Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1114. März 2008 A557
P O L I T I K
B
ehandlungsfehler wecken As- soziationen an Scheren, die in der Bauchhöhle vergessen wurden, an Amputationen des falschen Beins, häufig auch an Medikamente, die nicht richtig dosiert worden sind. Ins- besondere von der Chirurgie ist be- kannt und empirisch belegt, dass in diesem Fachbereich die meisten (Bei- nahe-)Fehler auftreten (DÄ, Heft 51–52/2007). „Doch auch spezielle Medizinfelder bergen Risiken“, un- terstrich Prof. Dr. med. Jürgen Ham- merstein, Geschäftsführer der Kaise- rin-Friedrich-Stiftung. Weil dies so ist, stellte die Stiftung für das ärzt- liche Fortbildungswesen „Spezielle Risiken ärztlichen Handelns“ aufihrem 36. Symposium für Juristen und Ärzte in den Mittelpunkt.
Größerer Aufmerksamkeit bedarf nach Ansicht von Barbara Burkhard in dieser Hinsicht die Komple- mentär- und Alternativmedizin.
Schließlich, sagte die Fachärztin für Innere Medizin, bedeute die Angabe
„Nebenwirkungen unbekannt“ nicht automatisch, dass es keine Neben- wirkungen gebe. „Sanfte Verfahren wie die Homöopathie können ernst- hafte Nebenwirkungen nach sich zie- hen“, betonte Burkhard, die 20 Jahre beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen tätig war. Dabei lag einer ihrer Arbeitsschwerpunkte auf der Begutachtung alternativer oder komplementärer Methoden und Arz- neimittel. Solche Risiken können Burkhard zufolge direkter Natur sein: Eine Akupunkturnadel bricht ab, ein Medikament interagiert mit einem anderen. Für risikoreich hält
Burkhard die Alternativ- und Kom- plementärmedizin aber auch, weil sie zum Teil notwendige Diagnosti- ken und Therapien ablehne. Mit Schrecken erinnert Burkhard sich an eine Brustkrebspatientin, die nicht länger schulmedizinisch behandelt werden wollte und stattdessen ihr Glück in alternativen Methoden suchte. Ein Chirurg bot der Patientin selbst hergestellte, alternative Medi- kamente an, behandelte sie zusätz- lich mit Wärmetherapie. Er ver- sprach eine vollständige Heilung.
Das Karzinom weitete sich aus, der Patientin mussten letztlich beide Brüste abgenommen werden. Solche Vorkommnisse haben Burkhards
Einstellung geprägt. Ihr Urteil fällt entsprechend klar aus: „Eine Be- handlung mit einer ungeprüften The- rapie ist ebenso gefährlich wie das Fahren mit einem Auto, das nicht durch den TÜV gegangen ist.“ Ärzte müssten besonders wachsam sein.
Spezielle Risiken berge auch die Psychotherapie, sagt Barbara Liebe- rei. Bleibt die erhoffte, positive Wir- kung einer Psychotherapie aus, ja verschlimmert sich der Zustand des Patienten sogar noch, ist eine Er- klärung schnell gefunden: Der Be- handelte arbeitet nicht richtig mit.
Dabei könne das Versagen auch auf- seiten des Therapeuten liegen, so die Oberärztin an der Abteilung Verhal- tenstherapie und Psychosomatik im Berliner Rehazentrum Seehof. „Ne- benwirkungen und insbesondere Be- handlungsfehler in der Psychothera- pie sind ein Sonderproblem, denn sie entstehen stets aus persönlich zu ver-
antwortenden Handlungen des The- rapeuten.“ Aber, berichtet Lieberei, sie kämen vor. Auch wenn empirisch gesicherte Forschungsergebnisse bis- lang weitgehend fehlten.
Fehler beziehungsweise uner- wünschte Therapieeffekte in der Psychotherapie könnten auf unter- schiedliche Weise entstehen, erläu- tert Lieberei. „Vorschnell wurden anhaltende Müdigkeit und Lustlosig- keit für Folgen einer Depression ge- halten. Dabei litt der Patient unter einer Schlafapnoe“, schildert die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Durch diese anfängliche Fehldiagnose, ausgelöst durch eine unzureichende Abklärung oder ober-
flächliche Befundung, wurde der Pa- tient letztlich falsch behandelt. Ein weiterer Patient machte sich um al- les und jeden Sorgen, wirkte an- triebslos. Der Therapeut ging mit dem Patienten im Gespräch ein Pro- blem nach dem anderen durch, for- derte ihn dazu auf, etwas an seinem Leben zu ändern. Letztlich stellte sich heraus, dass er unter einer gene- ralisierten Angststörung litt und sich deshalb so viele Sorgen machte.
Durch den falschen Therapiefokus hatte er begonnen, sein Leben umzu- krempeln, Dinge zu verändern, die eigentlich richtig waren. Am Ende stand sogar der Verlust der Ehe, erin- nert sich Lieberei. Nicht zuletzt kann auch falsches therapeutisches Vorge- hen in Form einer unpassenden Ge- sprächsführung oder falsch ange- wandter Verfahren zu unerwünsch- ten Therapieeffekten führen. I Martina Merten
RISIKEN ÄRZTLICHEN HANDELNS
Unerwartete Wissenslücken
Fehler kommen vor und sind menschlich – dessen sind sich die meisten Ärzte inzwischen bewusst. Was viele noch nicht verinnerlicht haben: Auch Disziplinen jenseits der Chirurgie bergen Risiken.
Foto: AOK