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Archiv "„Wir Ärzte haben keinen Anlaß, uns für den Fortschritt zu entschuldigen”" (29.05.1992)

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„Wer hört denn in Bonn noch auf uns Ärzte?" fragte Dr. Erhard Stähler verärgert und resignierend.

Der 95. Deutsche Arztetag formu- lierte dennoch unverdrossen Anfor- derungen an die Gesundheitspolitik und die anstehende „Gesundheitsre- form". Dr. Karsten Vilmar setzte sich bei der öffentlichen Veranstal- tung vor allem mit dem Widerspruch von Beitragssatzstabilität und zuneh- menden Anforderungen an das Ge- sundheitswesen auseinander. So auch der Ärztetag in einer von ihm schließlich verabschiedeten, vom Vorstand der Bundesärztekammer eingebrachten umfangreichen Ent- schließung. Vilmar wie der Arztetag beriefen sich auf den Sachverständi- genrat für die Konzertierte Aktion, demzufolge Beitragssatzstabilität mittelfristig das Niveau der medizini- schen Versorgung der Patienten auf Dauer beeinträchtigt. „Eine solche Position verrät Konzeptionslosigkeit in der Gesundheitspolitik", stellte der Ärztetag fest. Vilmar forderte die Bundesregierung auf, die Chance zu einer gesundheitspolitischen Wende endlich zu nutzen (Vilmars Referat sowie die Entschließungen zur Gesundheitspolitik werden nach- stehend im Wortlaut dokumentiert).

Dr. Ellis Huber, der Präsident der Ärztekammer Berlin, las aus den Forderungen von Vilmar und des Vorstandes der BÄK (dem Huber freilich selbst angehört) Privatisie- rungstendenzen nach US-amerikani- schem Vorbild ab. Die Ärzte könn- ten sich so nicht aus der Debatte zie- hen. Der Löwenanteil der Mittel werde von den Ärzten verteilt. Hu- ber: „Wir müssen steuernde Verant- wortung übernehmen." Und, plaka- tiv: „Wir Arzte sind nicht Opfer, wir sind Täter."

Gerade diese Formulierung rief Proteste aus dem Plenum hervor. Dr.

Klaus-Dieter Kossow: „Ein starkes

Stück, das sind besetzte Begriffe, mit denen man vorsichtig umgehen soll- te." Zur Sache erklärte Kossow, die Ärzte wollten weder ein System ä la Amerika noch eins nach dem alten östlichen Muster. Es gelte, ein Gleichgewicht zwischen den Interes- sen des Staates und der Krankenkas- sen und den Individuen (Patienten und Ärzten) zu finden. Kossow setz- te sich für eine Gesundheitsreform ein, die die ursprünglichen System- strukturen — insbesondere Sicher- stellungsauftrag der Kassenärztli- chen Vereinigungen, freie Arztwahl

— kräftigt (im Detail hat die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung solche Vorstellungen auf ihrer Vertreter- versammlung noch einmal umschrie- ben, darüber wurde im letzten Heft berichtet).

Im Unterschied zu Dr. Huber unterstützte Dr Hans-Jürgen Tho- mas Vilmars Ausführungen (und er- hielt dafür anhaltenden Beifall, der zugleich auch Dr. Vilmar galt). Dr.

Tigris Seyfarth hingegen sah in Vil- mars Referat ein „Horrorgemälde"

der alten DDR. Doch dieses System habe auch viele positive Seiten ge- habt. Viele Kollegen in den Ostlän- dern stünden heute unter Druck, ih- re frühere Tätigkeit rechtfertigen zu müssen. Vilmar stellte dazu fest, er habe keineswegs die vorzügliche Ar- beit der Ärzte, die unter schwierigen Bedingungen geleistet worden sei, abwerten wollen.

Die Debatte zum Tagesord- nungspunkt I wiederholte in vielerlei Varianten den gegensätzlichen Dia- log Huber/Kossow und konzentrierte sich schließlich auf die leidige Bei- tragssatzstabilität. Die Politiker müßten dem Publikum sagen, was mit dem vorhandenen Geld finan- ziert werden solle, forderte Dr.

Wolfgang Mohr. Es sei unmöglich, alles mit begrenzten Ressourcen zu finanzieren. Dr. Ludger Beyerle er- innerte daran, daß sich die auf die Medizin und die Ärzte zukommen- den Aufgaben nicht entsprechend der Grundlohnsumme entwickelten;

wörtlich: „Wir sollten als Anwälte unserer Patienten vorgehen und sa- gen: dieses Geld brauchen wir."Ähn- lich Rudolf Henke: Die Politik stehe jetzt vor der Aufgabe, das Dogma der Beitragssatzstabilität zu über- prüfen. Und: „Es gibt für uns Arzte keinen Anlaß, für den wissenschaftli- chen Fortschritt jemanden um Ent- schuldigung zu bitten." Wolle denn jemand die Rückkehr zur Basisver-

sorgung, wolle denn jemand den me- dizinischen Fortschritt bremsen?

Solche Ausführungen zielten auf die Politiker, die zur Zeit des Ärztetages in Bonn in Klausur über neue Ko- stendämpfungsmaßnahmen berie- ten. Auch gegenüber dem Ärztetag hatten sich die Bonner Politiker nicht aus der Reserve locken lassen;

sie waren, bis auf wenige Ausnah- men, erst gar nicht erschienen.

Und so argumentierte der Deut- sche Ärztetag ohne Dialogpartner.

Auf Betreiben (unter anderem) von Dr. Erwin Hirschmann und Dr. Rolf- Eckart Hoch beschloß er am Ende, eine Strukturkommission zu bilden, die Vorschläge der Ärzteschaft erar- beiten und in die Gesundheitspolitik einspeisen soll. Dabei wird es sich um ein ärztliches Gremium handeln.

Dr. Ellis Huber hatte den Ärztetag bewegen wollen, einen Schritt wei- terzugehen. Er plädierte für eine drittelparitätisch besetzte Reform- kommission mit Vertretern der Bun- desregierung, der Krankenkassen und der ärztlichen Selbstverwal- tungskörperschaften; diese solle Re- formvorhaben konzipieren, öffent- lich vertreten und die Realisierung verantwortlich koordinieren. Der Ärztetag folgte Hubers Vorschlag nicht. Gleichwohl befand Dr. Andre- as Crusius (der ähnlich wie andere Vertreter aus den neuen Bundeslän- dern um Ausgleich bemüht war): Ei- gentlich sei man gar nicht so weit auseinander: die einen plädierten nämlich für eine Strukturkommis- sion, die anderen für eine Reform- kommission. NJ

„Wir Ärzte haben keinen Anlaß, uns für den Fortschritt zu entschuldigen”

Tagesordnungspunkt I:

Planwirtschaft oder Strukturqualität —

Gesundheitspolitik in Deutschland und in Europa

I

Strukturkommission

A1 -2010 (22) Dt. Ärztebl. 89, Heft 22, 29. Mai 1992

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