Zur Fortbildung Aktuelle Medizin AUSSPRACHE
Wenig hinzuzufügen
Dem klaren und einleuchtenden Beitrag von Herrn Dr. Gebhardt ist im Grunde wenig hinzuzufügen. Die bewußte Absetzung von Hahne- manns vitalistischem Verständnis der Homöopathie, welches eine
„geistartige Lebenskraft" postuliert, von der der Organismus durch hö- here Intelligenz selbsttätig zusam- mengehalten und reguliert wird, mag zusätzliche Widersprüche zur materialistischen Naturwissenschaft ersparen
Dr. med. Ulrich Welte Praktischer Arzt Kurparksanatorium 7847 Badenweiler
Zusatzbezeichnung
„Homöopathie" — eine Definition .. Wenn es sich bei dieser Serie um
„Wissenschaft" handeln soll, dann ist nicht verständlich, daß man zu Beginn den Begriff „Homöopathie"
nicht definiert hat. Unter Homöopa- thie wird heute alles mögliche und unmögliche verstanden; dazu hat auch das neue Arzneimittelgesetz (AMG) wesentlich beigetragen.
Es ist selbstverständlich, daß eine Therapie überprüfbar sein muß; nur müssen die Prüfkautelen dieser The- rapie adäquat sein. Die verschrei- bungspflichtigen homöopathischen Arzneimittel (AM) müssen zugelas- sen werden; die Registrierung um- faßt nur die nichtverschreibungs- pflichtigen AM = Heilpraktiker-AM.
Aus der Stellungnahme von Herrn Dr. Gebhardt geht hervor, daß sein Homöopathie-Begriff wachsweich ist, das heißt, ich persönlich lehne die Darstellung der Homöopathie in dieser Form ab. Aber Herr Gebhardt kann nicht anders, er muß alle Mei- nungen vertreten einschließlich der homöopathischen Lobby. Nur hat das wiederum mit Wissenschaft sehr wenig zutun. . .
Frau Professor Oepen als „dezidier- te Kritikerin" vorzustellen hat aber noch weniger mit einem sauberen Wissenschaftsbegriff zu tun. Die Ho- möopathie ist eine Therapiemetho- de unter den anderen. Frau Oepen hat nie die Homöopathie praktisch angewendet. Sie ist eine reine Theo- retikerin .. .
Als positiven Beitrag in diesem Schreiben möchte ich den Begriff
„Homöopathie" so definieren, wie er der Zusatzbezeichnung gerecht wird.
Unter „Homöopathie" wird die Leh- re des jungen Hahnemann (etwa bis zum Jahr 1820 = 65 Jahre alt) ver- standen: Simile-Prinzip, Verordnung von Einzel-AM, keine Hypothesen (vgl. § 1 Organon), Simile-Findung durch Vergleich aller pathophysiolo- gischen Symptome des Patienten mit den Ergebnissen der klinischen Pharmakologie = § 71 Organon.
Der alte Hahnemann, der freiwillig als Dozent in Leipzig sich von der Universität und der Schulmedizin trennt, der entgegen seinen frühe- ren Ansichten Hypothesen aufstellt,
nicht mehr von einem Simile-Prin- zip, sondern von einem „Gesetz"
spricht, der sich der Naturphiloso- phie zuwendet, kann und darf nicht maßgebend sein zur Erlangung der Zusatzbezeichnung „Homöopa- thie".
Sanitätsrat Dr. med. Georg Wünstel Arzt für Allgemeinmedizin
Naturheilverfahren — Homöopathie Schlesische Straße 8
6500 Mainz 1
Schlußwort „Pro"
Die Fülle der Leserzuschriften und die Stellungnahme von Gross und Oepen zeigen, wie aktuell das The- ma „Homöopathie heute" im Be- reich der Medizin ist. Aus den zahl- reich vorgebrachten Argumenten kann hier nur zu den wichtigsten Problemkreisen Stellung genom- men werden.
Ist die Homöopathie eine naturwissenschaftliche Methode?
Gross zieht dies in Zweifel. Das ist natürlich eine Definitionsfrage. Wie weit ist die Medizin überhaupt Na- turwissenschaft? Sie beschäftigt sich ja mit dem Menschen, der einer- seits Teil der Natur ist, andererseits als Geisteswesen metaphysische Wurzeln besitzt. Schon die Medizin ist daher nur zum Teil Naturwissen- schaft, zum Teil Geisteswissen- schaft. Das trifft natürlich auch auf die Homöopathie zu. Sie ist Natur- wissenschaft, indem sie sich der in- duktiv-empirischen Methode als heuristischem Prinzip bedient, des- sen Dominanz ja auch Gross aner- kennt. Die von Dölle, Martini und Oepen vermutete „andere geistige Haltung" liegt insofern vor, als der homöopathische Arzt von, vornher- ein immer den ganzen Menschen als Individuum, niemals bloß den er- krankten Teil ins Blickfeld faßt, ohne aber etwa auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und die Hilfs- mittel der Technik für eine saubere Diagnosestellung und die Suche nach einer kausalen Therapie, wo
HOMÖOPATHIE:
Stellungnahme „Pro" — Stellungnahme „Contra"
Zu den Beiträgen von
Dr. med. Karl-Heinz Gebhardt und Professor Dr. med. Irmgard Oepen in Heft 32/1981, Seiten 1517 bis 1530
52 Heft 11 vom 19. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Homöopathie
diese möglich ist, zu verzichten. Er muß aber lernen, nebeneinander gleichzeitig in Kausalketten und in Analogien zu denken, was höchste Disziplin des Denkens im Sinne Glo- watzkis voraussetzt.
Wirksamkeitsnachweis
Dölle irrt, wenn er behauptet, „nach Meinung der Homöopathen entziehe sich die Homöopathie der Überprüf- barkeit mit naturwissenschaftlichen Methoden." Wir bejahen im Gegen- teil diese Forderung, die für jede Therapie gilt, verlangen aber, daß die Prüfmethoden der untersuchten Therapie adäquat sein müssen, wor- auf auch Wünstel hinwies. Im übri- gen wäre es von den Kritikern fair, erst einmal die bereits vorgelegten Beweise zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft zu prüfen, statt deren geringe Zahl und „Dürftigkeit" zu rügen, wie es Frau Oepen tut. Herr Rahlfs hat dies in seiner Zuschrift korrigiert. Praktische Ärzte sind pri- mär keine Wissenschaftler. Das galt auch für den von Oepen zitierten Professor Rabe. Es•können deshalb von ihnen keine quantitativ gleich- wertigen Leistungen wie von großen
Forschungsinstituten erwartet wer- den. Auf das Problem der Qualität in der medizinischen Forschung allge- mein hat Fiedler in seinem Leser- brief sehr eindrucksvoll hingewie- sen. Hier sollte man an homöopathi- sche Arbeiten nicht härtere Maßstä- be anlegen als an viele schulmedizi- nische, oft recht fragwürdige Publi- kationen, was Kienle schon früher mehrfach nachwies. Die Wirksam- keit in der täglichen Praxis spricht für eine Arznei. Das bedeutet noch nicht, daß diese nicht vorher sorgfäl- tig toxikologisch-pharmakologisch getestet sein sollte. Dies hat Glo- watzki wohl mißverstanden.
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Die homöopathische VerdünnungslehreSie stellt den größten Widerspruch zum gegenwärtig herrschenden Do- sierungsdogma in der Medizin dar.
Die von Pohl aufgemachte Rech- nung nach dem Motto, daß nicht
sein kann, was rational unverständ- lich ist, geht am Problem vorbei.
Hier scheinen mir die Bemerkungen des Physikers Ludwig wesentlich weiterzuführen. Herr Wünstel hat natürlich recht, daß auch eine nach der Simile-Regel angewandte Ur- tinktur Homöopathie ist. Er wird aber nicht bestreiten, daß wichtige Arzneistoffe der Homöopathie durch das Potenzierungsverfahren Hahne- manns erst ihre Wirksamkeit entfal- ten, entweder weil sie sonst unarz- neilich (zum Beispiel Graphit, Lyco- podium) oder toxisch (zum Beispiel Arsen, Lachesis) sind. Insofern ist seine Definition der Homöopathie ergänzungsbedürftig.
Die homöopathische Literatur Schon in der Schulmedizin gibt es häufig genug kontroverse Ansich- ten. Das ist in der Homöopathie bei der von Gross richtig festgestellten besonderen Individualität ihrer Ver- treter nicht anders. Frau Oepen konnte deshalb mühelos eine Antho- logie kritischer Stimmen zusammen- stellen, ohne deren Dignität zu un- tersuchen. Vielmehr stimmt es be- denklich, wenn man liest, daß Au- gust Bier, der sich viele Jahre inten- siv theoretisch und praktisch mit der Homöopathie befaßte, auf eine Stufe mit seinen Kritikern His, Heubner und Müller gestellt wird, deren gründliche Kenntnis der Homöopa- thie in der Literatur nirgends belegt ist. Man fragt sich überhaupt, ob ei- ne Gerichtsmedizinerin ohne prak- tisch-therapeutische Erfahrung am Krankenbett in anderen als besten- falls juristischen Fragen zu einer Be- handlungsweise Stellung nehmen kann, über die man sich ein eigenes Urteil niemals theoretisch, sondern erst nach intensiver praktischer An- wendung bilden kann. Wie unkri- tisch sie dabei vorgeht, zeigt die er- neute Berufung auf das Urteil, Ak- tenzeichen 6 Ls 64/78, 31-8/78 des Art (sgerichtes Göttingen, obwohl sie genau weiß, daß hier eindeutig ein Kunstfehler vorlag, da der be- handelnde Arzt die Diagnose Mala- ria tropica nicht stellte und deshalb eine inadäquate — hier zufällig ho- möopathische — Therapie anwandte.
Kunstfehler gibt es überall. Man kann sie doch niemals einer Heilme- thode, sondern nur dem einzelnen Arzt anlasten, der in diesem Falle die Grenzen des gewählten Therapie- verfahrens nicht beachtet hatte.
Ein Versuch zur „Besinnung und Verständigung" wird selbstver- ständlich von homöopathischer Sei- te genauso befürwortet wie von Frau Oepen. Er setzt allerdings auf bei- den Seiten einen annähernd ad- äquaten theoretischen und prakti- schen Wissensstand voraus.
Hier scheinen mir bei Frau Oepen noch einige Lücken vorzuliegen, denn ohne praktische Erfahrung am Krankenbett läßt sich nun mal über eine therapeutische Methode kein Urteil fällen. Noch immer gilt das Wort von Leonardo da Vinci:
„Cominciare dall'esperienza e per mezzo di questa scoprirne la ra- gione."
Dies bedeutet in freier Übersetzung:
Beginne mit der praktischen Erfah- rung, dann werden sich dir mit de- ren Hilfe auch die Gründe des Ge- schehens entschleiern.
Dr. med. K.-H. Gebhardt Arzt für innere Krankheiten
Bahnhofplatz 8 7500 Karlsruhe
Schlußwort „Contra"
Die in der Redaktion eingegangenen Leserbriefe vermitteln einen ernst zu nehmenden Eindruck von der Ein- stellung sowie dem geistigen Niveau einer Ärztegruppe, die mit an- spruchsvollem Selbstverständnis glaubt, die „Homöopathie" vermöge
„den Arzt von heute zu einem neuen Rollenverständnis zu veranlas- sen . . . Nur so" (!) werde „dann der Arzt von morgen auf Dauer dem Auf- trag zur Erhaltung menschlichen, tierischen und auch pflanzlichen Le- bens im Sinne der Schöpfung ge- recht werden können" (Schramm).
Es war zu erwarten, daß die „Betrof- fenen" mein ehrliches Angebot zur Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 11 vom 19. März 1982 55