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Archiv "Behandlungsfehler: Worauf Ärzte achten müssen" (09.07.1999)

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it der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach zwei Gynäkologen eines Behandlungsfehlers für schuldig befunden wurden, weil in einem Fall eine unerwünschte Schwangerschaft trotz Samenleiterunterbrechung, im anderen Fall ein behindertes Kind zur Welt gekommen war, sind die rechtli- chen Aspekte des ärztlichen Han- delns wieder stärker in die Diskussion geraten. Die Verfassungsrichter sahen in den beiden beschriebenen Fällen einen Sachschaden. Fernsehmagazine berichten von angeblichem „Ärzte- pfusch“.

Rechtliche Grundlagen

Jede ärztliche Handlung und Be- handlung unterliegt einem für beide Seiten verbindlichen privatrechtli- chen Behandlungsvertrag, auch wenn dieser nicht als solcher formuliert oder schriftlich fixiert wird. Dieser Vertrag tritt mit dem erstmaligen ärzt- lichen Gespräch und dem Austausch persönlicher Informationen und Da- ten in Kraft, er ist von beiden Seiten jederzeit kündbar. Im Gegensatz zu der Vereinbarung mit einem Hand- werker oder Lieferanten beruht die Vereinbarung jedoch nicht auf einer Erfolgsgarantie. Während jeder Bür- ger zum Beispiel sein Rundfunkgerät mit garantiert einwandfreier Funkti- on von einer Reparatur zurücknimmt, im Zweifelsfall aber bei berechtigter Reklamation eine Bezahlung verwei- gert, kann der Patient nicht von einer Erfolgsgarantie für die gewünschte Behandlung seiner Erkrankung oder Befindlichkeitsstörung ausgehen.

In welcher Form, mit welchem Ziel und in welchen Zeiträumen eine Behandlung verlaufen soll, welche dia-

gnostischen Voraussetzungen zuvor er- füllt werden müssen, bedarf der Ver- einbarung im Einzelfall. Hier sind manche Patienten nicht genügend dar- über informiert, daß sie durchaus ein Mitspracherecht haben, insbesondere im Hinblick auf eine Begrenzung wünschenswerter diagnostischer Maß- nahmen, die manchmal nicht nur bela- stend, sondern nicht selten auch mit Risiko behaftet sind. Andererseits steht dem Patienten bis heute noch nicht das Recht zu, im Einzelfall dar- über zu entscheiden, was alles an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen ausgeführt wird. Hier sind nicht nur technische und ethische, sondern auch materielle Grenzen ge- setzt, auch wenn die Krankenkassen heute aufgrund der derzeitigen Ge- setzgebung sogar für Behandlungsme- thoden aufkommen, die in den Bereich paramedizinischer Verfahren einzu- ordnen sind, zum Beispiel Homöopa- thie und anthroposophische Medizin.

Jeder körperliche Eingriff, also auch eine Venenpunktion oder ein operativer Eingriff, bedeutet im rechtlichen Sinn eine Körperverlet- zung. Rechtmäßig und damit straffrei ist ein solcher Eingriff, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

c begründete Indikation;

c Sachgerechte, sorgfältige, scho- nende Ausführung des Eingriffs;

c umfassende, sachgemäße Auf- klärung des Patienten;

c Einwilligung des Patienten.

Hervorzuheben ist, daß die Auf- klärung des Patienten nur dann fachge- recht und umfassend ist, wenn in die- sem Gespräch, das nicht unter Zeit- druck und zum Beispiel auch nicht erst unmittelbar vor einem operativen Ein- griff erfolgen kann, auch auf anderwei- tige diagnostische oder therapeutische Verfahren hingewiesen wird, die noch

in Frage kommen, sei es, daß sie weni- ger oder mehr für den Patienten an Be- lastung nach sich ziehen würden. Da- bei ist selbstverständliche Vorausset- zung für die fachgerechte Aufklärung, daß der Therapeut die hierfür notwen- dige Qualifikation, umfangreiche Er- fahrung mit den geplanten Eingriffen und wissenschaftliche Kenntnisse über Grundlagen und Folgen der Maßnah- men besitzt.

In besonderen Fällen, vor allem bei einem Unfallgeschehen, bei Be- wußtlosigkeit und Abwesenheit von Angehörigen, kann eine „Geschäfts- führung ohne Auftrag“ in Kraft tre- ten, wenn Gefahr im Verzug und eine entsprechende vertragliche Vereinba- rung nicht möglich ist.

Strafrechtliche Bewertung

Verläuft eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme nicht nach der Regel, führt sie zu einer sofortigen oder späteren Schädigung des Patien- ten, so muß ein Behandlungsfehler festgestellt werden. Dabei handelt es sich stets um ein „Antragsdelikt“. Falls tatsächlich ein schuldhaftes Verhalten des Therapeuten vorliegt, wird es sich in der Regel um eine Fahrlässigkeit handeln, die nach § 230 StGB straf- rechtlich verfolgt werden kann. Da- bei unterliegen einer strafrechtlichen Würdigung allerdings nicht nur opera- tive oder diagnostische Eingriffe, son- dern auch ein Fehlverhalten durch Un- terlassung geeigneter und notwendiger Maßnahmen. Hat der Therapeut also beispielsweise eine Krebserkrankung wegen mangelhafter Diagnostik nicht erkannt oder nicht nach den Erfah- rungsgrundsätzen der Schulmedizin fachgerecht, rechtzeitig und ausrei- chend behandelt, so kann ein Thera- A-1825 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999 (29)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Behandlungsfehler

Worauf Ärzte achten müssen

Der folgende Beitrag befaßt sich mit den Grundlagen der Behandlung und stellt mögliche Konsequenzen ärztlicher Fehlleistungen aus neuerer Sicht dar.

M

Hans Hermann Marx

(2)

peut, der sich auf eine nicht anerkann- te, unwirksame, manchmal sogar be- sonders aufwendige und kostspielige Behandlung stützte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Dies ist vor allem dann realistisch, wenn der Therapeut es bewußt unterlassen hat, den Patienten über die Möglichkeiten von Behandlungen aufzuklären, die er selbst nicht praktiziert.

Einer speziellen Wertung obliegt die Frage, ob und inwieweit sich auch Mitarbeiter des behandelnden Arztes schuldig machen können, die mit der Ausführung diagnostischer oder the- rapeutischer Maßnahmen beauftragt wurden. Im Rahmen des Kranken- hauses wird für solche Behandlungs- fehler im allgemeinen der Kranken- hausträger, in der Praxis eines nieder- gelassenen Arztes dieser haftbar zu machen sein. Daß jeder Arzt deshalb in bezug auf seine Haftpflicht ausrei- chend versichert sein muß, ist heute eine Selbstverständlichkeit.

Wird vom Patienten oder seiner lnteressenvertretung ein Behand- lungsfehler vermutet und angezeigt, so ist es zweckmäßig, zunächst die bei den Landesärztekammern gebildeten Gutachterkommissionen einzuschal- ten, die Wesentliches zur Aufklärung von Zweifelsfällen beitragen und un- ter Umständen ein Gerichtsverfahren überflüssig machen können. Diese Kommissionen haben sich bewährt, sie treten allerdings nur dann in die Verhandlungen ein, wenn es noch nicht zu einem Gerichtsverfahren ge- kommen ist. Die Kommission kann auch einen Gutachter benennen, des- sen Tätigkeit zur beidseitigen Kosten- ersparnis beiträgt. Zur Beantwortung der Frage, ob im speziellen Fall tatsächlich ein ärztlicher Behand- lungsfehler vorliegt, ist folgendes zu klären:

¿ Ist die Behandlung nach allge- meinen Erfahrungen, also fachge- recht, ausgeführt worden, war der ein- getretene Verlauf voraussehbar, war die angewandte Methodik der Regel entsprechend?

À Wer war an den Maßnahmen beteiligt, war die Überwachung des Patienten gewährleistet, wurden die unmittelbaren Folgen des Eingriffs fachkundig gewertet?

Á Wurde der Ablauf der Maß- nahmen lückenlos dokumentiert, lie-

gen alle notwendigen Befunde und Aufzeichnungen vor?

 War der Patient adäquat auf- geklärt, wußte er auch von anderwei- tig möglichen Maßnahmen oder von Spezialisten und Einrichtungen, die dem gegebenen Ziel anders hätten ge- recht werden können?

à Kann ein kausaler Zusammen- hang zwischen ärztlichem Eingriff und nachfolgendem Behandlungsschaden

„mit an Sicherheit grenzender Wahr- scheinlichkeit“ nachgewiesen werden?

Die Kausalitätsfrage ist schwierig und oft nicht ganz eindeutig zu beant- worten, wenn ein größeres Zeitinter- vall zwischen angeschuldigtem Ereig- nis und nachfolgendem körperlichen Schaden besteht, manchmal Jahre.

Diese Schwierigkeit besteht auch bei Gesundheitsschädigungen, die durch sehr unterschiedliche Einflüsse aus- gelöst werden können.

Kommt es nicht zu einer gütli- chen Verständigung zwischen Patient und Therapeut, wird meist ein Fach- gutachten zu erstellen sein. Diese Aufgabe stellt eine besondere Verant- wortung für den als Gutachter beauf- tragten Arzt dar, der fachgerecht, un- abhängig, wissenschaftlich begründet, gegenstandsbezogen und zeitgerecht sein Urteil schriftlich niederlegen muß. Dabei ist die Auswahl des Gut- achters, die im allgemeinen vom Ge- richt getroffen wird, vom Patienten aber beeinflußt werden kann, von er- heblicher Bedeutung.

Für das Gericht gilt als allgemei- ne Regel, daß der Kläger beweis- pflichtig ist. Heute sind die Gerichte allerdings bemüht, für beide Parteien eine Art „Waffengleichheit“ herbei- zuführen, woraus in Einzelfällen eine Umkehr der Beweislast folgt. In sol- chen Fällen muß nicht mehr der Pati- ent den Behandlungsfehler seines Arztes, sondern der Arzt nachweisen, daß er nicht fahrlässig und entgegen der Sorgfaltspflicht gehandelt hat.

Zivilrechtliche Bewertung

Hierbei handelt es sich nicht um eine Bestrafung, sondern um ei- nen Schadensersatz, der fällig wird, wenn über die Kausalitätsfrage ein- deutig entschieden wurde. Dauer, Verlauf und Ergebnis eines solchen

Verfahrens hängen unter anderem davon ab, ob der Therapeut sich gesprächsbereit und verständnisvoll gezeigt hat, auch das Verhalten der Haftpflichtversicherung ist hier von wesentlicher Bedeutung. Immer wieder wird darüber geklagt, daß manche Haftpflichtversicherungen die Verfahren bewußt lange hin- auszögern und den Beschädigten damit materielle und zeitliche Verlu- ste zufügen. Ob „Patientenschutz- verbände“ oder „Patientenanwälte“

grundsätzlich geeignet sind, diese Schwierigkeiten zu mindern, oder ob hier sogar ein erheblich größerer Aufwand an Zeit und Geld resultiert, bleibt Ansichts- und Erfahrungs- sache.

Wenn der Therapeut zur Zah- lung eines Schmerzensgeldes verur- teilt wird, so hat dies eine Art „Ge- nugtuungsfunktion“, womit Schmer- zen, auch seelischer Art, und all- gemeine Beeinträchtigungen der Le- bensqualität ausgeglichen werden sollen. Hingewiesen sei noch darauf, daß der Anspruch auf Schmerzens- geld seit 1990 vererbbar, also auch für die Angehörigen verfügbar gewor- den ist.

Sollten Haftpflichtprozesse nach Zahl und Umfang zunehmen, so be- steht die Gefahr, daß manche Ärzte zu einer „Defensivmedizin“ überge- hen. Aber wenn es zutrifft, daß bei uns die moderne Medizin heute reglementiert, stranguliert, budge- tiert, einseitig juristifiziert und im- mer öfter durch obskure Methoden mißbraucht wird, um bestimmten Dogmen und Ideologien zum Durch- bruch zu verhelfen, so entfernt sich die Ärzteschaft immer weiter von ei- nem Berufsbild, das als „ärztliche Kunst“ mit wissenschaftlicher Ver- antwortung und Redlichkeit defi- niert war, und dies muß geschützt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1825–1826 [Heft 27]

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Hans Hermann Marx Florentiner Straße 20/6050

70619 Stuttgart A-1826 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999

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