DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 35 vom 1. September 1977
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Rauchen
während der Schwangerschaft
Günter Mau
Abteilung Allgemeine Pädiatrie der Universität Kiel (Leiter: Professor Dr. Hans-Rudolf Wiedemann)
Neugeborene rauchender Mütter sind deutlich leichter als die von nicht rauchenden Frauen. Die Gewichtsminde- rung ist nicht durch eine Ver- kürzung der Tragzeit, sondern durch ein reduziertes fetales Wachstum zu erklären. Die Ur- sache dafür ist nicht sicher bekannt. Die Kinder scheinen relativ lange zu brauchen, um das Defizit auszugleichen. Das perinatale Risiko muß bei die- sen Kindern höher angesetzt werden.
Trotz eines sich wandelnden Be- wußtseins über die Gefahren des Rauchens ist unverändert mit einer relativ großen Zahl rauchender Schwangerer zu rechnen, da die Häufigkeit des Zigarettenkonsums sowohl bei Männern wie auch bei Frauen in den Altersstufen der 20- bis 35jährigen ihren Gipfel erreicht.
Durch die Besonderheiten während der Schwangerschaft wird das un- geborene Kind einer rauchenden Mutter zwangsläufig zum „Passiv- rauchen" verurteilt und somit der potentiellen Noxe Zigarettenrauch ausgesetzt.
Im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getrage- nen prospektiven Studie „Schwan- gerschaftsverlauf und Kindesent- wicklung" wurde unter anderem auch der Einfluß der elterlichen Rauchgewohnheiten auf das Kind geprüft. An dieser Studie waren je 18 deutsche Frauen- und Kinderklini- ken beteiligt.
Die Schwangeren wurden bereits während des 1. Trimenons in die Studie aufgenommen, so daß eine verläßliche Anamnese erhoben wer- den konnte. Der weitere Schwanger- schaftsverlauf wurde anschließend im Abstand von vier Wochen kon- trolliert. Die Untersuchungen der Kinder erfolgten bei Geburt und im Alter von 6 Wochen, 9, 18 und 36 Monaten.
Geburtsgewicht
Seit längerem ist bekannt, daß Kin- der rauchender Schwangerer häufi- ger untergewichtig sind, im Durch- schnitt wiegen sie 150 bis 250 g we- niger als solche von Nichtrauche- rinnen.
Bei entsprechender Differenzierung zeigt sich, daß die Tragzeit im Mittel nur um 1 bis 2 Tage gegenüber den entsprechenden Kontrollfällen ver- kürzt ist. Die Gewichtsminderung ist vielmehr vorwiegend auf ein redu- ziertes fetales Wachstum zurückzu- führen, das heißt, Kinder von Rau- cherinnen sind relativ für ihre Trag- zeit zu leicht.
Es handelt sich somit um pränatal hypotrophe Neugeborene (= Man- gelgeborene). Wird das Kind einer rauchenden Schwangeren — aus welchem Grund auch immer — zu früh geboren, ist mit einer zusätzli- chen Gewichtsminderung durch diese pränatale Hypotrophie zu rechnen.
Der Grad und die Häufigkeit der Hy- potrophie hängen eindeutig von der Zahl der gerauchten Zigaretten ab, wie auch die eigenen Untersuchun- gen zeigen (Tabelle 1). Stellt die werdende Mutter frühzeitig ihren Konsum ein oder reduziert ihn zu- mindest auf einige wenige Zigaret- ten pro Tag, kann sie mit einem nor- malgewichtigen Kind rechnen. >
2115
8,4% von 5024 keine oder gelegentl.
11,0% von 420 1-5
Tabelle 1: Frequenz hypotropher Neugeborener (Geburtsgewicht unter der 10. Perzentile) und Zigarettenkonsum der Mutter
täglicher Zigarettenkonsum hypotrophe Neugeborene
14,1% von 347 16,7% von 245 6-10
über 10 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Schwangerschaft und Rauchen
Ursachen
Aufgrund vielfacher Untersuchun- gen kann heute eine direkte Auswir- kung des Zigarettenrauchens auf das fetale Wachstum als gesichert betrachtet werden. Der Mechanis- mus dieser Schädigung ist aller- dings zur Zeit noch nicht befriedi- gend erklärt. So wurde beispielswei-
se die bei Rauchern erhöhte CO- Konzentration des Blutes ange- schuldigt, vor allem da der CO-Ge- halt im fetalen Blut höher als im mütterlichen zu liegen scheint. Aber auch die Auswirkungen eines erhöh- ten Thiocyanat-Spiegels auf den Vit- amin-B 12 -Stoffwechsel sind disku- tiert worden.
Schließlich lassen sich durch Ziga- rettenrauch, wohl vorwiegend über die pharmakologische Wirkung des Nikotins, fetale Tachykardien und Verminderungen der fetalen Atem- exkursionen provozieren, wobei die uteroplazentare Durchblutung sich jedoch wenig zu ändern scheint.
Für einen direkten Angriff und nicht, wie sonst so häufig via Plazenta, könnte auch die Tatsache sprechen, daß die Plazenten betroffener Kinder kaum leichter sind als normalerwei- se (allerdings dabei etwas häufiger Plazentainfarkte zeigen).
Die von einigen Autoren geäußerte Vermutung, daß die Reduktion der Geburtsgewichte lediglich über eine Verminderung der Nahrungsaufnah- me der Schwangeren zu erklären sei, konnten wir anhand des Mate- rials der Studie widerlegen.
Perinatale Sterblichkeit
Die Frage, wieweit das Rauchen ne- ben den Geburtsgewichten auch die perinatale Sterblichkeit beeinflußt, ist weniger klar zu beantworten. Ver- schiedene Autoren fanden eine Er- höhung der Mortalitätsrate, und zwar vor allem der Totgeburten, an- dere nicht. Diese Diskrepanz ist häu-
figer Gegenstand von Diskussionen gewesen. Die Ursache der unter- schiedlichen Ergebnisse dürfte vor allem in abweichenden Materialzu- sammensetzungen zu suchen sein.
Auch im Kollektiv der prospektiven Studie fand sich bei einer globalen Betrachtung keine eindeutige Erhö- hung der perinatalen Sterblichkeit bei den Kindern rauchender gegen- über denen nichtrauchender Mütter.
Eine zumindest teilweise Erklärung liegt neben einer etwas anderen Al- tersstruktur vermutlich darin, daß Risikoschwangere aus Vorsicht nicht rauchen, es schließlich aber trotz ihrer Abstinenz eben wegen des vorliegenden Risikos (frühere Aborte und untergewichtige Kinder, Krankheiten usw.) häufiger zu einem perinatalen Todesfall kommt. Zu- mindest stellt die Gruppe der gele- gentlichen Raucherinnen, deren Kinder die niedrigste Mortalitäts- quote aufweisen, auch die Gruppe mit den geringsten Risikofaktoren auf anderen Gebieten dar.
Frauen mit einem starken Zigaret- tenkonsum weisen demgegenüber höhere kindliche Sterberaten als Gelegenheits- und auch als Nicht- raucherinnen auf.
Wieweit in diesem Zusammenhang dem Befund, daß rauchende Schwangere etwas seltener eine EPH-Gestose zu entwickeln schei- nen, eine Bedeutung zukommt, ist zur Zeit noch schwer abzuschätzen.
Denkbar erschiene es jedoch durch- aus, daß bei Raucherinnen eine Ver- minderung der Gestosesterblichkeit resultiert.
Wenn die Befunde bezüglich der Neugeborenensterblichkeit auch nicht so eindeutig sind wie bei der Reduktion der Geburtsgewichte, so muß doch insgesamt von einem hö- heren Risiko für die Kinder rauchen- der Mütter ausgegangen werden.
Mißbildungen
Untersuchungen zur Frage der Miß- bildungshäufigkeit existieren nur wenige. Wir selbst fanden wie die meisten anderen Autoren keine Ver- mehrung von Malformationen bei den Probanden.
Weitere Entwicklung
Die Entwicklung von Kindern rau- chender Mütter scheint mit einer ge- ringen Verzögerung zu verlaufen, im wesentlichen dürfte diese mit dem Schulalter ausgeglichen sein. Im Rahmen einer großen englischen Studie war allerdings nach 11 Jah- rem immer noch ein dezenter Unter- schied im Wachstum und der intel- lektuellen Entwicklung nach- weisbar.
Literatur
American Academy of Pediatrics: Effects of cigarette-smoking an the fetus and child.
Pediatrics 57 (1976) 411-413 — Hytten, F. E.:
Smoking in pregnancy Develop. Med. Child.
Neurol. 15 (1973) 355-356 — Mau, G.: Rauchen und Schwangerschaft. Die Bedeutung der el- terlichen Rauchgewohnheiten für das ungebo- rene und neugeborene Kind. Med. Welt 26 (1975) 28-30 — Mau, G.: Genußmittelkonsum während der Schwangerschaft — Bedeutung für das Kind. Gynäkologe 10 (1977) 45-48.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Günter Mau Universitäts-Kinderklinik Fröbelstraße 15/17 2300 Kiel
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