ÜBERSICHTSARBEIT
Tabakentwöhnung bei Lungenkrebs – durchführbar und wirksam
Stefan Andreas, Achim Rittmeyer, Marc Hinterthaner, Rudolf M. Huber
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Das Lungenkarzinom ist in Deutschland die häufigste krebsbe- dingte Todesursache. Die Erkrankung wird in circa 90 % der Fälle durch die In- halation von Tabakrauch ausgelöst. Etwa 40 % der Patienten mit neu diagnosti- ziertem Lungenkarzinom rauchen noch. Obwohl medizinisch sinnvoll, wird eine strukturierte Tabakentwöhnung in dieser Situation nur selten angeboten.
Methode: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche in der Datenbank PubMed und eine Handsuche aktueller Arbeiten.
Ergebnisse: Viele Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass sich die Beendigung des Tabakkonsums bei Patienten mit Lungenkarzinom po- sitiv auswirkt. Nach kurativer Resektion traten bei fortgesetztem Tabakkonsum Zweitkarzinome 2,3-mal häufiger und Rezidive 1,9-mal häufiger auf als nach einem Rauchstopp. Die Gesamtsterblichkeit war bei Rauchern 2,9-fach erhöht.
Auch wird die Strahlenpneumonitis- und Infektionsrate unter Radiotherapie re- duziert sowie das mediane Überleben nach Chemoradiotherapie bei kleinzelli- gem Lungenkarzinom verbessert (18,0 versus 13,6 Monate). Bei Patienten mit nichtkleinzelligem Karzinom ist ein Rauchstopp mit einem besseren Allgemein- zustand assoziiert (77,5 versus 57,6 %). Da bei Patienten mit Lungenkarzinom häufig ein palliatives Therapiekonzept besteht, erscheinen die Besserung der Lungenfunktion und der Lebensqualität sowie die Gewichtszunahme nach Beendigung des Tabakrauchens insbesondere unter palliativmedizinischen Gesichtspunkten besonders wichtig.
Schlussfolgerungen: Die Beendigung des Tabakkonsums bei Patienten mit Lungenkarzinom ist ein wesentliches Therapieziel, um die Wirksamkeit der Interventionen zu erhöhen und die Lebensqualität zu verbessern.
►Zitierweise
Andreas S, Rittmeyer A, Hinterthaner M, Huber RM: Smoking cessation in lung cancer—achievable and effective. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(43):
719–24. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0719
T
abakrauch ist ein Aerosol aus mehr als 4 000 Substanzen, von denen über 50 als kanzerogen bekannt sind. Beispiel hierfür sind Polonium 210, Benzol, Formaldehyd, Blei und Cadmium (1). Expo- niert man humane Bronchialepithelzellkulturen gegen- über Tabakrauch, lässt sich in den Kulturen bereits nach wenigen Tagen eine gesteigerte Wachstumsrate sowie Lockerung des Adhäsionsverhaltens und ge- häufte maligne Transformation nachweisen. Diese Ef- fekte, so wird vermutet, werden durch Alteration der intrazellulären Signaltransduktion vermittelt und nicht durch langfristige mutagene oder karzinogene Effekte der bekannten Karzinogene (2).Die langfristig karzinogene Potenz des Tabakrauchs sowie die kurzfristigen intrazellulären Effekte könnten erklären, warum Patienten, die trotz der Neudiagnose eines Lungenkarzinoms weiter rauchen, häufiger Zweitkarzinome entwickeln und schlechtere Heilungs- raten aufweisen (3).
Das Lungenkarzinom ist in Deutschland bei Män- nern die führende und bei Frauen die zweithäufigste Krebstodesursache (4). 2011 starben in Deutschland knapp 44 000 Menschen an den Folgen eines Lun- genkarzinoms. Das sind deutlich mehr Tote als nach Dickdarm- und Brustkrebs zusammen (jeweils circa 17 000) (Statistisches Bundesamt, www.destatis.de).
Ursache der Erkrankung ist in circa 90 % der Fälle die Inhalation von Tabakrauch (5). Das kumulative Lebenszeitrisiko infolge eines Lungenkarzinoms zu sterben, beträgt bei kontinuierlichem Tabakkonsum bis zum 75. Lebensjahr 16 %. Es gibt keinen Schwellenwert, unter dem die Exposition risikofrei ist. Alle histologischen Lungenkarzinomentitäten können durch Tabakrauch verursacht werden (6).
Dass die Prognose auch für kurativ behandelbare Lungenkarzinome umso besser ist, je früher vor Ma- nifestation der Erkrankung der Tabakkonsum been- det wurde, unterstreicht die Bedeutung der Tabakent- wöhnung bei jedem Patienten, der raucht, auch ohne manifeste Erkrankung (7).
Die Leitlinie der American College of Chest Physicians (ACCP) empfiehlt die Tabakentwöhnung für alle Lun- genkrebspatienten mit einem Evidenz-/Empfehlungs - niveau von 1A und beruft sich dabei auf mehrere ältere Arbeiten (8). Die deutsche Leitlinie empfiehlt ebenfalls die Tabakentwöhnung und vergibt ein Evidenzniveau von 2A (4). Die Vorteile einer Tabakentwöhnung bei
Stefan Andreas und Achim Rittmeyer teilen sich die Erstautorenschaft.
Lungenfachklinik Immenhausen, Pneumologische Lehrklinik Universität Göttingen:
Prof. Dr. med. Andreas, Dr. med. Rittmeyer
Bereich Thoraxchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen: Dr. med. Hinterthaner
Sektion Pneumologie und Thorakale Onkologie, Klinikum der Universität München/Campus Innenstadt:
Prof. Dr. med. Huber
manifestem Lungenkarzinom (Kasten) werden jedoch im klinischen Alltag nur selten berücksichtigt.
Ziel der vorliegenden Übersicht ist es, dem Leser ak- tuelle, praxisrelevante Informationen zur Tabakent- wöhnung bei Lungenkarzinom zu geben. Hierfür wurde im Oktober 2012 eine selektive Literaturrecherche in der Datenbank PubMed mit folgenden Stichwörtern durchgeführt: „cessation (any field)“ and „lung cancer (title)“ and „smoking (any field)“. Es wurden 463 Abs- tracts gefunden, die analysiert wurden. Weiterhin wur- den die Literaturverzeichnisse aktueller Arbeiten aus- gewertet.
Positive Effekte nach Rauchstopp
Weniger chirurgische Komplikationen und bessere Prognose nach Resektion
Ein systematisches Review, das sechs Studien zum Effekt der Tabakentwöhnung vor einer Lungenkrebs- operation auswertete, konnte keinen eindeutigen Vor- teil einer präoperativen Raucherentwöhnung erkennen (9). Allerdings lag der Schwerpunkt dieser Recherche auf der Frage, ob eine Operation bei einem aktiven Raucher verschoben werden muss, um zunächst eine Tabakentwöhnung oder sogar eine pulmonale Rehabili- tationsmaßnahme durchzuführen, damit das periopera- tive Risiko des Patienten gesenkt werden kann. Hierfür konnte keine Bestätigung aus den sechs analysierten Studien gefunden werden (9).
Eine andere Metaanalyse zeigte jedoch für Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) im Stadium I–IIIA, adjustiert für andere, insbesondere kardiovaskuläre Risikofaktoren, einen deutlichen Vorteil der Rauchabstinenz hinsichtlich Überleben, Rezidiv und Zweitkarzinom (3). So ent- wickelten Raucher 2,3-mal häufiger ein Zweitkarzi- nom nach kurativer Operation und 1,9-mal häufiger ein Rezidiv. Die Gesamtsterblichkeit lag bei Rau-
chern 2,94-fach höher (3). Auch erwiesen die Daten von 7 990 Patienten mit primärer Resektion eines Lungenkarzinoms, die von 1999 bis 2007 in die Datensammlung der American Society of Thoracic Surgeons aufgenommen wurden, eine Senkung der Letalität und der pulmonalen Komplikationsrate bei Patienten, die seit mehr als 12 Monaten vor der Ope- ration rauchabstinent waren (10). So betrug das pe- rioperative multivariat adjustierte Letalitätsrisiko für aktive Raucher nach einer Lungenkrebsoperation verglichen mit einem Nieraucher 3,5, für einen Pa- tienten, der mindestens 12 Monate vor der Operation aufgehört hatte zu rauchen nur 2,5. Das Risiko für perioperative pulmonale Komplikationen war für aktive Raucher auf 1,8 erhöht und für Patienten, die inner- halb des letzten Jahres aufgehört hatten zu rauchen 1,6, für Patienten, die bereits seit mindestens 12 Monaten nicht mehr rauchten 1,3, jeweils multivariat adjustiert verglichen mit Nierauchern (10). Eine wei- tere Studie mit 569 Patienten, bei denen ein NSCLC im Stadium I reseziert worden war und die über me- dian 5,9 Jahre weiter verfolgt wurden, zeigte bei 45 Nierauchern keinen einzigen Fall eines Lungen - zweitkarzinoms und bei aktiven Rauchern 2,72/100 Patientenjahre versus 1,77 bei Ex-Rauchern/100 Pa- tientenjahre. Die Hazard Ratio für ein Zweitkarzinom der Lunge betrug bei aktiven Rauchern 1,9 verglichen mit Exrauchern (11).
Auch die Lebensqualität nach einer Lungenresektion bessert sich durch einen Rauchstopp. Eine prospektive Studie erfasste die Lebensqualität von 70 Patienten, die sich einer Lobektomie oder Pneumonektomie unterzo- gen. Der Rauchstopp war zu jedem Zeitpunkt vor der Operation vorteilhaft, wohingegen fortwährender Ta- bakkonsum zum Zeitpunkt der Operation mit einer schlechteren postoperativen Lebensqualität assoziiert war (12). Zum Beispiel klagten aktive Raucher auch sechs Monate nach Lungenkrebsoperation weiter über Luftnot, während Patienten, die erst bei Diagnose des Lungenkarzinoms aufgehört hatten zu rauchen, wieder Werte wie vor der Operation angaben. Ebenso klagten aktive Tabakkonsumenten signifikant häufiger über thorakale Schmerzen (12).
Besseres Ansprechen auf Chemotherapie
Eine retrospektive Studie mit 285 brasilianischen Patienten mit Lungenkrebs, davon 63 % aktive Rau- cher, zeigt, dass unter den Patienten, bei denen die Therapie nicht ansprach (n = 191), signifikant mehr rauchten als unter denjenigen, bei denen die Thera - pie ansprach (67,8 ± 35,1 versus 38,7 ± 2,1 Packungs- jahre, p < 0,001). Ausgeprägter Tabakkonsum (≥ 40 Packungs jahre) war der wichtigste unabhängige negati- ve Prädiktor für das Ansprechen auf eine Chemothera- pie (adjustiertes Odds Ratio [OR]: 10,4; 95-%-Konfi- denzintervall [95-%-KI]: 5,1–21,3) (13). Eine kleinere Studie bei asiatischen NSCLC-Patienten fand ähnliche Ergebnisse (14).
Für Patienten, die erfolgreich wegen eines kleinzelli- gen Lungenkarzinoms (SCLC) behandelt worden wa- KASTEN
Positive Effekte durch Beendigung des Tabakkonsums bei Patienten mit Lungenkarzinom
●
Besserung der Lungenfunktion●
bessere Wundheilung●
reduzierte chirurgische Komplikationen●
reduzierte Rückfallrate nach Resektion●
seltener Strahlenpneumonitis bei Radiotherapie●
besseres Ergebnis der Radiochemotherapie●
besseres Ansprechen auf Chemotherapie●
höhere Effektivität einer zielgerichteten Therapie●
höhere Lebensqualitätren, zeigte eine ältere Arbeit, dass fortgeführter Tabak- konsum ein Risikofaktor für eine weitere maligne Er- krankung der Lunge darstellt (15, 16). Das Risiko ein Zweitkarzinom der Lunge zu entwickeln war 5–9 Jahre nach der Erstdiagnose eines SCLC für aktive Raucher 7,5 (95-%-KI: 1,8–19,7) versus 3,8 (95-%-KI: 0,9–9,8) für Patienten, die aufgehört hatten zu rauchen (15, 16).
Eine aktuelle Metaanalyse, in die fünf Studien mit insgesamt 1 069 Patienten mit SCLC eingeschlossen wurden, zeigt ebenfalls, dass das adjustierte Risiko für ein Zweitkarzinom der Lunge bei aktiven Rauchern ge- genüber Patienten, die nicht mehr rauchen, um den Faktor 4,31 erhöht ist (3).
Die beschriebenen Befunde können möglicherwei- se durch den Einfluss des Tabakrauchens auf die Phar- makokinetik von Chemotherapeutika erklärt werden.
Gut untersucht ist die Substanz Irinotecan, die auch bei Patienten mit Lungenkarzinom genutzt wird. Bei Rauchern ist die dosisadaptierte Plasmaspiegel-Zeit- Kurve („area under the curve“ [AUC]) von Irinotecan signifikant niedriger, was durch die tabakassoziierte CYP3A-Modulation erklärt wird (17). Die AUC für Irinotecan lag innerhalb der ersten 100 Stunden nach Applikation bei 21,9 mg × h/mL bei Nichtrauchern verglichen mit 18,9 mg × h/mL bei Rauchern (p = 0,003). Die niedrigeren Plasmaspiegel lassen auf ein erhöhtes Risiko von Therapieversagen unter der Chemotherapie schließen (17). In künftigen Studien sollte der Einfluss des Tabakrauchens auf die Pharma- kokinetik der Chemotherapeutika systematisch erfasst werden (18).
Höhere Effektivität einer zielgerichteten Therapie
Der Effekt des Tabakrauchs auf den Medikamenten- metabolismus muss bei Lungenkrebspatienten, die rauchen, bedacht werden. Der orale EGFR-Inhibitor („epidermal growth factor receptor“) Erlotinib wird bei Rauchern durch Cytochrom-P450-Induktion (CYP1A1/1A2) verstärkt metabolisiert und war da- durch weniger effektiv (19). In einer Phase-I/II-Studie bei Rauchern mit Erstlinienchemotherapie bei fortge- schrittenem NSCLC war die maximal tolerierte Erlo- tinib-Dosis 300 mg. Die Erlotinib-Plasmakonzentra- tionen waren mit dieser Dosis etwa so hoch, wie die Plasmaspiegel, die bei einer früheren Studie mit nicht- rauchenden Patienten bei einer Dosis von 150 mg/d gemessen wurden (20). Für den klinisch relevanten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von behan- delbaren Mutationen und Tabakrauch wird auf weiter- führende Literatur verwiesen (21, 22).
Besseres Ergebnis der Radio- und Radiochemotherapie In einer Studie an 83 Patienten mit Lungenkarzinom, die in kurativer Intention radiotherapiert wurden, entwickelte sich bei aktiven Rauchern in 17/75 (23 %) eine Strahlenpneumonitis gegenüber 0/8 bei Nichtrauchern (23). Des Weiteren war Rauchen ein Risikofaktor für pulmonale Infektionen während der Strahlentherapie (24). Bei Patienten, die wegen eines NSCLC im Stadium I oder II bestrahlt worden waren, betrug die Zwei-Jahres-Überlebensrate nur 41 % bei Rauchern, aber 56 % bei Ex- oder Nie - rauchern (25).
100
80
60
40
20
0
0 12 24 36 48 60 72 84 Gesamtüberleben (Monate)
Überlebende Patienten (%)
Rauchstopp
Fortsetzung des Zigarettenkonsums
GRAFIK 1 Assoziation des
Tabakkonsums mit der Letalität beim kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) im Stadium
„limited-disease“
(modifiziert nach Videtic et al. 2003 [26])
Die positiven Effekte des Rauchstopps auf die Radiochemotherapie wurden in einer kanadischen Stu- die an 215 Patienten mit SCLC im Stadium „limited- disease“ gezeigt. Patienten, die während der Therapie tabakabstinent waren, hatten eine mediane Überlebens- zeit von 18,0 Monaten, während die Patienten mit an- haltendem Tabakkonsum nur 13,6 Monate erreichten.
Die statistisch signifikant von 4 % auf 8,9 % mehr als verdoppelte Fünf-Jahres-Überlebensrate (p = 0,017) zeigt außerdem, dass ein Rauchstopp auch die Lang- zeitprognose wesentlich verbessert (26) (Grafik 1).
Höhere Lebensqualität
Manche Kollegen befürchten, dass bei Patienten mit Lungenkarzinom die Thematisierung der Tabakent- wöhnung die Lebensqualität reduziert. Dies ist erfreuli- cherweise nicht richtig. Bei Rauchern mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder auch
„gesunden“ Rauchern verbessert sich die Lebensquali- tät nach Rauchstopp (1). In großen Kohorten mit über 1 500 Patienten gaben die nichtrauchenden Lungen- krebspatienten (Nieraucher und Ex-Raucher) eine hö- here tumorspezifische Lebensqualität an als die rau- chenden Patienten (27) (Grafik 2). Interessanterweise bessern sich alle Scores für die verschiedenen Qualitä- ten stufenweise mit Länge des Rauchstopps – sie waren also für Nieraucher am günstigsten und für aktive Rau- cher am schlechtesten. Für Patienten, die erst bei der Diagnose eines Lungenkarzinoms das Rauchen ein- stellten, waren die Werte aber immer noch besser als für aktive Raucher (27) (Grafik 2).
Ähnlich besserte sich in einer 206 NSCLC-Patienten umfassenden Kohorte nach Rauchstopp der Allgemein- zustand – eingeschätzt durch die behandelnden Ärzte anhand des „ECOG-Performance-Status“ (ECOG, Eas- tern Cooperative Oncology Group) – bei 77,5 % der Patienten, wohingegen dies bei Patienten, die weiter rauchten, nur bei 42,4 % der Fall war. In der gleichen
Patientengruppe verschlechterte sich der Allgemeinzu- stand bei 22,5 % der Patienten, die aufhörten zu rau- chen, und bei 57,6 % der Patienten, die weiter rauchten (28). Adjustiert für Alter, Geschlecht, Begleiterkrankun- gen, Stadium und Behandlungsmodalität in einer multi- variaten Analyse war das Risiko, dass sich der Allge- meinzustand verschlechterte, für Raucher nach 6 und 12 Monaten um den Faktor 7 erhöht (28). Auch bei Patien- ten mit SCLC verbesserte ein Rauchstopp zum Zeit- punkt der Diagnose die Lebensqualität und die Sympto- matik nachhaltig (29). So betrug der Overall-QoL-Score (QoL, Lebensqualität [„quality of life“]) bei aktiven Rauchern nach vier Jahren nur 62, für Patienten, die auf- grund der Diagnose SCLC aufgehört hatten, zu rauchen 69 und für Patienten, die bereits mindestens ein Jahr lang nicht rauchten 72 (p = 0,0382). Darüber hinaus ist die Zunahme des Körpergewichtes nach Rauchstopp ein bei fast allen Tumorpatienten günstiger Effekt.
Tabakentwöhnung bei Lungenkrebs möglich Etwa 40 % der Patienten mit neu diagnostiziertem Lun- genkarzinom rauchen (30, 31). Der Wille zur Tabakabs- tinenz ist unmittelbar nach der Erstdiagnose besonders ausgeprägt. Dieser Effekt, der auch als „teachable mo- ment“ bezeichnet wird, wurde bei Untersuchungen über das Lungenkrebs-Screening (32, 33) und bei vielen an- deren Erkrankungen, insbesondere kardiovaskulären Erkrankungen, beobachtet. Allerdings zeigen Krebspa- tienten, die noch rauchen, oft Symptome einer starken Tabakabhängigkeit (34). Dennoch ist ein Rauchstopp bei Lungenkrebspatienten möglich. So wurden zwei Kohorten mit je 201 Studienteilnehmern – Patienten mit Lungenkrebs versus Patienten mit anderen Tumorarten – hinsichtlich ihrer Entwöhnungsrate bei gezielter Ta- bakentwöhnungstherapie verglichen. Die Abstinenzrate nach 6 Monaten betrug in der Lungenkrebsgruppe 22 % und 14 % in der Gruppe mit Patienten, die an anderen Karzinomen erkrankt waren (35).
100
80
60
40
20
0
Nieraucher (n=189) Ex-Raucher (n=562) Quit bei Diagnose (n=173) Rauchen weiter (n=75)
Appe- tit
Fa- tigue
Hus- ten
Luft- not
Hämop- tysen
Schmer- zen
Stress- symp- tome
Ein- schrän-
kung QoL insg.
LCSS- Score insg.
Adjustierter LCSS-Score GRAFIK 2
Lebensqualität in Abhängigkeit vom Raucherstatus (modifiziert nach Garces Chest 2004 [27]) LCSS, Lung Cancer
Symptom Scale;
QoL, Lebensqualität („quality of life“)
pharmakologische und psychologische Interventions- möglichkeiten enthalten.“ Eine entsprechende Emp- fehlung gibt auch die aktuelle Leitlinie der European Society for Medical Oncology (ESMO) (40). Diese Empfehlungen werden in der Zertifizierung von Lun- genkrebszentren durch die Deutsche Krebsgesell- schaft strukturell umgesetzt. Entsprechend halten die zertifizierten Lungentumorzentren eine strukturierte Tabakentwöhnung vor.
Interessenkonflikt
Prof. Andreas wurde honoriert für Beratertätigkeit von den Firmen GSK, Pfizer, Almirall. Er bekam finanzielle Zuwendungen für Vortrags- und Schulungstätig- keiten von den Firmen Böhringer Ingelheim, Pfizer, GSK, Novartis, Roche. Für die Durchführung von klinischen Studien erhielt er finanzielle Unterstützung von den Firmen GSK, Pfizer und Roche.
Dr. Rittmeyer erhielt Honorare für Beratertätigkeit und Vorträge sowie Reise- kostenerstattung von den Firmen Boehringer Ingelheim, Lilly und Roche. Für ihn wurden Kongressgebühren übernommen von den Firmen Lilly und Roche.
Er bekam finanzielle Unterstützung für die Durchführung von klinischen Studi- en von den Firmen von Astellas, GSK, Lilly, Pfizer und Roche.
Prof. Huber bekam Honorare für Beratertätigkeit von den Firmen Boehringer Ingelheim, Lilly, Pfizer, Pierre Fabre, Roche. Er erhielt finanzielle Unterstützung zur Durchführung von klinischen Studien von den Firmen Boehringer Ingel- heim, Pfizer, Pierre Fabre und Roche.
Dr. Hinterthaner erklärt, dass kein Interessenskonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 13. 3. 2013, revidierte Fassung angenommen: 5. 8. 2013
Die Mehrheit der Lungenkrebspatienten möchte mit dem Rauchen aufhören, wenn die Diagnose gestellt wird (35). In einem elf Studien umfassenden Review, das 2003 publiziert wurde, wurden diese Befunde be- stätigt (34). In zwei weiteren Studien waren etwa 50 % der Patienten 6 Monate nach dem Rauchstopp noch ta- bakabstinent (36, 37). Wichtig ist, dass die Nikotiner- satztherapie auch in der Langzeitbeobachtung keines- falls mit einer erhöhten Krebsinzidenz assoziiert ist (38).
Konsequenzen für die Versorgungsrealität Die beschriebenen positiven Effekte bei Beendigung des Tabakkonsums sind klinisch relevant und von ih- rer Ausprägung den Effekten etablierter therapeuti- scher Interventionen bei Patienten mit Lungenkarzi- nom vergleichbar. Die Tabakentwöhnung ist für Lun- genkarzinompatienten, wie für andere Patienten mit Erkrankungen, die durch Tabakkonsum ausgelöst oder verschlechtert werden, ohne professionelle Unterstüt- zung oft nicht erfolgreich und wird von betreuenden Ärzten und Pflegepersonal in ihrer Bedeutung häufig verkannt und unterschätzt. Daher müssen entspre- chende Zentren eine intensive Therapie der Tabakab- hängigkeit anbieten. Diese muss eine professionelle Tabakentwöhnung beinhalten, die auf die Bedürfnisse von Lungenkrebspatienten zugeschnitten ist (39). In weiteren Studien sollte die für Lungenkarzinompa- tienten optimale Form der Tabakentwöhnung evaluiert werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat zusammen mit anderen Fachgesellschaften eine S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms publiziert (4). In dieser Leitlinie wird festgehalten (Zitat): „Das Rauch- verhalten von Lungenkrebspatienten muss bei jeder Visite erfragt und dokumentiert werden. Patienten mit Lungenkrebs, die weiter rauchen sollten zum Rauch- stopp motiviert werden. Sie müssen einen einfachen Zugang zu Tabakentwöhnprogrammen haben, die
KERNAUSSAGEN
●
Tabakentwöhnung ist bei Patienten mit Lungenkarzinom möglich●
Durch Beendigung des Tabakrauchens wird die Progno- se nach kurativer Operation verbessert und die Kompli- kationsrate gesenkt●
Durch Beendigung des Tabakrauchens wird das An- sprechen auf Chemotherapie und „targeted therapy“verbessert
●
Durch Beendigung des Tabakrauchens wird die Lebens- qualität gesteigert●
Eine professionelle Tabakentwöhnung sollte Patienten mit Lungenkarzinom angeboten werdenLITERATUR
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Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Stefan Andreas LungenTumorZentrum Göttingen
Lungenfachklinik Immenhausen, Pneumologische Lehrklinik Universität Göttingen
Robert Koch Straße 3 34376 Immenhausen
sandreas@lungenfachklinik-immenhausen.de
Zitierweise
Andreas S, Rittmeyer A, Hinterthaner M, Huber RM: Smoking cessation in lung cancer—achievable and effective. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(43): 719–24.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0719
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