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Archiv "Gesundheitsreform: Schmidt gibt die Richtung vor" (20.01.2006)

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ans Hoogervorst gilt unter Parteikollegen und Oppositionspoliti- kern als Wadenbeißer. Das ist nicht die schlechteste Ei- genschaft für einen Gesund- heitsminister. Zumal Hoo- gervorst in den Niederlan- den die umfangreichste Ge- sundheitsreform aller Zeiten durchsetzte. Zum 1. Januar dieses Jahres vollzog die rechtsliberale Regierung ei- nen fundamentalen System- wechsel. Mit einem Mix aus den in Deutschland disku- tierten Reformoptionen Ge- sundheitsprämie und Bür-

gerversicherung setzte Hoogervorst ei- nen Schlussstrich nach fast 30 Jahren erbitterten Reformstreits.

So weit ist man in Deutschland noch nicht. Doch ihre Zähigkeit und ihren Ehrgeiz hat Bundesgesundheitsministe- rin Ulla Schmidt (SPD) mit ihrem nie- derländischen Amtskollegen gemein. Sie will es sein, die in Deutschland eine ähn- lich weitreichende Reform der Gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) auf den Weg bringt. Daran ließ die resolute Aachenerin auch bei der gerade zu Ende gegangenen Kabinettsklausur auf Schloss Genshagen in Brandenburg kei- nen Zweifel. Zwar spielte die Gesund- heitspolitik in der Ministerrunde nur ei- ne untergeordnete Rolle. Nicht einmal auf einen Reformfahrplan verständigten sich die Koalitionspartner. Doch für Schmidt zahlte sich der Ausflug aufs Land aus. Denn noch unmittelbar vor dem Treffen machten Gerüchte die Run- de, die anstehende Gesundheitsreform werde ohne Beteiligung Schmidts von den Vorsitzenden der Koalitionsparteien vorbereitet. Zurück in Berlin, stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

hinter ihre Ministerin: Bei den Verhand- lungen für eine Gesundheitsreform wer- de Schmidt ebenso eine Rolle spielen wie die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD. Bis März wolle man zudem eine Expertengruppe zur Vorbereitung des Gesetzespaketes benennen, kündig- te die Bundeskanzlerin an.

Beide Seiten sind zu Kompromissen bereit

Damit ist Schmidt wieder im Geschäft.

Noch wichtiger aber ist: Kanzlerin Mer- kel gab ihr Einverständnis dafür, dass im Bundesgesundheitsministerium (BMG) umfangreiche Vorarbeiten für die an- stehenden Gespräche geleistet werden.

Schon jetzt arbeiten BMG-Experten unter Hochdruck an einem Konzept, das zu Beginn der offiziellen Verhand- lungen vorliegen soll. „Bis März wird ein entsprechendes Papier fertig sein. Dieses wird dann mit den Koalitionsspitzen ver- handelt“, sagte eine Ministeriumsspre- cherin dem Deutschen Ärzteblatt. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass die Union

Schmidts Vorgaben vorbehalt- los abnickt. Doch das Papier wird als Gesprächsgrundla- ge dienen und damit schon vor Verhandlungsbeginn die grobe Marschrichtung vorge- ben. Schmidts Meinungsführer- schaft in Sachen Gesundheits- reform scheint damit gesichert.

Zugute kommt der Mini- sterin auch, dass die Union Kompromissbereitschaft si- gnalisierte. So schließt die Vor- sitzende der Unionsarbeits- gruppe Gesundheit, Annette Widmann-Mauz (CDU), eine Einbeziehung der privaten Krankenversicherung in eine Finanzreform nicht mehr aus. Dies ist ein zentrales Anliegen der SPD.

Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass sich die Koalitionäre wie geplant noch in diesem Jahr über eine Finanzreform der GKV einigen. Zumal auch die SPD von einer Bürgerversiche- rung in Reinform abgerückt ist. Es ist ab- zusehen, dass sich Schmidt stattdessen am niederländischen Mixmodell orien- tieren wird. Jeder Versicherte zahlt dort unabhängig von seinem Einkommen Prämien für eine im Vergleich zu Deutschland knapp bemessene Basis- versicherung. Im Schnitt liegt dieser Pau- schalbetrag bei derzeit 92 Euro im Mo- nat. Hinzu kommen 6,25 Prozent des Gehalts, die vom Arbeitgeber abgeführt werden. Für den sozialen Ausgleich kin- derreicher Familien und Armer schießt der Staat noch einmal 2,5 Milliarden Eu- ro dazu. Die Regierung schätzt, dass et- wa sechs Millionen Niederländer An- spruch auf Transferzahlungen haben.

Doch ob für sie die staatlichen Zuschüs- se mittel- und langfristig ausreichen, ist fraglich. „Jede Kostensteigerung führt zu einem sehr schnellen Anwachsen der P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 3⏐⏐20. Januar 2006 AA87

Gesundheitsreform

Schmidt gibt die Richtung vor

Manche wähnten sie schon „entmachtet“. Nun bereitet

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ein Konzept vor, das als Grundlage für die anstehenden Reformverhandlungen dienen wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: grünes Licht für Reformkonzept

Foto:Reuters

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at die Patientin ihr grünes Kärt- chen ins Lesegerät gesteckt, erhält Dr. med. Günther Wawrowsky, In- ternist in Purkersdorf (Niederöster- reich), innerhalb von höchstens fünf Se- kunden eine Rückmeldung über ihren aktuellen Versichertenstatus und kann diese Daten direkt in sein Praxissystem übernehmen. Die rasche Online-An- spruchsprüfung der Leistungsberechti- gung ist die erste Applikation der e-card, die den Papier-Krankenschein in Öster- reich ablöst (www.chipkarte.at). Die Umsetzung dieser im Vergleich zum deutschen Telematikkonzept vergleichs- weise schlanken Lösung ist beein- druckend: In nur sechs Monaten – von Ende Mai bis Ende November 2005 – hat das Land 8,2 Millionen Versicherten die neue Gesundheitskarte zugestellt, rund

10 700 Arztpraxen mit der notwendi- gen Infrastruktur ausgestattet und flä- chendeckend eine Breitbandvernetzung (ADSL) im Gesundheitswesen realisiert (Kasten). Damit steht eine ausbaufähige elektronische Plattform für zahlreiche weitere geplante E-Health-Dienste, wie das elektronische Rezept und die elek- tronische Überweisung, zur Verfügung.

Durch die zusätzliche Einsatzmöglich- keit der e-card als Bürgerkarte erhält Österreich darüber hinaus weltweit eine Vorreiterrolle bei der Einführung von E- Government-Anwendungen.

Bis zu 426 000 Transaktionen täglich werden inzwischen über das Gesund- heitsnetz verwaltet. „Mit der e-card ist es uns gelungen, ein international bewun- dertes Vorzeigeprojekt zu schaffen, das allen Partnern mehr Service bietet und gleichzeitig ein wichtiger Meilenstein für E-Health und E-Government in Öster- reich ist“, sagte die österreichische Ge- sundheitsministerin Maria Rauch-Kallat zum Abschluss des Karten-Rollouts in Wien. Die erfolgreiche Einführung des Systems sei vor allem auf die gute Zu- sammenarbeit zwischen dem Hauptver- band der Österreichischen Sozialversi- cherungsträger als Auftraggeber des Projektes und dem Projektkonsortium (unter anderem Siemens Österreich, Te- lekom Austria und IBM sowie Giesecke

& Devrient als Kartenlieferant) zurück- zuführen, so die Ministerin. 42 Millionen Papierkrankenscheine jährlich müssen nicht mehr länger ausgestellt und archi- viert werden. Der Verwaltungsaufwand in Arztpraxen und Sozialversicherungen sinkt dadurch erheblich. Nach Berech- nungen des Rechnungshofs sollen sich die Investitionen von 116 Millionen Eu- ro bereits in weniger als drei Jahren P O L I T I K

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A88 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 3⏐⏐20. Januar 2006

e-card

Österreich auf der Datenautobahn

Während in Deutschland die Testphase der Gesundheitskarte gerade erst begonnen hat, gehört die Sozialversicherungs- Chipkarte in Österreich bereits zum Alltag.

Über das e-card-System erfolgt die An- spruchsprüfung des Versicherten.

Foto:Siemens Österreich

Steuerzuschüsse“, meint der frühere Re- gierungsberater und jetzige SPD-Bun- destagsabgeordnete, Prof. Dr. med. Karl Lauterbach. Mittelfristig werde man sich mit der Finanzierbarkeit schwer tun.

Vor einer Gesundheitsversorgung nach Kassenlage des Finanzministers warnt denn auch der Präsident der Bun- desärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe. Richtig sei aber, die Gesundheitsausgaben wie in den Nie- derlanden von den Arbeitskosten zu trennen. Allzu große Hoffnungen, dass sich die Lage der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland mit einer Finanzreform der GKV verbessert, hegt Hoppe je- doch nicht. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die Vergütung der niedergelasse- nen Ärzte sowohl in der GKV wie in der privaten Krankenversicherung wei- ter absinken werde.

Demographie berücksichtigen

Ebenfalls unwahrscheinlich seien Bei- tragssatzsenkungen innerhalb der GKV, meint der Vorstandsvorsitzende der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, Dr.

med. Andreas Köhler. Man könne froh sein,wenn die Beitragssätze gehalten wür- den. Voraussetzung dafür sei aber, dass keine Schuldenberge mehr angehäuft und die Lasten nicht auf nachfolgende Genera- tionen verteilt werden. „Die demographi- sche Entwicklung ist eine Tatsache.“ Auch deshalb brauche man unterschiedliche Tarife, die das Alter und das Krankheits- risiko der Versicherten berücksichtigten.

Zusätzlich seien Alterungsrückstellungen innerhalb einer Generation nötig. Das wäre ein langfristiges Sanierungskonzept.

So weit in die Zukunft wollen die Ko- alitionspolitiker denn doch nicht schau- en. Stattdessen richten sich ihre Blicke gespannt in Richtung Westen. Denn vielleicht ist bis zur Verabschiedung der Gesundheitsreform in Deutschland ab- zusehen, ob der Systemwechsel in den Niederlanden erfolgreich verläuft.

Bis dahin steht der niederländische Gesundheitsminister Hoogervorst un- ter enormem Druck. „Sollte in den Nie- derlanden Chaos entstehen, dann hat nicht nur das Land ein Problem, nein, dann habe ganz sicher auch ich eins“, sagte er. Gleiches könnte bald auch für Ulla Schmidt gelten. Samir Rabbata

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