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Archiv "Bevacizumab versus Ranibizumab: Ist off-label use geboten ?" (12.04.2013)

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A 708 Deutsches Ärzteblatt

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12. April 2013

BEVACIZUMAB VERSUS RANIBIZUMAB

Ist off-label use geboten ?

Avastin und Lucentis sind zwei Präparate zur Therapie der altersbedingten feuchten Makuladegeneration. Das wesentlich billigere Avastin ist allerdings nur für die Krebs- therapie zugelassen, obwohl Studien belegen, dass es Lucentis nicht unterlegen ist.

Bernd Kirchhof, Walter Lehmacher, Sascha Thomas

D

as Wirtschaftlichkeitsgebot, wie es in § 12 Sozialgesetz- buch (SGB) V für Ärzte, Patienten und Krankenkassen gilt, verlangt bezogen auf die Medikamentenver- ordnung unter anderem, dass bei gleicher Wirksamkeit und Sicher- heit die preiswertere Substanz ver- ordnet wird. Für die Behandlung der exsudativen altersabhängigen Ma- kuladegeneration (AMD) stehen zurzeit vor allem zwei Blocker des Wachstumsfaktors VEGF (Vascular Endothelium Growth Factor) zur Verfügung: Bevacizumab (Avastin) und Ranibizumab (Lucentis).

Beide Präparate unterscheiden sich im Preis in den USA um den Faktor 40, in Deutschland unter Be- rücksichtigung der den Kranken- kassen eingeräumten Rabatte im- mer noch etwa um den Faktor 17 (850 Euro für Ranibizumab gegen- über 50 Euro für Bevacizumab).

Obwohl in den USA mehr als 50 Prozent der Augenärzte Bevacizu- mab verordnen (1), stellte Ranibi- zumab im Jahr 2010 den größten Einzelposten bei den Medicare- Ausgaben dar (2). Übertragen auf Deutschland lautet die Frage, wel- ches der beiden Präparate im Sinne

des SGB V als ausreichend, zweck- mäßig und wirtschaftlich gilt. Eine Antwort setzt voraus, dass Wirk- samkeit und Sicherheit beider Prä- parate bewertet werden. Hinzu kommen Haftungsaspekte bei der Verordnung von Medikamenten au- ßerhalb ihrer zugelassenen Indika - tion (off label).

Einer der wichtigsten Fortschritte in der Medizin Die intravitreale Behandlung der ex - sudativen AMD mittels VEGF-Blo- ckade hat die Zeitschrift „Science“

2006 als einen der zehn wichtigsten Fortschritte in der Medizin einge- stuft (3). Nach einem mathemati- schen Modell (4) verringert diese Therapie die Erblindungsrate durch feuchte Makuladegeneration in zwei Jahren um 72 Prozent. Dabei ist Ranibizumab für die intravi treale Anwendung am Auge zugelassen.

Bevacizumab hingegen ist zur in- travenösen Behandlung des kolo- rektalen Karzinoms zugelassen. In- travitreal kann das Präparat bisher nur off label angewendet werden.

Die Entwicklung eines kleineren Antikörpers speziell für die intravi - treale Anwendung am Auge wurde

mit der besseren Permeabilität der Netzhaut begründet, da die patholo- gische Gefäßneubildung subretinal abläuft, das Medikament aber prä- retinal (intravitreal) injiziert wird.

Inzwischen ist aber akzeptiert, dass die Netzhautpermeabilität für beide Präparate gleichermaßen ausrei- chend ist (5).

Sowohl Bevacizumab als auch Ranibizumab werden von der Firma Genentech hergestellt. Das US- amerikanische Unternehmen ist ei- ne Tochtergesellschaft des Schwei- zer Pharmakonzerns Hoffman-La Roche, der Bevacizumab in Deutsch- land vertreibt. Genentech entschied sich nach der Entwicklung und Zu- lassung von Ranibizumab im Jahr 2006 dagegen, für den älteren Wirkstoff Bevacizumab eine Zulas- sung im selben Anwendungsgebiet zu beantragen. Dennoch blieb die- ser nicht nur in den USA das meist- gebrauchte Medikament gegen feuchte AMD. Noch immer bevor- zugen mehr als 50 Prozent der ame- rikanischen Augenärzte Bevacizu- mab vor Ranibizumab (1).

Hoffman-La Roche warnt in der Fachinformation vor schwerwie- genden systemischen Nebenwir-

Abteilung Netzhaut- und Glaskörperchirurgie im Zentrum für Augen- heilkunde der Universität

zu Köln: Prof. Dr. med.

Kirchhof Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie der Uni- versität zu Köln: Prof. Dr.

rer. nat. Lehmacher ABF-Apotheken:

Rechtsanwalt Thomas zentralen Gesichts- feldbereich des Auges

vorliegen. Es ist die einfachste Methode zur Früherkennung der altersbedingten

Makuladegeneration. Foto: Your Photo Today

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kungen nach intravitrealer Gabe von Bevacizumab. Direkte Ver- gleichsstudien mit Ranibizumab gab es jedoch nicht. Diese Lücke konnte mit Hilfe eines gemeinnützi- gen Geldgebers geschlossen wer- den. Im Februar 2008 investierte das National Eye Institute, eine Ab- teilung der National Institutes of Health in den USA, 16 Millionen Dollar in eine Vergleichsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Bevazicumab und Ranibizumab (CATT-Studie). Ziel war es, die Be- handlung der feuchten Makulade- generation durch eine Reduktion der Behandlungskosten zu verbes- sern. 2011 und 2012 wurden die Ein- beziehungsweise Zweijahres- resultate veröffentlicht (6, 7). Ande- re Länder folgten mit eigenen Stu- dien. Die Einjahresergebnisse der englischen IVAN-Studie wurden zusammen mit den Zweijahresda- ten der CATT-Studie 2013 veröf- fentlicht (8). Was die Sicherheit von Bevacizumab betrifft, sind die Er- gebnisse vieldeutig und verlangen eine differenzierte Interpretation.

Die Lage wird zusätzlich kom- pliziert dadurch, dass die Kranken- kassen die Erstattungspraxis bei off label verordneten Medikamenten nicht einheitlich handhaben. Die Arzneimittelrichtlinien des Ge- meinsamen Bundesausschusses se- hen die Erstattung von Off-label- Präparaten nur dann als Standard vor, wenn die Expertengruppe Off- Label beim Bundesinstitut für Arz- neimittel und Medizinprodukte mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers die Anwendung po- sitiv bewertet. Aus wirtschaftlichen Gründen ist indes nicht damit zu rechnen, dass Hoffman-La Roche der Off-label-Anwendung von Be- vazicumab am Auge zustimmen wird. Ein positives Votum der Off- label-Kommission würde Bevazi- cumab zur Behandlung der exsu - dativen Makuladegeneration den Status eines zugelassenen Medi - kaments verleihen und den Arzt beispielsweise von der Bürde der erweiterten Aufklärung entheben.

Zurzeit werden Ärzte und Kranken- kassen in eine Grauzone gezwun- gen, wenn sie sich wirtschaftlich verhalten wollen. Das Bundesversi-

cherungsamt, als Aufsichtsbehörde der Kassen, verzichtet lediglich aus

„Opportunitätsgründen“ auf auf- sichtsrechtliche Schritte.

Will man die ärztliche Verord- nungssicherheit verbessern, müssen anhand der vorliegenden wissen- schaftlichen Daten folgende Fragen beantwortet werden:

Ist die intravitreale Gabe von Bevacizumab im Vergleich mit Ra- nibizumab gleichwertig hinsicht- lich der Wirksamkeit?

Ist die intravitreale Gabe von Bevazicumab im Vergleich mit Ra- nibizumab gleichwertig hinsicht- lich der Nebenwirkungen?

Haben Patienten aus der Off- label-Verordnung von Bevacizu- mab am Auge Nachteile zu erwar- ten, zum Beispiel durch eine unzu- reichende Produkthaftung oder sys- temische Nebenwirkungen?

Die CATT-Studie hat ergeben, dass sich die Visusprognose nach zwei Jahren zwischen den beiden Präparaten statistisch nicht signifi- kant unterscheidet. In der Haupt- wirksamkeitsvariablen, der Verän- derung der zentralen Sehschärfe, er- gab sich ein mittlerer Anstieg in den Gruppen von etwa 8,3 Buchstaben mit einem mittleren Unterschied von –1,4 Buchstaben zugunsten von Ranibizumab (95-Prozent-Konfi- denzintervall [KI] –3,7 bis 0,8; p = 0,21). Ähnlich sind die Ergebnisse für monatliche Injektionsabstände und die Gabe „bei Bedarf“ (6).

Auch die Ergebnisse nach einem

Jahr fallen bei der CATT- (7) und der IVAN-Studie (8) ähnlich aus .

Die durch eine Metaanalyse gepoolten Einjahresdaten aus drei Studien – Subramanian (9), CATT und IVAN – zeigen eine Mittlere Differenz von –1,06 Buchstaben, (95-Prozent-KI –2,41 bis 0,29) zu- gunsten von Ranibizumab (8).

Mehr Nebenwirkungen unter Bevacizumab?

Aus klinischer Sicht sind die Un - terschiede zwischen den beiden Medikamenten gering, weil die Pa- tienten Sehverbesserungen erst ab einem Umfang von fünf bis neun ETDRS-Buchstaben wahrnehmen (10). Da in allen Studien die unte- ren Grenzwerte der 95-Prozent- Konfidenzintervalle für die Diffe- renz der Buchstaben-Veränderun- gen über dem klinisch relevanten Wert von minus fünf Buchstaben liegen, ist klinisch die Nichtunter - legenheit von Bevacizumab gegen- über Ranibizumab belegt.

Was die Nebenwirkungen be- trifft, bestätigt die IVAN-Studie frühere Studien an kleineren Kol- lektiven (11, 12), wonach intravi - treal injizierte VEGF-Blocker den Serum-VEGF-Spiegel beeinflussen (8). Bevacizumab senkt den Serum- VEGF-Spiegel (vor und nach der Gabe: von median 203 auf 83 µg/ml) stärker als Ranibizumab (von median 173 auf 151 µg/ml).

Ob der Unterschied klinisch be- deutsam ist, muss offenbleiben.

Mehr schwere systemische Ne- benwirkungen nach der Injektion von Bevacizumab als nach Ranibi- zumab signalisiert die CATT-Stu- die: 39,9 Prozent gegenüber 31,7 Prozent (RR 1,3; 95-Prozent-KI 1,07 bis 1,57; p = 0,004). Das heißt, es sind 8,2 Prozent mehr Patienten unter Bevacizumab von Nebenwir- kungen betroffen als unter Ranibi- zumab. Das entspricht einer „num- ber needed to harm“ von etwa zwölf.

Nach dem Einjahresergebnis der IVAN-Studie waren 12,5 Prozent gegenüber 9,6 Prozent der Patien- ten von schweren systemischen Er- eignissen betroffen: Odds Ratio 1,35; 95-Prozent-KI 0,80 bis 2,27;

p = 0,25. Auch die Metaanalyse Teurer Streitfall:

Das für die Behand- lung der altersbe- dingten feuchten Makuladegenerati- on zugelassene Lu- centis kostet ein Vielfaches des off label eingesetzten Avastin.

Fotos: Novartis, Roche

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12. April 2013 stützt diese Hinweise: gepooltes RR

von 1,35; 95-Prozent-KI 1,05 bis 1,72; p = 0,016.

Betrachtet man jedoch die Art der Nebenwirkungen – Hernien, Er- brechen, Übelkeit, Blutungen, Koli- tis, Bauchschmerzen, Obstipation, Stürze, Knochenbrüche –, ist der Zusammenhang fraglich.

Möglicherweise sind diese Nebenwirkungen trotz der auffälli- gen statistischen Daten unbedeu- tend, denn sie liegen außerhalb des Kernspektrums der Nebenwirkun- gen von Bevacizumab bei intrave - nöser Applikation.

Im Kernspektrum der Neben- wirkungen der intravenösen VEGF- Blocker, in der Mortalität oder bei atherothrombotischen Ereignissen zeigen sich keine klinisch oder sta- tistisch auffälligen Unterschiede.

Es ist keine Dosis-Wirkungs- Beziehung erkennbar. Nach intravi - trealer Gabe stehen gastrointestina- le Komplikationen im Vordergrund, die bei intravenöser Gabe mit 500-fach höherer Serumkonzentra- tion nachrangig oder gar nicht auf- treten. Die meisten gastrointesti - nalen Nebenwirkungen haben die Patienten mit der geringsten Beva- cizumab-Dosis.

Das statistisch auffällige Un- gleichgewicht hinsichtlich schwe- rer systemischer Nebenwirkungen zuungunsten von Bevacizumab kann somit

ein tatsächlich höheres Risiko repräsentieren, bei noch unbekann- ter Pathogenese,

ein Zufallsergebnis sein,

einen unerkannten Unter- schied der Patientenmerkmale vor der Gabe der Medikamente ausdrü- cken (13).

Um aus den vorliegenden Daten Schlussfolgerungen ziehen zu kön- nen, ist es bedeutsam, dass die gastrointestinalen Nebenwirkungen nach intravitrealer Gabe von Beva- cizumab reversibel sind. Außerdem lassen sich damit hohe Einsparun- gen erzielen. Es erscheint deshalb ethisch gerechtfertigt und wirt- schaftlich gut begründet, Bevacizu- mab off label dem zugelassenen Ranibizumab vorzuziehen. Aller- dings müssen folgende Bedingun- gen erfüllt werden:

Die Patienten müssen über mögliche schwere systemische Ne- benwirkungen aufgeklärt werden.

Ärztinnen und Ärzte müssen zu- nächst sicherheitshalber von einem höheren Potenzial an Nebenwir- kungen ausgehen und diese beim Patienten gezielt abfragen, so dass die Medikation gegebenenfalls ab- gesetzt werden kann, bevor irre - versible Schäden entstehen.

Nebenwirkungen müssen re- gistriert werden.

Die Auseinzelung von Beva - cizumab für die intravitreale In - jektion darf die Wirksamkeit nach- weislich nicht herabsetzen.

Obwohl die Versorgung mit Arz- neimitteln außerhalb der zugelasse- nen Indikation zum ärztlichen Alltag gehört, bestehen in der Praxis viele Unsicherheiten. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts sprechen aber weder arzneimittel- noch berufs- rechtliche Normen gegen den off- label use. Beschränkt wird die ärzt - liche Therapiefreiheit vom medi - zinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets zum Zeitpunkt der Be- handlung. Dabei gilt als Standard das, was im betreffenden Fachgebiet als gesicherter Stand der medizini- schen Wissenschaft und Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesund- heitlichen Störung anerkannt ist.

Grundlage sind wissenschaftliche Studien, langjährige Praxiserfah- rung, medizinische Leitlinien oder Therapieempfehlungen. Mit Blick

auf den off-label use fordert das Bundessozialgericht, dass „außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewon- nene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksam- keit des Arzneimittels in dem neu- en An wendungsgebiet zuverlässi- ge, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkrei- sen Konsens über einen voraussicht- lichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht“. Im Fall von Bevaci- zumab belegt insbesondere die CATT-Studie mit höchster Evidenz den Nutzen der intravitrealen Gabe des Präparats bei exsudativer AMD.

Strenge Aufklärungspflicht bei off-label use

Sowohl für zugelassene als auch für off label eingesetzte Arzneimittel gilt, dass der Arzt nur dann für Schäden haftet, wenn er den Patien- ten über spezifische Risiken des verordneten Präparats nicht aufge- klärt hat. Bei Bevacizumab wären das zum Beispiel arterielle Hyper- tonie und Atherothrombose. Beim off-label use hat der Arzt jedoch gesteigerte Aufklärungs- und Be - ratungspflichten vor allem über seltene Risiken und mögliche unbe- kannte Nebenwirkungen. Kommt er seiner Aufklärungspflicht nach, ge- fährdet er seinen Haftpflichtversi- cherungsschutz nicht.

Das pharmazeutische Unterneh- men kann nach dem Arzneimittel- Die intravitreale

Behandlung der al- tersbedingten feuch- ten Makuladegene - ration mittels VEGF- Blockade verringert die Erblindungsrate erheblich.

Foto: SPL/Agentur Focus

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12. April 2013 A 713 MEDIZIN UND RECHT IN KINDHEIT UND ALTER

Die Kontinuität des eigenen Ich

Den Patientenwillen bei Kindern und bei Menschen am Lebensende zu ergründen, ist schwierig.

Dies war Thema bei der Kaiserin-Friedrich-Stiftung.

P

atienten müssen manchmal weitreichende Entscheidungen treffen, wenn es um medizinische Eingriffe oder um Maßnahmen am Lebensende geht. Doch in der Ver- sorgung wird der Wille von Kindern, deren Entscheidungsautonomie sich erst entwickelt, oder von Menschen am Lebensende, die sich nicht mehr äußern können, zu wenig reflektiert.

Darüber diskutierten Medizinethi- ker, Intensivmediziner und Juristen auf dem 42. Symposium für Juristen und Ärzte der Berliner Kaiserin- Friedrich-Stiftung Anfang März.

„Oft nur Lippenbekenntnisse“

„Persönlichkeitsrechte und Patien- tenautonomie werden bei uns theo- retisch und verbal zwar durchgän- gig bejaht, faktisch werden diese Prinzipien jedoch immer wieder un- terlaufen oder bleiben sie ein Lip- penbekenntnis“, sagt der Theologe Prof. Dr. Hartmut Kreß von der

Universität Bonn. Er untermauerte dies mit den jüngsten Vorgängen in zwei katholischen Krankenhäusern in Köln, die einer mutmaßlich ver- gewaltigten Frau die „Pille danach“

verweigert hatten. Der evangelische Theologe plädiert vor diesem Hin- tergrund dafür, „genauer zu beden- ken, was unter Persönlichkeitsrech- ten, Selbstbestimmung und Patien- tenautonomie zu verstehen ist“. Kreß geht davon aus, dass „die Persön- lichkeit des Menschen sich auf seiner autonomen Vernunft, also auf seiner Fähigkeit (gründet) zu ent- scheiden und zu handeln, wie es der Vernunft entspricht“. Menschen sei- en aber nicht nur Vernunftswesen,

„sondern auch in ihrer Individuali- tät, mithin in ihrer Lebensgeschich- te, ihrer persönlichen Entwicklung und wechselvollen Biografie zu se- hen“. Mit Blick auf die Dialog - philosophie seien „Vernunft und Individualität von Menschen zwi- Optimal, aber nicht

immer möglich:

Kind, Eltern und Arzt treffen gemeinsam medizinische Entscheidungen.

Foto: picture alliance

gesetz (§ 84) für Schäden haftbar gemacht werden, wenn

ein Arzneimittel bei bestim- mungsgemäßem Gebrauch schädli- che Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizi- nischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, oder

ein Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizi- nischen Wissenschaft entsprechen- den Kennzeichnung, Fachinforma- tion oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.

Rechtlich umstritten ist, ob ein Pharmaunternehmen auch im Fall eines wissenschaftlich anerkannten weitverbreiteten off-label use haf- ten muss. Juristen gehen größten- teils davon aus, dass die Unter - nehmen durch die veröffentlichte Fachinformation den „bestimmungs - gemäßen Gebrauch“ einseitig fest- legen und damit einem off-label use widersprechen können. Eine höchst - richterliche Entscheidung in dieser Frage fehlt.

Werden jedoch die gesetzlich ge- forderten Aufklärungspflichten ein- gehalten und versetzen den Patien- ten in die Lage, eine autonome Ent- scheidung zu treffen, sprechen die haftungsrechtlichen Gesichtspunk- te nicht gegen den Off-label-Ein- satz von Bevacizumab. Vorausset- zung ist, dass dies in der Patienten- akte entsprechend dokumentiert wird.

Die Ergebnisse der CATT-Studie sollten den Normgeber dazu veran- lassen, Instrumente zu entwickeln, die die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems auch künftig sichern. Der rein formaljuristische Ansatz, wonach ein Arzneimittel nur bei einer vom pharmazeuti- schen Unternehmer beantragten Zu- lassung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungs- fähig ist, wird der Versorgungsreali- tät nicht gerecht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2013; 110(15): A 708–13

Anschrift der Verfasser Prof. Dr. med. Bernd Kirchhof Zentrum für Augenheilkunde Universität zu Köln

Kerpener Straße 62, 50937 Köln

@

Literatur im Internet www.aerzteblatt.de/lit1513

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Ist off-label use geboten?

Avastin und Lucentis sind zwei Präparate zur Therapie der altersbedingten feuchten Makuladegeneration. Das wesentlich billigere Avastin ist allerdings nur für die Krebs- therapie zugelassen, obwohl Studien belegen, dass es Lucentis nicht unterlegen ist.

Bernd Kirchhof, Walter Lehmacher, Sascha Thomas

LITERATUR:

1. Ross J, Brechner PJ, Rosenfeld J, Babish D, Stuart D, Caplan S: Pharmacotherapy for Neovascular Age-Related Macular De- generation: An Analysis of the 100% 2008 Medicare Fee-For-Service Part B Claims File. Am J Ophthalmol 2011; 151:

887–95.

2. United States Senate Special Committee on Aging, Statement of Jonathan Blum, Deputy Administrator and Director, Center for Medicare and Medicaid Services, on sustaining the Medicare program through lower costs, before the United States Se- nate Special Committee on Aging (July 21, 2011) http://aging.senate.gov/events/

hr236jb.pdf Accessed February 10, 2012.

3. Breakthrough of the year. Areas to watch in 2007. Science. 2006; 314 (5807):

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4. Bressler NM, Doan QV, Varma R, Lee PP, Suñer IJ, Dolan C, Danese MD, Yu E, Tran I, Colman S: Estimated cases of le- gal blindness and visual impair- ment avoid ed using ranibizumab for cho- roidal neovascularization: non-Hispanic white population in the United States with age-related macular degeneration. Arch Ophthalmol 2011; 129: 709–17.

5. Heiduschka P, Fietz H, Hofmeister S, Schultheiss S, Mack AF, Peters S, Ziems- sen F, Niggemann B, Julien S, Bartz- Schmidt KU, Schraermeyer U: Tübin- gen Bevacizumab Study Group. Penetra - tion of bevacizumab through

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6. Research Group, Martin DF, Maguire MG, Fine SL, Ying GS, Jaffe GJ, Grunwald JE, Toth C, Redford M, Ferris FL 3rd: Ranibizu- mab and bevacizumab for treatment of neovascular age-related macular degene- ration: two-year results. Comparison of Age-related Macular Degeneration Treat- ments Trials (CATT).Ophthalmology 2012;

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7. CATT Research Group, Martin DF, Maguire MG, Ying GS, Grunwald JE, Fine SL, Jaffe GJ: Ranibizumab and bevacizu- mab for neovascular age-related macular degeneration: N Engl J Med 2011; 364:

1897–1908.

8. The Ivan Study Investigators: Chakravarthy

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119: 1399–1411.

9. Subramanian ML, Abedi G, Ness S, Ahmed E, Fenberg M, Daly MK, Houranieh A, Feinberg EB: Bevacizumab vs ranibizumab for age-related macular degeneration:

1-year outcomes of a prospective double- masked randomized clinical trial. Eye 2010; 24: 1708–15.

10. Koch KR, Muether PS, Hermann MM, Hoerster R, Kirchhof B, Fauser S: Subjec - tive perception versus objective outcome after intravitreal ranibizumab for exudative AMD. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2012; 250: 201–19.

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Acta Ophthalmol 2012; Jun

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13. L. Heymans, K. Weisser: Risiken der intra- vitrealen Anwendung von Bevacizumab (Avastin®), Bulletin zur Arzneimittelsicher- heit (Informationen aus BfArM und PEI), 2012, 4, 3–12.

14. Muether PS, Hoerster R, Hermann MM, Kirchhof B, Fauser S: Long-term effects of ranibizumab treatment delay in neovascu- lar age-related macular degeneration.

Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2012 May 11 [Epub ahead of print].

Referenzen

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