Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 42⏐⏐20. Oktober 2006 A2751
P O L I T I K
A
nhörungen stehen immer im Verdacht einer Alibiveranstal- tung“, hat der Vorsitzende der Ar- beitsgemeinschaft Fachärztlicher Be- rufsverbände, Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg, einmal gesagt. Trotzdem lassen es sich Verbände und Organi- sationen des Gesundheitswesens zu- meist nicht nehmen, Fachleute zu schicken, sei es in den Bundestag oder in das Bundesgesundheitsminis- terium (BMG), das solche Experten- gespräche ebenfalls ansetzt.Doch der fachlichen Anhörung zum Referentenentwurf des so- genannten GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetzes (GKV-WSG) im BMG am 16. Oktober verweigerten sich gleich 20 Spitzenorganisatio- nen, weil sie „eine Farce“ sei. Unter anderem nicht dabei: Bundesärzte- kammer, Kassenärztliche Bundes- vereinigung sowie alle Dachverbän- de der gesetzlichen Krankenkassen.
Erst am 12. Oktober hätten sie den Entwurf erhalten. In aller Kürze ei- ne fachliche Anhörung anzusetzen, belege, dass nicht daran gedacht sei, mögliche Einwände zu berück- sichtigen.
Die Große Koalition will ein Gesetz um jeden Preis
Das trifft den Kern – denn über die Arbeitsentwürfe, die zuvor kursier- ten, waren die Verbände inoffiziell unterrichtet. Doch ihre Repräsen- tanten kritisieren seit Wochen, dass es der Großen Koalition um einen Reformkompromiss um jeden Preis geht, nicht aber um Abstimmung mit denen, die ihn umsetzen müs- sen, und schon gar nicht um Pro- blemlösungen, die auf Jahre hin an- gelegt sind. So ist in den Eckpunk- ten von Union und SPD vom 4. Juli 2006 formuliert, dass die Zahl älte- rer Menschen in Deutschland stei- gen wird und schon deshalb zusätz- licher Finanzbedarf im Gesund-heitswesen besteht. Im Referenten- entwurf wird diese Formulierung aufgegriffen, gleichzeitig aber an- gegeben, dass die Krankenkassen um rund 1,8 Milliarden Euro jähr- lich entlastet würden.
Ärztliche Vergütung:
Das Geld bleibt knapp
Davon, dass auf alle Einnahmearten Beiträge gezahlt werden sollen, ist schon längst keine Rede mehr. Aber in den Eckpunkten wird noch ver- sprochen: „Mit dem Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamt- gesellschaftlichen Aufgaben der GKV aus dem Bundeshaushalt wird die Finanzierung auf eine langfristig stabilere, gerechtere und beschäfti- gungsfördernde Basis gestellt.“ Nun ist zu lesen, dass 2008 lediglich rund 1,5 Milliarden Euro an Steuer- geldern bereitgestellt werden, 2009 dann drei Milliarden Euro. Von 2010 an „soll der Bundeszuschuss weiter anwachsen“.
Gleichzeitig will die Bundesre- gierung in Zukunft selbst einen all- gemeinen GKV-Beitragssatz fest- setzen. Angesichts der hohen Ar- beitslosigkeit wird dieser gewiss so niedrig wie möglich gehalten wer- den. Verdeckte Rationierung und Unterfinanzierung werden so aber festgeschrieben. Eine einfacher nachzuvollziehende Vergütung der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte ist nicht zu erwarten. Die Eckpunkte suggerieren zwar noch eine faktische Abschaffung der Budgets. Im Referentenentwurf bleibt das Ministerium hingegen bei den Festlegungen der Arbeitsentwürfe:
So ist zwar weiterhin pro forma die Einführung einer neuen Gebühren- ordnung in Euro und Cent vorgese- hen. Doch sind damit zahlreiche Mechanismen verbunden, die die Budgetierung weiter verschärfen dürften.
So soll das neue Vergütungs- system der Vertragsärzte tendenziell kostenneutral eingeführt werden.
Dafür würden die sogenannten Ori- entierungswerte für die neue Ge- bührenordnung so festgelegt, dass bundesweit Beitragssatzerhöhungen ausgeschlossen werden. Weil sich die Werte für das Einstiegsjahr 2009 aus dem unter Budgetbedingungen erbrachten Leistungsvolumen be- rechnen, werden die bisherigen Budgets faktisch zementiert. Ein Preisverfall für ärztliche Leistungen ist programmiert.
Auch die vorgesehenen arzt- bezogenen Regelleistungsvolumen widersprechen dem ursprünglich geäußerten Willen, die Honorarbud- gets abzuschaffen. Leistungen, die das arztbezogene Regelleistungs- volumen überschreiten, sollen mit abgestaffelten Preisen vergütet wer- den. Zudem wird die Gesamtver- gütung nach Vereinbarung regiona- ler Preise durch Festlegung einer Punktzahlmenge je Krankenkasse bestimmt. Leistungen, die über die- ses Punktzahlvolumen hinausge- hen, werden nur bei nicht vorher- sehbaren Morbiditätsentwicklungen voll vergütet.