DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
THEMEN DER ZEIT
Die ärztliche Tätigkeit spielt sich heute auf 27 Tätigkeitsgebieten ab, von der Allgemeinmedizin bis zur Urologie. In 26 von diesen Ge- bieten ist nach der Approbation eine mehrjährige qualifizierte Weiterbildung und ein Abschluß vorgeschrieben, obwohl all diese Gebiete auf der Universität ge- lehrt werden, teilweise sogar in- tensiv. In. einem einzigen Gebiet, dem der Primärversorgung unse- rer Bevölkerung in der Allgemein- praxis, ist keine Weiterbildung vorgeschrieben. Hier glaubt man mit freiwilliger Weiterbildung aus- kommen zu können. Dabei steht dieses Gebiet nicht im Mittelpunkt der Universitätsausbildung, son- dern führt ein Schattendasein und wird noch nicht einmal an allen Universitäten gelehrt. Wie will man diesen Zustand unserer Be- völkerung gegenüber verantwor- ten?
Die Trennung zwischen der Bun- deskompetenz für die Ausbildung und der Landeskompetenz für die Weiterbildung hat dazu geführt, daß sich die Verhältnisse in der ärztiichen Berufsausübung völlig gewandelt haben. Von den rund 150 000 berufstätigen Ärzten sind etwa 85 000 an Krankenanstalten, Behörden, Körperschaften oder als sonstwie nicht niedergelasse- ne Ärzte tätig. Sie sind entweder als Assistenten in der Weiterbil- dung, oder sie haben als leitende Ärzte eine abgeschlossene Wei- terbildung.
Weder im öffentlichen Gesund- heitsdienst noch als Werksarzt, als Gefängnisarzt, als Arzt in der Lebensversicherung oder als Arzt der Pharmaindustrie, kann man heute eine selbständige Stellung ohne zusätzliche Qualifikation fin- den. Die übrigen 65 000 sind in freier Praxis niedergelassen. Von diesen sind 60 Prozent als Ärzte
mit einer Fachgebietsbezeich- nung tätig, 40 Prozent in einer All- gemeinpraxis. Insgesamt sind 27 000 in einer allgemeinärzt- lichen Praxis tätig. Von diesen ha- ben 14 000 keine Gebietsbezeich, nung als Allgemeinarzt. Das sind keine 10 Prozent der beruflich tä- tigen Ärzte. Damit ist der Arzt „an sich", das heißt der Arzt, der mit seiner Approbation ohne zusätz- liche Qualifikation selbständig tä- tig ist, nicht mehr die Regel, son- dern die Ausnahme. Die Realität der Berufsausübung hat damit den juristischen Begriff des Arztes
„als selbständiger Beruf nach der Approbation" längst überholt. Ab- schluß des Universitätsstudiums und Zulassung zum Beruf müssen endgültig getrennt werden, wie von Arnold und Karsa vorgeschla- gen wurde. Der Weg dazu wird ei- ne neue Ausbildungszieldefinition für das Medizinstudium, welche etwa folgendermaßen lauten könnte:
„Die auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgende theoreti- sche und praktische ärztliche Aus- bildung soll die Fähigkeit zur Aus- übung des ärztlichen Berufes im Sinne einer Eingangsqualifikation vermitteln. Sie hat den Arzt zum Ziel, der seinen Beruf nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit- verantwortlich ausüben kann, die Grenze seines Wissens und Kön- nens erkennt und danach handelt.
Die für selbständige im Sinne allein verantwortlicher ärztlicher Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen er- wirbt der approbierte Arzt im Rah- men einer mehrjährigen prakti- schen Tätigkeit unter Aufsicht und Anleitung auf dem Gebiet, in dem die selbständige Berufsausübung stattfinden soll. Soweit das Gebiet Bestandteil der Weiterbildungs- ordnung ist, findet die praktische
Unter dem Titel „Approba- tionsordnung für Ärzte: Gor- discher Knoten" hatten Prof. Dr. med. Michael Ar- nold und cand. med. Law- rence von Karsa in Heft 35/1983 Vorschläge zur Ver- besserung der Mediziner- ausbildung vorgelegt. Der Verfasser der folgenden An- merkungen, ein unermüd- licher Streiter für die Allge- meinmedizin, zieht aus Ar- nolds und Karsas Vorschlä- gen ähnliche Schlußfolge- rungen wie die Bundesre- gierung, ein mitverantwort- licher Arzt am Ende des Hochschulstudiums. Doch soll nach seinen Vorstellun- gen die Eigenverantwort- lichkeit mit dem Abschluß der Weiterbildung verbun- den werden.
Tätigkeit entsprechend den Re- geln dieser Weiterbildung statt."
Gesetzliche Regelungen können bei restriktiver Auslegung den Fortschritt behindern und neue gesetzliche Regelungen legalisie- ren nachträglich den an ihnen vor- beigezogenen Fortschritt. Wenn über 90 Prozent der Ärzte nicht mehr im Sinne der Approbations- ordnung selbständig tätig sind, so ist es an der Zeit, die Approba- tionsordnung dem vollzogenen Fortschritt anzupassen und einen Basisarzt in dem oben zitierten Sinne zu schaffen. Die Regelung dieses Berufszuganges könnte man dann den Ländern überlas- sen, welche bereits auf 26 ver- schiedenen Arztgebieten mit Hilfe ihrer Weiterbildungsordnung die- sen kontrollieren. Die Sorge um eine qualifizierte Primärversor- gung wäre vergessen und der in- nerärztliche Streit um die Pflicht- weiterbildung endlich zu Ende.
Anschrift des Verfassers:
San itätsrat
Dr. med. Hans Hugo Wrede Hauptstraße 11
6571 Simmertal
Der Knoten kann gelöst werden
Hans Hugo Wrede
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 (25) 21