Off-label Use
Zu dem Beitrag „Mehr Sicherheit für Ärzte und Patienten“ von Heike Kor- zilius in Heft 14/2006:
Beispiel zur Kostendämpfung
Das Symposium über „Off-la- bel Use“ an der Bonner Uni- versität hat eine sehr aktuelle Thematik aufgenommen, die zukünftig immer mehr klini-
sche Disziplinen beschäftigen wird – auch unter Kosten- aspekten. Sicher ungewöhn- lich ist der Kosteneinsparef- fekt durch „Off-label Use“ am Beispiel Prostaglandine in der Geburtsmedizin. Für Geburts- einleitungen werden sehr teu- re Minprostin-E2-Präparate (Gel und Tabletten) einge- setzt, obwohl es dafür die we- sentlich billigere Alternative Misoprostol-Tabletten gibt.
Dieses Prostaglandin wurde in
der Roten Liste bis 2005 als Gastritis-/Ulkus-Mittel unter Magen-Darm-Mittel geführt.
Der Einsatz dieses Prostaglan- dins ist in der Geburtsmedizin nicht risikoreicher als Minpro- stin E2 (von der gleichen Pharmafirma vertrieben). Die- ses sehr preisgünstige Prosta- glandin wird bundesweit (und in anderen EU-Ländern) ein- gesetzt zum medizinischen Schwangerschaftsabbruch zwei Tage nach Einnahme von Antigestagen (Mifepriston).
Diese Anwendung erklärt die Nichtzulassung als Gynäkolo- gikum; die vertreibende Firma aus den USA wollte nicht die- se Assoziation mit ihrem Un- ternehmen – mit Nachteilen für andere Präparate. So wird verständlich, dass sie am 1. Ja- nuar 2006 dieses preisgünstige Prostaglandin vom Markt nahm . . . Sollen damit ge- burtshilfliche Abteilungen, die
dieses billige Prostaglandin in
„Off-label Use“ für Geburts- einleitungen einsetzen – er- folgreich oral und lokal bei guter Verträglichkeit – ge- zwungen werden, die wesent- lich teureren Prostaglandin- Präparate der gleichen Firma zu nutzen? In der Ulmer Frau- enklinik mit 2 200 Geburten jährlich entstehen pro Jahr 23 500 Euro Minprostin-E2- Kosten . . . Dagegen kosten 100 Tabletten Misoprostol nur 46 Euro – sicher sehr oft alter- nativ einsetzbar statt Minpro- stin E2. Werden diese Kosten hochgerechnet auf ca. 700 000 Geburten im Jahr in der Bun- desrepublik, so ergeben sich ca. sieben Millionen Euro Einsparungspotenzial (sollten es auch nur fünf Millionen Eu- ro sein, dann ist das auch noch eine aktuelle Diskussion wert). Für das sehr preisgün- stige „Magentherapeutikum“
B R I E F E
Leserzuschriften werden von der Redaktion sehr beachtet. Sie geben in erster Linie die Meinung des Briefschreibers wieder und nicht die der Redaktion. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten sind leider beschränkt; der Redaktion bleibt oft keine andere Wahl, als unter der Vielzahl der Zuschriften eine Auswahl zu treffen. Die Chance, ins Heft zu kommen, ist umso größer, je kürzer der Brief ist. Die Redaktion muss sich zudem eine – selbst- verständlich sinnwahrende – Kürzung vorbehalten.
LESERZUSCHRIFTEN
Misoprostol gibt es weiterhin die Möglichkeit, es aus den EU-Nachbarländern zu bezie- hen. Muss diese Hürde sein?
Hier stellen offensichtlich nicht Arzneimittelsicherheits- gründe, sondern wirtschaftli- che Firmenüberlegungen die
„Off-label Use“-Ursache dar.
Erweiterte Zulassungen wer- den Pharmafirmen wegen teu- rer klinischer Studien seltener beantragen, wenn sich dies nicht rechnet. Selbst Nachzu- lassungen werden nur noch
„halbherzig“ auf den Weg ge- bracht, wenn das nicht im Fir- meninteresse ist . . .
Prof. Dr. med. J. M. Wenderlein, Universitäts-Frauenklinik, Prittwitzstraße 43, 89075 Ulm
Dienstleister
Zu dem Kommentar „Wider den lächelnden Dienstleister“ von Dr. med.
Burkhard Gmelin in Heft 6/2006:
Humankapital behandelt Relativgewichte
Ich möchte die Hauptthese des sehr gelungenen Kom- mentars von Herrn Kollegen Gmelin noch etwas mehr pointieren: Die deutsche Ärz- teschaft ist auf dem besten Weg, ihre Glaubwürdigkeit vollends zu verspielen. Der wie völlig selbstverständlich gebrauchte Begriff „Human- kapital“ im Zusammenhang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht in der be- sten Wortwahl-Tradition un- serer unsäglichen Vergangen- heit: Kapital ist Geld und wird als solches entweder verzinst oder verbraucht – Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter im Gesundheitswesen (oder sonst wo) werden also verzinst oder verbraucht?
Relativgewichte sind „rela- tiv“ zum Normal(gewicht/
-wert) zu betrachtende oder zu bewertende (Wert-)Ge- genstände. In der Nomenkla- tur des deutschen Gesund- heitswesens wird das „Rela- tivgewicht 1“ in Form eines Basispreises für eine medizi- nische Prozedur an einem durchschnittlich gesunden weiblichen oder männlichen
Patienten landeseinheitlich festgelegt und dann nach Erfassung aller Diagnose-/
Prozeduren-Daten im so ge- nannten „Grouper“ mit ei- nem „Multiplikator“ belegt.
Auf Deutsch: Patienten sind keine kranken oder hilfesu- chenden Menschen mehr, sondern mittlerweile über
„Kunden“ zu „Vielfältigen“
eines „Basispreises“ also
„Relativgewichten“ degene- riert! Aldous Huxley lässt grüßen: Schöne neue Welt!
Leider ist in der deutschen Ärzteschaft ganz offensicht- lich die Basis unseres Tuns – der noch immer gültige (und mehr denn je sinnvolle und notwendige) hippokratische Eid völlig in Vergessenheit geraten. Wir deutschen Ärzte sollten uns daran erinnern, anstatt willfährig unsinnigste und menschenverachtende Worthülsen kopfnickend zu perseverieren . . .
Prof. Dr. Hans-Bernd Hopf, Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt, Röntgenstraße 20, 63225 Langen
Jüdische Ärzte
Zu dem Beitrag „Jüdische Ärzte in der NS-Zeit: ,Wir waren Ausgestoße- ne‘“ von Dr. phil. Rebecca Schwoch in Heft 11/2006:
Recherchen früher fast unmöglich
Die Autorin hat am Beispiel Dr. Jacobsohn ein typisches und anschauliches Schicksal eines von den Nationalsoziali- sten verfolgten jüdischen Arz- tes dargestellt. Es ist zu be- grüßen, dass die KBV, die BÄK und der Deutsche Ärz- te-Verlag das Forschungspro- jekt über die Biografien jüdi- scher Ärzte finanzieren. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass das vor nicht all- zu langer Zeit noch ganz an- ders war. In den 70er- und 80er- Jahren stieß die von Kollegen wie Kater, Leibfried, Tenn- stedt, Baader, Hermanns, Aly, Klee, Roth, Weindling, Hahn, Kudlien, Nadav, Schultz, Schmiedebach, Grossmann, Wuttke-Groneberg, Ruprecht, Pross u. a. geleistete Erfor-
schung der Medizin im Natio- nalsozialismus sowie der Aus- grenzung, Vertreibung und Er- mordung der jüdischen Ärzte noch auf geschlossene Archi- ve, eine Abwehrfront von KVen und Ärztekammern und wurde auch von den Medizini- schen Fakultäten kaum geför- dert. Der Gesundheitstag 1980 in Berlin und die Ausstellung
„Der Wert des Menschen – Medizin in Deutschland 1918–
1945“ auf dem 92. Deutschen Ärztetag in Berlin 1989 haben
eine Trendwende herbeige- führt, von deren Früchten die heutigen Forscher profitieren.
Damit nicht der Eindruck ent- steht, als werde jetzt das Rad neu erfunden, sollten die Pu- blikationen der genannten Kollegen zumindest erwähnt werden. Die Bearbeitung bzw.
Nichtbearbeitung dieses Kapi- tels Medizingeschichte hat ih- re eigene Geschichte.
Dr. med. Christian Pross, Behandlungszentrum für Folteropfer, GSZ Moabit, Turmstraße 21, 10559 Berlin
e-card
Zu dem Beitrag „Österreich auf der Datenautobahn“ von Heike E. Krü- ger-Brand in Heft 3/2006:
Ein Flop
Ich habe aufmerksam den Ar- tikel zu der e-card in Öster- reich gelesen und bemerkt, dass Sie „sehr vorsichtig“
auch die unerfreulichen Tat- sachen kurz erwähnt haben – es funktioniert eben nicht so, wie man es sich vorgestellt hat, und die Ärzte sind nicht damit so zufrieden, wie man ständig behauptet. Die e-card war nun einmal ein Flop . . . Die Ärzte sind von dem System auch nach der Einarbeitung ent- täuscht, da es nur teuer und bürokratisch ist (bis zu einer Stunde Mehrarbeit täglich – trotz gegenteiliger Verspre- chungen), sodass die jetzige Chipkarte in Deutschland der österreichischen e-card we- sentlich überlegen ist – und zudem viel billiger . . . Ich hof- fe, dass es in Deutschland trotz der fast als Propaganda zu be- zeichnenden Berichterstat- tung über die Vorteile der e-card die Ablehnung des Sy- stems so groß wird, dass es nicht gelingen wird, einen ver- gleichbaren Unsinn in den deutschen Arztpraxen als Pflicht einzuführen – wenn es sich jemand freiwillig antun will, so ist nichts dagegen ein- zuwenden. Immerhin zahlt man nur für den Zugang zu dem GIN-Netz jährliche Ge- bühren von rund 500 Euro (bis zu etwa 1 000 Euro). Dazu
kommen noch die Betriebsko- sten, Mehrarbeit, Abstürze, Softwareupdates. Auch die Mehrwertdienste (z. B. Ge- sundheitsuntersuchung) stoßen bei den Ärzten nicht auf Begeisterung. Bei meinem Gespräch mit einer Ärztin in Österreich hat diese darauf nur geantwortet: „Das darf doch wohl nicht wahr sein.“
Freude schaut anders aus . . . Dipl.-Ing. Mag. Ivan Moro, Ostpreußenstraße 4, 79761 Waldshut-Tiengen
Julius Moses
Zu dem Beitrag „Medizin ohne Politik gibt es nicht“ von Norbert Jachertz in Heft 6/2006:
Der Sohn
Den Beitrag im DÄ über den jüdischen Arzt und sozialde- mokratischen Gesundheitspo- litiker Dr. Julius Moses habe ich mit Interesse gelesen.
A
A1554 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 22⏐⏐2. Juni 2006
B R I E F E
Foto: SVC,
Wien