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Archiv "Steuerungsmechanismen für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen: Von der Verantwortung der Politiker, der Ärzte und der Versicherten" (23.10.1975)

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Die Information:

Bericht und Meinung

72. Jahrgang/Heft 43 23. Oktober 1975 Postverlagsort Köln

Redaktion:

5000 Köln 40 (Lövenich) Postfach 40 04 30 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

Anzeigenabteilung:

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Steuerungsmechanismen für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Von der Verantwortung

der Politiker, der Ärzte und der Versicherten

J. F. Volrad Deneke

Das Stichwort „Selbstbeteiligung" ist in der Diskussion um die Ko- stensteigerung im Gesundheitswesen wieder aktuell geworden. In- nerhalb der politischen Parteien haben vor allen Dingen F.D.P.- Politiker die Initiative zur Entwicklung neuer Vorschläge bzw. zur neuerlichen Diskussion alter Vorschläge entwickelt.

Innerhalb der Ärzteschaft haben aktuell einzelne Persönlichkeiten und verschiedene ärztliche Organisationen zu einigen Sonderpro- blemen sowie zum Gesamtproblem Stellung genommen. Danach lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt einige Feststellungen zur Dis- kussion treffen:

1. Die wichtigsten Gründe für die Kostensteigerung im Gesund- heitswesen

> die Fortschritte der Medizin,

> die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung.

Beide Entwicklungen führen zwangsläufig zur

> vermehrten Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen.

Wie in einer Entschließung der Hauptversammlung 1975 des Ver- bandes der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) e. V. zutreffend festgestellt wurde, haben, durch das ständig steigende Sozialpro- dukt und den allgemeinen Wohlstand beeinflußt,

> der Gesetzgeber durch ständige Ausweitung der gesetzlichen Leistungen,

> die Krankenkassen durch ständige Ausweitung ihrer freiwilligen

Leistungen, I>

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975

2951

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

Mechanismen für die Kostensteuerung

die Presse durch anhaltende Appelle an das Anspruchsdenken der Versicherten,

I> die Versicherten durch Inan- spruchnahme aller gesetzlichen Möglichkeiten und

I> die Ärzte durch ständigen Aus- bau ihres Leistungsangebotes die Sozialversicherung vor ständig neue Aufgaben und damit auch vor ständig wachsende finanzielle Be-

lastungen gestellt.

Die Anwendung aller Fortschritte der Medizin für alle in dieser Ge- sellschaft ist schon heute weder personell noch technisch machbar.

Auch in der Weiterentwicklung der Krankenversorgungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland müs- sen Prioritäten gesetzt werden. Die Politiker können sich an der Aufga- be, Steuerungsmechanismen für die Weiterentwicklung der Kosten im Gesundheitswesen zu entwik- keln und in das System einzubau- en, nicht weiterhin vorbeidrücken.

2. Eine Selbstbeteiligung in Form einer „Inanspruchnahmegebühr", wie sie seinerzeit bei den Reform- vorstellungen des Bundesarbeits- ministers Blank eine entscheiden- de Rolle gespielt hat, erscheint nach wie vor unzweckmäßig, und zwar weil

I> die Hinderung eines Zugangs zum Arzt der Förderung der Prä- vention strikt widerspricht,

I> diese Form einer „Selbstbeteili- gung" zu spät einsetzt, nämlich die Eigenverantwortlichkeit erst dann einschaltet, wenn bereits Krank- heitssymptome auftreten.

3. Im Rahmen des Sachleistungs- systems hat sich der Großversuch einer genormten Beitragsrückge- währ nicht bewährt.

4. Innerhalb des Sachleistungssy- stems erscheint eine zusätzlich zu den Beiträgen erhobene sozial ge- staffelte Eigenbeteiligung der Ver- sicherten vertretbar

• bei der Versorgung mit Arzneien und sonstigen Heil- und Hilfsmit- teln,

• beim Zahnersatz,

• bei der Krankenhausbehandlung in Höhe der ersparten Verpfle- gungskosten im eigenen Haushalt und

bei Kuren.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Eigenbeteiligung bei der Krankenhausbehandlung auch so- ziale Härten bringen kann, weil vielfach die ersparten Verpfle- gungskosten dadurch ausgegli- chen werden, daß häusliche Mehr- aufwendungen gemacht werden

ZITAT

Konstruktive Systemkritik

„Da mit Maßhalteappellen kaum etwas auszurichten ist, müssen wir uns — wozu der Liberale ohnehin neigt — auf die Tugend der konstruktiven Systemkritik besinnen. Dazu gehört auch, die Gewichte zwischen Solidarhaftung und Individualverantwortung bes- ser zu verteilen." (Wolfgang Mischnick am 22. März 1975 in Norderstedt).

müssen, um Haushaltsfunktionen auszugleichen, die der stationär Behandelte im eigenen Haushalt normalerweise innehat.

Die Eigenbeteiligung bei Zahner- satz und bei Kuren erscheint da- gegen auch zur Erreichung der Ausgabenzwecke der Sozialversi- cherungsträger in diesem Bereich durch Einschaltung der Selbstver- antwortung dringend erforderlich.

Die Kosten für Kuren im Ausland sollten nicht mehr getragen wer- den. Das Limit für die Rezeptge- bühr könnte verdoppelt werden.

5. Die Wahlfreiheit, insbesondere bei den freiwillig Versicherten zwi- schen dem Sachleistungssystem

mit voller Kostendeckung — ohne

jede Selbstbeteiligung — mit ent- sprechend hohen Beiträgen und ei- ner Kostenerstattung mit Mindest- und Höchstgrenzen der Eigenbetei- ligung sowie entsprechend niedri- gen Beiträgen, müßte so konzipiert werden, daß dadurch keine Entmi- schung der guten und schlechten Risiken zu Lasten der Sozialversi- cherung erfolgt. Bei der Erarbei- tung entsprechender Modelle muß erwogen werden, inwieweit Zusatz- versicherungen — wie sie auch jetzt üblich sind — der privaten Krankenversicherung ausschließ- lich überlassen bleiben sollten.

Wenn Wahlfreiheiten vom Sachlei- stungssystem zum Kostenerstat- tungssystem gesetzlich eingeführt werden, kann sichergestellt wer- den, daß dem Sozialversicherten im Kostenerstattungssystem keine höheren ärztlichen Gebühren in Anrechnung gebracht werden, als den Ärzten gleichzeitig für ver- gleichbare Sozialversicherte im Sachleistungssystem gezahlt wird;

davon unberührt bleiben etwaige Mehrleistungen, die durch private Zusatzversicherungen abgedeckt werden können.

6. Es muß geprüft werden, ob ana- log dem Verfahren bei der Kfz- Haftpflicht eine limitierte Selbstbe- teiligung pro Jahr eingeführt wer- den kann bei gleichzeitiger Sen- kung der Beiträge für diesen Per- sonenkreis. Die Beitragssenkung sollte sich ausschließlich bei den Arbeitnehmern, nicht aber auch im Arbeitgeberanteil auswirken. Die erste Inanspruchnahme müßte ebenso wie jede Früherkennungs- untersuchung beteiligungsfrei blei- ben. Der Begriff der Erstinan- spruchnahme muß klar definiert werden, z. B. als „Erste Inan- spruchnahme innerhalb eines Quartals bei der gleichen Krank- heit".

7. Es ist auf die Dauer nicht zumut- bar, daß diejenigen, die sich ge- sundheitsbewußt verhalten, mitbe- zahlen müssen, was an Kosten von denjenigen verursacht wird, die ihre Gesundheit in unverantwortli- cher Weise strapazieren. Es ist zu

2952 Heft 43 vom 23. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Die Information:

Bericht und Meinung DIE GLOSSE

überlegen, inwieweit Sondersteuern für Genußmittelverbrauch wenig- stens teilweise dazu verwandt wer- den, die durch Genußmittelmiß- brauch entstehenden Behandlungs- kosten global durch Zuweisungen an die Krankenversicherungen mindestens teilweise abzudecken.

Die Solidargemeinschaft darf nicht auf dem Rücken der Verantwor- tungsbewußten aus den Kranken- kassen „Raucher-Belohnungs-An- stalten" machen lassen.

Für die Weiterentwicklung der Ko- sten im System der Krankenversor- gung wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob es gelingt, ge- sundheitliches Wohlverhalten zu honorieren, zumal bei genauerer Betrachtung der Morbiditätsstati- stik schon heute deutlich ist, wie sehr der Anteil derjenigen Krank- heiten steigt, die nicht ausschließ- lich schicksalsbedingt, sondern auch durch eigenes Fehlverhalten provoziert sind.

8. Das gegliederte System der Krankenversicherung und Kranken- versorgung ist zu erhalten.

Das Leistungsangebot der sozialen Krankenversicherung ist jedoch daraufhin durchzuforsten, daß die Sicherung des Notwendigen nicht durch Ausgaben für das nur Wün- schenswerte weiterhin gefährdet bleibt. Das gilt insbesondere für die kritische Überprüfung der im Laufe der letzten fünf Jahre einge- führten Leistungsverbesserungen, wie z. B. die „Oma auf Kranken- schein".

Die Überkapazitäten im stationären Bereich müssen abgebaut werden.

Ihre Auslastung durch Übernahme bisher ambulant erbrachter Lei- stungen bringt bei neuen Kosten- steigerungen im stationären Be- reich Investitionsrezessionen und damit die Gefahr der medizini- schen Demontage und der Quali- tätsminimierung im ambulanten Bereich.

9. Es dürfen keine Leistungserwei- terungen beschlossen werden, ohne genaueste Erwägungen über die Möglichkeiten der Förderung

der Selbstverantwortung anzustel- len und gleichzeitig die Auswirkun- gen auf die Kosten zu überprüfen.

Das gilt auch für die Weiterent- wicklung von Früherkennungsun- tersuchungen. Dabei ist davon aus- zugehen, daß gerade auf weite Sicht Früherkennungsmaßnahmen kostensteigernd wirken, weil bei ei- nem so hohen Standard der Ver- sorgung wie in der Bundesrepublik Deutschland jeder Zuwachs an durchschnittlichem Lebensalter letztendlich Zuwachs von Lebens- jahren bedeutet, die der ständigen medizinischen ärztlichen Betreu- ung intensiver bedürfen als bei- spielsweise die mittleren Lebens- jahrgänge.

Darüber hinaus ist zu beachten, daß Früherkennungsmaßnahmen nur in denjenigen Bereichen wei- terzuentwickeln sinnvoll ist, in de- nen auch mit einem hohen Pro- zentsatz der Therapiewilligkeit der Probanden bzw. Patienten zu rech- nen ist. Mit anderen Worten: Es ist unwirtschaftlich, Früherkennung von Risikofaktoren zu betreiben, wenn nicht sichergestellt ist, daß auch das gesundheitliche Verhal- ten der Betreffenden wenigstens zu einem wesentlichen Prozentsatz umgestimmt werden kann.

Es sollte auch überlegt werden, ob nur bei Inanspruchnahme der ge- setzlichen Vorsorgeuntersuchun- gen die Zahlung von Mutterschafts- geld erfolgen sollte.

10. Kostentransparenz für alle Be- teiligten einschließlich der Versi- cherten mag zwar zunächst zusätz- liche Verwaltungskosten erfordern und gelegentlich zu maximaler In- anspruchnahme anreizen, auf lan- ge Sicht kann aber auch nur die Kostentransparenz aller Leistungen für alle Beteiligten auch kosten- wirksames Fehlverhalten konkret transparent und damit korrigierbar machen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. J. F. Volrad Deneke 5 Köln 41

Haedenkampstraße 1

Fehlanzeige

Aus den Stellenanzeigen der Ost- berliner Gesundheitszeitschrift

„humanitas" sind jetzt die bisher sehr häufigen Hinweise auf Woh- nungsangebote oder Wohnungs- wünsche verschwunden.

Es war bisher üblich gewesen, daß Stellensuchende in ihren Inseraten Wohnungswünsche äußerten, wäh- rend bei den Angeboten die jewei- ligen Auftraggeber mit entspre- chenden Angeboten winkten. Über längere Zeiträume hinweg konnte man aus diesen Angaben sogar eine Verbesserung der Wohnsitua- tion in der - DDR ablesen. Allmäh- lich erwarteten und erhielten we- nigstens Fachärzte beispielsweise

„eine Vier-Zimmer-Wohnung oder ein kleines Einfamilienhaus (Zen- tral- oder Etagenheizung, Garage erwünscht)".

Das hat nun aufgehört. Allerdings in einer merkwürdigen Weise, die einen schweren Denkfehler bei den dafür Verantwortlichen zutage brachte. Die „humanitas" veröffent- lichte dazu einen Leserbrief, und in der nächsten Nummer ging die Re- daktion darauf ein und gestand so- gar den Fehler zu. Daß die Wo- nungsangebote aus den Stellenan- geboten verschwanden, ist auf eine neue Richtlinie über die öffentliche Ausschreibung von Stellen des Mi- nisteriums für Gesundheitswesen zurückzuführen.

Über die Folgen hatte man aber of- fenbar nicht nachgedacht. Denn nun erschienen nur noch Woh- nungswünsche in den Stellenanzei- gen: Der Bedarf war riesig, das An- gebot schien gleich Null. So schlecht ist die Wohnungslage in der DDR aber nicht; vor allem je- doch war ein solches Bild natürlich politisch unmöglich.

Also müssen es sich die Stellensu- chenden gefallen lassen, daß man aus ihren Inseraten alle Wohnungs- wünsche einfach herausstreicht.

Individuelle Wünsche in einer Plan- wirtschaft — das geht ja wohl zu weit! gb

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2953

Referenzen

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