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ie Konjunktur der Haftpflicht- klagen gegen Ärzte erstaunt heutzutage niemanden“, sagte GRPG-Präsident Dr. med. Dr.jur. Alexander P. F. Ehlers bei der vor- geschalteten Pressekonferenz. Die Zeiten der patriarchalischen Medizin seien vorbei, und der mündige Bürger erwarte sachgerechte Informationen, um sich unter Abwägung aller Vor- und Nachteile für den einen oder anderen Eingriff zu entscheiden. Genaue Zah- len der Klagen gegen Ärzte seien nicht bekannt; Ehlers geht von 10 000 bis 15 000 pro Jahr aus. Zwei Drittel davon würden mittlerweile auf Aufklärungs- mängel gestützt. Der Grund: Wenn es dem klagenden Patienten nicht gelingt, einen Behandlungsfehler zu beweisen, kann er unter Umständen dennoch den Prozeß gewinnen, wenn der Arzt sei- nerseits nicht die pflichtgemäße Auf- klärung zu beweisen vermag (Beweis- lastwechsel). Den Ärzten empfahl Ehlers, sich durch eine einwandfreie Dokumentation des Aufklärungsge- sprächs abzusichern: handschriftlich, nicht nur per EDV, gestützt auf Zeugen wie Kollegen oder Helferin.
Einzelheiten aus der Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Ob und Wie der Aufklärungspflicht erläuterte Dr. Manfred Lepa, stellver- tretender Vorsitzender des 6. Zivilse- nats des BGH, der unter anderem für Arzthaftpflichtsachen zuständig ist.
Die Aufklärung müsse rechtzeitig vor einem Eingriff erfolgen, sie solle weder verharmlosen noch dramatisieren.
Nach dem Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit müsse der Arzt um so mehr
auch über Details aufklären, je weni- ger dringlich der Eingriff sei. Maßstab des Ob und Wie der Aufklärung sei das zugrundeliegende Selbstbestimmungs- recht des Patienten. Dieses letztlich auf das Menschenrecht der persönlichen Freiheit zurückzuführende Recht hob auch der Wiener Patientenanwalt Pro- fessor Dr. Viktor Pickl hervor.
Ethische Aufklärung
Zur ethischen Seite der Auf- klärungspflicht nahm der wissenschaft- liche Leiter des Symposiums und stell- vertretende GRPG-Vorsitzende, Pro- fessor Dr. jur. Erwin Deutsch, Stellung:
„Ethisch hat die Aufklärung stets Pro- bleme bereitet.“ Deutsch fragte, ob es notwendig sei, 100 Patienten über ein mögliches Risiko in Angst zu verset- zen, wenn noch nicht einmal eine Per- son statistisch gesehen betroffen wer- de. Gegen das „schillernde Gebilde Aufklärung“ nannte Deutsch zwei häufig von Ärzten und Juristen vorge- brachte Kritikpunkte. Zum einen die Einstufung einer Operation als „Kör- perverletzung“, die nur durch Auf- klärung und Einwilligung rechtmäßig wird; zum anderen den auch mißbräuchlich ausgenutzten Beweis- lastwechsel zwischen Behandlungsfeh- ler und Aufklärungshaftung. Im engli- schen und französischen Recht vermei- de man dieses Problem dadurch, daß der Patient das Fehlen der Aufklärung zu beweisen habe: „Vielleicht sollten wir diesen Weg in Deutschland auch gehen.“ Dr. jur. Horst Kreussler A-432 (28) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 8, 21. Februar 1997
Haftungsrisiko für Ärzte
Aufklärungspflicht von
zunehmender Bedeutung
Ärzte sehen sich heute vermehrt vom Patienten erhobenen Schadenersatz- klagen ausgesetzt, die mit einer Verletzung der Aufklärungspflicht begründet werden. Die Rechtsprechung hat diese Haftung in Schüben weiter ausgebaut.
Dagegen sind bei einem Symposium der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) mit dem Thema „Ärztliche Aufklärung und medizinische Behandlung“ juristische Bedenken vorgetragen worden.
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE