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Archiv "Aspekte kassenärztlicher Tätigkeit: Analyse des Leistungsbedarfs in Bereichen der primärärztlichen Versorgung" (23.10.1980)

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

DEUTSCHE S ÄRZTE BLATT

Heft 43 vom 23. Oktober 1980

Aspekte kassenärztlicher Tätigkeit

Analyse des Leistungsbedarfs

in Bereichen der primärärztlichen Versorgung

Der nebenstehende Beitrag hat die Beantwortung von zwei wichtigen Fragen zum Ziel: Arbeiten Gemeinschafts- praxen wirtschaftlicher als Einzelpraxen? — Bestimmt der Arzt den Leistungsumfang und damit sein Einkommen al- lein, oder bestimmt der Pa- tient mit? — Der Autor ergänzt seinen voraufgegangenen Beitrag im DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT. Heft 20/1980, Seite 1329 bis 1336.

Berthold Schüttrumpf

Die Fragestellung

Die erste Frage erscheint im Hin- blick auf die zu erwartende Vermeh- rung der Ärzte in freier Praxis von besonderer Bedeutung. Zudem kommt es zukünftig mehr als heute auf eine Senkung der Praxiskosten an.

Die zweite Frage geht einer häufig von Politikern geäußerten Behaup- tung nach: Können die Ärzte die Hö- he ihres Einkommens dadurch be- einflussen, daß sie als einzige auch den Leistungsumfang bestimmen?

Offenbar blieb bislang völlig außer acht, daß die Patienten in dieser Sa- che mitbestimmen! Mit wachsen- dem Wohlstand steigen zwar ihre Ansprüche, nicht notwendige Unter- suchungen und Behandlungen las- sen sie sich aber nur selten aufdrän- gen. Und im übrigen: Kein Arzt fängt seine Patienten vor der Praxis mit dem Lasso (Schoeck, Roos) ein!

Die Vorgehensweise

Auch dieser Untersuchung liegen wiederum die Behandlungsfälle von Versicherten der RVO-Kassen aus dem Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein zu- grunde. Sie verteilen sich auf die untersuchten Gruppen wie in Tabel- le 1 dargestellt.

Die Untersuchung berücksichtigt nicht nur die von den Ärzten selbst abgerechneten Leistungen, sondern auch die von ihnen durch Überwei- sung an andere Ärzte bewirkten. Bei den selbst abgerechneten Leistun-

gen wurde nach eigenen und über- wiesenen Fällen unterschieden, bei den Überweisungen an andere Ärzte nach Überweisungen zur Mit- und Weiterbehandlung und nach soge- nannten Auftragsfällen. Schließlich wurden die verordneten Arzneiko- sten in die Untersuchung einbezo- gen, so daß mit Ausnahme der ver- ordneten Bäder und Massagen alle direkt beeinflußbaren Kostenfakto- ren berücksichtigt wurden.

Die erste Frage:

Arbeiten Gemeinschaftspraxen wirt- schaftlicher als Einzelpraxen?

Maßgebliche Gründe für die Förde- rung der Bildung von Gemein- schaftspraxen durch die Kassenärzt- lichen Vereinigungen sind die be- fürchtete Zunahme der Arztzahlen Mitte der 80er Jahre und der ständig steigende Kostendruck. Bezogen auf den hier untersuchten RVO-Sek- tor haben im Quartal IV/1978 insge- samt 978 Allgemeinärzte in Einzel- praxen mit einer durchschnittlichen Zahl von 724 Behandlungsfällen ins- gesamt 708 526 RVO-Versicherte versorgt. Der Fallzahldurchschnitt pro Gemeinschaftspraxis betrug im gleichen Zeitabschnitt 1225 Fälle, al- so das 1,69fache der Durchschnitts- fallzahl in Einzelpraxen.

Bei einer theoretischen Betrachtung würden also 578 Gemeinschaftspra- xen ausreichen, um die erwähnte Zahl von RVO-Patienten allgemein- ärztlich zu versorgen. Würde es sich dabei ausschließlich um Zweierge- meinschaften handeln, so könnten

(2)

Arztgruppe Zahl der Ärzte Zahl der Fälle Allgemein- und praktische Ärzte

in Einzelpraxen 978 708 526

Allgemein- und praktische Ärzte

in Gemeinschaftspraxen 67 82 085

Internisten

(voll zugelassen) 270 147 043

Internisten

(beteiligte) 15 2 329

Gesamtzahl 939 983

Tabelle 1: Leistungsbedarf nach Arztgruppen

Sämtliche Daten stammen aus dem Abrechnungsquartal IV/1978.

Leistungsbedarf

178 Ärzte zusätzlich untergebracht werden:

578 Gemeinschafts-

praxen = 1156 Ärzte 978 Einzelpraxen = 978 Ärzte Unterschied 178 Ärzte Einschließlich der Fachärzte waren im Quartal IV/1978 in Schleswig-Hol- stein insgesamt 2200 Ärzte in Einzel- praxen tätig. Unter Berücksichti- gung des voraufgegangenen Re- chenbeispiels könnten insgesamt 400 Ärzte in Schleswig-Holstein zu- sätzlich untergebracht werden, wenn alle Ärzte, nicht nur die Allge- meinärzte, in Zweiergemeinschaften tätig sein würden.

In einer Gemeinschaftspraxis sind sowohl die sächlichen als auch die personellen Kosten je Arzt geringer als in einer Einzelpraxis. Würde auch hier der Faktor 1,69 anzuwen- den sein, so ergäbe sich eine Ko- stenminderung um 15,5 Prozent.

Statt Praxiskosten in Höhe von 44 Prozent des Umsatzes in einer Ein- zelpraxis beliefe sich der Kostenfak- tor in einer Gemeinschaftspraxis nur noch auf 37,18 Prozent, immer bezo- gen auf einen Arzt. Damit wäre der geringere Umsatz pro Arzt infolge geringerer Fallzahl durch den ge- ringeren Praxiskostensatz neutrali- siert (Tabellen 2 und 3).

Anders ist die Frage nach der wirt- schaftlichen Leistungserbringung gegenüber den Krankenkassen zu beurteilen. Tabelle 2 zeigt den un- terschiedlichen Leistungs- und Ver- ordnungsbedarf von Allgemeinärz- ten und Internisten in Einzelpraxen und in Gemeinschaftspraxen. Ob- wohl der Anteil der Rentnerversi- cherten in Gemeinschaftspraxen deutlich geringer ist (bei Allgemein- ärzten 31,4 Prozent statt 34,3 Pro- zent, bei Internisten 38,9 Prozent statt 43,6 Prozent), ist der Leistungs- bedarf in beiden Arztgruppen bei Gemeinschaftspraxen höher als bei Einzelpraxen. Allgemeinärztliche Gemeinschaftspraxen gleichen die- sen höheren Leistungsbedarf zu ei- nem Teil dadurch aus, daß sie durch Überweisungen und Aufträge an an- dere Ärzte weniger Kosten verursa- chen. Dennoch liegt ihr Leistungs- bedarf um 5,66 DM = 6,9 Prozent höher als der ihrer Kollegen in Ein- zelpraxen. Bei den Internisten liegt der Leistungsbedarf der Ärzte in Ge- meinschaftspraxen um 5,28 DM = 4,4 Prozent über dem ihrer Kollegen in Einzelpraxen.

Die Ursache für den höheren Lei- stungsbedarf liegt bei den Interni- sten in erster Linie in dem größeren Aufwand für Röntgenleistungen (22,50 DM je Fall in Gemeinschafts- praxen statt 16,83 DM in Einzelpra-

xen) und bei den Allgemeinärzten in den Sonderleistungen und den La- borleistungen (25,72 DM je Fall in Gemeinschaftspraxen und 19,77 DM je Fall in Einzelpraxen). Dabei wer- den in Gemeinschaftspraxen offen- bar auch höherwertige Laborleistun- gen erbracht, denn der Leistungsbe- darf für Laborleistungen je Laborfall liegt bei den Allgemeinärzten in Ge- meinschaftspraxen mit 45,92 DM je Fall deutlich höher als bei Allge- meinärzten in Einzelpraxen, die nur 36,85 DM je Laborfall für Laborlei- stungen benötigen. Bei den Interni- sten ist dieser Unterschied geringer;

in Gemeinschaftspraxen beträgt der Laborfallwert pro Labor 67,42 DM, in Einzelpraxen dagegen 62,85 DM.

Die Annahme, daß die umfang- reichere Labordiagnostik eine ge- zieltere Arzneitherapie zur Folge ha- ben müßte mit dem Ergebnis, daß die höheren Laboraufwendungen durch geringere Arzneiaufwendun- gen kompensiert würden, hat sich

nicht bestätigt. Sowohl Allgemein- ärzte in Gemeinschaftspraxen als auch Internisten in Gemeinschafts- praxen haben einen höheren Ver- ordnungsbedarf bei Medikamenten als ihre Kollegen in Einzelpraxen.

Der Mehrbedarf bei Allgemeinärzten beträgt 4,97 DM = 6,5 Prozent und bei Internisten 3,66 DM = 4,2 Pro- zent (Tabelle 2). Die Gesamtaufwen- dungen der Ärzte in Gemeinschafts- praxen sind also in beiden Arztgrup- pen signifikant höher als der Ärzte in Einzelpraxen.

Antwort:

Die größere Wirtschaftlichkeit von Gemeinschaftspraxen wirkt sich of- fensichtlich ausschließlich praxisin- tern aus. Die nicht zu übersehbaren Vorteile liegen in der Möglichkeit, ein vergrößertes Ärztepotential zah- lenmäßig zu neutralisieren, und in der Möglichkeit; die Kosten je be- schäftigten Arzt zu senken.

Gegenüber den Kostenträgern ent- stehen dagegen höhere Aufwendun- gen. Ob diesen eine höhere Effizienz gegenübersteht, muß in dieser Si- tuation fraglich bleiben. Eine höhere

2554 Heft 43 vom 23. Oktober 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Tabelle 2: Statistik über Leistungsbedarf, Überweisungen und Arzneiverordnungen (die Gesamtkosten)

an andere Ärzte überwiesene Fälle

Auftragsfälle

an andere Ärzte 0

LB gesamt je eig. Fall

DM Sp. 2+9 veranlaßte

Leistg.

im 0 je eig. Fall DM Sp. 5+8

Gesamt kosten je Fall DM Sp. 10+11 Arznei-

kosten je Fall DM 0

LB je Fall

DM

DM je eig.

Fall DM

je eig.

Fall

% der eigenen

Fallzahl c/. der

eigenen Fallzahl Zahl

der Ärzte

DM je Fall DM

je Fall Arztgruppe

12 11

8 9 10

5 6 7

3 4 2 Allg./Prakt. Ärzte

158,35 82,15 76,20

22,77 83,72 4,16

18,61 5,0 74,87

978 24,9

in Einzelpraxen 59,38

in Gemeinschafts-

praxen 67*) 67,59 21,3 69,25 14,81 5,9 90,81 5,41 20,22 87,81 81,17 168,98

Internisten

205,09 86,47

25,41 118,62 7,0 88,96 6,27

27,6 69,38 19,14 246 93,21

in Einzelpraxen in Gemeinschafts-

praxen 24*) 98,75 27,2 66,97 18,24 7,5 92,62 6,91 25,15 123,90 90,13 214,03

LB = Leistungsbedarf *) Zahl der Praxen

einmal sinngemäß gesagt, daß die Ärzte doch nicht mit dem Lasso auf die Straße gingen, um Patienten ein- zufangen. Er wollte damit zum Aus- druck bringen, daß auch Patienten

"mündige" Bürger sind, die sich nicht bevormunden lassen, sondern selbst bestimmen, ob und zu wel- chem Zeitpunkt sie welchen Arzt aufsuchen wollen. Und sie bestim- men auch den Leistungsumfang mit.

Natürlich sprechen wir in diesem Zu- sammenhang nicht von dem be- wußtlosen Kranken und auch nicht von dem Unfallverletzten, der in sei- ner Situation möglicherweise keine eigene Entscheidung treffen kann, quoten bei allgemeinärztlichen Ge-

meinschaftspraxen belaufen sich wie bei allgemeinärztlichen Einzel- praxen auf 1,8 je 100 Behandlungs- fälle von Allgemeinversicherten (Mit- gliedern und Familienangehörigen) und 2,9 je 100 Rentnerfälle.

Effizienz könnte etwa darin beste- hen, daß die Ärzte in einer Gemein- schaftspraxis mehr Zeit für ihre Pa- tienten haben. Dies ist jedoch nicht meßbar. Die Zahl der Beratungen pro Behandlungsfall ist eher etwas geringer als in Einzelpraxen. Auch die Zahl der eingehenden Untersu- chungen hält sich bei allgemeinärzt- lichen Gemeinschaftspraxen mit 57,6 je 100 Behandlungsfälle im Rahmen der allgemeinärztlichen Einzelpraxen. Schließlich könnte die höhere Effizienz darin bestehen, daß weniger Patienten in Krankenhäuser eingewiesen werden; aber auch dies ist nicht der Fall. Die Einweisungs-

Die zweite Frage:

Bestimmt der Arzt den Leistungsum- fang allein, oder bestimmt der Pa- tient mit?

Prof. Dr. phil. Helmut Schoeck, Ordi- narius für Soziologie in Mainz, hat

Tabelle 3: Statistik über Leistungsbedarf, Überweisungen und Arzneiverordnungen (eigene Fälle und Überweisungen)

0 Jahre

nach Niederl.

0 Zahl der eigenen Fälle

0 LB daraus

DM 0 Zahl der

Überw.- Fälle

0 LB daraus

DM

%-Ante i I der Überw.-

Fälle 0

Lebens- alter Zahl

der Arzte

davon Rentner

in % 0 LB je Fall

DM 0

Fallzahl

Streuung in % Arztgruppe

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Allg./Prakt. Arzte

in Einzelpraxen 978 54,6 17,2 724 34,3 59,38 23,5 704 59,74 20 46,88 2,8

in Gemeinschafts-

praxen 67*) 37,6 3,0 1225 31,4 67,59 17,8 1193 67,97 31 53,38 2,5

Internisten

in Einzelpraxen 246 50,3 11,5 511 43,6 93,21 25,0 416 86,85 82 128,74 16,0

in Gemeinschafts-

praxen 24*) 38,9 3,2 885 38,9 98,75 21,2 658 91,46 157 139,88 17,7

LB = Leistungsbedarf *) Zahl der Praxen

(4)

LB je Fall DM Versichertengruppe Fallz.-Anteil

Mitglieder 37,5 82,67

Fam.-Angeh. 17,2 65,06

Rentner 45,3 98,56

zusammen 100,0 86,84

LB je Fall DM Versichertengruppe Fallz.-Anteil

Mitglieder 36,5 49,48

Fam.-Angeh. 29,0 39,49

Rentner 34,5 87,63

zusammen 100,0 59,74

Tabelle 4: Statistik über Leistungsbedarf nach ausgewählten Arzt- gruppen und gegliedert nach Versichertenstatus

Internisten (nur eigene Fälle, ohne Vertreter- und Notfälle)

Allgemeinärzte (ohne Vertreter- und Notfälle)

LB = Leistungsbedarf (Fallwert)

Aufsätze • Notizen

Leistungsbedarf

sondern von dem „normalen"

Kranken.

Am Leistungsbild und am Leistungs- umfang der aus der Sicht der Patien- ten am ehesten vergleichbaren Arzt- gruppen Internisten und Allgemein- ärzte wollen wir versuchen, der ge- stellten Frage näherzukommen.

Dabei soll auch untersucht werden, ob der höhere Leistungsbedarf der Internisten gerechtfertigt ist. Hierbei soll Tabelle 4 helfen.

Bemerkenswert ist die unterschiedli- che Versichertenstruktur. Mit 45,3 Prozent Rentnern haben die Interni- sten einen beträchtlich höheren An- teil älterer Patienten wie Allgemein- ärzte. Dafür ist der Anteil der Fami- lienangehörigen mit 17,2 Prozent bei den Internisten entsprechend geringer. Da jedoch die Rentnerver-

sicherten den höchsten und die Fa- milienangehörigen den geringsten Leistungsbedarf haben, kann diese Verschiebung in der Versicherten- struktur naturgemäß nicht ohne Auswirkung auf den Gesamtlei- stungsbedarf je Fall bleiben.

Würde man in Tabelle 4 die Versi- chertenstruktur der Internisten mit den Fallwerten der Allgemeinärzte verknüpfen, so würde sich für die Allgemeinärzte anstelle des Gesamt- leistungsbedarfs von 59,74 DM je Fall ein solcher von 65,04 DM je Fall ergeben. Der Unterschied im Lei- stungsbedarf dieser beiden Grup- pen von 45,3 Prozent würde dann auf 33,5 Prozent schrumpfen. Hier- von entfällt mehr als die Hälfte auf Röntgenleistungen, denn von dem Gesamtleistungsbedarf der Interni- sten entfallen 18,5 Prozent auf Rönt- genleistungen.

Betrachten wir die Unterschiede im Leistungsbedarf der Internisten und der Allgemeinärzte im einzelnen, so ergibt sich, daß der Leistungsbedarf der Internisten mit folgenden Pro- zentsätzen über dem der Allgemein- ärzte liegt:

Mitglieder: + 67,1 Prozent Familienangehörige: + 64,8 Prozent Rentnerversicherte: + 12,5 Prozent Der relativ geringe Unterschied bei den Rentnerversicherten ergibt sich daraus, daß ihr Krankheitsbild den behandelnden Ärzten weitgehend bekannt ist und bei ihnen daher kaum noch Labor- und Röntgenlei- stungen notwendig sind. Ganz an- ders ist dies aber bei den jüngeren Versichertengruppen. Sie suchen gezielt einen Allgemeinarzt auf, wenn sie hausärztlich betreut wer- den möchten, und einen Facharzt, wenn sie einen „Spezialisten" in An- spruch nehmen möchten und dann auch ihre Ansprüche geltend ma- chen und auch durchsetzen.

Würde es hingegen so sein, daß der Arzt den Leistungsumfang bestimmt und nicht der Patient, dann wäre es in unserem Beispiel doch völlig un- verständlich, warum die Internisten bei den Rentnerversicherten nur ei- nen um 12,5 Prozent höheren Fall- wert geltend machen, bei den Mit- gliedern aber einen um 67,1 Prozent höheren Falldurchschnitt.

Internisten ohne Röntgeneinrich- tung hatten im Quartal IV/1978 in Schleswig-Holstein einen Leistungs- bedarf von 84,85 DM je Fall. Allge- meinärzte mit Röntgeneinrichtung beanspruchten im gleichen Zeit- raum 64,12 DM je Fall. Die Patienten wissen zwar häufig nicht, ob ein All- gemeinarzt über eine abgeschlosse- ne fachärztliche Weiterbildung ver- fügt oder ein Facharzt besondere Qualifikationen aufzuweisen hat. Sie wissen aber, ob er eine Röntgenein- richtung betreibt oder nicht. Wenn dennoch der Allgemeinarzt mit Röntgeneinrichtung einen so viel geringeren Leistungsbedarf hat als ein Internist ohne Röntgeneinrich- tung, so kann dies nur mit dem un- terschiedlichen Anspruchsverhalten

2558 Heft 43 vom 23. Oktober

1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Kassengruppe Allg. Vers. Rentner-Vers.

Ersatzkassen 81.81 DM 99,22 DM

86.70 DM

RVO-Kassen 103,68 DM

Leistungsbedarf je Behandlungsfall

Ersatzkassen 46,13 DM 78,35 DM

84,42 DM

RVO-Kassen 46,86 DM

Tabelle 5: Statistik über Leistungsbedarf nach ausgewählten Arzt- gruppen und gegliedert nach Kassengruppen

Internisten

Kassengruppe 0 Fallzahl (Y. Anteil

Ersatzkassen 347 38,9

RVO-Kassen 544 61,1

zusammen 891 100,0

Allgemeinärzte (Stadtkreise)

Kassengruppe

Ersatzkassen 270 30,7

RVO-Kassen 609 69,3

zusammen 879 100,0

Tabelle 6: Leistungsbedarf von RVO- und Ersatzkassenversicherten im Vergleich (KV Schleswig-Holstein IV/78)

Internisten

Allgemeinärzte (Stadtkreise) Kassengruppe Aufsätze • Notizen

der Patienten begründet sein. Auch hier gilt das vorher Gesagte: Ein Pa- tient, der einen Facharzt aufsucht, geht von vornherein davon aus, daß er es mit einem „Spezialisten" zu tun hat, während der andere Patient, der zu einem Allgemeinarzt geht, von diesem „betreut" werden möch- te, auch hausärztlich. Auch hier wird deutlich, daß nicht der Arzt den Lei- stungsumfang bestimmt, sondern der Versicherte dadurch, daß er sein Recht auf freie Arztwahl ernst nimmt.

Der Leistungsbedarf der Allgemein- ärzte ohne fachärztliche Weiterbil- dung belief sich im Quartal IV/1978 auf 59,91 DM je Fall. Der Leistungs- bedarf derjenigen Allgemeinärzte, die über eine abgeschlossene inter- nistische Weiterbildung verfügten, betrug nur 57,93 DM. Von dem Um- fang der Weiterbildung eines Arztes und von einer möglichen Anerken- nung als Facharzt hat der Patientin aller Regel keine Kenntnis. Wenn es richtig wäre, daß der Arzt den Lei- stungsumfang bestimmt und nicht

Leistungsbedarf

der Patient mindestens mitbe- stimmt, dann hätten sicher die allge- meinärztlich tätigen 94 Internisten in Schleswig-Holstein nicht einen ge- ringeren Leistungsbedarf, sondern einen beträchtlich höheren, den sie mit ihrer längeren und abgeschlos- senen Weiterbildung und speziellen Praxiseinrichtung gegenüber den Prüfungsinstanzen auch sehr wohl begründen könnten.

Schließlich läßt sich am unter- schiedlichen Anspruchsverhalten der RVO-Kassen- und der Ersatzkas- sen-Versicherten demonstrieren, daß nicht der Arzt, sondern der Ver- sicherte den Leistungsumfang maß- geblich beeinflußt. Von den Versi- cherten der RVO- und Ersatzkassen entfallen etwa zwei Drittel auf die RVO- und ein Drittel auf die Ersatz- kassen. Wie Tabelle 5 zeigt, versor- gen die Internisten zu 38,9 Prozent Ersatzkassen-Versicherte. Bei den Allgemeinärzten beträgt der Anteil der Ersatzkassen-Versicherten da- gegen in den vier schleswig-holstei- nischen Stadtkreisen nur 30,7 Pro- zent.

Auch die Internisten „fangen keine Patienten mit dem Lasso" ein. Wenn sich dennoch relativ mehr Ersatz- kassen-Versicherte für die Inan- spruchnahme eines Internisten ent- scheiden, dann tun sie dies aus ei- ner bestimmten Anspruchserwar- tung heraus, wohl wissend, daß sie kaum mit einer hausärztlichen Be- treuung rechnen können. Auch hier zeigt sich, daß der Versicherte durch die Wahl des Arztes den Leistungs- umfang entscheidend beeinflußt.

Den Ersatzkassen-Versicherten wird häufig nachgesagt, daß sie eher an- spruchsvoller sind. Tabelle 6 zeigt aber deutlich, daß sie sich überflüs- sige Leistungen nicht aufdrängen lassen. Wie sonst wäre es zu erklä- ren, daß ihr Leistungsbedarf gerin- ger ist als der Leistungsbedarf der RVO-Kassen-Versicherten?

Die gegenübergestellten Daten sind direkt vergleichbar, denn im Quartal IV/1978 waren die Gebührenordnun- gen voll identisch, und bei den RVO- Kassen-Versicherten liegt der Be-

(6)

Aufsätze •Notizen

Nachdem meine geplante Famulatur bei einem Orthopäden kurzfristig abgesagt wurde, wandte ich mich an eine Allgemeinärztin. Ich schilderte meine Situation, und sie bot mir so- fort ihre Hilfe an. Am gleichen Tag begann ich mit meiner Famulatur.

Patienten, die eventuell die Ärztin alleine sprechen wollten, wurden im Wartezimmer durch eine Tafel auf die Möglichkeit hingewiesen. Es zeigte sich aber, daß es fast keinen Patienten störte, von mir als Me- dizinstudenten mituntersucht zu werden.

Der Praxisablauf war äußerst vielsei- tig, denn alle Fachgebiete der Medi- zin spielen in der Allgemeinmedizin eine Rolle. Es war für mich als Me- dizinstudent eine günstige Gelegen- heit, praktische Untersuchungsme- thoden anzuwenden. Bald bemerkte ich, daß bei mir einige Wissenslük- ken, insbesondere in der Sozialme- dizin, vorlagen. Ich hatte die Bedeu- tung der Sozialmedizin für den Pa- tienten zu gering eingeschätzt. Um- schulung, Müttergenesungswerk, Schwangerschaftsschutz, Drogen- beratung usw. sind für den Patien- ten wichtige Anliegen, auf die ein Arzt eingehen muß.

Psychosoziale Fragen waren für mich als Student ein Gebiet, das in der universitären Ausbildung zu kurz kam. Wie verzweifelt eine Mut- ter sein kann, deren 17jähriger Sohn suizidgefährdet ist, oder wie schwer ein 40jähriger Mann mit beginnen- der Leberzirrhose von einer notwen- digen Abstinenz zu überzeugen ist, war mir nicht bewußt.

Hausbesuche waren für mich Gele- genheiten zu erkennen, daß beson-

ders ältere Menschen die Hilfe des Hausarztes benötigen. Gute Einrich- tungen waren die speziellen wö- chentlichen Sprechstunden sowohl für die Diabetiker als auch für die Herzkranken. Die Insulineinstellung der Diabetiker als auch der Gerin- nungsstatus der mit Marcumar be- handelten Patienten wurden labor- mäßig überprüft und im Medikamen- tenbuch, welches jeder Patient mit sich führt, eine entsprechend even- tuell neue Einstellung festgehalten.

In der Anamnese wurde nach sonsti- gen Veränderungen gefragt. Zur Routine gehörte es, das Herz zu aus- kultieren sowie Puls und Blutdruck zu messen.

Wie Jugendliche unter einer starken Akne psychisch leiden, kann nicht in Lehrbüchern gezeigt werden. Mit ei- ner im Haus tätigen Kosmetikerin hatte die Hausärztin eine umfassen- de Therapie eingeleitet. Ein Derma- tologe, der wegen seiner nötigen Anerkennungszeit in der Praxis mit- arbeitete, demonstrierte mir fachli- che Untersuchungsmethoden. Eine Fachärztin für Psychiatrie und Neu- rologie, in der Praxis teilzeitbeschäf- tigt, erweiterte mein Wissen, indem sie mir aus ihrem Fachgebiet spe- zielle Kenntnisse vermittelte.

Die Zusammenarbeit mit den Fach- ärzten beziehungsweise Kranken- häusern zeigt die integrierende Funktion der Allgemeinmedizin. Der Patient will von seinem Hausarzt den Befund erklärt bekommen. Auch kann der Hausarzt verschiedene Be- handlungen bei Multimorbiden bes- ser koordinieren. Da der Patient eine sofortige Besserung seines Zustan- des erhofft, ist der Allgemeinmedizi- ner genötigt, Behandlungsmaßnah-

Leistungsbedarf

rechnung des Leistungsbedarfs ein fiktiver Punktwert von 0,10 DM zu- grunde, also genau derselbe Wert, der der E-GO im Quartal IV/1978 bei der Gebührenfindung zugrunde lag.

Antwort:

Die Behauptung, insbesondere von politischer Seite, daß die in freier Praxis tätigen Ärzte nach eigenem Ermessen beliebig über Mittel der sozialen Krankenversicherung ver- fügen, indem sie den Leistungsum- fang und damit ihr Einkommen be- stimmen, ist abwegig. Insgesamt ist der Anteil der kassenärztlichen Ge- samtvergütung an den Beitragsein- nahmen der gesetzlichen Kranken- kassen in den letzten Jahren laufend zurückgegangen. Während der Bei- tragssatzanteil für ambulante ärztli- che Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung 1965 noch 1,91 Prozent und 1975 noch 1,83 Prozent betrug, fiel er 1978 auf 1,69 Prozent zurück. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Leistungsbedarf der Versicherten langsamer gestie- gen ist als die durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienste der Be- schäftigten.

Die Zahl der Ärzte ist andererseits erheblich schneller gewachsen als die Bevölkerung. Wenn die Ärzte es tatsächlich in der Hand hätten, den Leistungsumfang allein zu bestim- men, so würde diese Entwicklung anders verlaufen sein. Ob es nun das häufig zitierte kostenbewußte Ver- halten des Versicherten ist oder nur sein begrenzter Bedarf an ärztlicher Versorgung, ist letzten Endes nicht entscheidend.

Der Versicherte macht nicht nur von seinem Recht auf freie Arztwahl Ge- brauch, sondern nimmt auch Einfluß auf den Leistungsumfang, das heißt, er läßt sich nicht unnötige Leistun- gen aufdrängen!

Anschrift des Verfassers:

Berthold Schüttrumpf Geschäftsführer der

Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein

Bismarckallee 1-3 2360 Bad Segeberg

THEMEN DER ZEIT

„Der Hausarzt

soll immer sofort helfen"

Erfahrungen mit einer Famulatur in der Allgemeinmedizinpraxis

Phillip Roth

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1980

2561

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