RECHT FÜR DEN ARZT
Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht durch den einen Eingriff empfehlenden, jedoch nicht durchführenden Arzt
Auch ein Arzt, der nur die Auf- klärung des Patienten über die ihm angeratene Operation übernommen hat, kann diesem zum Ersatz des durch die Ope- ration entstandenen Körper- schadens verpflichtet sein, wenn die Aufklärung unvoll- ständig, daher die Einwilligung des Patienten unwirksam war.
Zur Aufklärungspflicht über ein Operationsrisiko, dessen Kom- plikationsdichte zwar gering ist, das aber typisch ist.
Aus den Gründen:
Der Beklagte haftet dem Kläger zwar nicht aus Vertrag, weil er—
dies jedenfalls bei der in dem von der erstbeklagten Stadt be- triebenen Krankenhaus durch- geführten Operation — nicht sein Vertragspartner war, ihm auch nicht aufgrund des mit seiner Krankenkasse geschlos- senen Vertrages Sorgfalt und Aufklärung schuldete. Indessen ist auch er, wenn er den Kläger nicht ausreichend über die Risi- ken der geplanten Operation aufgeklärt hat, für die dann durch keine wirksame Einwilli- gung des Klägers gedeckte Körperverletzung bei der Ope- ration verantwortlich und haftet dem Kläger aus unerlaubter Handlung für die Körperschä- den und die darauf beruhenden Vermögensschäden sowie auf Zahlung eines Schmerzensgel- des nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Das muß auch dann gel- ten, wenn, wie im Streitfall, nicht der operierende Arzt, son- dern ein anderer Arzt die vor der Operation erforderliche Aufklärung des Patienten über- nommen und gegeben hat.
Der Arzt, der seinem Patienten zur Operation rät und ihn im Verlauf eines solchen Gesprä- ches über Art und Umfang so- wie mögliche Risiken dieser Operation aufklärt, übernimmt damit nämlich einen Teil der ärztlichen Behandlung dieses Patienten. Das begründet — wie auch sonst die Übernahme ei- ner ärztlichen Behandlung — seine Garantenstellung gegen- über dem sich ihm anvertrauen- den Patienten; von ihm hat er nun unter Einsatz seines Wis- sens und seiner Fähigkeiten im Rahmen der ärztlichen Behand- lung Gesundheitsgefahren ab- zuwenden (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 — VI ZR 48/78 — VersR 1979, 376).
War er es gewesen, der die ärzt- liche Aufklärung vor der Opera- tion übernommen hatte, so ist er jetzt mitverantwortlich dafür, daß die Einwilligung des Pa- tienten in die Operation wirk- sam ist; dafür sind nicht nur die Ärzte verantwortlich, die den Eingriff vorgenommen haben.
Verletzt er schuldhaft seine ärztlichen Pflichten bei der Auf- klärung, so begeht auch er, wenn andere Ärzte den Patien- ten daraufhin ohne wirksame Einwilligung operieren, tatbe- standsmäßig die so vorgenom- mene rechtswidrige Körperver- letzung und haftet ihm für den daraus entstandenen Körper- schaden. Denn auch in diesem Haftungsbereich gilt der Satz, daß Täter einer unerlaubten Handlung nicht nur der ist, der den Geschädigten unmittelbar verletzt, sondern auch der, der dessen Verletzung mittelbar verursacht hat (vgl. allgemein zur zivilrechtlichen Verantwort-
lichkeit bei ärztlicher Teamar- beit Westermann NJW 1974, 577 ff.).
Es bedarf daher nicht, wie die Revisionserwiderung meint, der Feststellung, daß sich der Viertbeklagte an der Operation als Mittäter, Anstifter oder Ge- hilfe im Sinne des § 830 BGB beteiligt hatte.
Dabei braucht hier nicht ent- schieden zu werden, ob das auch dann zu gelten hat, wenn ein Arzt, der dem Patienten zu einer Operation geraten und ihn deshalb in ein Krankenhaus eingewiesen hatte, auch die da- für notwendige Aufklärung übernommen hat oder ob er im Einzelfall davon ausgehen darf, die Aufklärung werde im Kran- kenhaus von dem operierenden Arzt oder jedenfalls von einem zum Chirurgenteam des Kran- kenhauses gehörenden Arzt vorgenommen werden (vgl. da- zu aber schon Senatsurteil vom 23. Oktober 1979 — VI ZR 197/78
— VersR 1980, 68, 69 unter 12 a).
Jedenfalls muß im Streitfall, in dem der Viertbeklagte als ein- weisender Arzt zugleich der Chefarzt der chirurgischen Ab- teilung des Krankenhauses war, in dem die Operation durchgeführt werden sollte, seine Garantenstellung gegen- über dem Kläger aus der Über- nahme der ärztlichen Aufklä- rung vor der Operation bejaht werden. Er hat ihn in „sein"
Krankenhaus eingewiesen und ihn dort von „seinen" Ärzten operieren lassen; es kann kei- nen rechtlich erheblichen Un- terschied machen, ob er dem Kläger (schon) in seiner ambu- lanten Praxis, die er neben sei- ner Tätigkeit im Krankenhaus ausübte, zur Operation geraten hatte oder (erst) bei einer Bera- tung in seinem Krankenhaus.
Bundesgerichtshof
— Urteil vom 22. April 1980 — VI ZR 37/79
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2591
RECHT FÜR DEN ARZT
Anmerkung
Der vom 6. Senat des Bundes- gerichtshofs selbst formulierte und oben angeführte Leitsatz läßt die Vermutung aufkom- men, als ob jeder Arzt, der ei- nem Patienten zu einer Opera- tion rät, und in diesem Zusam- menhang eine Aufklärung über die hierfür maßgebenden medi- zinischen Gründe durchführt, dem Patienten gegenüber schadenersatzpflichtig wird, wenn sich bei der Operation ein Operationsrisiko verwirklicht, dessen Komplikationsdichte zwar gering, aber typisch ist und über das der die Operation anratende Arztnicht aufgeklärt hat.
Mit diesem Tenor wurde das Ur- teil des Bundesgerichtshofs auch in der Öffentlichkeit dar- gestellt.
Es hat dementsprechend zu Recht zu einer erheblichen Beunruhigung innerhalb der Ärzteschaft geführt.
Liest man jedoch die oben an- gegebenen Entscheidungs- gründe, so wird die im Leitsatz enthaltene Aussage des Bun- desgerichtshofs doch wesent- lich relativiert.
Voraussetzung für die Haftung des Arztes ist nämlich, daß er die ärztliche Aufklärung über den Eingriff vor der Operation übernommen hatte. Dies war im konkreten Fall schon deswegen zu bejahen, weil der aufklären- de Arzt Chefarzt der Abteilung war, in dem später der Eingriff auch durchgeführt wurde. Bei dieser Sachlage konnten die ihm nachgeordneten Ärzte, die später den Eingriff durchge- führt haben, davon ausgehen, daß der Chefarzt die erforderli- che Aufklärung selbst gegeben hatte.
So verhält es sich jedoch im Normalfall einer Krankenhaus-
einweisung zur Durchführung eines operativen Eingriffs nicht.
Eine solche Einweisung erfolgt vielmehr in den meisten Fällen durch einen in freier Praxis nie- dergelassenen Arzt, der weder an dem Krankenhaus, in das er einweist, tätig ist, noch das Fachgebiet vertritt, in dem die Operation durchzuführen ist.
Von diesem einweisenden Arzt kann grundsätzlich nicht ver- langt werden, daß er über Ope- rationsrisiken aufklärt, die ab- zuwägen er mangels Kenntnis des vom Operateur konkret be- absichtigten Eingriffs gar nicht in der Lage ist.
Im Normalfall muß daher davon ausgegangen werden, daß der niedergelassene Arzt, der sei- nen Patienten zur stationären Behandlung in ein Kranken- haus einweist, damit noch nicht die Aufklärung über die im Krankenhaus durchzuführen- den Behandlungsmaßnahmen übernommen hat.
Diese Aufklärung kann viel- mehr erst dann erfolgen, wenn feststeht, welche konkreten Behandlungsmaßnahmen im Krankenhaus beabsichtigt sind.
Die dann erforderliche Aufklä- rung obliegt dem Krankenhaus- arzt.
Der niedergelassene Arzt schul- det daher im Normalfall ledig- lich Aufklärung darüber, warum er einen Patienten in stationäre Behandlung einweist. Hiervon muß auch der Krankenhausarzt ausgehen, d. h. er darf sich nicht darauf verlassen, daß der niedergelassene Arzt bereits über die Risiken eines Eingrif- fes aufgeklärt hat, deren Vor- nahme von ihm selbst erst be- schlossen wurde.
Etwas anderes kann sich auch nicht aus dem in den Entschei- dungsgründen zitierten Senats- urteil vom 23. Oktober 1979 er-
geben. Auch hier handelt es sich um einen atypischen Fall.
Ein Hausarzt hatte eine Patien- tin zur Blinddarmoperation überwiesen, ohne dem Kran- kenhaus die Gründe für die Überweisung mitzuteilen. Er war davon ausgegangen, daß die Operation allein auf Grund der Krankenhauseinweisung durchgeführt werde.
Geht der Arzt selbst davon aus, daß im Krankenhaus keine wei- teren Untersuchungen erfol- gen, sondern ein Eingriff allein auf Grund seiner Überweisung durchgeführt wird, so schuldet er selbstverständlich dem Pa- tienten die für die Durchfüh- rung des Eingriffs erforderliche Aufklärung.
Dem 6. Senat des Bundesge- richtshofs muß der Vorwurf ge- macht werden, daß durch eine zumindest für den Arzt mißver- ständliche Formulierung des Leitsatzes in unnötiger Weise Unruhe und Rechtsunsicher- heit in die Ärzteschaft getragen wurde.
Dem Arzt, der eine Kranken- hauseinweisung vornimmt, ist in jedem Falle zu empfehlen, den Patienten darauf hinzuwei- sen, daß -die Aufklärung über die von den Krankenhausärz- ten konkret beschlossenen Behandlungsmaßnahmen im Krankenhaus erfolgen wird.
Die Krankenhausärzte sollten ihrerseits nicht davon ausge- hen, daß durch die genannte Entscheidung des Bundesge- richtshofs die ihnen obliegende Verpflichtung zur Aufklärung des Patienten über die von ei- nem niedergelassenen Arzt an- geratene Operation einge- schränkt oder gar beseitigt worden wäre.
Dr. jur. Rainer Hess Rechtsanwalt
Haedenkampstraße 3 5000 Köln 41 (Lindenthal)
2592 Heft 44 vom 30. Oktober 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT