Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzt sein und dennoch rauchen?
daß wir spezifische Gründe für sei- nen besonderen Fall angeben kön- nen, halte ich es nicht für gerecht- fertigt, jedem Raucher die Einstel- lung des Rauchens mit ärztlicher Autorität anzuraten, auch wenn der Betreffende nicht an einer auf das Rauchen zurückführbaren Krank- heit leidet. Wenn, wie Prof.
Schmidt zitiert, jeder 6. Krankheits- fall eine Folge des Rauchens ist, aber jeder zweite erwachsene Bun- desbürger raucht, so müßte man doch zunächst einmal feststellen, daß die Mehrzahl der Raucher kei- nen Schaden durch das Rauchen nimmt.
Mit diesen Bemerkungen will ich nicht etwa das Rauchen propagie- ren oder eine Aufklärung über sei- ne Gefahren als unnötig bezeich- nen, aber ich wehre mich ge- gen die Pauschalierung, die unser ungenügendes Wissen verschlei- ert.
Ich halte es für eine ärztliche Hy- bris, jedem Raucher mittels ärztli- cher Autorität seinen Rauchgenuß zu vergällen und dann gar — in- dem man den Spieß herumdreht — daraus die Forderung zu konstru- ieren, daß Ärzte nicht rauchen sol- len, um als Vorbild akzeptiert zu werden.
Logischerweise müßte Professor Schmidt dann eigentlich auch das Übergewicht oder den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen im Ur- laub als „nicht standesgemäß"
brandmarken, denn Übergewicht ist bekanntlich ebenfalls ein Risi- kofaktor, und der Urlaub ist zur Er- holung und zum Abschalten da und nicht dazu, Stunden und Tage in verdunkelten Kongreßsälen zu ver- bringen. Da der übergewichtige Arzt aber seinen Bauch nicht so leicht verstecken kann wie der Raucher die Zigarette, müßte Prof.
Schmidt, der dem Arzt das Rau- chen ja nur in der Öffentlichkeit untersagen will, übergewichtigen Kollegen wohl empfehlen, ihre Tä- tigkeit auf telefonische Ratschläge zu beschränken und sich in der Öf- fentlichkeit nicht mehr blicken zu lassen.
Daß das Rauchen während jeder beruflichen Tätigkeit, bei der man auch mit Nichtrauchern zu tun hat, die sich dadurch belästigt fühlen könnten, an ihr Einverständnis ge- bunden werden sollte — auch wenn sie in der Minderheit sind —, ist eine Frage der Höflichkeit.
Wenn es eine Zigarette ohne Rauch gäbe, die den anderen nicht belästigt, wären die Rauchgegner in ihrer Argumentation wahrschein- lich genauso sachlich wie die Geg- ner der Übergewichtigkeit.
Ist die Anerkennung eines Arztes durch seine Patienten wirklich da-
von abhängig, ob sein Lebenswan- del unter der Maxime der Gesund- heit steht? Dann sollten manche Kollegen wohl auch ihren 16stündi- gen Arbeitstag, mit dem sie sich gerne brüsten, besser schamhaft verschweigen! Nein, ich glaube, der mündige Bürger, zu dem der Staat uns machen will, erwartet vom Arzt eine sachliche Beratung, ein persönliches Engagement und eine fachkundige Behandlung, aber nicht das Verhalten eines mo- ralisierenden Gesundheitsapostels.
Ist das Rauchen (und das Überge- wicht) erst einmal für Ärzte als nicht standesgemäß erklärt, so sehe ich am Horizont schon ein ge- nerelles staatliches Rauchverbot und weitere Eingriffe in die Indivi- dualsphäre, bis wir eine ebenso perfekte wie sterile Lebensqualität erreicht haben.
Dr. Udo Smidt 413 Moers Filderstr. 133
Aktivierung
der Standesvertretung?
... Sowohl in meiner dienstlichen Eigenschaft als auch privat identifi- ziere ich mich voll mit diesen Ge- dankengängen, Vorstellungen und Forderungen und bin jederzeit be- reit, dies zu unterstützen. Meines Erachtens sollte auch die Standes- vertretung der deutschen Ärzte- schaft in diesem Sinne aktiv wer- den, damit wir unsere Glaubwür- digkeit behalten und bewahren können.
Dr. Bauer
Leitender Medizinaldirektor Rheinland-Pfalz
672 Speyer Eichendorffstr. 8
Der Staat verdient
... Ich möchte den Artikel von Pro- fessor Schmidt voll unterstreichen:
Das Zigarettenrauchen wird noch immer mit staatlicher Lizenz propa- giert (riesige Reklamen, die Millio- nen DM kosten und schließlich Mil- lionen an Steuergeldern einbrin- gen), obgleich es keine Krankheits- ursache gibt, die in vergleichbarem Ausmaß die Gesundheit schädigt, wie das Zigarettenrauchen. In ca.
97 Prozent aller „jugendlichen Herz- infarkte" (d. h. vor dem 60. Le- bensjahr) ohne arteriellen Hyperto- nus, Diabetes oder schwere Fett- stoffwechselstörung, ist das Ziga- rettenrauchen die wesentliche Ur- sache der koronaren Mangeldurch- blutung.
Es stimmt auch nicht, daß Frau- en durch ihre Sexualhormone geschützter seien. Wir haben zahl- reiche Frauen mit Herzinfarkt in den letzten Jahren behandelt, die jünger als 50 Jahre waren. Nicht eine einzige war Nichtraucherin!
Analoges gilt für die Arteriosklero- se der Bein- und Fußarterien sowie die Halsschlagadern, in etwas ge- ringerem Maße auch für die Hirnar- terien. ... Nun noch einen Tip:
Wenn Patienten auf andere Perso- nen hinweisen, denen das Rauchen ja nicht geschadet habe, so ant-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 20. November 1975 3271
Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Arzt sein und dennoch rauchen?
worte ich stets, daß ich auch Men- schen kenne, die einen Flugzeug- absturz oder einen Sprung aus dem 3. Stockwerk überlebten. Nie- mand weiß jedoch vorher von sich selbst, ob er zu den wenigen Glücklichen zählen wird, die das Rauchen tolerieren, ohne Schaden zu nehmen.
Prof. Dr. U. Gottstein
Chefarzt der medizinischen Klinik des Bürgerhospitals
6000 Frankfurt (Main) Nibelungenallee 37-41
Wissenschaftliche Fakten werden unterlaufen
Auch ich unterstütze die Arbeit des
„Ärztlichen Arbeitskreises Rau- chen und Gesundheit e. V." seit seiner Gründung in Mannheim im Februar 1971. ... Bedenklicher stimmt mich das Verhalten eines Teils der Ärzteschaft, das unsere wissenschaftlich untermauerten Aussagen über die Schädlichkeit des starken Rauchens unterläuft, indem diese Ärzte sich selbst als Viel- oder Dauerraucher produ- zieren.
In diesem Zusammenhang finde ich die Bemerkung einer Patientin zu- treffend, die von einem Kollegen wegen einer Suchtkrankheit begut- achtet wurde; dieses Gutachten focht sie an, weil der Gutachter selbst bei der Untersuchung rauchte und sich damit in ihren Augen als abhängig gezeigt habe. Ärzte, die in der Praxis rauchen oder in der Öffentlichkeit als Dauerraucher agieren, machen sich und uns un- glaubwürdig.
Dr. Gottfried Tourneur 4775 Lippetal-Herzfeld Lippborger Str. 15
Einstellung der Ärzte ändern!
... Schmidt und dem von ihm ge- gründeten „Ärztlichen Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit" gebührt die volle Unterstützung aller derer,
denen das öffentliche Wohl angeb- lich oder tatsächlich am Herzen liegt. Die Ärzteschaft, seit gerau- mer Zeit auf die Glaubwürdigkeit ihres Mottos „Salos aegroti — so- prema lex!" durchleuchtet, ist da in erster Linie aufgerufen. Peinlich im Sinne des Anspruchs bezüglich Ethik und Fortbildungsstand der Ärzteschaft sind Bemerkungen von Laien, die ich auf die Schädlichkeit ihrer Rauchgewohnheiten aufmerk- sam mache: „Das sagen Sie mal Ihrem Kollegen, der raucht wie ein Schlot!"
Oder noch beschämender, neben dem schlechten Beispiel die ver- bale Verharmlosung als Ausdruck der eigenen Insuffizienz von seiten rauchender Kollegen gegenüber Patienten und sonstigen Zeit-
genossen: „Ach, wissen Sie, das mit dem Rauchen wird ja auch völ- lig übertrieben!" Ich bin im übrigen sehr gespannt, wie lange noch die öffentlichen Stellen, der Fiskus und Versicherungsträger, angesichts der zunehmenden sozialökonomi- schen Belastungen durch das Heer der Bronchitiker und Herzinfarkt- patienten mit drastischen Konse- quenzen warten. Egal, der Appell
Schmidts muß zuerst Einstellung und Verhalten der Ärzte ändern.
Dr. med. Hans-Joachim Tepe 5000 Köln 91
Postfach 94 01 66
Auch Gewerkschaftsfunktionäre sollen Vorbild sein!
... Von Jahr zu Jahr erfährt die Öf- fentlichkeit mehr und mehr das In- teresse des Deutschen Gewerk- schaftsbundes in den Bereichen der Sozialversicherung und weiter- schreitend in den Bereichen der Gesundheitspflege. Stellenweise versteht sich der Deutsche Ge- werkschaftsbund auch schon als Vertreter der „nicht organisierten"
Kranken, für die er glaubt, Refor- men zugunsten der Versicherten einführen zu müssen, wie er sie sich vorstellt. Bei diesem Bestre .- ben vermisse ich, daß der DGB das unsoziale Verhalten der Versicher- ten anprangert, die sich die „Frei- heit" nehmen, zu rauchen und da- mit sich selbst und indirekt die Versichertengemeinschaft zu schä- digen! Völlig unbestreitbar und je- dem Gewerkschaftsfunktionär be- kannt ist doch die Tatsache, daß Krankheitsanfälligkeit, Krankheits- verschlechterung, Erholungsverzö- gerung, Arbeitsunfähigkeit bis zur Erwerbsunfähigkeit auf Dauer und schließlich Tod mit der schweren Belastung der Hinterbliebenenver- sorgung den Rauchern anzulasten sind. Wie schon ausgeführt, wäre bei dieser Lage nicht nur das mah- nende Wort des DGB, das Rauchen aufzugeben, nötig, sondern das Vorbild wäre erforderlich! Das heißt ganz deutlich: In den Büros der Gewerkschaften, in Gewerk- schaftsversammlungen, in Be- triebsversammlungen und in Schu- lungskursen sollte das Rauchen als gesundheitsschädlich und bela- stend für die Sozialversicherung ausfallen. Eine soziale Verpflich- tung, kein Verbot! Ist das zuviel verlangt? Die Gewerkschaften kön-
nen doch nicht immer bloß Rechte fordern. Ich habe mich gefragt, ob nach der Herkunft und nach der Be-
3272 Heft 47 vom 20. November 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT