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Archiv "Gesundheitsreform: Viel mehr gibt es nicht" (10.09.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 36

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10. September 2010 A 1661 GESUNDHEITSREFORM

Viel mehr gibt es nicht

Die Honorare der niedergelassenen Ärzte und die Budgets der Krankenhäuser steigen 2011 und 2012 in geringerem Maß als vorgesehen. Derweil protestieren die Hausärzte gegen Honorarkürzungen in den Hausarztverträgen.

W

as wir in diesem Jahr erle- ben, ist ein regelrechter Krieg gegen uns Hausärzte“, em- pörte sich Dr. med. Wolfgang Hop- penthaller am 3. September in Bad Sassendorf. „Es ist ein Krieg initi- iert von der FDP mit Unterstützung geneigter CDU-Politiker.“ Der Vor- sitzende des bayerischen Hausärz- teverbands machte seinem Ärger über die Reformpläne von Bundes- gesundheitsminister Philipp Rösler bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Westfälischen Haus- ärztetages Luft.

Der Grund: Der Referentenent- wurf aus dem Bundesgesundheits- ministerium (BMG) sieht vor, die Honorare in den Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung an die der Regelversorgung anzuglei- chen. Höhere Honorare dürfen nur noch dann gezahlt werden, wenn sie durch Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanziert werden kön- nen. Diese Pläne nehmen den Hausärzten jede Möglichkeit zu ei- nem Wettbewerb um neue ambu- lante Versorgungsstrukturen außer-

halb des Systems der Kassenärztli- chen Vereinigungen (KV), hatte zu- vor bereits der Deutsche Hausärz- teverband beklagt. Denn die ge- plante Honorarangleichung mache die Verträge für die Ärzte gänzlich unattraktiv.

Das derzeitige Honorarsystem ist ein „Wahngebäude“

In Bad Sassendorf betonte der Bun- desvorsitzende des Hausärztever- bands, Ulrich Weigeldt, man habe im Rahmen der Verträge zur haus- arztzentrierten Versorgung eine sehr gute eigene Honorarordnung entwickelt, „die uns wieder Zeit gibt für unsere Patienten“. Im Ver- gleich dazu sei die Honorarordnung im KV-System ein „Wahngebäu- de“. An der Rösler’schen Reform kritisierte er vor allem die staatliche Einmischung in die Honorarpolitik.

„Brauchen die Kassen den Staat, um vernünftige Honorarverhand- lungen zu führen?“, fragte Wei- geldt. Diese wüssten schließlich selbst am besten, wie es um ihre Fi- nanzen bestellt sei.

Pfiffe von den Teilneh- mern der Veranstaltung ern- tete Daniel Bahr (FDP), par- lamentarischer Staatssekre- tär im Bundesministerium für Gesundheit, beim Ver- such, die Reformpläne zu verteidigen. Er betonte, dass der Kern des § 73 b Sozial- gesetzbuch V nicht angetas- tet werde. Die Kassen seien nach wie vor verpflichtet, Verträge zur hausarztzen- trierten Versorgung zu ver- einbaren – und zwar, wie gehabt, in erster Linie mit dem Hausärzteverband. Au- ßerdem gelte für bestehen- de Verträge Bestandsschutz.

Angesichts eines drohenden Defizits von elf Milliarden Euro bei den gesetzlichen Krankenkassen müssten aber auch die Hausärzte ei- nen Beitrag zur Konsolidierung der Kassenfinanzen leisten.

Diese wollen hingegen ihre Pro- teste fortsetzen. Am 15. September sind drei Großveranstaltungen in Baden-Württemberg, Nordrhein- Westfalen und Niedersachsen ge- plant. Darüber hinaus kündigte der Vorsitzende des Hausärzteverban- des Westfalen-Lippe, Dr. med. Nor- bert Hartmann, an, dass dort vom 13. bis 15. September ein Viertel al- ler Hausarztpraxen geschlossen bleibt. „Das ist das Szenario der Zukunft“, sagte Hartmann, wenn die Reformpläne aus dem BMG umgesetzt würden. In Bayern hat- ten sich nach Angaben des dortigen Hausärzteverbandes bereits am 26.

und 27. August rund 5 000 Haus- ärzte an Praxisschließungen betei- ligt. Dabei drängt die Zeit. Denn am 22. September soll das Kabinett den Gesetzentwurf verabschieden.

Während die Vertreter des Haus- ärzteverbandes um ihre Unabhän- Vor verschlosse-

nen Türen könnten Patienten in Zukunft häufiger stehen.

Denn die Sparpläne der Regierung gefährden nach Ansicht der Haus- arztverbände die Versorgung.

Foto: ddp

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10. September 2010 gigkeit vom KV-System fürchten,

geben sich auch dessen Vertreter skeptisch. „Zunächst müssen wir kon statieren, dass es sich zuvorderst um ein Kostendämpfungsgesetz han- delt“, sagte der Vorstandsvorsitzen- de der Kassenärztlichen Bundesver- einigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler. „Zudem wird die Weiter- entwicklung der Honorare ohne An- bindung an die Grundlohnsumme ausgesetzt. Damit wird ein Ziel, für das wir jahrelang gekämpft haben, konterkariert.“

Mehr Geld für die Verlierer der Honorarreform

Denn die Kürzungspläne des BMG hebeln ein Stück weit die Systematik der Honorarreform von 2009 aus. Sie sah vor, dass sich das Honorar der Vertragsärzte nicht mehr an der Steigerung der Grundlohnsumme orientiert, son- dern eine veränderte Morbidität der Versicherten ebenso berück- sichtigt wie Verlagerungseffekte vom stationären in den ambu - lanten Sektor oder Veränderungen bei den Praxiskosten. Die beiden letzten Faktoren zur Berechnung von Zuwächsen beim Honorarvo-

lumen schließt der Referentenent- wurf ausdrücklich aus.

„Ich verstehe, dass dies vor dem Hintergrund der schwierigen ge- samtwirtschaftlichen Situation mit hohen Kassendefiziten erfolgt“, er- klärte Köhler. „Ich gehe aber davon aus, dass die Budgetierung nach zwei Jahren wieder zurückgenom- men wird.“

Jetzt muss zunächst einmal der Erweiterte Bewertungsausschuss die Höhe der Gesamtvergütung für 2011 und deren regionale Vertei- lung beschließen. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll der be- grenzte Zuwachs „asymmetrisch“

verteilt werden. Das heißt, dass die KVen, die von der Honorarreform 2009 am wenigsten profitiert ha- ben, mehr Geld erhalten als die an- deren. Das entspricht auch einer Forderung der KBV-Vertreterver- sammlung. Nutznießer dieser Rege- lung dürften in erster Linie die KVen Nordrhein, Westfalen-Lippe und Baden-Württemberg sein. Ur- sprünglich wollte der Ausschuss am 1. September über den Umfang und die Verteilung des Honorarzuwach- ses beschließen. Die Sitzung ging jedoch ohne Ergebnis zu Ende. Eine

Entscheidung soll nun am 24. Sep- tember fallen.

Doch auch hier droht Streit. Die

„Verlierer“ der Honorarreform, wie die KV Nordrhein, können zunächst einmal mit der geplanten asymme- trischen Verteilung der Zuwächse zufrieden sein. Mittelfristig setzen sie aber auf das mit der Honorarre- form 2009 angestrebte Ziel „Glei- ches Geld für gleiche Leistung“, das heißt bundesweit einheitliche Preise für ärztliche Leistungen.

Diese Forderung greift auch der Re- ferentenentwurf auf. Danach soll der Bewertungsausschuss dem BMG bis zum 30. April 2011 ein Konzept für eine schrittweise Konvergenz der Vergütungen vorlegen.

Bayern lehnt bundesweit einheitliche Honorare ab

Vor allem die KVen der wirtschafts- kräftigeren Bundesländer lehnen das rundweg ab. Der Vorstand der KV Bayerns warnte vor einer „bun- desweiten Neiddebatte“. Eine An- gleichung des Behandlungsbedarfs setze eine weitere Umverteilungs- maschinerie in Gang und gefährde die Versorgung der bayerischen Pa- tienten. „Jeder, der eine bundesweit einheitliche Honorierung ohne Be- rücksichtigung regionaler Beson- derheiten fordert, ignoriert die seit Jahren gewach sene Versorgungs- realität“, erklärte deren Vorstands- vorsitzender Dr. med. Axel Munte.

Im Kampf für mehr Regionalität setzt er auf die Unterstützung der bayerischen Landesregierung.

Die Gegenposition vertrat jetzt in Bad Sassendorf der ehemalige nord- rhein-westfälische Gesundheitsmi- nister Karl-Josef Laumann. „Das schlimmste am gegenwärtigen Sys- tem ist, dass wir die Ärzte unter- schiedlich bezahlen“, erklärte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfrak- tion und sparte nicht mit grundsätz- licher Kritik: Die KVen seien offen- bar nicht in der Lage, das Honorar- problem zu lösen. Die jüngste Ho- norarreform habe dazu geführt, dass die Unterschiede zwischen den KVen noch größer geworden seien.

Das System sei völlig intransparent.

Und FDP-Staatssekretär Bahr be- kräftigte: „Da müssen wir ran.“ ■ Heike Korzilius Der Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheits-

ministerium sieht Regelungen zur Ausgabenbe- grenzung vor:

Die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen werden für die nächsten beiden Jahre auf dem Niveau von 2010 eingefroren.

Die Aufwendungen für Krankenhausleistungen dürfen 2011 und 2012 nur in Höhe der halben Grundlohnrate steigen. Für Mehrleistungen wird ein Abschlag fällig: 30 Prozent im nächs- ten Jahr; von 2012 an müssen Krankenhäuser und Krankenkassen dessen Höhe vereinbaren.

Der Honorarzuwachs bei den niedergelasse- nen Vertragsärzten wird 2011 und 2012 be- grenzt, ebenso die Ausgaben für extrabudge- täre Leistungen.

Das Vergütungsniveau in der hausarztzentrier- ten Versorgung wird begrenzt. Höhere Honora- re als in der Regelversorgung dürfen nur dann vereinbart werden, wenn sie durch Einsparun- gen an anderer Stelle gegenfinanziert werden können.

Neben Einsparungen sieht der Gesetzentwurf auch Mehreinnahmen für die gesetzlichen Krankenkassen vor:

Der allgemeine Beitragssatz wird auf 15,5 Prozent angehoben. Der Arbeitgeberanteil wird auf einer Höhe von 7,3 Prozent festgeschrie- ben. Steigende Gesundheitsausgaben müssen die Versicherten künftig durch einkommensun- abhängige Zusatzbeiträge allein finanzieren.

Um die Beitragszahler finanziell nicht zu über- fordern, wird ein steuerfinanzierter Sozialaus- gleich eingeführt.

Nach Berechnungen des Bundesgesundheitsmi- nisteriums bescheren die gesetzlichen Regelungen den Krankenkassen von 2011 an Mehreinnahmen von rund 6,3 Milliarden Euro. Die Einsparungen be- laufen sich auf 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2011 und auf circa vier Milliarden Euro im Jahr 2012 – dabei sind Einsparungen im Arzneimittelbereich durch das GKV-Änderungsgesetz und das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts in der ge- setzlichen Krankenversicherung mitberücksichtigt.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

P O L I T I K

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