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Archiv "Wirtschaftlichkeitsprüfungen kassenärztlicher Tätigkeit" (03.05.1979)

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Wirtschaftlichkeitsprüfungen kassenärztlicher Tätigkeit

Wolfgang Heinz Der Verdacht auf Unwirt-

schaftlichkeit ärztlichen Han- delns wird im allgemeinen von Überhöhungen des Fachgrup- penfall-„Durchschnittes" her- geleitet, die in linearen Pro- zentüberschreitungen ausge- drückt werden. Rekonstrukti- ve, totalstatistische Darstel- lungen bringen die Überle- gung nahe, daß eine Betrach- tungsweise in Streubreiten- berechnungen auf der Basis der Gaußschen Normalvertei- lung sowohl den Belangen höchstrichterlicher Sozial- rechtsprechung (eines indivi- duellen ärztlichen Handlungs- spielraumes, den die überwie- gende Mehrzahl der Ärzte ein- nimmt, und der Aussage, daß erst ab einer Überschreitung einer angemessenen Streu- ung eine Abweichung von der Norm und damit ein erster An- schein auf Unwirtschaftlich- keit vorliegt) als auch den tat- sächlich gefundenen Streuun- gen und Verteilungen um den

„Durchschnitt" gerechter wird als eine Betrachtungs- weise in Prozentüberschrei- tungen. Diese Arbeit befaßt sich deshalb nur mit Wahr-

scheinlichkeits-Annahmen auf Grund statistischer Ver- gleiche, wie sie in vielen Le- bensbereichen, wenn diese auf Vergleiche genügend gro- ßer Zahlen projiziert werden, üblich sind und mehr oder we- niger auch von jedem Indivi- duum bewußt oder unbewußt in sein Handeln, nicht nur im Umgang mit finanziellen Mit- teln, einbezogen werden.

_

Im Rahmen der gesetzlichen Kran- kenversicherung muß die kassen- ärztliche Versorgung der Patienten zwar ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, kann der Ver- sicherte nicht beanspruchen, der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt darf sie nicht be- wirken oder verordnen (1, 2). Diese Gesetzesbestimmungen schlagen sich in den Verträgen zwischen Krankenkassen und Kassenärztli- chen Vereinigungen sowie der'da- zugehörigen Prüfvereinbarungen nieder.

1. Rechtsgrundlagen

Der 6. Senat des Bundessozialge- richtes (BSG) hat dazu ausgeführt, daß die Begriffe „ausreichend",

„zweckmäßig", „Maß des Notwendi- gen" und „unwirtschaftlich" in un- trennbarem inneren Zusammen- hang den Oberbegriff „Wirtschaft- lichkeit" bilden (3). Die Auslegung des Wirtschaftlichkeits-Begriffes er- wächst dabei aus medizinisch-fach- lichen und ärztlichen Handlungs- merkmalen („nach den Regeln der ärztlichen Kunst" [1]) und kann als schwer bestimmbarer Rechtsbegriff in weitem Umfang denjenigen über- lassen bleiben, die es in erster Linie angeht und die auch die festen fach- lichen Qualifikationen für diese Kon- kretisierung haben" (4) [ — den Ärz- ten selbst! —].

Bereits 1959 hat das BSG eine Schätzung eines auf Unwirtschaft-

lichkeit beruhenden Mehraufwan- des für zulässig erklärt, wenn eine Überprüfung aller Einzelfälle einer Praxis mit allen dazu notwendigen Unterlagen zu schwierig und auf- wendig ist und in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht (5, 6).

Auch die Prüfung im Umfang abge- grenzter Teilgebiete ärztlicher Tätig- keit wird hier für zulässig erklärt.

Eine Schätzung kann nur annähern- de Richtigkeit haben. Sie ist von der Prüfinstanz nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen (7). Schät- zungsgrundlage ist ein Vergleich.

Vergleichstatbestand kann derjeni- ge mit anderen gleichartigen Praxen mittels durchschnittlichen Fallwer- ten sein (8).

Aus Gründen der Verwaltungs- und Prozeßökonomie wird das Prüfver- fahren auf Wirtschaftlichkeit von dieser Methode beherrscht.

Da statistische Erhebungen allge- mein nur die Bedeutung eines mehr oder weniger wahrscheinlichen An- scheins als Aussage über jedes ein- zelne Ereignis der Grundgesamtheit, aus der sie hergeleitet wurden, ha- ben, hat der 6. Senat des BSG schon damals gefolgert, daß bekannten oder bis dahin nicht erkennbaren Besonderheiten der Praxistätigkeit („alle wesentlich in Betracht kom- menden Umstände" [9]) oder kom- pensationsfähigen ursächlichen Zu- sammenhängen zwischen Mehr- und Minderaufwendungen in eige- nen oder fremden Leistungsberei- chen Rechnung getragen werden muß (10). Dabei hat der betroffene

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Arzt eine Mitwirkungspflicht. Eine solche Prüfpraxis wird als „individu- elle Prüfung" apostrophiert, beson- ders dann, wenn diese vergleichen- den Betrachtungen einer „möglichst verfeinerten Invergleichsetzung"

folgen (11).

Erst wenn der vergleichende An- schein der Statistik, selbst unter Be- rücksichtigung von Besonderheiten einer Praxistätigkeit, den Mehrauf- wand nicht rechtfertigt und dieser den Fachgruppendurchschnnitt er- heblich (12) überschreitet, wird ein solcher Art vorliegender Verdacht unwirtschaftlichen Handelns zuneh- mend mit dem Ausmaß der Über- schreitung (13) so stark, daß sich die Beweislast auf den betroffenen Arzt überwälzt (14).

Der Arzt muß in diesem Falle eines

„offensichtlichen Mißverhältnisses"

den Anschein der Unwirtschaftlich- keit widerlegen und die Wirtschaft- lichkeit seiner Praxisführung bewei- sen (15). So wird auch nach höchst- richterlicher Rechtsprechung für ei- ne Überhöhung, die so groß ist, daß sie ein „offensichtliches Mißverhält- nis" darstellt, eine Schätzung des auf Unwirtschaftlichkeit beruhenden Mehraufwandes am Gesamtaufwand ohne zwingende Anführung von Bei- spielen für zulässig erklärt (16).

Eine solche Grenze, ab der ein of- fensichtliches Mißverhältnis be- ginnt, wurde bisher allgemeingültig nicht als Zahl oder Meßwert festge- legt, sie kann aber ab einer Über- schreitung von 53 Prozent (16) und mit größter Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent (13) beginnen.

Der Bereich zwischen angemesse- ner Streuung und offensichtlichem Mißverhältnis wird als „Übergangs- zone" bezeichnet (18). In solchen Bereichen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozial- gerichts schon die „Anführung einer genügend beleuchtenden Anzahl von Beispielen" (19) nötig, um die Unwirtschaftlichkeit zu belegen, während bei einer geringfügigen Überschreitung des Fachgruppen- durchschnittes die Unwirtschaftlich- keit anhand einzelner Patientenfälle

mit allen verfügbaren Daten und Un- terlagen nachgewiesen werden muß (20).

Das BSG erläutert weiter (21, 22), daß „jede Durchschnittsbetrachtung eine angemessene Streuung (haben muß) und demgemäß eine entspre- chende Abweichung von der Norm nach oben als noch zulässig (zu gel- ten hat). Erst außerhalb dieser Gren- ze kann überhaupt von einer Über- schreitung im Sinne einer Abwei- chung von der Norm gesprochen werden" (21). Der gleiche Senat ver- wies in seinem Urteil aus dem Jahr

Ereignisse: n = 3 10 15 20

Summe / 45:3 = 15 D = 15 n = 5

2 3 5 30 35 I 75:5 = 15

D = 15

n = 15 1

2 3 4 5 8 10 12 15 20 21 25 30 34 35 E 225:15 = 15

D = 15

n E X;

D=µ = Mt, = + X2 + X3 + Xn _ i = 1

Abbildung 1: Arithmetische Mit- telwerte (D)

1974 (23) auf die „richtungweisende Wirkung" von Mittelwerten mit der Folge „normativer Wirkung", gerade für „Zweifelsfälle", jedenfalls dann, wenn so stark überhöhte Honorar- anforderungen ausgewiesen wer- den, wie diesem Urteil zugrunde la- gen (Gesamthonorarüberhöhung 40 bis 60 Prozent, Überhöhung der Lei- stungsgruppe Sonderleistungen um das Dreifache des Durchschnittes).

Es heißt weiterhin, daß die Annahme

„richtungweisender Wirkung" zur Voraussetzung habe, daß „die über- wiegende Mehrheit der in Betracht kommenden Kassenärzte wirtschaft- lich handelt" (24), wovon man aus- gehen könne.

Dieses Urteil verweist auch darauf, daß Mittelwerte „nach den Metho- den der statistischen Wissenschaft"

zu ermitteln seien. Etwaige Unsi- cherheiten der statistischen Metho- de — aussagekräftiger als der arith- metische Mittelwert wäre möglicher- weise ein anderer Mittelwert (z. B.

Modus und Median mit entspre- chenden Vertrauensbereichen [der Verfasser]) — würden bei einer derar- tigen Überhöhung nicht ins Gewicht fallen.

II. Arithmetisches Mittel und Streubreite

Wenn man also die Begriffe „arith- metischer Mittelwert", „richtung- weisende Wirkung", „überwiegende Mehrheit", „angemessene Streu- ung", „Abweichung von der Norm"

und „Methoden der statistischen Wissenschaft" in einen Zusammen- hang bringen will, so bietet sich am ehesten eine Betrachtungsweise des sogenannten Durchschnittes im Rahmen von Streubreitenberech- nungen auf der Basis der Gauß- schen Normalverteilung an, wie es beispielsweise die Kassenärztliche Vereinigung, das Sozialgericht und Landessozialgericht Schleswig-Hol- stein schon seit längerem handha- ben und die Kassenärztliche Vereini- gung Pfalz es seit zwei Jahren ver- sucht.

Mit „Durchschnitt" ist in dem hier abgehandelten Zusammenhang das

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arithmetische Mittel gemeint. Ein solcher Durchschnitt sagt lediglich aus, an welcher Stelle etwas "durch- geschnitten" wurde. Mit dem Durch- schnitt allein ist keine Aussage mög- lich, wie weit oder bis wohin dasjeni- ge, was durchgeschnitten wurde, streut oder sich spannt.

Abbildung 1 soll verdeutlichen, daß drei verschiedene Grundgesamthei- ten von verschieden großen Ereig- nissen denselben "Durchschnitt"

als arithmetisches Mittel aufweisen, obwohl die Anzahl dieser Ereignisse wie auch ihre "Spannweite" ganz unterschiedlich groß sind.

Um ein Maß für die "Streuung" um den arithmetischen Mittelwert zu er- halten, haben sich die Statistiker fol- gendes ausgedacht:

..,.. Wenn man die Entfernung (die Streuung, die Spann breite) eines je- den einzelnen Ereignisses zum arithmetischen Mittelwert mißt und dieses quadriert (da sich oft ein ne- gativer Wert ergibt, der sich mit po- sitiven Werten zwar aufheben wü r- de, trotzdem aber als "Streuung"

faßbar in die Berechnung eingehen sollte), und sodann sämtliche Qua- dratierungen zusammenaddiert und weiterhin durch die Anzahl der Er- eignisse dividiert, so erhält man ein Maß einer arithmetisch gemittelten Streuung im Quadrat, die sogenann- te "Varianz".

Wird daraus nun wiederum die Qua- dratwurzel gezogen, so erhält man die sogenannte "einfache mittlere Streu breite". Diese ist eigent- lich weiter nichts als ein "Durch- schnitt" der Spannbreite aller Ereig- nisse.

Wenn man nämlich den Rechenvor- gang in dem Beispiel in Abbildung 2 verfolgt, wird klar, daß alle Entfer- nungen der einzelnen Ereignisse zum arithmetischen Mittelwert zu- sammenaddiert und hinterher durch die Anzahl der Einzelereignisse divi- diert wurden, was genau dem rech- nerischen Vorgang der Ermittlung eines arithmetischen Mittelwertes entspricht, - nur daß hier zwischen-

l-1s (-11,43)

Ereignisse n=15 D

x1 1 15

x2 2 15

x3 3 15

x4 4 15

Xs 5 15

Xs 8 15

X? 10 15

Xa 12 15

Xg 15 15

x10 20 15

x11 21 15

x12 25 15

x13 30 15

x14 .34 15

X 35 15

:r 225:15 = 15

(X;-D) -14 -13 -12 -11 -10 - 7 - 5 - 3 0

+ 5 + 6 + 10

+ 15

+ 19

+ 20

(X1-D)2 196 169 144 121 100

49 25 9

0 D = 15 25

36

100

s

= 130,67 = 11,43 225

361 400

:r 1960:15 = 130,67

Abbildung 2: Arithmetische Mittelwerte und Streubreite

~ ( Xj- ~J- f

n = x =Ereignis Anzahl d. Ereignisse (x) f.' = arithmet. Mittel = D

f = Gewichtung L = Summenoperator o (f> hier s) =

n

[f] ist nur bei Wichtungen

einzusetzen'

Abbildung 3: Berechnung der mittleren Streubreites (ö)

drin zusätzlich quadriert, hinterher aber wieder die Quadratwurzel ge- zogen wurde. Die "einfache mittlere Streubreite" könnte allgemeinver- ständlicher auch .,arithmetisch ge- mittelte Streubreite oder Spannwei-

te" oder .,durchschnittliche Streu-

breite oder Spannweite" heißen.

Sowohl arithmetisches Mittel (Ma, D,

x ,

ll) wie auch einfache mittlere Streubreite (s oder ö) werden vom Computer nach den in Abbildung 3 angegebenen Rechen-.,rezepten"

ermittelt.

111. Streubreiten und Normalverteilung

Man fand schon vor mehr als hun- dert Jahren (de Moivre, Karl Fried- rich Gauß, Laplace), daß Häufig- keitsverteilungenvon Naturereignis- sen oder Meßwerten, wenn sie nur einer genügend homogenen Grund- gesamtheit entstammen, sich rechts und links des arithmetischen Mittel- wertes häufen, um dann in charakte- ristischer Kurvenform abzufallen und nach beiden Seiten ins Unendli- che zu streben, wobei die Wahr-

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Abbildung 4: Normalverteilungen und standardisierte Normalverteilung

— s —2s —ls D +is +2s +3s 95,4%

99,7% •I

—1s —1s D+1s+ls +ls

II

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Wirtschaftlichkeitsprüfungen

scheinlichkeit des Auftretens von solch extremen Ereignissen oder Meßwerten bis unendlich klein wird (zum Beispiel Körpergrößen, Intelli- genzquotienten, Anzahl von Wärten auf vollbedruckten Seiten eines Bu- ches, Funktionsdauer technischer Geräte, offenbar auch die Wirksam- keit und Nebenwirkung von Medika- menten in Abhängigkeit von der Do- sis usw.).

Danach sind Stichprobendurch- schnitte „normal" verteilt, selbst wenn diese einer nicht „normal"- verteilten (inhomogenen) Grundge- samtheit entstammen.

Wie erklärt man sich das Zustande- kommen einer solchen Verteilung um den Durchschnitt? — Schon Gauß nahm an, daß zufällige und voneinander unabhängige Einflüsse in vielfältigen Kombinationen auf ein gleichartiges Ereignis (oder Merk- mal) einwirken und dann eine solche charakteristische Streuung um den Durchschnitt verursachen. Ein Spiel unbekannter Faktoren als Zufalls- kombination zufälliger Einflüsse, ein Spiel des Zufalls? — Das „Zentrale Grenzwerttheorem" der Mathematik bestätigt dies.

Betrachtet man die Patientenzahl ei- nes Arztes und die an ihnen ausge- führten Leistungen (Honoraranfor- derung) als Stichprobe der Grund- gesamtheit „Bevölkerung", so wer- den die Durchschnitte auch ver- schieden großer Stichproben (Ho-

noraranforderungen) „normal" ver- teilt sein.

Vorbedingung dafür ist jedoch, daß die Stichproben einer gleichartigen Grundgesamtheit und zufällig ent- nommen („freie Arztwahl" sicherlich mit Einschränkungen) entstammen.

Eine gleichartige Grundgesamtheit wäre hier ein in etwa gleichartig zu- sammengesetztes Patientengut, welches durch die klassischen

„Fach"-Gruppen von „Fach"-Ärzten oder Gruppen anderer Ärzte („Lei- stungsgruppen", zur Zeit in der Dis- kussion) nach weitgehend gleichen Prinzipien behandelt wird.

Wie auch immer, das Patientengut bestimmt dabei das ärztliche, annä- hernd gleichartig ausgerichtete Handeln, — nicht jedoch die perso- nengebundene und gewollt davon entfernte Handlungsweise eines Arztes.

Das „Häufige", das „Wahrscheinli- che" führt zusammen mit einer zu- fälligen Kombination von Zufallser- eignissen schon zur „Normalvertei- lung" von Merkmalen. Darüber hin- aus werden aber auch die einzelnen durchschnittlichen Honoraranforde- rungen „normal" verteilt sein und als „Normalverteilung" den Durch- schnitt der ganzen repräsentierten Grundgesamtheit (Patientenklientel) umschließen. Ein Maß dieser „Ver- teilung" um den Durchschnitt ist die bereits bekannte einfache mittlere Streubreite.

Wichtigstes Kriterium, das die Erfül- lung einer „normalen Verteilung"

anzeigt, ist nicht der absolute Wert der mittleren Streubreite, sondern die Menge der Ereignisse, die um das arithmetische Mittel herum zwi- schen der negativen mittleren Streu- breite ( — 1s) und der positiven mitt- leren Streubreite (+ 1s) liegen. Dies sind im Idealfall rund 68 Prozent al- ler Ereignisse. Zwischen der negati- ven doppelten mittleren Streubreite (— 2s) und der positiven doppelten mittleren Streubreite (+ 2s) sollen rund 95 Prozent aller Ereignisse, und zwischen der negativen dreifa- chen mittleren Streubreite (-3s) und der positiven dreifachen mittleren Streubreite (+ 3s) rund 99,7 Prozent aller Ereignisse gefunden werden.

(Abbildung 4).

Durch solche normalen „Mengen"- Verteilung gelangt man dann zum Begriff der sogenannten „Irrtums- wahrscheinlichkeit" (a); zum Bei- spiel beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis außerhalb der dop- pelten mittleren Streubreite liegt und gleichzeitig dennoch zu dieser Grundgesamtheit gehört, rund 4,5 Prozent.

Man muß dabei bedenken, daß es in der Natur keine mathematisch ge- nau exakte Normalverteilung gibt.

Natürliche Verteilungen kommen aber diesem mathematischen Dar- stellungsmodell so stark nahe, daß geringe Abweichungen vernachläs- sigt werden können, wenn die Nor- malverteilung eine praktische Beur- teilungs- und Handlungshilfe sein soll. Wichtig ist also nicht nur der unbedingt glockenförmige Kurven- verlauf (Abbildung 4), sondern auch die Menge der Ereignisse der Grundgesamtheit zwischen den ein- zelnen Streubreitenbereichen. Da- bei kann als Hilfe einer Überprüfung auf Normalverteilung auch dienen, daß die Wendepunkte der Kurve bei

—1s und + 1s, die Tangenten beim weiteren Abschwingen der Kurve bei

—2s und +2s liegen sollen. Als stati- stischer Erfahrungswert hat sich weiterhin gezeigt, daß der Verdacht von Inhomogenität der Grundge- samtheit dann gegeben ist, wenn die einfache mittlere Streubreite den

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Häufigkeitsverteilung 1 Normalverteilung:

1 -1s bis +1s 0 68,26% (a = 0,317) 2 -2s bis +2s 0 95,40% (a = 0,040) 2 -3s bis +3s 99,70% (a = 0,003) 3

12 28 26 52 34 56 54 59 41 31 43 21 11 8 19

4 Klassenteilungen ±1s/2s geschätzt 6

2 n = 530 0 100%

1 -1s bis +1s n = 409 0 77%

1 -2s bis +2s n = 5i6 0 97%

1 1

3 Ärzte für Allgem. Medizin 1 Honorar Gesamt 1 RVO 1/78 In = 530 DM/Fall (vor Quote) n = Anzahl Ärzte]

0,01- 2 2,01- 4 4,01- 6 6,01- 8 - 2s - 8,01-10 10,01-12 12,01-14 14,01-16 16,01-18 - 1s -18,01-20 20,01-22 22,01-24 24,01-26 26,01-28 D - 28,01-30 30,01-32 32,01-34 34,01-36 36,01-38 -1-1s - 38.,01-40 (+32%) 40,01-42 42,01-44 44,01-46 46,01-48 +2S -48,01-50 (+64%) 50,01-52 52,01-54 54,01-56 56,01-58 58,01-60 60,01-62 62,01-64 64,01-66 66,01-68 68,01-70 70,01-72 72,01-74 D = 30,07

1s = 9,50

4 8 -20 40 60

Abbildung 5: Streubreiten im Vergleich zu den Prozentüberschreitungen arithmetischen Mittelwert um mehr

als 50 Prozent überschreitet (soge- nannter Variationskoeffizient) und/

oder die Kurve mehrere deutliche Gipfel aufweist.

IV. Streubreiten und Normalverteilung in der

Überprüfung auf Wirtschaftlichkeit Wenn der arithmetische Mittelwert und die einfache mittlere Streubreite sowie die Anzahl der Ereignisse der Grundgesamtheit bekannt sind, kann man Häufigkeitsverteilungen als Strichlisten zeichnen und hinter- her versuchen, eine glättende Kurve darüber zu legen. Aus dem Kurven- verlauf kann man so schon auf den ersten Blick erkennen, ob eine ange- näherte Normalverteilung vorliegt.

Wenn man dann noch die Mengen der Einzelereignisse zwischen den einzelnen Streubreitenbereichen berechnet und mit der Anzahl der Grundgesamtheit in Beziehung setzt, hat man weitere genauere An- haltspunkte, ob eine Normalvertei- lung vorliegt oder nicht.

Genau diese Überprüfung haben wir für die Honorarereignisse aller Ärzte unseres KV-Bereiches für das 1.

Quartal 1978 getan, wobei wir für jede Fachgruppe und innerhalb der- selben für jede Leistungsgruppe ei- ne Häufigkeitsverteilung darstellten.

Die Honorarereignisse stellen die Falldurchschnitte der RVO-Kran- kenkassen-Abrechnung vor Zu- schlagsberechnung dar, liegen also um etwa 50 bis 60 Prozent unter dem realen Honorarwert (Abbildung 5).

Dabei stellte sich folgendes heraus:

1. Die Gesamt-Honoraranforderun- gen von denjenigen Fachgruppen, die eine genügend große Anzahl ih- rer Grundgesamtheit besitzen (etwa 100, je mehr um so sicherer), stellen sich als angenäherte Normalvertei- lungen dar.

2. Auch die meisten Leistungsgrup- pen innerhalb der einzelnen Fach- gruppen zeigen eine angenäherte Normalverteilung.

3. Nur wenige Leistungsgruppen (zum Beispiel Sonderleistungen) zeigen zwar eine angenäherte nor- male Verteilung in bezug auf Kur- venverlauf um das arithmetische Mittel herum und in bezug auf die Anzahl der einzelnen Honorarereig- nisse innerhalb der Streubreitenbe- reiche, jedoch ist ihre Prozentüber- schreitung der einfachen mittleren Streubreite zum arithmetischen Mit- telwert manchmal größer als 50 Pro- zent, was den Verdacht auf eine in- homogene Grundgesamtheit auf- wirft. Dies entspricht auch der prak- tischen Erfahrung bei der Prüftätig- keit, zum Beispiel der Fachgruppen der Allgemeinmediziner und Interni- sten, die ja gerade in der Leistungs- gruppe allgemeine und spezielle Sonderleistungen, zwar fachtypi- sche, aber sehr unterschiedliche ärztliche Handlungsschwerpunkte aufweisen.

Wenn solche Besonderheiten ärztli- chen Handelns richtig erkannt, be- urteilt und gewogen werden, bedarf es nicht unbedingt immer eines wei-

tergehenden verfeinerten Vergleichs kleinerer Gruppen dieser Grundge- samtheit einer Fachgruppe, um zu einer im großen und ganzen abge- schätzten gerechten Beurteilung der Tätigkeit eines Arztes zu gelangen.

Dabei sollte man sich bei Ähnlich- keiten die Unterschiede und bei Un- terschieden die Ähnlichkeiten be- wußt machen.

4. Einige Fachgruppen und Lei- stungsgruppen (zum Beispiel die Fachgruppe der Augenärzte oder die Leistungsgruppe Beratungen) weisen eine so geringe einfache mittlere Streubreite auf, daß man auf ein weitgehend identisches Lei- stungsspektrum dieser Arztgruppe (Fachgruppe) schließen muß, was der medizinischen Realität ja auch entspricht.

5. In der Abbildung 5 sind die Streu- breiten und ihre Prozentüberschrei- tungen zum Durchschnitt angege- ben. Beim Vergleich zwischen Streubreite und entsprechender Prozentüberschreitung wird deut-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Wirtschaftlichkeitsprüfungen

lich, daß bei einer Überschreitung von 15 bis zu 40 Prozent (25) bei sehr vielen Fachgruppen und Lei- stungssparten solche Honoraranfor- derungen von Ärzten erfaßt werden, die noch zur „überwiegenden Mehr- zahl" gehören, von der angenom- men wird, daß sie „wirtschaftlich handelt" und die sich dann bei „an- gemessener Streuung" noch „im Bereich der Norm" bewegt.

Noch deutlicher wird die Diskrepanz zwischen Prozentüberschreitung und Betrachtungsweise nach Streu- breiten auf der Basis der Gaußschen Normalverteilung bei den Fällen, in denen ein offensichtliches Mißver- hältnis bei Überschreitungen von 40 bis 60 Prozent angenommen wird.

In zwei Urteilen zum Beispiel aus dem Jahr 1975 hat das Landesso- zialgericht Schleswig-Holstein (26, 27) überzeugend und in nachträgli- cher Übereinstimmung mit unseren rekonstruktiven statistisch bewei- senden Darstellungen ausgeführt, daß der Bereich des Durchschnittes plus der einfachen mittleren Streu- breite (D + 1s) als Raum individuel- len ärztlichen Handelns verstanden wird („in der Regel als im Bereich der Norm liegend"), jedoch „vorbe- haltlich der Feststellung von Unwirt- schaftlichkeit im einzelnen".

Bei Überschreitung dieses Berei- ches beginne der Verdacht oder An- schein auf Unwirtschaftlichkeit.

Wenn ein solcher Verdacht, ein sol- cher „erster Anschein" vorliegt, soll- ten eine vom Arzt bewußt angestreb- te individuelle Ausrichtung seiner Praxistätigkeit, nicht personenge- bundene besondere Praxisbedin- gungen eines Abrechnungszeitrau- mes (Quartales), andere schwerwie- gende Praxisbesonderheiten, die in Diagnostik und Therapie spezieller Leiden umfangreiche und aufwendi- ge Untersuchungen erfordern, so- wie weiterhin ursächliche kompen- sationsfähige Zusammenhänge zwi- schen Mehraufwendungen und evtl.

Minderaufwendungen in eigenen oder fremden Leistungsbereichen wahrgenommen, beurteilt und in ih- rem gerechtfertigten Mehraufwand berücksichtigt werden.

Ein sogenanntes offensichtliches Mißverhältnis nimmt das Landesso- zialgericht Schleswig-Holstein (26, 27) dann an, wenn die Grenze des Durchschnittes plus der doppelten mittleren Streubreite (D + 2s) über- schritten wird. Bei dann eintreten- den Kürzungsmaßnahmen, nach vorangegangener Berücksichtigung oben genannter Kriterien einer indi- viduellen Überprüfung, ist die An- führung von Beispielen entbehrlich, wenn auch die Behandlungsauswei- se (Krankenscheine) wenigsten orientierend durchgesehen werden müssen.

Der Bereich zwischen D + 1s und D + 2s würde nach dieser Auslegung der „Übergangszone" zwischen dem Verlassen des Bereiches einer

„angemessenen Streuung" und dem Erreichen eines „offensichtli- chen Mißverhältnisses" entsprechen (dazu BSG-Urteil) vom 26. Mai 1978 [28]).

Die Praktikabilität im Umgang mit Streubreitenberechnungen basiert auf der Betrachtung der Mengenver- teilungen (Häufigkeitsverteilungen) als Normalverteilung und der mehr oder weniger großen Wahrschein- lichkeit, mit der das beobachtete auffällige Ereignis zur Grundge- samtheit gehört oder nicht. Erst nach diesem Schritt systematischen Vorgehens in der Betrachtungswei- se von Überschreitungen erfolgt ei- ne individuelle Überprüfung unter den bereits genannten Kriterien. Da- bei schlagen die tatsächlichen Ge- gebenheiten immer, wenn sie ge- rechtfertigt sind, jeden statistischen Anschein oder Anscheinsbeweis.

Die Abbildung 5 stellt zur Unter- mauerung dieser Betrachtungswei- se eine beispielhafte originäre Häu- figkeitsverteilung dar, die den Leser zur kritischen Betrachtung anregen soll.

Es wird nun immer wieder eine „ver- feinerte Invergleichsetzung" gefor- dert, die anhand von intra-individu- ellen Vergleichen zurückliegender Behandlungszeiträume oder sol- chen einer kleineren Gruppe mit vorwiegend gleichen Tätigkeits-

merkmalen, geführt werden, wobei aber darauf hingewiesen werden muß, daß ein „zu enger Vergleichs- maßstab" die „Gefahr zu einseitiger Berücksichtigung" mit sich bringen kann (29, 30). Einen guten verfeiner- ten statistischen Vergleich bietet un- seres Erachtens eine Anzahlstatistik, die die relative Häufigkeit einer ein- zelnen Leistung in Beziehung setzt zu der diese Leistung auch wirklich ausführenden Ärzte einer Fachgrup- pe, also nicht nur in Beziehung zur relativen Häufigkeit der ganzen Fachgruppe.

Literatur

Schüttrumpf: Zur täglichen Praxis des Kassen- arztes IV. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung, Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Heft 11/

1970 - Farnsteiner: Recht der Wirtschaftlich- keitsprüfung, Hamburger Ärzteblatt Okt. 1973 - Weber: Grundriß der biologischen Statistik, G.

Fischer, Jena - Wallis u. Roberts: Methoden der Statistik, Rowohlt 1971 - Sachs: Statisti- sche Methoden, Springer 1970 - Swoboda:

Moderne Statistik, Knaur 1971 - Immich: Semi- nar Statistik, Heidelberg 1970 - Schwarz: Wort und Wirklichkeit, Allg. Semantik, Darmstädter Blätter 2. Aufl.

Zitate

(1) § 368e RVO, (2) § 182 Abs. 2 RVO, (3) BSG E 17, 84, (4) BSG-Urt. v. 18. 9. 73 in Soz. R. Nr. 7 u. § 368e RVO (5) BSG E 11, 102, (6) BSG E 17, 79, 85, (7) BVerw. G. 6 S. 177, (8) BSG E 11, 115, (9) BSG E 11, 115, 118, )10) BSG E 17, 86, (11) BSG E 17, 79, 85, (12) BSG E 19, 128, (13) BSG Urt. v. 3.7. 74 Az: 6 RKa 29/73, 7, (14) BSG E 17, 87, (15) BSG E 17, 79, 87, (16) BSG-Urteil v. 26.

4. 78 Az: 6 RKa 10/77, 7, 8, 9, (17) BSG E 19, 128, (18) BSG-Urteil v. 26. 4. 78 Az: 6RKa 10/77, 6, (19) BSG E 19, 123 Leitsatz 3, (20) BSG-Urt.

v. 26. 4. 78 Az: 6 RKa 10/77, 6, (21) BSG E 19, 128, (22) BSG-Urt. v. 26. 4. 78 Az: 6 RKa 10/77, 8, 9, (23) BSG-Urt. v. 3. 7. 74 Az: 6 RKa 29/73, 9, (24) BSG-Urt. v. 18. 9. 73 in Soz. R. Nr. 7 zu § 368 g RVO, (25) BSG E 19, 128, (26) LSG Schleswig-Holstein Az: L 6 Ka 8/70, 16-18, (27) LSG Schleswig-Holstein Az: L 6 Ka 9/70, 17-20, (28) BSG-Urt. v. 26. 4. 78 Az: 6 RKa 10/

77, 6, (29) SG Mainz v. 24. 1.75 Az: S 12 Ka 40/

75, 12, 13, (30) LSG Rheinl.-Pfalz v. 21. 5. 76 Az:

L 6 Ka 3/75, 12

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolfgang Heinz Prüfarzt der

Kassenärztlichen Vereinigung Pfalz Maximilianstraße 22

6730 Neustadt/Weinstraße

1256 Heft 18 vom 3. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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