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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR
Gegen Experimente
mit Krankenhauspatienten
Von einer Zustimmung der Ärzte- schaft zur Durchführung von Expe- rimenten mit der sogenannten prä- stationären Diagnostik und nach- stationären Behandlung im Kran- kenhaus kann keine Rede sein.
Diese Feststellung scheint notwen- dig zu sein, wenn man jüngste Pu- blikationen liest, wonach der Bun- desarbeitsminister „das Einver- ständnis der Standesvertreter zur Durchführung eines Modellversu- ches im Bereich der ambulanten vorstationären Diagnostik und Nachbehandlung" erhalten habe.
Die Ärzteschaft ist nach wie vor der Überzeugung, daß die Durch- führung ambulanter Untersuchun- gen im Krankenhaus zu einer Ko- stenmehrung und zu keiner Ver- besserung der Kostensituation im Krankenhaus führen werde — von den gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Patienten ganz zu schweigen.
Die Ärzteschaft ist aber sehr wohl bereit, an wissenschaftlich-analyti- schen Forschungsvorhaben teil- zunehmen, um objektiv abzuklären, wieweit Krankenhauseinweisungen überflüssig waren oder zu früh er- folgten, und um festzustellen, wie- weit die Untersuchungsmöglichkei- ten in der ambulanten Praxis der niedergelassenen Ärzteschaft aus- reichend oder nicht ausreichend ausgeschöpft wurden.
Das seit langem verfolgte Vorha- ben des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, in einer Veröf- fentlichung seines Pressedienstes erneut offenbart, „zur Erprobung der vorstationären Diagnostik ...
mit der Deutschen Krankenhaus- Gesellschaft und allen Bundesver- bänden der gesetzlichen Kranken- kassen entsprechende Modellver- suche" zu vereinbaren und diese Experimente „auch auf die ambu- lante Weiterbehandlung des Pa- tienten im Krankenhaus nach sei-
ner Entlassung aus der stationären Behandlung (zu) erstrecken", ist im Sinne einer Kostenreduzierung im Gesundheitswesen absolut sinnlos, wie die Erfahrungen mit einer spe- zifischen Form ambulanter Vorun- tersuchung und Nachbehandlung beweisen, die es schon längst gibt:
Gegenwärtig haben mehrere Tau- sende Chefärzte und Oberärzte an den Krankenhäusern bereits die Möglichkeit, Kassenpatienten am- bulant zu untersuchen und zu be- handeln; aber auch an ihren Krankenhäusern ist die Verweil- dauer nicht geringer als in anderen Krankenanstalten. Aber selbst eine Verringerung der durchschnittli- chen Verweildauer bringt nicht ohne weiteres eine Kosteneinspa- rung; eine solche Kostenre- duzierung ist ausschließlich durch Verringerung der Bettenzahl und durch Personaleinsparungen denk- bar.
Gegen eine wissenschaftlich-analy- tische Untersuchung auch dieser Erfahrungstatsachen wäre nichts einzuwenden; dazu bedürfte es aber keiner zweifelhaften Experi- mente.
So jedoch bleibt zu befürchten, daß die Bestrebungen der gesetzli- chen Krankenkassen und der Spit- zenorganisation der Krankenhaus- träger ohne jeden Kostendämp- fungseffekt nur den Zielen jener dienen, denen die Arbeitsteilung in unserem Gesundheitswesen grund- sätzlich nicht ins Konzept paßt, wie dies kürzlich Frau Dr. Katharina Focke, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, in ihren programmatischen Ausführungen bei der Bundestagsdebatte über die Gesetzentwürfe des Bundesar- beitsministeriums und des Bundes- rates zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts erkennen ließ:
„Das Nebeneinander von niederge- lassenen Ärzten und Krankenhäu-
sern, prinzipiell berechtigt und er- wünscht, hat allerdings", wie sie sagte, „in bezug auf eine spätere Krankenhausaufnahme auch seine Nachteile. Patienten, die bereits vom niedergelassenen Arzt unter- sucht wurden, müssen", so formu- lierte Frau Dr. Focke, „diese Unter- suchung im Krankenhaus wieder- holen ..."
Die Formulierung, deren sorgfälti- ge Vorbereitung man bei einer offi- ziellen Stellungnahme der Bundes- ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit im Deutschen Bundes- tag unterstellen darf, läßt keinen Zweifel, welche -der beiden Unter- suchungen Frau Dr. Focke für überflüssig hält; denn wenn im Krankenhaus nochmals untersucht werden muß, wie Frau Focke meint, dann kann sie ja ausschließ- lich die Untersuchung beim frei- praktizierenden Arzt für „überflüs- sig" halten.
Einer solchen vorgefaßten Meinung muß die Ärzteschaft energisch wi- dersprechen, gerade auch im Hin- blick auf den vom Bundesministe- rium für Jugend, Familie und Ge- sundheit an das Deutsche Kranken- hausinstitut in dieser Frage verge- benen Forschungsauftrag, der mit den beabsichtigten Experimenten der Bundesverbände der Kranken- kassen und der Deutschen Kran- kenhaus-Gesellschaft nicht unmit- telbar zu tun hat. DÄ
— ZITAT
Ärzte und Politiker
„Die Gesundheitspolitik ist zu ernst, als daß sie ausschließ- lich Aufgabe der Ärzte sein könnte — sie ist aber auch zu ernst, um sie nur den Po- litikern zu überlassen!"
Dr. med. Karsten Vilmar, Er- ster Vorsitzender des Mar- burger Bundes und Vizeprä- sident der Bundesärztekam- mer, in der 47. Hauptver- sammlung des Marburger Bundes im Mai 1975 in Ham- burg.
2092 Heft 29 vom 17.Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT