Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 25|
24. Juni 2011 A 1407 AMNOGLernendes System
Seit Anfang des Jahres ist das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz in Kraft, zu Einsparungen bei teuren, neuen Arzneimitteln hat es jedoch noch nicht geführt. Doch die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren. Dabei zeigt sich auch: Viele Fragen sind noch offen.
U
m zwei Milliarden Euro soll das Arzneimittelmarktneu- ordnungsgesetz (AMNOG) die Arzneimittelausgaben in Deutsch- land senken. Bis es dazu kommen könnte, müssen sich alle Beteiligten aber erst mit dem System vertraut machen. Nachdem der Gemeinsa- me Bundesausschuss (G-BA) eine Verfahrensordnung zum AMNOG beschlossen hat (siehe Kasten), gilt derzeit eine Übergangsregelung.Hersteller von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, die bis zum 31. Juli 2011 auf den Markt kom- men, können sich innerhalb von drei Monaten vom G-BA über Inhalt und Vollständigkeit der ein- zureichenden Dossiers informieren lassen. Die Hersteller haben danach weitere drei Monate Zeit, das Dos- sier zu erstellen, und erst dann setzt die im AMNOG vorgesehene drei- monatige Frist zur frühen Nutzen - bewertung durch den G-BA ein.
„Man kann deshalb erst Anfang kommenden Jahres mit ersten Ent- scheidungen darüber rechnen, ob die neuen Arzneimittel einen Zu- satznutzen haben oder nicht“, sagte der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess am 7. Juni auf dem III. Exper- tenforum zum AMNOG der RS Medical Consult GmbH. Bis jetzt seien dem G-BA insgesamt neun Dossiers vorgelegt worden, dazu noch 15 Anträge auf eine Beratung.
In ihren Dossiers müssen die Hersteller eine sogenannte zweck- mäßige Vergleichstherapie vorle- gen, in der sie nachweisen, dass ihr neues Arzneimittel einen Zusatz- nutzen gegenüber bestehenden Arz- neimitteln hat. Kern der Beratungen sei zurzeit, so Hess, ob die Herstel- ler die Informationen aus ihren Zu- lassungsstudien nutzen könnten, um eine zweckmäßige Vergleichs- therapie nachzuweisen. Bei dem ei-
nen gehe es um den Zusatznutzen, beim anderen um die Nichtunterle- genheit gegenüber einem anderen Medikament. „Das sind zwei ver- schiedene Herangehensweisen“, sagte Hess. Was sich für eine Nicht- unterlegenheit als Vergleich anbie- te, eigne sich in der Regel nicht für den Beleg eines Zusatznutzens.
Bislang unklar ist auch, wann einzelne patentgeschützte Arznei- mittel, die bereits auf dem Markt
sind, einer Nutzenbewertung unter- zogen werden.
„Das System ist als ein lernendes System zu begreifen“, sagte die neue parlamentarische Staatssekre- tärin Ulrike Flach (FDP). „Es wer- den immer wieder neue Fragen auftauchen, für die noch Antworten gefunden werden müssen.“ Dafür seien jedoch gegenseitiges Ver- ständnis und die Bereitschaft zum Dialog unverzichtbar.
Der Vorsitzende der Arzneimit- telkommission der deutschen Ärz- teschaft, Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, verwies derweil darauf, dass der Bedarf an echten Innova-
tionen sehr groß sei. „Deutlich we- niger als 30 Prozent aller neuen Wirkstoffe sind derzeit echte, für den Patienten relevante Innovatio- nen“, sagte Ludwig. Die Anzahl wirklich neuer Arzneimittel habe in den vergangenen Jahren weiter ab- genommen. Deshalb sei es drin- gend notwendig, mehr über den therapeutischen Nutzen dieser Arz- neimittel zu erfahren. „Die Zulas- sungsstudien sagen jedoch wenig
über die Sicherheit eines neuen Arzneimittels aus und noch weniger über ihren Nutzen. Denn viele Stu- dien, zum Beispiel in der Onkolo- gie, werden überhaupt nicht im Hinblick auf patientenrelevante Endpunkte, wie eine Verlängerung der Lebensdauer oder eine Verbes- serung der Lebensqualität, durchge- führt“, kritisierte Ludwig. Die frühe Nutzenbewertung dürfe also nur ei- ne Momentaufnahme sein, die spä- ter durch andere Bewertungen der Arzneimittel mit Hilfe weiterer, möglichst unabhängiger klinischer Studien ergänzt werden müsse. ■
Falk Osterloh Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
vorgelegte Verfahrensordnung regelt detailliert die einzelnen Schritte der Nutzenbewertung.
So müssen die Hersteller in den Dossiers, die sie auf Grundlage der Zulassungsunterlagen und aller Studien zu ihrem Arzneimittel erstellen, einen Zusatznutzen des Medikaments im Vergleich zu einer vom G-BA bestimmten Vergleichstherapie belegen. Nach einer Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen oder ein anderes Institut trifft der G-BA einen Beschluss, der vor allem Infor - mationen über das Ausmaß des Zusatznutzens,
die zur Behandlung infrage kommende Patienten- gruppe und über die Therapiekosten enthält. Sieht der G-BA den Zusatznutzen als erwiesen an, handeln auf der Grundlage des G-BA-Beschlusses Hersteller und GKV-Spitzenverband einen Rabatt auf den ursprünglichen, vom Hersteller festgeleg- ten Abgabepreis aus. Einigen sie sich nicht, setzt eine Schiedskommission den Erstattungsbetrag auf der Grundlage des europäischen Preisniveaus fest. Stellt der G-BA keinen Zusatznutzen fest, wird das Arzneimittel innerhalb von sechs Monaten nach der Markt einführung in das Festbetrags - system überführt.