722 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 42|
21. Oktober 2011M E D I Z I N
senschaftlich evaluiert werden, damit ihre positiven und negativen Effekte bekannt sind und bei der Be- handlung der Patienten berücksichtigt werden kön- nen. Weil sich die Patienten, die in ein DMP aufge- nommen werden, von denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer nicht daran teilnehmen, allein schon aufgrund der gesetzlichen Vorgaben unter- scheiden müssen, kann eine Evaluation der DMP-Ef- fekte zuverlässig nur in einer prospektiven randomi- sierten kontrollierten Studie (RCT) erfolgen. Leider war es trotz vorliegender Konzepte und Studienpro- tokolle für die Verantwortlichen nicht möglich, die Einführung der DMPs im Jahr 2002 so zu gestalten, dass sie von einer solchen validen Evaluation beglei- tet werden. Linder et al. versuchen nun, mit dem me- thodischen Konzept des Propensity-Score-Ansatzes Effekte des DMP Diabetes mellitus Typ 2 zu be- schreiben (1). Dies misslingt aber, weil die Ver- gleichsparameter zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe nicht fair verteilt sind. Die Methode der retrospektiven Kontrollgruppenbildung ist anfällig für den sogenannten „sponsor bias“, bei dem die Ergebnisse einer Studie bewusst oder un - bewusst in die vom Sponsor gewünschte Richtung verzerrt werden (2). Da eine prospektive Evaluation der DMPs im Rahmen eines RCT wohl nicht mehr er- folgen wird, werden auch zukünftige DMP-Evalua- tionen verzerrungsanfällige Methoden anwenden müssen. Um hier den „sponsor bias“ zu minimieren, sollten solche Evaluationen gemeinsam von Kran- kenkassen, die an einem „positiven“ Ergebnis und Krankenkassen, die an einem „negativen“ Ergebnis interessiert sind, getragen und von einer unabhängi- gen Stelle durchgeführt werden.
DOI: 10.3238/arztebl.2011.0721c
LITERATUR
1. Linder R, Ahrens S, Köppel D, Heilmann T, Verheyen F: The benefit and efficiency of the disease management program for type 2 diabe- tes. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(10): 155–62.
2. Bekelman JE, MPhil YL, Gross CP: Scope and impact of financial conflicts of interest in biomedical research. JAMA 2003, 289:
454–65.
Prof. Dr. med. Peter T. Sawicki Universitätsklinik Köln
Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE), Köln peter.sawicki@uk-koeln.de
Interessenkonflikt
Prof. Sawicki war an der Entwicklung des DMP Typ-2-Diabetes und an der Er- stellung des RCT-Studienprotokolls beteiligt.
Kollektiv nicht repräsentativ
Linder et al. vergleichen in das DMP Diabetes mellitus Typ 2 eingeschriebene und nicht eingeschriebene TK- Versicherte. Aufgrund ähnlicher Befunde im Verlauf in beiden Kollektiven folgern sie, das DMP sei wenig ef- fektiv, ineffizient und in seiner vorliegenden Form nicht sinnvoll. Dies ist aus der Darstellung nicht abzu- leiten. Zur Kritik an methodischen Einzelheiten fehlt
hier leider der Raum. Andere Kassenarten kamen mit vergleichbarer Methodik zu umgekehrten Schlussfol- gerungen (Stock et al., 2010).
Linder et al. kritisieren, dass der DMP-Qualitätsbe- richt der KV Nordrhein die Programme nicht angemes- sen evaluiere. Aufgabe dieses Berichts ist es aber, trans- parent und detailliert aufzuzeigen, inwieweit für die in die DMP eingeschriebenen Versicherten in der Region die gesetzten Ziele tatsächlich erreicht werden. Die analoge Kritik gegenüber der ELSID-Studie ist unbe- rechtigt, weil ELSID die derzeit methodisch anspruchs- vollste, prospektive kontrollgruppenbasierte Studie zur medizinischen Effektivität, den gesundheitsbezogenen Kosten und der Lebensqualität von Typ-2-Diabetikern in Deutschland ist.
Ob die TK-Studie repräsentativ für die Gesamtheit der Typ-2-Diabetiker ist, erscheint nach den Erfah- rungen aus Nordrhein fraglich. Hiernach sind TK- Versicherte jünger als der Durchschnitt aller anderen eingeschriebenen DMP-Teilnehmer und überwie- gend männlichen Geschlechts, sie leiden zu Beginn wie im Laufe ihrer DMP-Teilnahme deutlich seltener an Folgekomplikationen und weisen kontinuierlich eine deutlich bessere Stoffwechsel- und Blutdruck- einstellung auf als die anderen eingeschriebenen Dia- betiker.
Für belastbare, verallgemeinerbare Aussagen müss- ten deshalb:
●
TK-Versicherte hinsichtlich ihrer spezifischen Merkmale und Ausgangslage mit Nicht-TK-Ver- sicherten gematcht,●
die Beobachtungszeit über den Zeitrahmen der Studie hinaus erweitert (hier wurden maximal zwei Jahre betrachtet) und●
die Häufigkeiten einzelner Endpunkte ebenso wie ambulante und stationäre Kosten in zusätzlichen Tabellen numerisch ausgewiesen werden.DOI: 10.3238/arztebl.2011.0722
LITERATUR
1. Stock S, Drabik A, Büscher G, et al.: German diabetes management programs improve quality of care and curb costs. Health Aff (Mill- wood); 2010; 29: 2197–205.
2. Linder R, Ahrens S, Köppel D, Heilmann T, Verheyen F: The benefit and efficiency of the disease management program for type 2 diabe- tes. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(10): 155–62.
Dr. rer. soc. Lutz Altenhofen Dr. phil. Bernd Hagen Dipl. Psych. Jens Kretschmann Dr. rer. nat. Sabine Groos
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland
DMP Projektbüro (ZI), Köln LAltenhofen@zi-berlin.de
Dr. rer. pol. Dominik Graf von Stillfried
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin
Interessenkonflikt
Das DMP-Projektbüro übernimmt im Auftrag der Kassenärztlichen Vereini- gung-Nordrhein, der gesetzlichen Krankenkassen in Nordrhein Westfalen und der Krankenhausgesellschaft NRW Aufgaben der ärztlichen Qualitätssicherung des DMP in Nordrhein.