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Archiv "GKV-Finanzierung: Der Fortschritt ist die Falle" (29.08.2005)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A2296 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005

dennoch so wenige seiner Kommilito- nen diesen Weg einschlagen, erklärt Roggendorf hauptsächlich mit der Angst vor dem finanziellen Risiko ei- ner Niederlassung.

Auch die Weiterbildungssituation an den Krankenhäusern lässt nach wie vor zu wünschen übrig. „Wenn ich mich in einer inneren Abteilung bewerbe und sage, ich will Allgemeinarzt werden, ist es fraglich, ob ich die Stelle bekomme, beziehungsweise ich muss mir dann an- hören: ,So etwas brauchen Sie nicht zu lernen, Sie werden ja doch Hausarzt‘ “, gibt Roggendorf zu bedenken. Für die Krankenhäuser ist es außerdem schlicht unrentabel, Weiterbildungsas- sistenten nur kurzfristig zu beschäfti- gen. Aus Sicht der Assistenten schildert der GMK-Bericht das Problem: „Von den klassischen Weiterbildungskarrie- ren in der Allgemeinmedizin ist be- kannt, dass der Wechsel zu einem neu- en Arbeitgeber oft die Ursache ist, vom eingeschlagenen Weg zur Allgemein- medizin abzuweichen und aufgrund der Möglichkeit einer langfristigen An- stellung eine andere fachärztliche Wei- terbildung zu bevorzugen.“ Der Vor- schlag, Weiterbildungsverbünde zu schaffen und Rotationsstellen einzu- richten, ist nicht neu. „Das ist eine ewi- ge Diskussion, die wir mit der Politik und der Deutschen Krankenhausge- sellschaft führen“, sagt Dr. med. Burk- hard John, Vorsitzender der KV Sach- sen-Anhalt.

Doch die Lösung der Weiterbil- dungsproblematik ist erst die halbe Miete. Stephan Roggendorf zufolge ori- entieren sich viele Mitstudierende ins Ausland – neben der besseren Weiter- bildungsbedingungen hauptsächlich wegen des höheren Verdienstes und der besseren Arbeitsbedingungen.

In Sachsen-Anhalt will man jetzt in die Offensive gehen. Am 22. Oktober informiert die KV Ärztinnen und Ärzte in Magdeburg über Niederlassungs- möglichkeiten. Die Interessenten wer- den die Möglichkeit haben, Praxen zu besichtigen und mit Vertretern der Ge- meinden ins Gespräch zu kommen.

„Wir müssen mit dem Jammern auf- hören und auch mal das Positive raus- stellen. Auch im Osten kann man gute Honorare erzielen“, sagt der KV-Vor- sitzende John. Heike Korzilius

KOMMENTAR

D

ie moderne Heilkunde verfügt über immer bessere, aber in der Regel auch zunehmend teurere Behandlungsmethoden. Um die Haupt- ursachen der dabei aufblitzenden Pro- blematik – nämlich der Finanznotlage unserer Gesetzlichen Krankenversiche- rung – anzusprechen, genügte bis vor kurzem die Erwähnung der Begriffe

„medizinischer Fortschritt“ und „demo- graphischer Wandel“: Diese zwei Ge- wichte drücken die eine der beiden Scha- len einer Waage nach unten, und das um- so stärker, je leichter die Gegenschale der Finanzierung

infolge zunehmen- der Arbeitslosig- keit wird. Bei Nen- nung dieser beiden Gründe wurden die Bevölkerungs- entwicklung, wel- che die der Bis- marckschen Sozial-

versicherung zugrunde liegende Alters- pyramide zur längst nicht so stabilen Altersbirne transformiert hat, und die explosionsartige Entwicklung moderner diagnostischer und therapeutischer Me- thoden lange als zwei gewissermaßen autonome Bedingungen der zunehmen- den ökonomischen Probleme des Ge- sundheitssystems angesehen, obwohl schon immer zwischen beiden eine in- nere, die Notlage potenzierende Ver- knüpfung bestand. Aus diesem Grund wird heute zur Charakterisierung des aus der Kombination resultierenden Circulus vitiosus immer häufiger von der Fortschrittsfalle unseres Medizin- betriebs gesprochen.

Fortschrittsfalle – ein interessantes Wort, ein deutungsbedürftiges Komposi- tum. Deshalb zunächst eine semantische Überlegung: Wird hier das Grundwort

„Falle“ durch das Bestimmungswort

„Fortschritt“ in dem Sinne determiniert, dass es zum Fangeisen für den Progress wird? Oder ist hier ein Syntagma eige- nen Bedeutungsgehaltes entstanden?

Nähern wir uns der Auslegung durch eine Analyse des Kontextes, in dem der Begriff üblicherweise verwandt wird und der eingangs dargestellt ist. Danach steht der medizinische Fortschritt nicht nur als Mitursache neben der Alterung unserer Gesellschaft, sondern ist auch eine ihrer

Hauptursachen und ermöglicht so das zunehmende Auftreten schwerer Krank- heiten, die wiederum dank moderner Heilkunde immer besser behandelt wer- den können. Bei abnehmender Gebur- tenrate wird dies im Jahr 2050 dazu ge- führt haben, dass sich im Vergleich zu 1950 bei einer annähernd gleichen Be- völkerungszahl von circa 70 Millionen das Verhältnis der unter 20-Jährigen zu den mehr als 59-Jährigen umkehrt. Demnach wurde der Fortschritt also nicht in einer eigens für ihn ausgehobenen Grube gefangen; er selbst ist die Falle, in der

die so genannten Leistungserbringer sitzen. Und wer öffnet ihnen das Gitter wieder?

Das wäre ei- gentlich die Aufga- be der Politik. Sie müsste die Rah- menbedingungen schaffen, durch die ihre eigene Vorgabe – nämlich die ausreichende Versorgung aller Bürger nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft – auch umgesetzt werden kann. Ein Ansatz wurde mit der geplanten Budgetab- lösung durch eine morbiditätsorientierte Vergütung ärztlicher und psychothera- peutischer Leistungen gemacht.Aber ob und wann diese Änderungen wirklich kommen und wie der – ungeachtet aller bestehenden Einsparmöglichkeiten – steigende Finanzbedarf sichergestellt werden soll, ist gegenwärtig ungewisser denn je. Einstweilen erschöpft sich der gesundheitspolitische Beitrag zum medi- zinischen Fortschritt in der Forderung nach mehr Wettbewerb, einer gesetzlich verlangten Diversifizierung medizini- scher Leistungserbringung sowie der Androhung immer neuer, anlassbezoge- ner Rechtsnormen. Hierdurch soll dafür gesorgt werden, dass alle Akteure in Be- wegung geraten, um für sich den „finalen Beschleunigungsvorteil“ (Peter Sloter- dijk) zu erringen.

Das Beispiel Autobahn lehrt uns aber, dass hieraus kein Beschleunigungs-, son- dern ein Verdichtungsvorgang entsteht, der zum Stau führt, jener modernen Form einer Falle. Und darin säßen dann alle Beteiligten fest – zusammen mit dem Fortschritt. Dr. med. Till Spiro

GKV-Finanzierung

Der Fortschritt

ist die Falle

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