A2772 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 41⏐⏐12. Oktober 2007
P O L I T I K
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ie Nachricht ist eigentlich ei- ne gute. Ärzten und Patien- ten stehen mit Ranibizumab (Lu- centis®) und Bevacizumab (Avas- tin®) seit Beginn des Jahres zwei Arzneimittel zur Behandlung der feuchten altersbedingten Makulade- generation (AMD) zur Verfügung.Beide Wirkstoffe sind gentechnisch hergestellte monoklonale Antikör- per, die an den Gefäßwachstumsfak- tor VEGF-A (vascular endothelial growth factor A) binden und damit jenes Signal hemmen, das die Neu- synthese von Blutgefäßen anstößt.
Doch inzwischen hat sich der Preis- unterschied zwischen den Therapie- alternativen zum Politikum ent- wickelt. Eine Injektion des im Janu- ar zugelassenen Präparats Lucentis der Firma Novartis kostet rund 1 500 Euro, während eine Einzeldo- sis des Mittels Avastin der Firma Roche mit 50 Euro zu Buche schlägt. Das Vertrackte ist, dass Avastin für die Behandlung der feuchten Makuladegeneration keine Zulassung besitzt.
Der sogenannte Off-label-Ge- brauch von Medikamenten ist in Deutschland aber nur dann erlaubt, wenn es zur Therapie einer schwe- ren Erkrankung keine andere zuge- lassene Behandlung gibt und die be- gründete Aussicht besteht, dass mit dem off label eingesetzten Mittel ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Nur unter diesen Bedingun- gen dürfen die gesetzlichen Kran- kenkassen die Kosten für off label eingesetzte Medikamente erstatten.
Die Markteinführung von Lucentis bedeutete somit – theoretisch – das Aus für Avastin in der Augenheil- kunde.
Angesichts der hohen Kosten des Novartis-Präparats haben jedoch ei- nige Krankenkassen Verträge mit Ärzten abgeschlossen, in denen wei- terhin die Anwendung von Avastin zur Behandlung der AMD gefördert wird. Der Versuch von Novartis, die- se Verträge per einstweiliger Anord- nung zu stoppen, sind Ende August vor dem Sozialgericht Düsseldorf zunächst gescheitert. Die Firma will aber gegen diese Entscheidung Be- schwerde beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen einlegen und auch in der Hauptsache klagen. Da- bei wird es um die Klärung der Fra- ge gehen, ob die intravitreale Injekti- on des Krebsmedikaments Avastin ein rechtswidriger off label use ist.
Ministerium regt Studie an
Im Juni hatten die Retinologische Gesellschaft, die Deutsche Ophthal- mologische Gesellschaft und der Berufsverband der Augenärzte in ei- ner Stellungnahme Avastin als ra- tionale und durch zahlreiche Be- richte untermauerte Behandlungsal- ternative bei AMD eingestuft. Da je- doch bislang keine klinischen Studi- en zur Anwendung für diese Indika- tion vorliegen, mit Lucentis aber ein für die AMD zugelassenes Präparat verfügbar ist, hält das Bun- desgesundheitsministerium es für„in besonderer Weise klärungsbe- dürftig“, ob diese Therapie unter dem Gesichtspunkt der Arzneimit- telsicherheit weiterhin vertretbar ist.
Das geht aus dem „Bericht der Bun- desregierung zur Anwendung des Arzneimittels Avastin für die Be- handlung bestimmter Augenerkran- kungen“ hervor. Das Ministerium regt im selben Bericht an, entspre-
chende klinische Studien durchzu- führen.
Der Avastin-Hersteller Roche zeigt allerdings weder ein Interesse an der Durchführung solcher Studi- en noch an einer Zulassungserwei- terung für das Präparat. Die Tatsa- che, dass Novartis ein Drittel der stimmberechtigten Aktien von Ro- che hält, spiele bei dieser Entschei- dung keine Rolle, erklärte ein Un- ternehmenssprecher gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die Ophthal- mologie gehöre nicht zu den For- schungsschwerpunkten des Kon- zerns.
In den USA haben die National Eye Institutes dem Bericht der Bun- desregierung zufolge die Finanzie- rung einer multizentrischen klini- schen Studie zum direkten Ver- gleich von Lucentis und Avastin angekündigt. Die Deutsche Oph- thalmologische Gesellschaft fordert eine solche Studie auch für Deutsch- land. Sollte sich Avastin als gleich- wertig herausstellen, dürfte Roche unter erheblichen Druck geraten, ei- ne Zulassungserweiterung für sein Präparat zu beantragen – denn nur der Hersteller kann dies tun.
Die enorme finanzielle Mehrbe- lastung der Krankenkassen durch die Kostenübernahme für Lucentis wäre dann kaum noch zu rechtferti- gen. Novartis hat den Kassen derweil ein Beteiligungsmodell angeboten.
Die Firma will ab 315 Millionen Eu- ro pro Jahr alle weiteren Kosten für Lucentis übernehmen.
Haftungsrisiko für Ärzte
Für Ärzte und Patienten bleibt die Situation heikel. Da Roche den Off- label-Gebrauch von Avastin ab- lehnt, liegt das Haftungsrisiko des nicht bestimmungsgemäßen Einsat- zes des Präparats bei den Ärzten.Außerdem gibt es für die intravitrea- le Applikation des Mittels noch kei- ne EBM-Ziffer. Das führt dazu, dass viele Ärzte vor einer Behandlung auf einer Kostenübernahmebeschei- nigung durch die Krankenkassen be- stehen. Allerdings: Bei 25 Prozent der Patienten lässt sich die Visusver- schlechterung durch die feuchte AMD weder mit Ranibizumab noch mit Bevacizumab aufhalten. I Heike Korzilius