbeiten.

Bürgerschaftliches Engagement hingegen ist nicht als Tätigkeit zum Erwerb des Lebensunter- halts zu verstehen. Es „ist freiwillige individuelle oder gemeinschaftliche Aktivität, bei der neben dem individuellen ein gemeinwesenbezogener Nutzen entsteht.”116 Einige Autoren ver- stehen unter bürgerschaftlichem Engagement nicht mehr das klassische Ehrenamt oder die freiwillige Mitarbeit an sich, sondern sehen den „selbstbestimmten Einsatz im Gemeinwe- sen“117 und das „sich öffentlich um eigene Angelegenheiten“118 kümmern als besondere „zivi-

111 vgl. Anheier/Priller/Zimmer 2000: 144

112 vgl. Priller/Zimmer/Anheier 1999: 16

113 vgl. Salamon/Anheier 1999: Tab. 2

114 vgl. Priller/Zimmer/Anheier 1999: 16, damit ist der Anteil an der deutschen Gesamtwirtschaft um ca. 1,2 Prozent gestiegen.

115 vgl. Salamon/Anheier 1999: Tab. 3

116 Albrecht 2000: 11

117 Wendt 1996 19

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