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Archiv "Die Sehstörungen des Apostels Paulus: Unhaltbar" (25.03.1994)

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MEDIZIN

Die großen Buchstaben im zitierten Galaterbrief werden im Kontext er- klärt: Paulus will diese Mahnung be- sonders unterstreichen, was die La- teinisch Schreibenden stets durch große Buchstaben und eben nicht durch Unterstreichung machten!

Fünftens zum berühmten „Dorn im Fleische", worüber viel spekuliert wird: Paulus beschreibt sein Problem als „Schwäche" und nicht als Krank- heit. Er gibt immer wieder in der Po- lemik gegen seine Verleumder Hin- weise auf diese Schwäche, die offen- sichtlich etwas war, was zur Verach- tung führte. Eine chronische, nach jüdischen Gesetzen unrein machen-

de Krankheit ist definitiv auszu- schließen, denn sonst hätte Paulus nie studieren oder direkt mit der Sanhedrin verhandeln dürfen. Eine Augenschwäche wurde damals nicht verpönt, es gab schließlich eine ganze Reihe blinder Philosophen und Ge- lehrten. Doch sagt Paulus mehrmals, er sei „in der Schwäche des Fleisches gekommen"; man wirft ihm immer wieder vor, seine Briefe seien „zwar wuchtig und kraftvoll, sein leibhafti- ges Auftreten aber ist schwach und seine Rede erbärmlich" (2 Kor 10).

In einem Zeitalter der großen Rheto- rik, wie es die klassische griechisch- römische Ära war, konnte keine Schwäche nachteiliger und lächerli- cher sein als ein Stottern oder ein Lispeln. Diese Möglichkeit wird mei- nes Wissens kaum untersucht.

Warum Paulus drei Tage lang für die äußere Welt blind sein mußte, hat er selber oft genug erklärt. Wer ihm mit wissenschaftlichen Argu- menten widersprechen will, darf nicht nur aus einem einzigen be- grenzten Wissenschaftsgebiet argu- mentieren.

Dr. phil. Eileen Kunze Fritz-Reuter-Straße 2 01097 Dresden

4 Unhaltbar

Das Rätsel der Bekehrung des Paulus und die damit zusammenhän- genden gesundheitlichen Folgen zu untersuchen, dürfte eine der interes- santesten Aufgaben sein, die man sich stellen kann. Ist doch das Zu-

DISKUSSION

sammentreffen spirituell-psychischer Vorgänge mit entsprechenden Wir- kungen im somatischen Bereich bis ins Materielle hinein ein absolut ak- tuelles Thema.

Etwas zweifelhaft erscheinen die zu Rate gezogenen Phänomene und Schriftzeugnisse in ihrer Beurteilung auf dem „Weg zur richtigen Diagno- se". Richtig ist, die psychische Ver- fassung des Paulus mit in die Überle- gungen einzubeziehen, sowie die An- strengungen der Reise Jerusalem—

Damaskus, die Tageszeit und die ört- lichen Verhältnisse zu bedenken.

Dazu gehört die außerordentlich starke Konstitution des Paulus, die schätzungsweise die seiner Begleiter weit übertraf. Man bedenke, daß Saulus/Paulus später nach bereits an- strengenden Märschen und Ausein- andersetzungen in Lystra gesteinigt wurde und als vermeintlich tot vor die Stadt geschleppt, im Kreise sei- ner Schüler plötzlich aufsteht, in die Stadt zurückkehrt und am nächsten Tag einen Marsch von 75 km nach Derbe bewältigt. Äußere Bedingun- gen, Tageszeit, Ort, Reise, scheiden bei einer solchen Konstitution als Be- gründung für ein Zusammenbrechen vor Damaskus aus. Im übrigen müß- ten seine Gefährten unter diesen Verhältnissen ebenfalls „erblinden".

Das „Verblitzen" müßte jeden ande- ren auch treffen.

Der Bewußtseinszustand des Paulus ist erstaunlich: hat er doch immerhin im Augenblick des Zusam- menbrechens die Geistesgegenwart zu fragen, wer es sei, der mit ihm spricht. Bei Epilepsie oder Hysterie ist eine solche Geistesgegenwart mei- nes Wissens nicht zu beobachten.

Die angeführten Schriftstellen, die belegen sollen, daß Paulus später eingeschränktes Sehvermögen habe, sind einseitig und unrichtig interpre- tiert. Galater 6,11: Die „großen Buchstaben" heißen griechisch nicht groß im äußeren Sinne. (pälikos) wä- re lateinisch ,qualis` und meint die

„Qualität", ähnlich wie im Engli- schen „great" gegenüber „big". Die sprichwörtliche „getünchte Wand"

aus 23,3 als Beleg heranzuziehen, ist ähnlich dem Vorgang, den berühm- ten „Elefanten im Porzellanladen"

als Grund für die Diagnose ,Makrop- sie' zu bezeichnen.

Dies alles als den „Weg zur rich- tigen Diagnose" zu bezeichnen, ist wissenschaftlich unhaltbar, sowohl im spirituellen als auch im medizini- schen Sinne. Das Rätsel der Bekeh- rung des Paulus zu erkennen, bedarf es wohl noch anderer Qualitäten.

Rudolf U. Sudbrack Schloßstraße 33 42285 Wuppertal

5 Reine Spekulation Guido Kluxen stellt in seinem Aufsatz dar, daß Paulus von Tarsus alias Apostel Paulus auf seiner Inqui- sitionsreise von Jerusalem nach Da- maskus durch starke Sonnenein- strahlung eine UV-Licht-Keratitis verbunden mit einer Retinopathia solaris erlitten habe; beide Schäden seien nach vorübergehender Blind- heit ausgeheilt, doch seien zentrale Skotome aufgrund vernarbter Maku- lakoagulation zurückgeblieben.

Kluxen gründet seine Diagnose auf den Bericht von der Bekehrung des Paulus in der Apostelgeschichte (K. 9). Als Verfasser gilt der Evange- list Lukas. Kluxen zitiert nur den er- sten Teil (V. 1-9), nicht aber die Be- schreibung der Heilung (V. 10-18).

Zu seiner Darstellung ist zu sagen:

Die Apostelgeschichte ist kein medizinisches, auch kein geschichtli- ches, sondern ein theologisches Werk, das das Wirken Gottes durch die Apostel Petrus und Paulus und die frühe Gemeinde Jesu Christi dar- stellt. In der Bekehrungsgeschichte wird nicht der Verlauf einer Krank- heit, sondern das Wirken Gottes an einem Menschen beschrieben. Sie weist die Merkmale einer Wunderer- zählung auf, von der plötzlichen Blendung des Saulus durch das Er- scheinen des Gottessohnes bis zur schlagartigen Heilung durch Hand- auflegung eines Heiligen. Sinn dieses Berichtes ist die Rangerhöhung des Paulus zum Apostel aufgrund seiner Berufung durch Jesus selbst.

Die Zeugnisse über die spätere Sehstörung des Paulus, die Kluxen aus dem Neuen Testament anführt, sind entweder falsch interpretiert (Apg 23,3), mehrdeutig (Gal 6,11) oder zu allgemein (2. Kor 12,6-10);

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 12, 25. März 1994 (61) A-843

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MEDIZIN

für seine Beweisführung sind sie un- brauchbar. Alle übrigen Schilderun- gen des Unfallhergangs, des physi- schen und psychischen Zustands des Paulus oder angeblicher Spätfolgen sind quellenmäßig nicht belegt, son- dern spätere Ausmalungen.

Kluxen referiert sodann eine moderne Lehrbuchbeschreibung über Ätiologie, Pathogenese, funk- tionelle und anatomische Befunde je- ner beiden Läsionen. Um diese Lehr- buchbefunde jedoch beim Apostel Paulus nachweisen zu können, hätte der Diagnost eine Anamnese über den Unfallhergang erheben und eine Untersuchung des Patienten ein- schließlich Sehprüfung, Spaltlam- peninspektion, Augenspiegelung und so weiter vornehmen müssen. Die Diagnose, die er allein aufgrund je- nes Bekehrungsberichtes gestellt hat, in dem kein einziges durch die heuti- ge Ophthalmologie verwertbares Symptom beschrieben wird, ist eine reine Spekulation.

Sie verstößt zudem gegen die medizinhistorische Methode, denn selbst wenn Lukas — er soll Arzt ge- wesen sein — über die „Sehstörung"

des Paulus eine ärztliche Krankenge- schichte hinterlassen hätte, wäre eine Diagnose im Sinne der heutigen Schulmedizin nicht möglich.

Die Geschichte der Medizin vollzieht sich keineswegs als kontinu- ierlicher Fortschritt von wenig Wis- sen und falschen Erklärungen zu im- mer mehr Wissen und immer richti- geren Erklärungen, wobei stets glei- che Befunde beobachtet wurden und werden. Vielmehr entwickelt jede Kultur aus ihren geistigen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen, techni- schen und anderen Bedingungen ein medizinisches Konzept mit eigener Physiologie, Pathologie und Thera- pie. In ihm verbinden sich heilkundli- ehe Empirie und Theorie logisch. Es bestimmt und lenkt Wahrnehmen, Erkennen und Behandeln von Krankheiten. Und in ihm gelten stets eigene Befunde, die sich von denjeni- gen anderer Konzepte, auch unseres heutigen, unterscheiden.

Ein solches medizinisches Kon- zept ist eine zugleich gedachte und wahrgenommene, eine erlebte Wirk- lichkeit. „Wirklichkeit" ist bekannt- lich kein absoluter, sondern ein rela-

DISKUSSION

tiver Begriff. Sie besteht nicht losge- löst vom erkennenden Subjekt, son- dern der Mensch schafft sich seine ei- gene Wirklichkeit, indem er das, was er wahrnimmt und denkt, zu einem in sich schlüssigen Gesamtbild zusam- menfügt.

Aus alten Krankengeschichten moderne Diagnosen zu stellen, ver- bietet sich grundsätzlich. Die Krank- heitszeichen und Befunde, die die al- ten Ärzte beobachtet und gesammelt haben, wurden ihnen von ihrer jewei- ligen Krankheitslehre vorgegeben — das ist heute ebenso. Sie haben sie mit Hilfe der Begriffe und Theorien ihrer Physiologie und Pathologie er- klärt und zu einem Krankheitsbild oder -begriff zusammengesetzt. Das heißt: Die alten Befunde und die alte Diagnose passen nur in das zugehöri- ge medizinische Konzept und sind al- lein aus diesem zu verstehen. Eine Diagnosestellung, die unserem mo- dernen naturwissenschaftlich-medi- zinischen Konzept entspräche, muß notwendigerweise in die Irre gehen, weil dem heutigen Diagnosten keine den Anforderungen seiner Patholo- gie entsprechenden Untersuchungs- befunde vorliegen. Der Medizinhi- storiker hat also stets die alte Dia- gnose zu respektieren, er kann sie nur aus ihrem medizinhistorischen Kontext erklären.

So erzählt eine Krankenge- schichte des Hippokrates die von Hippokrates erlebte Wirklichkeit einer

„Peripleumonie" oder „Phrenitis".

Der Mirakelbericht aus einem Wall- fahrtsort erzählt die von einem dank- baren Wallfahrer erlebte Wirklichkeit einer „wunderbaren Errettung aus schwerer Krankheit durch die Fürbit- te der Mutter Gottes". Die Kranken- geschichte aus einer heutigen Univer- sitätsklinik erzählt die vom Stations- arzt erlebte Wirklichkeit eines Falles von „Ulcus duodeni" oder „AIDS".

Alle diese sind in ihrem konzeptuellen Rahmen glaubwürdige und richtige Zeugnisse.

Der Bericht des Lukas über die Bekehrung des Paulus beschreibt das Eingreifen Gottes in das Leben eines Menschen unter wunderbaren Er- scheinungen. Wir haben ihn als sol- chen zu respektieren, selbst wenn wir ihn so nicht akzeptieren wollen oder können. Wenn wir, um seine Glaub-

würdigkeit für uns zu retten, versu- chen, ihn unserer Wirklichkeit und Un- serem medizinischen Konzept zu adap- tieren, verfälschen wir ihn.

Geschichte der Medizin, um die es sich hier handelt, wird erst dann lehrreich, wenn sie uns zu einer (auch uns selbst) relativierenden Einstellung führt: Erst wenn wir die wundersame Fremdheit einer ande- ren geschichtlichen Welt in ihrer Ei- gen-Art begriffen haben, werden wir

unser eigenes Denken und Handeln in seiner Bedingtheit und seinem Be- grenztsein begreifen können.

Literatur

1. Feyerabend, P.: Irrwege der Vernunft.

Suhrkamp, Frankfurt/M (1989).

2. Probst, C.: Der Weg des ärztlichen Erken- nens am Krankenbett. Herman Boerhaave und die ältere Wiener medizinische Schule.

(Sudhoffs Archiv — Beiheft 15.) Steiner, Wiesbaden (1972).

3. Probst, C.: Der Tod des Fürstbischofs von Eichstätt und die Ärzte. Krankengeschichte und Sektionsbericht Johann Antons von Freyberg (1757). In: Zeitschr. f. bayer. Lan- desgesch. 53 (1990) 265-317.

4. Rothschuh, K. E.: Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Hippokra- tes, Stuttgart (1978).

5. Die Bibel und ihre Welt. dtv-Lexikon. 6 Bde., München (1972); Artikel: „Apostel- geschichte" und „Paulus (Saulus) von Tar- sus".

Univ. Prof. Dr. med. Dr. phil.

Christian Probst

Institut für Geschichte der Medizin und Medizinische Soziologie der Technischen Universität

Klinikum rechts der Isar Ismaninger Straße 22 81675 München

6 Vision

oder Konversion?

G. Kluxen vertritt die interessan- te Hypothese, Saulus von Tarsus ha- be unter übermäßiger Sonneneinwir- kung gelitten, als er sich anno 34 n.

Chr. vor Damaskus zum Heiligen Paulus bekehrte. Die „berühmteste Bekehrungsgeschichte aller Zeiten"

beruhe zwar nach dem Wortlaut der Apostelgeschichte (9,1-9) auf einer

„Wandlung" des Christenverfolgers zum Christen, dessen Sehstörungen seien aber „offensichtlich die alleini- ge Folge einer UV-Licht-Keratitis und Retinopathia solaris" gewesen.'

A-844 (62) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 12, 25. März 1994

Referenzen

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