• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Humanitäre Hilfe: „Kein Tummelplatz für Gutmenschen“" (23.12.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Humanitäre Hilfe: „Kein Tummelplatz für Gutmenschen“" (23.12.2002)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A

uffallend war, dass überwiegend junge Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende den Weg zur Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin ge- funden hatten, um sich ein Wochenende lang mit den Möglichkeiten und Gren- zen der humanitären Hilfe zu beschäfti- gen. „Humanitäre Hilfe ist eine politi- sche Botschaft. Es muss denen geholfen werden, die Hilfe nötig haben“, betonte Dr. med. Günter Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, bei der Eröffnung des Kongresses „Medizin, Macht und Moral“ am 29. November. Veranstaltet wurde das Forum von der Ärztekam- mer, der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, dem Tropeninstitut Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Humanitäre Hilfe, darüber waren sich Referenten und Teilnehmer einig, ist kein Akt der Barmherzigkeit. Sie verlangt Professionalität und einen Unterbau von Normen und Verhaltensregeln, um effek- tiv sein zu können. Für umso bedauer- licher hielt es Prof. Dr. Wolf-Dieter Eberwein vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, dass die ge- sellschaftliche Debatte über das Thema in Deutschland völlig unterentwickelt ist. „Humanitäre

Hilfe basiert auf humanitärem Völ- kerrecht“, beton- te Eberwein. Die Genfer Konventi- on leiste damit ei- nen wesentlichen

Beitrag zur Zivilisierung der Gewalt.

Doch die Kriege haben sich verändert.

Der „klassische“ zwischenstaatliche Kon- flikt, für den das völkerrechtliche Re- gelwerk entwickelt wurde, findet immer

seltener statt.An seine Stelle sind kriege- rische Auseinandersetzungen getreten, deren Akteure Rebellengruppen, maro- dierende Truppen oder Clans mit je nach Interessenlage wechselnden Allianzen sind. „Konflikte werden nicht mehr nach Normen und Regeln ausgetragen. Sie

werden beherrscht von illegalen Formen der Gewalt, wobei Zivilisten zunehmend im Kreuzfeuer stehen“, beschrieb Dr.

Sven Chojnacki vom Wissenschaftszen- trum die Situation – mit erheblichen Fol- gen für die huma- nitären Helfer.

„Wie können wir solche Kriegspartei- en dazu bewegen, humanitäres Völker- recht zu respektie- ren und den Hilfsor- ganisationen Zugang zu den Opfern der Gewalt zu gewähren?“ fragte Pierre Gassmann vom Internationalen Komi- tee vom Roten Kreuz (IKRK). Neben der persönlichen Gefährdung ging er

auch auf die drohende Instrumentalisie- rung humanitärer Hilfe ein. „Einige dieser Gruppen hoffen, internationale Glaubwürdigkeit und politische Legiti- mität zu erreichen, indem sie zeigen, dass sie das Völkerrecht respektieren und hu- manitäre Hilfe zulassen.“ Kritisch beur- teilte Gassmann in diesem Zusammen- hang die Entwicklung der „Helfersze- ne“. Inzwischen tummele sich eine Viel- zahl kleiner regierungsunabhängiger Organisationen in den Krisengebieten.

Diesen Organisationen fehle es mangels Geld und Medienmacht an Einflussmög- lichkeiten. „Je kleiner sie sind, desto bes- ser kann man sie zum Spielball der Krieg führenden Parteien machen“, warnte Gassmann. „Man müsste zu größeren Organisationen oder Verbünden zurück- finden, um schlagkräftig zu sein.“

Die Voraussetzungen, um humani- täre Hilfe leisten zu können, sind Neu- tralität, Unparteilich- keit und Unabhän- gigkeit. Diese Grund- sätze sehen jedoch viele Hilfsorganisa- tionen angesichts neuer politischer Ent- wicklungen gefähr- det. „Unser Problem ist, dass sich das Mi- litär beispielsweise bei internationalen Einsätzen humanitär betätigt. Für die Hilfs- organisationen und Opfer ist das extrem gefährlich“, warnte Dr. Ulrike von Pilar, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. „Humanitäre Hilfe muss von unabhängigen Hilfsorga- nisationen geleistet werden. Wie sollen die Leute sonst unterscheiden, wer was tut?“ pflichtete ihr Jürgen Lieser von cari- tas international bei.Auch Gassmann be- tonte die Neutralität der humanitären Helfer: „Es ist unvermeidlich, dass sich ein Staat dazu verleiten lässt, dort huma- nitäre Hilfe zu leisten, wo er politische In- teressen hat.“ Deshalb sei es wichtig, dass Hilfsorganisationen die Opfer unabhän- gig und unparteiisch versorgten.

Sich nicht in Konflikte einzumischen, aber dennoch für die Opfer einzutreten, ist häufig ein schwieriger Spagat für die Hilfsorganisationen. „Humanitäre Hilfe P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002 AA3443

Humanitäre Hilfe

„Kein Tummelplatz für Gutmenschen“

Humanitäre Hilfe ist kein Akt der Barmherzigkeit, sondern ein Völkerrecht. Über ihre Möglichkeiten und Grenzen angesichts neuer politischer Entwicklungen diskutierten Experten in Berlin.

Humanitäre Hilfe in einem Flüchtlingslager in Zaire im April 1997:

Ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen misst den Oberarm-Umfang von unterernährten ruandischen Flüchtlingskindern.

„Humanitäre Hilfe ist eine politische Botschaft. Es muss denen geholfen

werden, die Hilfe nötig haben.“

Dr. med. Günter Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin

Foto:dpa

(2)

ist kein Tummelplatz für notorische Gutmenschen. Sie ist mehr als die Sum- me aus gutem Willen, Geld und Logi- stik. Sie muss ein Zeichen gegen die Barbarei des Krieges und eine men- schenverachtende Politik setzen“, be- schrieb Lieser den umfassenden Ansatz, den die Caritas mit anderen Hilfsorgani- sationen teilt. Den Konflikt mit der selbst verordneten Neutralität der Hel- fer brachte Gassmann auf den Punkt:

„Nichtregierungsorganisationen müs- sen politisch tätig werden. Doch Politik ist wie Wasser: man muss darin schwim- men können, aber man darf nicht davon trinken.“

Einen Einblick in die Praxis und die Überzeugungskraft medizinischer Daten lieferte Mit Philips von Ärzte ohne Gren- zen. Die Ärztin arbeitete in einem Ernährungszentrum der Hilfsorganisati- on in Angola. Das südafrikanische Land blickt auf einen mehr als 20-jährigen Bürgerkrieg zurück. Gezielt und syste- matisch hatte sich die Gewalt gegen die zivile Bevölkerung gerichtet. Hilfsorga- nisationen war jahrelang der Zugang zu den Hilfebedürftigen verwehrt. „Diese Geschichten der Gewalt konnten wir jetzt mit medizinischen Daten belegen“, so Philips. Zwischen April und Juli habe Ärzte ohne Grenzen in seinem Er- nährungszentrum rund 30 000 mangel- ernährte Menschen betreut. Haupttodes- ursache bei den Erwachsenen seien Krieg und Gewalt, bei den unter 15- Jährigen sei es Mangelernährung.

Das Beispiel Angola verdeutlicht ein weiteres Problem der humanitären Hil- fe: die Abhängigkeit von den Medien.

Die humanitäre Katastrophe in Angola hat es nie auf die Titelseiten geschafft – das bedeutet weniger Spendengelder, weniger öffentlichen Druck. „Wir wür- den uns wünschen, weniger medienab- hängig, sondern bedarfsorientiert arbei- ten zu können“, sagte Dr. med. Peter Schmitz vom Malteser Auslandsdienst.

Einen weiteren Wunsch richtete Ulrike von Pilar an die Chefärzte der deut- schen Krankenhäuser: „Sie sollten sich fragen, ob humanitäres Engagement nicht eine moralische Verpflichtung ist.“

Denn den Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern, die helfen wollten, müsse es im Rahmen einer flexibleren Arbeits- gestaltung ermöglicht werden, auch hel- fen zu können. Heike Korzilius

P O L I T I K

A

A3444 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002

Spendenaufruf

Der Verantwortung stellen

Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe fordert die Ärzte auf, sich am Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter zu beteiligen.

M

illionen von Zwangsarbeitern wurden während der Zeit der na- tionalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich und in den von Deutschland besetzten Gebieten unter oftmals inhumanen Bedingungen zur Arbeit gezwungen. Auch in Einrichtun- gen des Gesundheitswesens kam es zum Einsatz von Zwangsarbeitern. Größere Krankenhäuser beschäftigten Zwangs- arbeiter als billige Arbeitskräfte, in La- zaretten, Pflege- und Erholungsheimen wurden sie aufgrund von Mangel an deutschen Pflegekräften gebraucht und höchstwahrscheinlich auch als Untersu- chungsobjekte in Klinik und Forschung missbraucht (DÄ, Heft 44/2001).

Keine Frage der Schuld

Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr.

Jörg-Dietrich Hoppe fordert daher die Ärzte auf, sich am Entschädigungsfonds der Zwangsarbeiterstiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ mit einer Spende zu beteiligen. „Mehr als 50 Jahre danach geht es nicht um individuelle Schuld, sondern um ein Zeichen kollektiver Verantwortung Deutschlands für die Zwangsarbeiter im Dritten Reich. Davon sollten wir Ärzte uns nicht ausschließen“, so der BÄK- Präsident. Die Bundesärztekammer hat zusammen mit den Landesärztekam- mern, wie auf dem diesjährigen 105.

Ärztetag beschlossen, ein gemeinsames Spendenkonto eingerichtet, dessen künftige Eingänge an den Entschädi- gungsfonds der Stiftung weitergeleitet werden. Diese stellt Spendenbescheini- gungen aus und lässt sie den Spendern zukommen.

Die Zwangsarbeiterstiftung geht auf eine am 17. Juli 2000 von der deutschen und der US-amerikanischen Regierung

unterzeichnete Abkommenserklärung zurück. Der Inhalt der Erklärung sah vor, eine Stiftung zu gründen, in die der Bund und die deutsche Wirtschaft je- weils fünf Milliarden Mark einzahlen sollten. Beide Seiten sind mittlerweile ihren Verpflichtungen nachgekommen.

Primäres Ziel der am 2. August 2000 er- richteten Stiftung ist es, einen Großteil der mehr als 1,5 Millionen Anspruchs- berechtigten finanziell zu entschädigen.

Dabei werden Leistungen auch für Per- sonenschäden, zum Beispiel aufgrund medizinischer Experimente, gewährt. Je nach Zugehörigkeit zu einer Opfer- gruppe erhalten die Geschädigten ein- malig bis zu 7 500 Euro. Darüber hinaus wurde der Fonds „Erinnerung und Zu- kunft“ gebildet, der aus den ihm zuge- wiesenen Stiftungsmitteln unter ande- rem Projekte zur Völkerverständigung und der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme fördern soll.

Spender können durch Angabe im Ver- wendungszweck des Überweisungsträ- ger entscheiden, ob ihr Geld als private oder unternehmerische Zustiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter auf- gewandt wird oder in den Zukunfts- fonds „Erinnerung und Zukunft“ flie- ßen soll. Die Bundesstiftung hat am 15.

Juli 2001 mit der Auszahlung von Lei- stungen an die ehemaligen Zwangsar- beiter begonnen. Nach Angaben der Stiftung wurden bis Mitte Oktober die- ses Jahres Leistungen für mehr als eine Million Opfer erbracht. Sie erhielten insgesamt 1,810 Milliarden Euro. Die meisten Auszahlungen gingen bislang nach Polen; Deutschland liegt mit 4 000 Antragstellern im Mittelfeld der 70 lei- stungsberechtigten Staaten.

Das Spendenkonto der Ärztekam- mer: Deutsche Ärzte- und Apotheker- bank e.G., Köln, Konto: 1 501 107 739;

Bankleitzahl: 370 606 15. Martina Merten

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Da man aber bei dieser Methode zu einer Reihe von 4 bis 8 Ab- lesungen, welche man meist rasch hintereinander nimmt, sehr viel an der Alhidade zu schrauben haben würde, ist es

Offenbar wird auch von zuständigen Kollegen nicht erkannt oder wird ver- drängt, dass der ehrgeizige und maxi- male Ausbau der pathologischen Über- funktion dieser

„Ärzte ohne Grenzen“ hatte 1993 die Verantwortung für die medi- zinische Unterstützung der Bevölkerung in der Sicher- heitszone Srebrenica über- nommen, von der sich

In der Tat ist es so, daß die sogenannte Fibro- dysplasia ossificans progressi- va ein Synonym für die Myo- sitis ossificans ist und daß man das Ganze heute der Einfachheit halber

Valtuena, eine Kranken- schwester und eine Ärztin sind 1997 in Ruanda bei einem Einsatz für Mé- decins du Monde ermordet worden.. Politikerin Kortmann bezeichne- te in Berlin

Querschnittlähmung nicht er- kennt, weil grundlegende Fra- gen nicht gestellt und simpel- ste Untersuchungen nicht durchgeführt werden – und wieder wird man unter Belei-

„Aber nichts im Islam schreibt vor, dass unsere Hilfe nur Mos- lems zugute kommen sollte.“ Osman setzt vielmehr wie seine westlichen Kol- legen auf die humanitären Grundsätze

Ein beherrschender Ein- druck des Kongresses (veranstaltet von Ärzte ohne Grenzen, dem Tropeninstitut Berlin und der Berliner Ärztekammer am 29. Oktober in Berlin) war je-